Hintergrund

Über die Hälfte aller mikrobiellen Keratitiden ist assoziiert mit dem Tragen von Kontaktlinsen und der damit verbundenen Milieuänderung sowie der Gefahr von Mikroläsionen des Hornhautepithels als Eingangspforte für Keime [4, 5]. Trotz der in den meisten Fällen gut ansprechenden Therapie sind Keratitiden je nach Erreger mit dem Risiko einer irreversiblen Sehbeeinträchtigung bis hin zum Verlust des Auges verbunden. Das Erregerspektrum umfasst neben den häufigsten grampositiven Bakterien auch gramnegative Bakterien, Pilze und Protozoen [2]. Bei fulminant verlaufenden Keratitiden kann es durch Einschmelzung zu einer Hornhautperforation kommen, die mittels Klebung, Deckung oder perforierender Keratoplastik versorgt werden muss, um den Verlust des Auges zu verhindern [1].

Anamnese und Befund

Im November 2019 kam es bei einer 18-jährigen Patientin während eines Urlaubes in Bali (Indonesien) zu einer Kontaktlinsen-assoziierten Keratitis am rechten Auge. Aufgrund der im Urlaubsland herrschenden mangelnden fachärztlichen Versorgungsmöglichkeiten wurde der Patientin von einer lokalen Klinik nahegelegt, schnellstmöglich die Heimreise anzutreten. Während des Heimfluges kam es zu einer weiteren Verschlechterung des Befundes, sodass bei einer Zwischenlandung in Abu Dhabi seitens der zuständigen Behörden eine weitere Reiseunfähigkeit ausgesprochen wurde. Es erfolgte die stationäre Aufnahme in eine lokale Augenklinik. Dort zeigte sich ein perforiertes Hornhautulkus (Durchmesser 5 mm), welches initial mittels Histoacrylklebung sowie intensiver topischer und systemischer antibiotischer Therapie versorgt wurde. Die Perforationsstelle zeigte sich im Verlauf jedoch nur insuffizient abgedichtet, sodass in einer Revisionsoperation eine perforierende tektonische Hornhauttransplantation à chaud durchgeführt wurde. Da allerdings kein vollwertiges Hornhauttransplantat zur Verfügung stand, wurde der Rest einer Spenderhornhaut verwendet, welche am selben Tag für eine DSAEK („descemets stripping automated endothelial keratoplasty“) verwendet wurde. Die Patientin erhielt demnach ein Transplantat, bestehend aus Epithel und anteriorem Hornhautstroma ohne posteriores Stroma und Endothel, welches mit 10-0-Nylon-Einzelknopfnähten eingenäht wurde.

Die postoperative Therapie, mit der die Patientin 3 Tage später auch zur Weiterversorgung heimatnah entlassen wurde, bestand aus topischer Antibiose mit 6‑mal täglich Moxifloxacin- und Tobramycin-Augentropfen sowie Cyclopentolat-Augentropfen 2‑mal täglich. Als systemisches Antibiotikum wurde Moxifloxacin 400 mg 1‑mal täglich empfohlen.

Mikrobiologische Kulturen aus Hornhaut-Scrapings und Bindehautabstrichen in der versorgenden Klinik in Abu Dhabi waren durchweg ohne Erregernachweis geblieben.

Therapie und Verlauf

Die Vorstellung in unserer Notfallambulanz erfolgte direkt nach Ankunft in Deutschland. Hier zeigte sich tonisierter Bulbus, eine Hornhautdekompensation im Bereich des Transplantates mit kornealem Epithel- und Stromaödem bei ausgeprägtem konjunktivalem Reizzustand (Abb. 1: Spaltlampenfoto). Die Sehkraft betrug Handbewegungen. Unter nun additiver intensiver topischer Steroidtherapie zeigte sich über die ersten Wochen eine leichte Befundbesserung mit rückläufigem Hornhautödem und einer Visussteigerung auf 0,05 (Snellen) im Januar 2020 (Abb. 2: Spaltlampenfoto). Bemerkenswerterweise kam es v. a. im nasalen Randbereich zu einer teilweisen Aufklarung des Transplantates, was auf eine regionale Einwanderung von Wirtsendothelzellen in das Transplantatareal schließen lässt (Abb. 2: Hornhaut-OCT, Pfeil). An dieser Stelle wurde entschieden, zur weiteren Förderung der Endothelmigration zusätzlich einen selektiven Rho-Kinase(ROCK)-Inhibitor (Ripasudil 0,4 % Augentropfen, Glanatec, Kowa Pharmaceuticals, Japan) 4‑mal täglich einzusetzen. Ripasudil ist ein selektiver ROCK-Inhibitor, der initial 2014 in Japan für die Behandlung des Glaukoms und der okulären Hypertension zugelassen wurde. Im Tiermodell zeigte sich zudem der Einfluss auf die Endothelzellregeneration, der derzeit in mehreren klinischen Studien in Japan und den USA überprüft wird [8]. Erste Fallserien haben durchaus positive Effekte beim Einsatz von Ripasudil nach Entfernung der Descemet-Membran ohne Transplantatersatz (sog. „descemetorhexis stripping without endothelial keratoplasty“ [DWEK]) gezeigt [6].

Abb. 1
figure 1

Spaltlampenfotos des rechten Auges mit dem Initialbefund nach tektonischer Keratoplastik à chaud nach Ankunft in Deutschland

Abb. 2
figure 2

Spaltlampenfoto (a) und Hornhaut-OCT (b) des rechten Auges 2 Monate nach erster Vorstellung mit beginnender Re-Endothelialisierung (Pfeil und Stern)

Entgegen den Erwartungen kam es im Verlauf der nächsten 3 Monate wieder zu einer deutlichen Verschlechterung des Hornhautbefundes mit Zunahme des nunmehr zentral betonten grobbullösen Epithelödems (Abb. 3: Spaltlampenfoto, Hornhaut-OCT; Abb. 5a: Hornhautdickenkarte), sodass im Juli 2020 die Entscheidung zu einer modifizierten posterioren lamellären Keratoplastik (DMEK) gefasst wurde. In der unmittelbar präoperativ durchgeführten Hornhaut-OCT sieht man das scheinbar von peripher über den Transplantatrand gewachsene Wirtsendothel, das zu einer Aufklarung der Hornhautperipherie geführt hat, jedoch die ausbleibende zentrale Re-Endothelialisierung (Abb. 3: Hornhaut-OCT). Eine modifizierte DMEK wurde im Juli komplikationslos durchgeführt (Abb. 4a–f).

Abb. 3
figure 3

Spaltlampenfoto (a) und Hornhaut-OCT (b) des rechten Auges vor lamellärer Keratoplastik mit deutlichem grobbullösem Epithelödem und geringer Aufklarung nasal (Pfeil und Stern)

Abb. 4
figure 4

Schrittweise Darstellung der lamellären Keratoplastik. Dokumentation vor Beginn chirurgischer Maßnahmen nach Desinfektion des Situs (a); Durchführung einer zentralen Abrasio corneae und Stellen der Vorderkammer mit Luft (b); Versuch der „Descemetorhexis“ mit dem kleinen Price-Haken ohne entfernbare Empfänger-Descemet-Anteile (c); Implantation des zuvor präparierten Descemet-Membran-Transplantates (Durchmesser 7,5 mm) in die Vorderkammer (d); Entfaltung und Zentrierung des Transplantates in No-touch-Technik (e); Eingabe von 80 % gefilterter Luft in die Vorderkammer unter das Transplantat (f)

Abb. 5
figure 5

Hornhautdickenkarte präoperativ (a), 2 Tage (b), 2 Wochen (c), 2 Monate (d) und 6 Monate postoperativ (e). Die Farben zeigen die Hornhautdicke an, je höher die Farbtiefe desto höher die Hornhautdicke: orange/gelb 440–500 µm; grün 500–650 µm; blau 650–890 µm

Dabei wurde nach zentraler Abrasio corneae und Anlegen einer limbusparallelen 1,5 mm breiten Inzision nasal superior die Vorderkammer mit Luft gestellt (Abb. 4b) sowie die Descemetorhexis mit dem kleinen Price-Haken versucht (Abb. 4c). Im Bereich des Transplantates konnte kein Endothel mobilisiert werden, insbesondere konnte nasal peripher das scheinbar migrierte Wirtsendothel nicht gelöst werden. Das zuvor präparierte Descemet-Membran-Transplantat (Durchmesser 7,5 mm) wurde anschließend über eine 2,75 mm breite Inzision mittels Glasinjektor in die Vorderkammer injiziert (Abb. 4d), in No-touch-Technik entfaltet (Abb. 4e) und sorgfältig zur Gänze im Bereich des primären Hornhauttransplantates zentriert, um einen Overlap mit Wirtsendothel weitestgehend zu vermeiden. Es folgte die Eingabe von gefilterter Luft in die Vorderkammer unter das Transplantat bis ca. 80 % Füllung (Abb. 4f).

Die Patientin wurde angewiesen, in den kommenden 3 Tagen auf eine strenge Rückenlagerung zu achten. Der postoperative Verlauf gestaltete sich komplikationslos.

Am ersten Tag nach der Operation zeigte sich bereits ein beginnender Visusanstieg auf 0,16 (Snellen) bei deutlicher Aufklarungstendenz der Hornhaut (Abb. 5a–e: Hornhautdickendarstellung im Verlauf).

Bei den kurzfristigen Kontrollen persistierte eine geringe DMEK-Transplantatdehiszenz im Bereich des nasalen Transplantatrandes an exakt der Stelle des scheinbar migrierten Wirtsendothels auf das tektonische Transplantat. Deshalb erfolgte einmalig ein Re-Bubbling mit 20 % Schwefelhexafluorid (SF6). Zu dem Zeitpunkt betrug die korrigierte Sehschärfe bereits 0,63 (Snellen) und verbesserte sich nach erfolgreichem Re-Bubbling noch auf 0,8 (Snellen) im August 2020 (Abb. 6: Spaltlampenfoto, Hornhaut-OCT).

Abb. 6
figure 6

Spaltlampenfoto (a) und Hornhaut-OCT (b) des rechten Auges 6 Monate postoperativ

Die Entfernung der Einzelknopfnähte der initialen tektonischen Keratoplastik und die Anpassung einer formstabilen Kontaktlinse führten zu einer Visusrehabilitation auf 1,0 ein Jahr nach dem Ersteingriff.

Diskussion

Der dargestellte Fall zeigt in eindrücklicher Weise eine schrittweise lamelläre Transplantation von Hornhautgewebe und verdeutlicht das stetig wachsende Einsatzspektrum der DMEK bei komplexeren Ausgangssituationen. Nachdem bei der initial durchgeführten tektonischen Keratoplastik à chaud aufgrund einer mikrobiellen Keratitis kein Hornhautvolltransplantat vorhanden war, sondern nur Hornhautepithel und -stroma eingesetzt werden konnte, kam es in den darauffolgenden Monaten zu einer bullösen Hornhautdekompensation. Zwar ist es zu einer partiellen Re-Endothelialisierung des Spendertransplantates in der Peripherie mit korrelierender lokalisierter Aufklarung gekommen, jedoch blieb die vollständige Endothelialisierung aus. In dem bei uns durchgeführten zweiten Schritt erfolgte eine hintere lamelläre Keratoplastik (DMEK) mit mechanischer Descemetorhexis und somit das Hinzufügen des Hornhautendothels. Dadurch kam es zu einer vollständigen Aufklarung der Spenderhornhaut.

Der Einsatz des ROCK-Inhibitors Ripasudil zeigte in unserem Fall entgegen den Beobachtungen in bisherigen Studien keine dauerhafte Rekompensation der Hornhaut durch Unterstützung der Endothelzellmigration. Dies mag neben dem großen Transplantatdurchmesser der Tatsache geschuldet sein, dass in unserem Fall der „Migrationsboden“ aus dem relativ irregulären posterioren Stroma eines DSAEK-Transplantates stammte, welches vermutlich schlechtere Migrationsbedingungen für Endothelzellen bietet als natives posteriores Stroma ohne Descemet-Membran (DWEK). Zudem könnte das irreguläre Interface im Bereich des Transplantatrandes zwischen Spender und Empfänger eine Barriere für die Re-Endothelialisierung unter Ripasudil gewesen sein.

Die posteriore lamelläre Keratoplastik (DMEK) bei Transplantatdekompensation als Alternative zu einer erneuten perforierenden Keratoplastik (re-PKP) ist v. a. nach perforierender Keratoplastik etabliert [7]. Einan-Lifshitz et al. beschreiben darüber hinaus in einer Fallserie die Vorteile des lamellären Endothelersatzes (DMEK) bei Versagen einer vorderen Keratoplastik (DALK), das dem hier vorliegenden Fall noch am ehesten vergleichbar ist [3].

Zusammenfassend legen diese Beobachtungen den Schluss nahe, dass die Möglichkeit eines lamellären Verfahrens bei Hornhautdekompensation auch nach perforierender bzw. tektonischer Keratoplastik in Betracht gezogen werden sollte. Bisher gibt es in der Literatur keine vergleichbare Darstellung des hier beschriebenen, sehr speziellen Falles.