Wie auch bei den konventionellen filtrierenden Verfahren sollte nach sorgfältiger Beurteilung des Patienten in von der EGS empfohlener Weise ein individueller Zieldruck festgelegt werden. Seine Bestimmung stützt sich auf das Krankheitsstadium, die Progression der Erkrankung, das Lebensalter sowie zusätzliche Risikofaktoren. Die EGS-Empfehlungen beinhalten eine Richtschnur für die Drucksenkung in verschiedenen Glaukomstadien. So sollte bei einem frühen Glaukom eine IOD-Senkung von mindestens 20 % (IOD unter 21 mm Hg), bei einem mittleren Glaukom von mindestens 30 % (IOD unter 18 mm Hg) und bei einem fortgeschrittenen Glaukom eine noch stärkere IOD-Senkung erreicht werden [4].
Seit einigen Jahren stehen verschiedene, teils minimal-invasive Ab-interno-Verfahren und Stents zur Verfügung, die mit einem geringeren Risiko der Überfiltration einhergehen. Der Einsatz dieser neuen Verfahren ist in diesem Konzept noch nicht berücksichtigt. Die minimalinvasiven Techniken (MIGS) umfassen Verfahren oder implantierbare Medizinprodukte. Die Eingriffe sollten die folgenden 5 Eigenschaften vereinen:
-
Mikroinzision durch die Kornea. Hierbei wird die Bindehaut geschont und daraus folgend eine Narbenbildung derselben vermieden.
-
Eingriff ist minimal traumatisch für das Gewebe. Die eingesetzten Produkte verfügen über eine sehr gute Biokompatibilität und unterstützen oft die biologischen Abflusswege des Kammerwassers.
-
Effiziente Drucksenkung ist aufgrund der Intervention zu erwarten.
-
Sehr gutes Sicherheitsprofil, insbesondere im Hinblick auf die möglichen Komplikationen, wie sie bei den klassischen chirurgischen Verfahren auftreten können.
-
Schnelle postoperative Rehabilitation führt zu einer minimalen Beeinträchtigung der Lebensqualität des Patienten. Dieser Aspekt kann eine bessere Akzeptanz durch den Patienten bewirken, und auch der konservativ tätige Augenarzt kann den Patienten ohne erhöhten Aufwand betreuen.
Die drucksenkenden Eigenschaften der meisten MIGS-Verfahren sind in der Regel weniger ausgeprägt als bei den bereits erwähnten klassischen Ab-externo-Operationen wie der Trabekulektomie. MIGS stellen einen Kompromiss dar, den man aufgrund des oben ausgeführten sehr günstigen Risikoprofils eingeht. Daher wird die MIGS in einem frühen Krankheitsstadium präferiert. Dies bedeutet aber auch, dass v. a. Patienten mit fortgeschrittenem Glaukom oder Patienten, für die ein sehr niedriger postoperativer IOD angezeigt ist, nicht zu den eigentlichen Zielkandidaten für MIGS gehören [20].
Für die einzelnen Interventionen kann eine Relation zwischen dem Risiko der Methode und der Effektivität der IOD-Senkung hergestellt werden (Abb. 1; [21]).
Die MIGS-Verfahren können in 3 anatomische Kategorien unterteilt werden: Die erste Kategorie adressiert den Schlemm-Kanal für eine Verbesserung des trabekulären Abflusses. Sie nutzt den bestehenden physiologischen Abflussmechanismus und senkt den IOD moderat, da die maximale Senkung durch den episkleralen Venendruck begrenzt wird. Das Risiko einer Hypotonie nach dem Eingriff ist gering, es kann zu peripheren anterioren Synechien kommen. Der Einsatz ist für Patienten mit leichtem bis moderatem Glaukom empfohlen sowie für Patienten mit niedrigen Ausgangsdruckwerten, Patienten mit mehreren medikamentösen Drucksenkern, Patienten, die Unverträglichkeiten zeigen und/oder deren Therapietreue beeinträchtigt ist. Die zweite Kategorie der suprachoroidalen MIGS verbessert den uveoskleralen Abflussmechanismus und hat wahrscheinlich ein höheres drucksenkendes Potenzial. Mögliche Begleiterscheinungen umfassen ein höheres Risiko der vorübergehenden Hypotonie und eines Hyphämas. Der Einsatz wird ebenfalls bei Patienten mit leichtem oder moderatem Glaukom empfohlen und v. a. bei Patienten mit höherem Ausgangsdruck. Die dritte Kategorie der subkonjunktivalen MIGS eröffnet eine alternative Abflussmöglichkeit des Kammerwassers in den Subkonjunktivalraum. Im Verlauf des Eingriffs wird ein Sickerkissen ausgebildet. Um nach der Operation die Bildung von Fibrosen zu verhindern, erfolgt meist der Einsatz von Mitomycin C (MMC). Die Komplikationen ähneln denen der offenen filtrierenden Verfahren, wie z. B. der Trabekulektomie. Die Anwendung wird empfohlen bei Patienten mit weiter fortgeschrittenem Glaukom sowie Patienten mit höheren Ausgangsdruckwerten, bei denen ein niedrigerer Zieldruck erreicht werden soll. Auch Patienten, bei denen mit den ersten beiden Kategorien der MIGS keine erfolgreiche IOD-Kontrolle erreichbar war, könnten für den subkonjunktivalen Ansatz infrage kommen [22].
Eine Auswahl der aktuell wichtigsten MIGS ist in Tab. 1 dargestellt.
Tab. 1 Übersicht der aktuell verwendeten wichtigsten MIGS sowie subkonjunktivaler Verfahren mit Anwendung von Mitomycin C Minimal-invasive Verfahren stellen derzeit eine Nischenanwendung im anerkannten Behandlungsalgorithmus beim Glaukom dar. Die noch fehlende Langzeiterfahrung muss jedoch kein Ausschlusskriterium für den Einsatz der MIGS-Verfahren darstellen. Neben den Daten aus wenigen randomisierten kontrollierten klinischen Prüfungen existieren viele prospektive und retrospektive Fallserien, v. a. für die trabekulären und subkonjunktivalen Varianten. Um den am häufigsten verwendeten Vertreter der suprachoroidalen MIGS (iStent® supra aus Polyethersulfon und Titan und das mikroporöse Silikonimplantat MINIject [R]) zu beurteilen, stehen bisher nicht genügend bzw. noch keine Daten zur Verfügung.
Die Wahl des MIGS-Verfahrens sollte auch die persönliche Situation des Patienten berücksichtigen. Die Unabhängigkeit von einer medikamentösen Dauertherapie oder die Reduktion der Medikation ist dabei auch ein Ansatz zur Verbesserung von bekannten Adhärenzproblemen und damit Steigerung der Lebensqualität.
Der Erfolg bei der Verwendung der MIGS hängt nicht zuletzt von der Qualität der Chirurgie oder der postoperativen Begleitung des Patienten ab. Für Ersteres ist eine sorgfältige Ausbildung des Operateurs erforderlich. Die Glaukomchirurgie ist keine Trivialchirurgie. Dabei haben sich eine Einführung unter Begleitung eines erfahrenen Anwenders sowie der kontinuierliche Erfahrungsaustausch unter Anwendern bewährt. Je komplexer die operative Technik, desto länger ist die Lernkurve. Dies gilt v. a. für die Anwendung der subkonjunktivalen Techniken wie des XEN® Gelstents oder des Preserflo® microshunts, bei denen die Positionierung und das postoperative Management anspruchsvoller sind.
Während die unmittelbare postoperative Begleitung noch beim Operateur liegt, erfolgt die weitere Verlaufskontrolle dann wieder beim Zuweiser. Hierfür ist auch eine enge Kommunikation zwischen beiden Akteuren wichtig. Auch der Zuweiser sollte genaue Kenntnisse über das verwendete Verfahren sowie die daraus möglicherweise resultierenden Begleiterscheinungen und deren Interpretation und Behandlung besitzen.
Die weniger invasiven Verfahren sollten als weitere sinnvolle Ergänzung der anderen operativen Optionen verstanden werden. Sie können zum Einsatz kommen, wenn ein frühes Glaukom vorliegt, bei Patienten mit Tropfentherapie eine Verschlechterung des Gesichtsfelds beobachtet wird oder der Patient konventionelle operative Verfahren ablehnt. Die klassischen Verfahren haben weiter ihren Platz im Behandlungsablauf. Operative Verfahren insgesamt kommen für Patienten mit geringen bis moderaten Gesichtsfelddefekten in Betracht, wenn die medikamentöse Therapie keine ausreichende Drucksenkung bewirkt bzw. der IOD über dem Zieldruck liegt, die Patienten nicht oder vermutet nicht therapietreu sind und somit das Progressionsrisiko erhöht ist. Ebenso sollte der Einsatz bei früher oder schneller Progression erwogen werden oder wenn für den Patienten ohnehin eine Kataraktoperation ansteht [12]. Die den subkonjunktivalen oder suprachoroidalen Raum filtrierenden Verfahren können möglicherweise auch als Ersatz für eine Trabekulektomie fungieren. Ein zukünftiger Behandlungsalgorithmus ist in Abb. 2 dargestellt: Therapieoptionen nach Intensitätsgrad der Intervention [21].