In den Medien wird über die erhöhte Aggressivität der Gesellschaft berichtet. Dabei fallen insbesondere vermehrte Aggressionen gegenüber öffentlichen Institutionen und deren Vertretern auf [1]. Dies führte 2017 zur Neuregelung des § 113 Strafgesetzbuch (StGB) „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“. Das neue Gesetz § 115 StGB ermöglicht die Bestrafung bei Gewalt oder Drohung von Gewalt gegenüber Feuerwehr, Katastrophenschutz oder Rettungsdienst bei tätlichen Angriffen. Ärzte und (ihr) medizinisches Personal werden dabei bislang nicht berücksichtigt [2].

Auch im Gesundheitssektor wird über eine zunehmende Aggressivität seitens der Patienten sowie deren Angehörigen gegenüber Ärzten und nichtärztlichem Personal berichtet. Bislang wurden erst wenige Untersuchungen zu diesem Thema in Deutschland durchgeführt, entsprechend schwach ist die Datenlage. Vorderwülbecke et al. analysierten 2015 eine Befragung zu Aggressionen und Gewalt unter Allgemeinmedizinern. Dabei hatten 91 % der teilnehmenden Allgemeinmediziner aggressives Verhalten erlebt [3]. An der Studie „Gewalt gegen Einsatzkräfte der Feuerwehren und Rettungsdienste in Nordrhein-Westfalen“ der Ruhr-Universität Bochum aus 2018 nahmen 812 Einsatzkräfte teil. Dabei erlebten 60 % der Befragten verbale Gewalt wie Beschimpfungen und Bedrohungen innerhalb der letzten 12 Monate. Körperliche Gewalt wie Schlagen, Anspucken oder Treten bejahten 12,7 % [4].

Der Ärztemonitor 2018 befragte im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ambulant tätige Ärzte erstmalig zu Gewalterfahrungen in ihrer beruflichen Tätigkeit. Dabei wurden auch 240 ambulant tätige Augenärzte erfasst. Von diesen schätzten nur 25 %, dass Ärzte/Psychotherapeuten nie angegriffen oder physisch bedroht wurden [5]. Augenärzte haben an der Spaltlampe engen körperlichen Kontakt zum Patienten und sind darüber hinaus oft mit ihren Patienten allein. Zudem wird häufig von „längeren“ Wartezeiten berichtet. Dies könnte sich negativ auf das Aggressionsverhalten von Patienten und Angehörigen auswirken [6].

Aggressionen/Gewalt im Beruf können zu emotionalem Stress führen, der u. a. Schlafstörungen, erhöhten Tabakkonsum und soziale Isolation zur Folge haben kann und als Risikofaktor für mentale Erkrankungen gilt [7]. Eine Studie aus Frankreich erfasste die Gewalterfahrungen der Mitarbeiter für eine augenärztliche Notfallabteilung. Als Gründe, die zu Aggressionen/Gewalt führten, wurden lange Wartezeiten, fehlende Patienteninformationen sowie Unterbesetzung genannt. Die Befragten waren sogar der Ansicht, dass das permanente Unterbrechen der Arbeit durch Patientenbeschwerden belastender sei als tatsächliche Gewalt [8].

Aufgrund der Aktualität des Themas und der bescheidenen Datenlage führten wir in Zusammenarbeit mit dem Berufsverband für Augenärzte (BVA) und der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) eine Befragung unter den deutschen Augenärzten durch. Ziel war es, eine Datengrundlage zu schaffen, möglichen Handlungsbedarf zu identifizieren und ggf. geeignete Präventionsmaßnahmen zu entwickeln.

Methodik

Auf Grundlage der Aggressions-Wahrnehmungsskala (POPAS Fragebogen; [9]) sowie der Umfrage zu Aggressionen und Gewalt unter Allgemeinmedizinern [3] wurde ein Fragebogen für Augenärzte entwickelt (Tab. 4 im Anhang). Im Herbst 2018 erhielten alle Mitglieder von DOG und BVA per E‑Mail eine personalisierte Einladung (Token) mit einem Link, um den Fragebogen online auszufüllen. Durch Datenabgleich wurde vermieden, dass Personen, die beiden Verbänden als Mitglieder angehören, doppelt angeschrieben wurden. Vor jeder Befragung wurde die Einwilligung für die Teilnahme an dem Projekt abgefragt sowie über die datenschutzrechtlichen Maßnahmen aufgeklärt. Den Teilnehmern war es möglich, die personalisierte Befragung zu unterbrechen und zu einem späteren Zeitpunkt fortzuführen. Die Daten wurden nach Abschluss der Befragung vollständig anonymisiert und das Token als benutzt gewertet. Insgesamt wurden 3 Reminder mit der Bitte um Beteiligung an der Umfrage an die jeweils noch offenen Token versendet. Die Befragung selbst wurde über die Webplattform Soscisurvey (SoSci Survey GmbH, München, www.soscisurvey.de, Server: sosci01.mh-hannover.local, Version 3.2.00) über einen eigenen Hochschulserver realisiert.

Die statistische Auswertung und die Generierung von Tabellen, Grafiken und Datenlisten wurden mit dem statistischen Programm SPSS Version 25.0 (Chicago, IL, USA) sowie Excel (Version 2010, Microsoft, Redmont, USA) durchgeführt. Es wurden Subgruppen für verschiedene Erfahrungen gebildet. Zur allgemeinen deskriptiven statistischen Auswertung von Häufigkeiten wurden Mittelwert, Standardabweichung der Stichprobe, Median, Minimum, Maximum und Häufigkeitsangaben in Prozent verwendet. Sechs Extremwerte mit Häufigkeitsangaben größer 500 für erlebte Gewalt innerhalb der letzten zwölf Monate wurden herausgenommen, da diese unrealistisch hoch waren. Für nominalskalierte Angaben wurde der Chi-Quadrat-Test nach Pearson verwendet. Das Signifikanzniveau betrug 5 %.

Ergebnisse

Von den 9411 angeschriebenen Augenärzten (einschließlich Ärzte in der Weiterbildung) nahmen insgesamt 1508 (Alter: 49 ± 12 Jahre) Ärzte an der Befragung teil (16 %). Von diesen waren 806 (53,7 %) Teilnehmer weiblich. 751 (49,8 %) Augenärzte gehörten sowohl der DOG als auch dem BVA an. 462 (30,6 %) waren nur BVA-Mitglieder und 268 (17,8 %) waren nur DOG-Mitglieder. 1139 (75,5 %) Teilnehmer arbeiteten in Praxen. 1020 (68,3 %) Ärzte gaben als aktuelle Funktion Facharzt/-ärztin an. Entsprechend der Einwohnerzahl waren die meisten Augenärzte in Nordrhein-Westfalen tätig. 1264 (83,8 %) Augenärzte gaben an, in ihrer augenärztlichen Tätigkeit bereits Aggressionen/Gewalt erlebt zu haben (Tab. 1).

Tab. 1 Charakteristika der teilnehmenden Augenärzte

Augenärztinnen berichteten im Vergleich zu den männlichen Kollegen signifikant häufiger, Aggressionen/Gewalt erfahren zu haben (p = 0,001). Augenärztinnen erlebten insbesondere sexuelle Einschüchterungen/Übergriffe signifikant häufiger als die männlichen Kollegen (p < 0,001). Für körperliche Gewalt existierte kein signifikanter Unterschied zwischen den Geschlechtern (p = 0,381).

Augenärzte, die aktuell nicht tätig waren und sich z. B. in Elternzeit befanden oder bereits in der Rente waren, erlebten laut der Erhebung deutlich weniger Aggressionen/Gewalt als aktive Augenärzte. Assistenzärzte erlebten signifikant häufiger Aggressionen/Gewalt als erfahrenere Ärzte (p < 0,001).

Augenärzte, die in Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern arbeiteten, erlebten signifikant häufiger körperliche Gewalt (p = 0,001) sowie sexuelle Einschüchterung/Übergriffe (p = 0,002) als Ärzte, die in Städten mit weniger als 50.000 Einwohnern arbeiteten. Für verbale Gewalt (p = 0,726) und aggressives Verhalten (p = 0,464) existierte kein signifikanter Unterschied.

Muttersprache und Migrationshintergrund

Insgesamt gaben 155 (10,3 %) Ärzte an, dass Deutsch nicht ihre Muttersprache sei. Dabei zeigte sich eine regelrechte Sprachenvielfalt von insgesamt 29 Sprachen. 16 (10,3 %) Ärzte gaben Russisch und 14 (9 %) Ärzte Arabisch als ihre Muttersprache an. Interessanterweise hatten „nur“ 117 (75,5 %) Ärzte, die nicht Deutsch als Muttersprache angaben, Aggressionen/Gewalt erlebt und hatten somit signifikant (p = 0,003) weniger Aggressionen/Gewalt als deutsche Muttersprachler (84,3 %) erfahren. Bei verbaler Gewalt (p = 0,031) sowie aggressivem Verhalten (p = 0,002) zeigte sich ein signifikanter Unterschied. Ärzte mit deutscher Muttersprache machten entsprechend mehr Erfahrungen oder gaben dies zumindest an.

Einen Migrationshintergrund hatten 232 (15,4 %) Ärzte. Es existierte kein signifikanter Unterschied bezüglich Aggressionen/Gewalt insgesamt aufgrund eines Migrationshintergrunds (p = 0,463). Aggressives Verhalten erlebten Ärzte mit einem Migrationshintergrund jedoch signifikant weniger (p = 0,046) als Ärzte ohne Migrationshintergrund. 91 (6,1 %) Ärzte hatten den Eindruck, dass sie aufgrund ihrer Sprache/Herkunft Ziel von Patientenaggressionen wurden. Davon hatten 43 (18,5 %) Ärzte Migrationshintergrund, und 34 (22 %) Ärzte waren keine deutschen Muttersprachler. In der Gruppe ohne Migrationshintergrund bzw. Deutsch als Muttersprache gaben jeweils unter 4 % die Sprache/Herkunft als Ursache von Patientenaggressionen an.

Tab. 2 stellt zu der jeweiligen Gewalterfahrung die entsprechenden Mittelwerte für die letzten 12 Monate dar. Am häufigsten wurden verbale Übergriffe ohne Drohung erlebt. Der Median mit 5 Vorfällen im Jahr war bei spaltend aggressivem Verhalten am höchsten. Überraschend hoch ist die Angabe von 27 (1,8 %) Augenärzten, die einen vollendeten Suizid während der Konsultation erlebt haben.

Tab. 2 Angaben zu Gewalterfahrungen jemals und innerhalb der letzten 12 Monate

Ärzte in der Klinik im Vergleich zur Praxis

235 (81,3 %) von 289 Ärzten, die in Kliniken tätig sind, erlebten Gewalt v. a. in Kliniken, und 896 (79,6 %) von 1125 Ärzten aus Praxen erfuhren Gewalt v. a. in Praxen. In der Gruppe ohne aktuelle Beschäftigung hatten nur 38 (50 %) von 76 Ärzten überhaupt Gewalterfahrungen gemacht, von denen 29 (38,2 %) Ärzte diese eher in Praxen gemacht haben.

Arbeit im Notdienst

1118 (92,5 %) Ärzte gaben an, den größten Teil der oben genannten Erfahrungen in der regulären Arbeitszeit erlebt zu haben. 1075 (71,3 %) Ärzte nehmen am Notdienst am Wochenende oder außerhalb der regulären Arbeitszeit teil. In der am Notdienst teilnehmenden Ärztegruppe gaben 824 (77,2 %) Ärzte an, dass sich die Vorfälle v. a. in der regulären Arbeitszeit ereigneten, im Vergleich zu 294 (69,3 %) Ärzte in der Gruppe, die nicht am Notdienst teilnehmen. Augenärzte, die am Notdienst teilnehmen, hatten jedoch signifikant häufiger Aggressionen/Gewalt erfahren (p < 0,001).

Im Notdienst sind 572 (53,3 %) Ärzte allein, während 345 (32,1 %) von einer medizinischen Fachkraft unterstützt werden. Nur 58 (5,4 %) Ärzte werden von einem ärztlichen Kollegen unterstützt. 38 (3,5 %) Ärzte sind zeitweise allein. Im Notdienst in einer Klinik bzw. Notfallpraxis sind 27 (2,5 %) Ärzte tätig. 11 (1 %) Ärztinnen werden vom Partner/Ehemann begleitet. Im Notdienst warteten die Patienten bei 872 (81,5 %) Ärzten unter 60 min, davon arbeiteten 731 (83,8 %) Ärzte in Praxen. Bei Wartezeiten über 60 min waren nur 90 (45,5 %) von 198 Augenärzten in Praxen tätig. Mit zunehmender durchschnittlicher Wartezeit stieg der Anteil von Ärzten mit Erfahrungen von Aggressionen/Gewalt an. Er betrug bei über 120 min über 95 %.

Veränderung von Gewalterfahrungen

Insgesamt fanden 533 (35,5 %) Ärzte, dass aggressive Verhaltensweisen in den letzten 5 Jahren zugenommen haben. Dabei empfanden v. a. Ärzte, die Aggressionen/Gewalt erfahren haben, dass aggressive Verhaltensweisen zugenommen haben (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Wie haben sich aggressive/gewalttätige Patientenverhaltensweisen in den letzten 5 Jahren verändert?

Medizinisches Assistenzpersonal

Der Fragebogen wurde nur vom ärztlichen Personal beantwortet. 1047 (69,6 %) Ärzte gaben an, dass das Assistenzpersonal Aggressionen/Gewalt durch Patienten erfahren habe. Dabei beurteilten 346 (29,0 %) Ärzte verbale Übergriffe ohne Drohung als die schlimmsten Vorfälle. Körperliche Gewalt wurde von 48 (4 %) Ärzten als schlimmste Gewalterfahrung bejaht. 950 (76,6 %) Ärzte hatten den Eindruck, dass das Assistenzpersonal mehr Gewalt als das ärztliche Personal erfahre.

Gewalterfahrungen abhängig vom Alter

Im Mann-Whitney-U-Test (p < 0,001) zeigte sich ein signifikanter Unterschied bezüglich des Alters und des Geschlechts der Umfrageteilnehmer hinsichtlich jemals erfahrener Gewalt (Tab. 3).

Tab. 3 Altersverteilung nach Geschlechtern und Gewalterfahrungen (Mittelwert ± Standardabweichung in Jahren)

Gegen Gewalt getroffene Vorkehrungen oder Maßnahmen

Die Ärzte wurden nach Vorkehrungen/Maßnahmen gegen Gewalt gefragt (Abb. 2). Insgesamt gaben 819 (54,3 %) Ärzte an, keine Maßnahmen getroffen zu haben. 421 (28 %) Ärzte hatten Maßnahmen zum Konfliktmanagement für Ärzte/Mitarbeiter wie interne Schulungen oder Leitlinien eingeführt.

Abb. 2
figure 2

Haben Sie in Ihrer Praxis oder in der Klinik Vorkehrungen oder Maßnahmen gegen Gewalt getroffen? Wenn ja, welcher Art?

Diskussion

Mit über 1500 Teilnehmern bei 9411 angeschriebenen Augenärzten handelt es sich um eine sehr hohe Teilnahmequote. Dies unterstreicht die Relevanz des Themas in der Augenheilkunde. Neben häufiger verbaler Gewalt kam es auch zu gravierenden Vorfällen, wenn zum Beispiel Assistenzärzten ein Revolver an die Stirn gehalten wurde, weil die Schmerzen bei der Diagnose einer Erosio corneae nicht schnell genug beseitigt wurden, oder als Patienten getarnte Täter, die einen bewaffneten Raubüberfall begingen. Insgesamt ist der Anteil von Augenärzten in der Umfrage, die Aggressionen/Gewalt jemals in ihrer Tätigkeit erfahren haben, mit 83,3 % sehr hoch. Dabei gaben Augenärztinnen und junge Ärztinnen und Ärzte signifikant häufiger entsprechende Erfahrungen an. In der Umfrage unter Allgemeinmedizinern hatten sogar nur 9 % der Teilnehmer nie in ihrer Laufbahn aggressives Verhalten erlebt [3].

Aggressionen können als Zeichen von Stress oder unerfüllten Bedürfnissen gesehen werden. Ursachen für Gewalt im Gesundheitssektor können sowohl intrinsisch als auch extrinsisch bedingt sein. Intrinsische Faktoren sind unter anderem psychische Grunderkrankungen, bei denen in einer alternden Gesellschaft insbesondere die Demenz hervorzuheben ist. Auch Drogen- und Alkoholabhängigkeit sind zu beachten. Als extrinsische Faktoren zählen das Verhalten des Personals und die Versorgungssituation [10]. In der Augenheilkunde kommt es aktuell zu einem zunehmenden Versorgungsengpass aufgrund der Zunahme von altersbedingten Augenerkrankungen und einer zugleich geringen Zunahme der Versorgungskapazität [11]. Dies führt zu längeren Wartezeiten und kann auch zu einem kürzeren Arzt-Patienten-Kontakt führen, wodurch sich die Unzufriedenheit der Patienten steigern kann. Nicht zu vergessen ist der Umstand, dass unter stressigen Arbeitsbedingungen das Konfliktpotenzial auch seitens der Mitarbeiter steigt [12].

Über 60-jährige Ärzte und Psychotherapeuten (30 %) erlebten laut Ärztemonitor 2018 weniger verbale Gewalt als jüngere Ärzte (43 %). Körperliche Gewalt/physische Bedrohung in den letzten 12 Monaten widerfuhr 27 % der unter 44-Jährigen. Ab 50 Jahren betrug der Anteil nur noch 15 % [5]. Zu beachten ist, dass der Ärztemonitor 2018 nicht den POPAS Fragebogen als Grundlage verwendete und nur wenige Fragen zur Gewalt erfasste. Dies kann die verschiedenen Prozentzahlen begründen. Auch in unserer Umfrage zeigte sich ein signifikanter Altersunterschied zulasten der jüngeren Ärzte. Eine Studie aus Indien arbeitete als Risikofaktoren für Gewalt ein junges Alter heraus [13]. Eine mögliche Erklärung ist, dass Patienten älteren Ärzten mehr Respekt entgegenbringen. Auch ist anzunehmen, dass erfahrenere Ärzte Situationen mit aggressivem Verhalten aufgrund ihrer längeren Berufserfahrung besser handhaben können oder sie als weniger bedrohlich oder belastend wahrnehmen.

In unserer Umfrage zeigte sich recht eindrücklich, dass Augenärztinnen mit Ausnahme von körperlicher Gewalt signifikant häufiger Aggressionen/Gewalt erlebten als ihre männlichen Kollegen (87 % zu 80,4 %). Dies präsentierte bereits die Analyse von Kumar et al. [13]. Im Ärztemonitor 2018 berichteten 42 % der Frauen im Vergleich zu 36 % der Männer, verbale Gewalt innerhalb der letzten 12 Monate erfahren zu haben [5]. Mit 30,3 % ist der Anteil von Ärztinnen in dieser Studie, die sexuelle Einschüchterung/Übergriffe erlebt haben, erschreckend hoch. In einer Umfrage in den USA und Kanada hatten sogar 59 % der teilnehmenden Augenärztinnen sexuelle Belästigung erlebt [14]. Hierbei müssen jedoch Kulturunterschiede bedacht werden. Auch in den Freitextfeldern zeigte sich, dass viele Augenärztinnen sich unsicher fühlten, wenn sie während des Notdienstes alleine waren bzw. darüber berichteten, dass sie aus Präventionsgründen ihre Partner mit einbezogen. Weitere Untersuchungen zu diesem besonderen Umstand erscheinen sinnvoll und wichtig.

Im Ärztemonitor 2018 empfanden 38 % der Augenärzte, dass die Gewalt zugenommen habe [5]. In unserer Umfrage sahen 35,5 % der Augenärzte eine Zunahme dieses Verhaltens. Aggressionen/Gewalt sind zweifelsohne keine neue Problematik in der Medizin, jedoch wurde dieses Thema erst in den letzten Jahren in den Medien thematisiert. Aus Norwegen liegt eine Studie vor, für welche 1993 sowie 2014 norwegische Ärzte zu Gewalterfahrungen befragt wurden. Dabei zeigte sich interessanterweise keine Zunahme von Gewalterfahrungen [15]. Hier muss allerdings konstatiert werden, dass das skandinavische Gesundheitssystem gänzlich verschieden von dem unsrigen ist.

Die Augenärzte sind in dieser Umfrage der Meinung, dass das nichtärztliche Personal mehr Aggressionen/Gewalt als Ärzte ausgesetzt sei. Dies war auch die Einschätzung in der Studie von d’Aubarede et al. [8]. Eine Umfrage unter dem nichtärztlichen Personal in der Augenheilkunde mag daher ebenfalls empfohlen sein.

Als Limitation muss angemerkt werden, dass Ärzte mit Gewalterfahrungen tendenziell eher an der Umfrage teilgenommen haben könnten als diejenigen, die keine Aggressionen erfahren haben, und folglich auch die Zahlen zu hoch ausfallen könnten. Verbale Übergriffe sind zum Teil subjektiv und werden von den Teilnehmern verschieden wahrgenommen. Ärzte, die Deutsch nicht als Muttersprache hatten, gaben seltener Erfahrungen von verbaler Gewalt oder aggressivem Verhalten an, obwohl mit 75,5 % auch bei diesen der Anteil hoch ist. Diese Umfrage zeigte, dass Ärzte mit Migrationshintergrund oder anderer Muttersprache laut eigenen Angaben sogar weniger Gewalt als deutsche Ärzte erlebten (82,3 % zu 84,3 %), obwohl der Migrationshintergrund häufig als Grund für Aggressionen/Gewalt angesehen wurde.

Die Anzahl von Ärzten, die einen vollendeten Suizid während der Behandlung erlebten, ist mit 27 (1,8 %) unerwartet hoch. Leider gab es hierzu wenig weitere Informationen in den Freitextfeldern, sodass diese eher nicht nachvollziehbare Aussage unsererseits nicht adäquat bewertet werden kann. Denkbar ist, dass betroffene Augenärzte im Rahmen dieser Umfrage auch über entsprechende Fälle berichteten, die sie zwar in ihrem direkten Umfeld, allerdings nicht im Rahmen der unmittelbaren, selbst durchgeführten Konsultation erlebt hatten. Nur ein Arzt berichtete als schlimmsten Vorfall über einen Patienten, welcher an einer Krebserkrankung litt und sich aus der höchsten Krankenhausetage stürzte.

Da insgesamt mehr Augenärzte in Praxen als in Kliniken arbeiten, liegt es nahe, dass in den Praxen auch mehr Gewalt als in der Klinik erlebt wird. Allerdings zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen den Gewalterfahrungen von Praxis- und Klinikärzten. Beachtet werden muss dabei, dass auch in der Praxis tätige Ärzte in der Regel früher in Kliniken tätig waren und somit über Vergleichsmöglichkeiten verfügen.

Im Ärztemonitor 2018 hatten 79 % der Augenärzte keine Präventionsmaßnahmen getroffen [5]. In unserer Auswertung waren es 54 % der Augenärzte, die bislang keine Maßnahmen eingeführt hatten. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass viele Situationen bislang ohne Vorbereitung gehandhabt werden konnten. Einrichtungen versuchen v. a. durch Präventionsmaßnahmen wie Schulungen in Konfliktmanagement und durch Maßnahmen der Praxisorganisation Gewalt vorzubeugen. Dazu gehören etwa eine Verkürzung der Wartezeiten, räumliche Separierung von Patienten oder die Zurverfügungstellung von Beschäftigungsmöglichkeiten für Patienten während der Wartezeit [16]. Aufgrund des hohen Anteils von erlebter Aggression/Gewalt in dieser Umfrage sollten geeignete Maßnahmen zur Gewaltprävention entwickelt und implementiert werden. Eine Möglichkeit wäre es, bereits im Medizinstudium auf die Thematik hinzuweisen und entsprechende Kurse zur Konfliktbewältigung anzubieten. Regelmäßige Kurse, um den Umgang mit „schwierigen“ Patienten zu üben und gestresste Patienten besser zu erkennen, sind sinnvoll. Situationen, in denen Mitarbeiter allein mit den Patienten in Praxen/Einrichtungen sind, sollten vermieden werden oder entsprechende Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden wie die Ausrichtung der Behandlungsräume unter Sicherheitsaspekten (z. B. Untersuchungsräume mit 2 Ausgängen bzw. vorgeplante Fluchtwege) oder die Installation von Überwachungskameras oder Notrufknöpfen [17]. Ein bekanntes Konzept zur Konfliktvermeidung ist z. B. das STAMP-Konzept (Akronym für: „Staring and eye contact, Tone and volume of voice, Anxiety, Mumbling and Pacing“), das auf Basis von Beobachtungen in australischen Notaufnahmen entwickelt wurde und Indikatoren, die zu Aggressionen/Gewalt führen können, beschreibt [18]. Die Wiederholung dieser Umfrage im Verlauf z. B. nach 5 Jahren ist sinnvoll, um die Entwicklung darzustellen und weiteren Handlungsbedarf zu erkennen.

Fazit

  • Insgesamt ist der Anteil von Augenärzten in der Umfrage, die Aggressionen/Gewalt jemals in ihrer Tätigkeit erfahren haben mit 83,8 % sehr hoch.

  • Augenärztinnen sowie junge Ärztinnen und Ärzte gaben signifikant häufiger Gewalterfahrungen an.

  • Augenärzte erwarten, dass das medizinische Assistenzpersonal noch mehr Gewalt als Ärzte erfährt.

  • 54 % der Augenärzte haben bislang keine Präventionsmaßnahmen getroffen.

  • Weitere Diskussionen und Handlungen sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft sollten folgen, um die Sicherheit der Mitarbeiter in augenärztlichen Einrichtungen zu verbessern.