Hintergrund

Durch die Einführung der VEGF(„vascular endothelial growth factor“)-Hemmer-Therapie vor etwa 10 Jahren hat sich die Behandlung von exsudativen Netzhauterkrankungen deutlich verändert [1]. Eine große Herausforderung im klinischen Alltag bleibt bis heute die Versorgung von betroffenen Patienten [2,3,4,5]. Wie mehrere Erhebungen gezeigt haben, werden die Ergebnisse aus prospektiven, kontrollierten und randomisierten Studien in der klinischen Versorgung beim Einsatz der VEGF-Hemmer-Therapie häufig nicht erreicht [5, 6]. Eine oft diskutierte Erklärung ist die mögliche Unterbehandlung von Patienten. Die Ursachen hierfür erscheinen aber gleichzeitig vielschichtig und komplex.

Parallel zur Einführung der VEGF-Hemmer-Therapie wurden deutliche Fortschritte in der bildgebenden Diagnostik des Augenhintergrundes erreicht. Dazu zählt v. a. die hochauflösende optische Kohärenztomographie (OCT) [7]. Zusätzlich zur Verbesserung der generellen Diagnostik von Netzhauterkrankungen nimmt die OCT gerade beim Einsatz der VEGF-Hemmer eine zentrale Rolle zur Therapiesteuerung ein [8]. Damit einhergehend, findet in den letzten Jahren eine zunehmende Verbreitung der OCT – auch im klinischen Alltag – statt. Die Fluoreszeinangiographie (FA) hat als weiteres bildgebendes Verfahren ebenfalls einen hohen Stellenwert beim Einsatz der VEGF-Hemmer-Therapie. So haben die deutschen augenärztlichen Fachgesellschaften wiederholt und ausdrücklich diese als notwendig für die initiale Diagnosestellung bewertet [9,10,11,12,13]. In welcher Weise die Empfehlungen der Fachgesellschaften zur bildgebenden Diagnostik im Versorgungalltag umgesetzt werden, bleibt weitgehend unklar. Insbesondere stellt sich – über die reine Durchführung der Bildgebung – auch die Frage, inwieweit aufnahmetechnische und ärztliche Qualitätsanforderungen erreicht werden [8].

Reading Center ermöglichen eine systematische und standardisierte Erfassung von bildgebender Diagnostik des Augenhintergrunds. Hierbei erfolgt die pseudonymisierte elektronische Übermittlung von Patientenbilddaten vom jeweils betreuenden Arzt an das Reading Center. Dort kann dann im Sinne der Qualitätssicherung und/oder -kontrolle eine zusätzliche Auswertung erfolgen. Diese Infrastruktur wurde im ORCA-Modul der nichtinterventionellen OCEAN-Studie angewandt, um speziell auch den Einsatz bildgebender Diagnostik bei der Betreuung und Behandlung von Patienten unter VEGF-Hemmer-Therapie in der klinischen Versorgung über einen Zeitraum von 24 Monaten zu evaluieren [14]. Ziel dieser Studie war es nicht nur, den Status quo in der täglichen Praxisroutine auszuwerten. Durch das Erkennen von möglichen Defiziten sollte auch ein Beitrag zur Etablierung objektiver Qualitätskriterien für die OCT-Befunde erzielt werden, um letztendlich den Einsatz der VEGF-Hemmer-Therapie im Versorgungsalltag zu verbessern.

In der vorliegenden Arbeit wurde als Teil der Auswertung der ORCA-Daten die technische Qualität der übermittelten Bilddaten und die initiale Diagnosestellung bei Studieneinschluss evaluiert. Hierbei wurde zum Zeitpunkt der Basisvisite die Übereinstimmung zwischen der dokumentierten Diagnose des Behandlers und der Auswertung durch die Reading Center genauer betrachtet. Zusätzlich erfolgte eine Analyse von möglichen Effekten durch Diskrepanzen bei der initialen Diagnose auf den weiteren Behandlungsverlauf.

Methoden

Die vorliegende Analyse basierte auf Daten des ORCA-Moduls der OCEAN(Observation of treatment patterns with LuCEntis and real life ophthalmic monitoring, including optional OCT in Approved iNdications)-Studie (ClinicalTrials.gov: NCT02194803). Das Design dieser Studie und speziell des ORCA-Moduls wurden bereits detailliert publiziert [3, 14]. Zusammengefasst handelte sich um eine deutsche, nichtinterventionelle, multizentrische, prospektive Studie über 24 Monate, in die erwachsene Patienten eingeschlossen wurden, bei denen der behandelnde Augenarzt die Indikation zur VEGF-Hemmer-Therapie mit Ranibizumab aufgrund eines diabetischen Makulaödems (DMÖ), einer neovaskulären altersabhängigen Makuladegeneration (nvAMD) oder eines retinalen Venenverschlusses (RVV) stellte. Ziel der Studie war zunächst die Erfassung des Behandlungsalltags innerhalb der zugelassenen Indikationen, subsumiert in der Fachinformation. Dafür erfolgte die systematische Dokumentation der Patienten- und Untersuchungsdaten, der Behandlungen sowie der Befundung von bildgebender Diagnostik des Augenhintergrunds. Der Beobachtungsplan der Studie enthielt für die behandelnden Ophthalmologen keine über die Fachinformation von Ranibizumab hinausgehenden Vorgaben zur Durchführung der Behandlung und beschränkte sich hinsichtlich der Einschlusskriterien nur auf die folgenden 4 Aspekte:

  1. 1.

    Diagnosestellung einer nvAMD, einer Visusbeeinträchtigung durch DMÖ oder RVV sowie die Entscheidung für eine Therapie mit Ranibizumab nach Maßgabe des behandelnden Ophthalmologen,

  2. 2.

    keinerlei intravitreale Injektionen mit Anti-VEGF-Medikationen am Studienauge in den letzten 3 Monaten,

  3. 3.

    keinerlei vorangegangene Behandlung mit intravitrealen Steroiden am Studienauge,

  4. 4.

    Aufklärung und schriftliche Einwilligung des Patienten für die Teilnahme.

Im ORCA-Modul wurde zusätzlich die retinale Bildgebung in die Beobachtungsstudie aufgenommen. Hierzu hatten die 3 beteiligten Reading Center (Cologne Image Reading Center [CIRCL], Zentrum für Augenheilkunde, Uniklinik Köln; GRADE Reading Center, Universitäts-Augenklinik Bonn; M3 Reading Center, Augenzentrum am St. Franziskus Hospital in Münster) zunächst aufnahmetechnische Qualitätsanforderungen für die bildgebende Diagnostik des Augenhintergrunds im Rahmen der VEGF-Hemmer-Therapie definiert, um einen Mindeststandard für die Auswertung der bildgebenden Befunde gewährleisten zu können. Dafür musste die elektronische Übermittlung von OCT-Datensätzen nach vordefinierten, gerätespezifischen Einstellungen und Aufnahmeprotokollen erfolgen. Danach erst konnte eine Dokumentation im ORCA-Modul stattfinden. Als weitere Maßnahme wurden individuelle Zertifizierungen für Studienpersonal an den beteiligten Zentren nach Einsenden von Testbildern erteilt, um eine einheitliche Auswertung zu ermöglichen. Für die Fundusfotografie und FA wurden weniger strenge Qualitätskriterien vorgegeben. Die Durchführung bzw. Übermittlung der Daten war nicht zwingend erforderlich, diese konnte elektronisch im Rohformat, als eingescannte Datei von Papierausdrucken oder als Papierausdruck selbst, versendet per Post, erfolgen. Die Aufnahme sollte jeweils „in üblicher Weise“, wie dies am jeweiligen Studienzentrum „routinemäßig etabliert ist“, durchgeführt werden. Gleichzeitig erfolgte der Hinweis auf die Empfehlungen der Fachgesellschaften zum Einsatz der bildgebenden Diagnostik unter VEGF-Hemmer-Therapie [10,11,12]. Eine Richtlinie mit Aufnahmeprotokoll und Beispielbildern wurde den Zentren zur Verfügung gestellt, ohne eine personenbezogene Zertifizierung mit Einreichung von Testbildern einzufordern.

Das Kernstück des ORCA-Moduls war ein speziell entwickelter Fragebogen zur Auswertung der Bildgebungsbefunde zum Zeitpunkt der Indikationsstellung (Basisvisite) sowie der anschließenden Studienvisiten im Verlauf (Folgevisiten), um die ärztliche Qualität der Bildinterpretation zu evaluieren. Dieser Fragebogen wurde unabhängig sowohl vom jeweiligen Studienzentrum als auch von den Reading Centern für jede Visite beantwortet. Die Auswertung der Reading Center umfasste dabei die Bewertung durch 2 unabhängige und jeweils zertifizierte ärztliche Reader von je 2 unterschiedlichen Reading Centern mit anschließender Überprüfung und ggf. Arbitrierung durch einen dritten Reader (Senior Reader). Zusätzlich zu dem reinen Bildmaterial wurden den Reading Centern ausgewählte Informationen aus den Zentren-Fragenbögen (Case Report Form [CRF]) – zur Verfügung gestellt. Dazu zählten u. a. die primäre Indikation für die Behandlung mit Ranibizumab am Studienauge, die bestkorrigierte Sehschärfe des Studienauges und das Vorliegen einer diabetischen Grunderkrankung.

Im Rahmen der Basisvisite wurde zusätzlich bei den Reading Centern auch erhoben, welche der 3 Indikationen (d. h. DMÖ, nvAMD oder RVV) nach Auswertung der bildgebenden Befunde nachzuvollziehen gewesen wäre. Bei Nicht-Übereinstimmung mit wenigstens einer der 3 Indikationen musste eine mögliche Differenzialdiagnose von den Reading Centern angegeben und auch bestimmt werden, ob eine Indikation zur VEGF-Hemmer-Therapie – außerhalb der 3 genannten Indikationen – vorlag.

Eine direkte Rückmeldung der Auswertung der bildgebenden Befunde durch die Reading Center zurück an die Studienzentren erfolgte vor Beendigung der Studie nicht.

Die Studie wurde vor Beginn der zuständigen Bundesoberbehörde angezeigt und durch eine nach Landesrecht gebildete Ethikkommission vor Beginn genehmigt. Die Durchführung der Studie erfolgt gemäß aktuellen Anforderungen und Empfehlungen. Eine schriftliche Einwilligungserklärung wurde von jedem Patienten vor Studieneinschluss eingeholt.

In der vorliegenden Analyse wurden die initialen Diagnosen der behandelnden Ophthalmologen mit denen der Reading Center verglichen. Bei fehlender Übereinstimmung zwischen Behandlern und Reading Centern erfolgte eine zusätzliche Auswertung der bildgebenden Befunde durch 6 Senior Grader (CKB, BH, GS, SL, TS, SSV) aller 3 beteiligten Reading Center und unter Hinzuziehung sämtlicher oben genannter verfügbarer Informationen. Im Rahmen der Auswertung sollten auch mögliche Gründe der Fehlinterpretation herausgearbeitet werden.

Nach Abschluss der Auswertung aller Studiendaten erfolgte eine erneute Beratung durch die zuständige Ethikkommission. Dabei wurde empfohlen, den Ärzten im Falle von abweichenden Diagnosen eine vertrauliche und individualisierte Rückmeldung zu geben, um ihnen die Klärung bzw. auch die Information an einzelne Patienten über den abweichenden Befundes gemäß § 630c Abs 2 BGB (Informationspflicht über einen eventuellen Behandlungsfehler – Patientenrechtegesetz) zu ermöglichen. Diese Rückmeldung umfasste eine Zusammenfassung der an die Reading Center übermittelten Bilddaten sowie die Angabe der durch die Reading Center gestellten abweichenden Diagnosen.

Statistische Methodik

Die statistische Auswertung erfolgte deskriptiv in SAS (SAS Institute Inc., Cary, NC, USA). Für qualitative Variablen wurden die absoluten und relativen Häufigkeiten angegeben. Für quantitative Variablen wurden Mittelwert, Standardabweichung, Quartile und Range berechnet. Teilweise wurden die Variablen zusätzlich kategorisiert. Zur Untersuchung möglicher Einflussgrößen wurden Stratifizierungen, basierend auf diesen Größen, vorgenommen und die Ergebnisse sowohl gesamt als auch stratifiziert dargestellt. Methoden der konfirmatorischen Statistik wurden als Ergänzung rein explorativ angewandt. In diesen Fällen sind die resultierenden p-Werte mit angegeben.

Angaben zur Sehschärfe wurden einheitlich in logMAR umgerechnet und als kontinuierliche Variablen analysiert. Messwerte zu den Kontrollvisiten wurden anhand ihres Erhebungsdatums dem Monat der Studienteilnahme des Patienten zugewiesen. Veränderungen der Sehschärfe sowie der Retinadicke im Studienverlauf wurden als Differenz von Baseline zu Monat 3 sowie zu Monat 24 berechnet. Sofern zum betreffenden Monat keine entsprechende Untersuchung vorlag, wurde die letzte davor verfügbare Kontrollvisite herangezogen.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 396 Studienaugen von 396 Patienten in das ORCA-Modul der OCEAN-Studie eingeschlossen. Das mittlere Alter lag bei 75,4 ± 10,2 Jahren (42,8–95,4). 231 (58 %) Patienten waren weiblich, in 178 (45 %) war das rechte Auge das Studienauge. Die häufigste dokumentierte Diagnose durch den Behandler war nvAMD (n = 249; 62,9 %), gefolgt von DMÖ (n = 88; 22,2 %) und RVV (n = 59: 14,9 %).

Aufnahmetechnische Qualitätsanforderungen bei der Basisvisite

Für alle in das ORCA-Modul eingeschlossenen Patienten lagen – wie für Studieneinschluss erforderlich – OCT-Bilddaten für die Basisvisite vor. Die technische Bewertung durch das Datenmanagement des GRADE Reading Centers ergab, dass die vordefinierten Mindestanforderungen in 374 von 396 (94,4 %) der eingereichten OCT-Bilddatensätze vollständig erreicht wurden. In den verbliebenen 22 Fällen wurden geringe Abweichungen festgestellt, wie z. B. leichte Dezentrierung des OCT-Rasters oder unvollständige (aber dennoch eindeutig zuzuordnen) Dateibenennung.

Bei der Basisvisite wurden Bilddatensätze für jeweils die Farbfundusfotografie und die FA in 331 (83,6 %) bzw. 315 (79,6 %) der 396 eingeschlossenen Studienaugen an die Reading Center übermittelt. Die technische Bewertung durch das Datenmanagement des GRADE Reading Centers ergab, dass die Mindeststandards jeweils vollständig in 285 (72,0 % der Gesamtkohorte) bzw. 246 (62,1 %) sowie mit geringen Abweichungen (aber als trotzdem akzeptabel) jeweils in weiteren 27 (6,8 %) bzw. 29 (7,3 %) erreicht wurden. Damit lagen auswertbare Bilddatensätze – bezogen auf die Gesamtkohorte – in 312 von 396 (78,8 %) für die Farbfundusfotografie und in 275 von 396 (69,4 %) für die FA vor. Die weitere Betrachtung der übermittelten Bilddatensätze ohne Erreichen des Mindeststands bei 19 (5,7 %, bezogen auf 331 übermittelte Datensätze) bzw. 40 (12,7 %, bezogen auf 315 der übermittelten Datensätze) ergab, dass in vielen dieser Fälle nur 1 bis 2 Aufnahmen für die FA pro Auge oder oft nur das Studienauge selbst bei Fehlen von Bildern für das Partnerauge vorlagen (Abb. 1). Gleichzeitig zeigte sich – v. a. beim Vorliegen von Papierausdrucken oder eingescannten Papierausdrucken – eine unzureichende Qualität, um eine sinnvolle Auswertung zu ermöglichen.

Abb. 1
figure 1

Repräsentatives Beispiel für inadäquate Qualität übermittelter Bilddaten zur Farbfundusfotografie (a) und Fluoreszeinangiographie (b). Die Farbfundusfotografien sind unregelmäßig ausgeleuchtet mit Schattierung in den jeweils oberen temporalen Quadranten mit gleichzeitig Artefakten im zentralen Bereich, möglicherweise durch verunreinigte Optiken. Das Signal-Rausch-Verhältnis der Fluoreszeinangiographien ist sehr niedrig; auch hier können die zentrale Netzhaut und mögliche Veränderungen nicht adäquat beurteilt werden. Die technischen Qualitätsanforderungen wurden daher nicht erreicht

Übereinstimmung der initialen Diagnose

Tab. 1 zeigt – für alle bzw. für jede der 3 Indikationen getrennt – die dokumentierte Diagnose bei Therapiebeginn durch den behandelnden Arzt sowie die absolute und relative Anzahl der Studienaugen, bei denen die Reading Center diese Diagnose (85,4 %) oder wenigstens das Vorliegen einer Indikation zur VEGF-Hemmer-Therapie (89,6 %) jeweils bestätigen konnten. Die relativ höchste Übereinstimmung hinsichtlich der genauen Diagnose lag für RVV (94,9 %), die niedrigste für AMD (82,3 %) vor. Bei allgemeinerer Betrachtung – d. h. die Übereinstimmung hinsichtlich des generellen Vorliegens mindestens einer Anti-VEGF-Therapieindikation – war der höchste Anstieg (von 82,3 % auf 88,0 %) bei den Studienaugen zu verzeichnen, die der Behandler als nvAMD dokumentiert hatte.

Tab. 1 Übersicht Befundung Studienarzt und Reading Center

Differenzialdiagnose bei abweichender Diagnose

Bei detaillierter Betrachtung der abweichenden Diagnosen umfassten die Differenzialdiagnosen in fast allen Fällen ein breites Spektrum von unterschiedlichen Netzhauterkrankungen (Tab. 2; Abb. 2 und 3). Insbesondere in der „nvAMD-Gruppe“ wurden andere, seltene Ursachen für eine chorioidale Neovaskularisation (CNV) mit charakteristischen Merkmalen und bei gleichzeitiger Abwesenheit von AMD-typischen Veränderungen identifiziert, wie z. B. angioide Streifen oder ein Fundus myopicus. In Einzelfällen lag nach Ermessen der Reading Center nicht die dokumentierte Indikation, sondern eine der beiden anderen möglichen Indikationen zum Studieneinschluss vor. In 5 Fällen waren zwar diabetische Augenveränderungen eindeutig zu erkennen, ein Hinweis auf ein diabetisches Makulaödem war jedoch nicht ersichtlich (Abb. 4). Schließlich wurden auch in wenigen Fällen Differenzialdiagnosen durch die Reading Center gestellt, die eindeutig keine Indikation zur VEGF-Hemmer-Therapie bedingten (Abb. 5), in einigen dieser Fälle wären andere therapeutische Maßnahmen nach Ermessen der Reading möglicherweise indiziert gewesen (Vitrektomie mit Membran-Peeling bei epiretinaler Gliose oder Makulaforamen). Schließlich konnte bei insgesamt 5 Fällen von den Reading Center keine eindeutige Diagnose aufgrund der vorliegenden Daten gestellt werden.

Tab. 2 Detaillierte Aufschlüsselung der Ursachen für alle Fälle mit diskrepanter Diagnose nach Auswertung durch Reading Center
Abb. 2
figure 2

Farbfundusfotografien (a), Fluoreszeinangiographie (b) und repräsentative OCT-B-Scans durch die Foveamitte (c) von beiden Augen eines Studienpatienten, für den der Behandler eine neovaskuläre altersabhängige Makuladegeneration am linken Auge mit gleichzeitiger Indikationsstellung zur VEGF-Hemmer-Therapie diagnostizierte. Nach Beurteilung der Reading Center handelt es sich um makuläre Teleangiektasien Typ 2 an beiden Augen mit zusätzlich durchgreifendem Makulaforamen links. Die charakteristischen Merkmale umfassen – jeweils temporal parafoveal betont – die abgeknickten Gefäße und Pigmentveränderungen, das typische symmetrische Muster der temporal betonten späten Hyperfluoreszenz sowie das Vorhandensein von zystoiden Hohlräumen bei gleichzeitiger Verdünnung der äußeren Netzhaut temporal der Fovea ohne Hinweis auf eine CNV im OCT (keine Pigmentepithelabhebung sowie kein subretinales hyperreflektives Material)

Abb. 3
figure 3

Dieser Bilddatensatz zeigt ein linkes Auge mit Pigmentverschiebungen, jedoch ohne große Drusen, eine parazentrale Abhebung der neurosensorischen Netzhaut und eine verdickte Aderhaut. Die vom Studienarzt gestellte Diagnose „neovaskuläre altersabhängige Makuladegeneration“ und die Indikationsstellung zur VEGF-Hemmer-Therapie wurde von den Reading Centern nicht bestätigt, sondern die Diagnose einer Retinopathia centralis serosa ohne klaren Hinweis auf eine sekundäre chorioidale Neovaskularisation gestellt. Über den Verlauf von 16 Wochen zeigte sich allenfalls ein minimaler Rückgang der subretinalen Flüssigkeit

Abb. 4
figure 4

Die Netzhautbildgebung zeigt einen Zustand nach Laserbehandlung bei gleichzeitig diffusen Hyperfluoreszenzen und vereinzelt Mikroaneurysmen. Gleichzeitig wurde im CRF das Vorliegen einer diabetischen Grunderkrankung festgehalten. Allerdings sind – nach Beurteilung der Reading Center – in der OCT-Bildgebung keine Hinweise auf ein Makulaödem mit fovealer Beteiligung zu erkennen, wie vom Behandler dokumentiert

Abb. 5
figure 5

Bei diesem Beispiel lag nach Ermessen der Reading Center keine neovaskuläre altersabhängige Makuladegeneration mit Indikation zur VEGF-Hemmer-Therapie vor, sondern eine vitelliforme Läsion ohne Anhalt auf chorioidale Neovaskularisation. Im Verlauf unter Therapie zeigen sich leichte Veränderungen mit auch Zu- und Abnahme der Netzhautverdickungen, die zeitlich keine klare Assoziation zu den Behandlungen erkennen lassen und möglicherweise (teilweise) durch Variationen der Fixation während der Bildgebung verursacht werden

Merkmale bei Therapiebeginn

Größere Unterschiede in Alter, Geschlecht oder Augenseite zur Basisvisite zeigten sich bei der weiteren Analyse zwischen Studienaugen mit diskrepanter Diagnose und Konsensus zwischen Behandler und Reading Centern nicht (Tab. 3). Das Vorliegen von Bilddaten zur FA war bei Konsensus in der Diagnose relativ häufiger, allerdings zeigte sich keine statistisch signifikante Assoziation. Bei übereinstimmender Diagnose oder genereller Indikation für eine Anti-VEGF-Therapie war bei der Basisvisite im Durchschnitt der Visus um eine Zeile niedriger und die zentrale Netzhautdicke um ca. 100 µm größer. Allerdings zeigten sich in allen Gruppen breite Schwankungen, v. a. beim Visus.

Tab. 3 Demografische und Untersuchungsdaten bei Basisvisite

Effekte im weiteren Verlauf

Im Falle eines Konsensus der Diagnose bei Studieneinschluss war die Anzahl der Behandlungen im weiteren Verlauf im Mittel höher (7,0 vs. 5,6, p < 0,007; Tab. 4). Dieser Unterschied wurde noch größer, wenn wenigstens eine Indikation zur Anti-VEGF-Behandlung vorlag (7,0 vs. 5,0, p < 0,0001). Bei theoretisch 25 möglichen Visiten pro Patient über 24 Monate, lag die mittlere Anzahl der dokumentierten Studienvisiten – unabhängig von der Bestätigung der Diagnose – bei 12,5. Bei 198 (58,6 %) der Patienten mit Konsensus der Diagnose bei Studieneinschluss lag zwischen Monat 21 und Monat 24 (Ende der Beobachtungsphase) eine Visitendokumentation vor. Dieser relative Anteil war ähnlich zu den Patienten mit diskrepanter Diagnose (n = 39; 67,2 %, p = 0,214). Im Verlauf zeigte sich v. a. im Zeitraum von bis zu 3 Monaten eine Assoziation zwischen Bestätigung der initialen Basisdiagnose und jeweils mittlerer Visusverbesserung (6,4 vs. 2,7 Buchstaben, p = 0,05), Anzahl an Augen mit Visusgewinn ≥3 Zeilen (71 vs. 6, p = 0,05) und Abnahme der zentralen Netzhautdicke (−112,3 vs. −24,4 µm, p < 0,0001). Bei zumindest Bestätigung des Vorliegens einer Indikation waren die Unterschiede noch etwas größer. Diese markanten Unterschiede nach bis zu 3 Monaten zwischen Übereinstimmung und Nicht-Übereinstimmung bezüglich der Diagnose lagen nach bis zu 24 Monaten für die Sehschärfe (Veränderung 2,4 vs. 4,5 Buchstaben, p = 0,43) nicht mehr vor. Hingegen war die zentrale Netzhautdicke bei Konsensus zur Basisvisite nach bis zu 24 Monaten weiterhin deutlich dünner (−92,1 vs. −13,0 µm, p < 0,0001). Der Anteil an Studienaugen mit Visusverlust ≥3 Zeilen war jeweils nach bis zu 3 Monaten und nach bis zu 24 Monaten mit zwischen 3,5 und 6,2 % bzw. mit zwischen 6,9 und 12,4 % in allen Gruppen ähnlich. In Einzelfällen wurden sehr starke Schwankungen beim Visus im Verlauf mit bis zu 14 Zeilen Gewinn und bis zu 12 Zeilen Verlust dokumentiert.

Tab. 4 Verlaufsdaten zu Visiten, Behandlungen, Visus und Netzhautdicke

Reaktion der Studienzentren nach Mitteilung über abweichende Diagnose

Nach der individualisierten und vertraulichen Mitteilung auf die diskrepanten Diagnosen erfolgte die Rückmeldung von 2 der 36 teilnehmenden Studienzentren. Als sehr wahrscheinliche Ursache für Diskrepanzen konnte in 2 Fällen ein möglicher Übertragungsfehler identifiziert werden. In beiden Fällen wurde im CRF eine „nvAMD“ dokumentiert. Der Arzt gab nun jeweils an, die Indikation aufgrund eines DMÖ bzw. RVV gestellt zu haben, was anhand des Bildmaterials nachvollziehbar war. Bei 2 weiteren Fällen bestätigte der Arzt die Auswertung der Reading Center: Anstatt jeweils eines DMÖ und einer nvAMD waren die vorliegenden Daten eher mit einer sekundären choroidalen Neovaskularisation (CNV) aufgrund Retinopathia centralis serosa bzw. einer CNV bei hoher Myopie zu vereinbaren. Bei einem fünften Fall lag nach Ermessen der Reading Center ebenfalls eine CNV bei Myopie bei gleichzeitig eindeutigen Veränderungen eines Fundus myopicus (u. a. fleckförmige Atrophie, peripapilläre Atrophie, dünne Aderhaut, Dome-shaped-Makulopathie) vor. Der Studienarzt gab nun an, dass er sich unsicher sei, da das sphärische Äquivalent „nur“ bei ca. −4,5 dpt liegen würde und auch aufgrund des Alters von 65 Jahre „vielleicht daher nvAMD doch zutreffend“ sei. Beim letzten und sechsten Patienten hatte das Reading Center zum Zeitpunkt der Basisvisite keine wesentlichen Netzhautveränderungen bei dokumentierter Diagnose RVV festgestellt. Dies wurde vom Studienarzt nun bestätigt, gleichzeitig wurden jedoch etwa 2 Jahre zuvor durchgeführte Aufnahmen des gleichen Auges mit nachvollziehbaren Zeichen eines Makulaödems aufgrund RVV vorgelegt.

Diskussion

Die vorliegende Analyse des ORCA-Moduls zur Diagnosestellung bei Studieneinschluss mit Qualitätsüberprüfung durch Reading Center hinsichtlich der Erhebung und Interpretation bildgebender Befunde ermöglicht es, genauere Einblicke in den Einsatz bildgebender Diagnostik im Zusammenhang mit der VEGF-Hemmer-Behandlung im klinischen Alltag zu erlangen. Bei weitaus dem größten Teil der eingeschlossenen Patienten wurden sowohl die technischen als auch die ärztlichen Qualitätsanforderungen für die Indikationsstellung zur VEGF-Hemmer-Therapie am Studienauge erreicht. Die Analyse von Studienaugen mit abweichend dokumentierter Diagnose identifizierte mehrere mögliche und wahrscheinliche Ursachen für Diskrepanzen zwischen Studienärzten und Reading Center.

Grundsätzlich ist die Möglichkeit von Fehldiagnosen oder abweichenden Beurteilungen im klinischen Alltag nichts Ungewöhnliches [15]. Auch andere Fachrichtungen beschreiben diagnostische Unsicherheit und Behandlungsfehler auf Basis abweichender Einschätzungen unterschiedlicher Diagnosen [16]. In der Augenheilkunde existiert eine umfangreiche Literatur über die Reproduzierbarkeit und Verlässlichkeit der Glaukomdiagnose [17]. Unterschiede zwischen 2 Beurteilungen müssen nicht immer das Irren einer Seite bedeuten; möglicherweise erklärt sich die Diskrepanz durch eine gewisse Unschärfe und Unsicherheit, die von einem asymmetrischen Wissen begleitet wird. Beispielsweise standen dem Studienarzt der ORCA-Studie möglicherweise Informationen aus dem Verlauf und der klinischen Untersuchung (Fundoskopie) zur Verfügung. Die Reading Center konzentrierten sich dagegen auf die retinalen Bilddaten (OCT, Fundusfotografie, FA).

Weiterhin ist festzuhalten, dass nur die 3 Hauptindikationen (d. h. DMÖ, nvAMD, MÖ bei RVV) im ORCA-Modul gemäß Studienprotokoll eingeschlossen werden sollten. Gleichzeitig war die Therapie mit Ranibizumab bereits für CNV aufgrund einer pathologischen Myopie zugelassen, und erste positive Erfahrungen mit dieser Behandlung bei weiteren Netzhauterkrankungen, insbesondere seltener Ursachen für eine CNV, waren publiziert [9, 18, 19]. Mittlerweile – nach Abschluss der letzten Studienvisite im ORCA-Modul – liegen auch die Daten der randomisierten, kontrollierten und doppelverblindeten MINERVA- und PROMETHEUS-Phase-3-Studien vor, die diese Hinweise zum großen Teil klar bestätigt haben, die letztendlich auch zur Zulassung von Ranibizumab zur Behandlung einer Visusbeeinträchtigung infolge einer CNV, über die nvAMD und die CNV bei pathologischer Myopie hinaus, geführt haben [20, 21]. Relevant für die klinische Versorgung bei seltenen Indikationen ist v. a. auch, dass sich die Prognose und auch die zu erwartende Anzahl von VEGF-Hemmer-Behandlungen in vielen Fällen untereinander und zu den Hauptindikationen unterscheiden. Auch wenn der Einschluss von Studienaugen bei Fehlen von einer der 3 Hauptindikationen und gleichzeitigem Vorliegen von zumindest einer nachvollziehbaren alternativen Indikation zur VEGF-Hemmer-Therapie einen Verstoß gegen den Beobachtungsplan bedeutete, sind die möglichen Konsequenzen für den Patienten nach unserer Einschätzung als geringer einzuschätzen, als eine Behandlung ohne vorliegende alternative Indikation.

Eine mögliche Ursache für abweichende Diagnosen, bei denen gleichzeitig eine der beiden anderen Hauptindikationen identifiziert wurde, könnte in Übertragungsfehlern gelegen haben, wie auch die Rückmeldungen von 2 Studienzentren vermuten lassen. In diesem Kontext muss erwähnt werden, dass die Anforderungen an die Datenqualität und das Monitoring in einer nichtinterventionellen Studie wie der OCEAN-Studie niedriger als im Vergleich zu interventionellen Studien sind. Zusätzlich hatten mehrere Zentren vor Teilnahme am ORCA-Modul wenig oder gar keine Erfahrung in der Durchführung klinischer Prüfungen oder gar der elektronischen Übermittlung von Bilddaten an ein Reading Center. Nichtsdestotrotz ist – zusätzlich zu den Anforderungen an Sorgfalt und Gründlichkeit in der Dokumentation – zu berücksichtigen, dass sich das Management der VEGF-Hemmer-Therapie zwischen den 3 Hauptindikationen in einigen Punkten deutlich unterscheidet, insbesondere hinsichtlich mittlerer Anzahl erforderlicher Injektionen und Dringlichkeit der Behandlung, und daher auch die Abgrenzung der 3 Indikationen untereinander relevant ist.

Eine weitere Ursache für eine abweichende Diagnose könnte auf das Studiendesign zurückzuführen sein, welches auch den Einschluss von mit VEGF-Hemmern vorbehandelten Studienaugen zuließ, sofern der Abstand zur letzten Injektion mindestens 3 Monate betrug. Dieses Design könnte erklären – bei Anwendung beispielsweise des sog. Treat & Extend-Schemas – warum Studienaugen von Diabetespatienten ohne sichtbares Makulaödem (n = 5) oder auch ein Auge ohne sichtbares Makulaödem bei RVV (wie nachträglich nachgewiesen) eingeschlossen und behandelt wurden.

Die relativ höhere Rate an diskrepanten Diagnosen bei durch den Behandler dokumentierter Diagnose „nvAMD“ im Vergleich zu den beiden anderen möglichen Diagnosen stimmt mit der klinischen Erfahrung überein, dass die Abgrenzung einer nvAMD von anderen Differenzialdiagnosen oft anspruchsvoller als die eines DMÖ oder eines Ödems bei RVV ist [22]. Betrachtet man die Differenzialdiagnosen der Reading Center bei Vorliegen einer abweichenden Diagnose, so erscheint es ratsam, bei Unsicherheit bezüglich einer Diagnosestellung eine Zweitmeinung einzuholen, bevor die Indikation zu einer invasiven und womöglich aufwendigen und langfristigen Behandlung mit VEGF-Inhibitoren gestellt wird. Wie die Ergebnisse zeigen, ist diese Therapie in einigen Fällen nicht erforderlich und würde den Patienten einer möglicherweise unnötigen und mit Risiken behafteten Behandlung aussetzen. Problematisch sind die wenigen Fälle in der vorliegenden Analyse, bei denen sogar eine gänzlich andere Behandlung erforderlich gewesen wäre, um die vorliegende Netzhauterkrankung zielgerichtet zu therapieren. Dazu zählt das Vorliegen eines durchgreifenden Makulaforamens oder einer epiretinalen Gliose, welche bei entsprechendem subjektivem Beschwerdebild ein operatives Vorgehen mit möglicherweise relevanten Konsequenzen für die Sehfunktion im Alltag bedingen würden.

Stellt ein Arzt eine abweichende Diagnose, liegt eine Patienten- oder Bildverwechselung vor oder kommt ein Untersucher im Verlauf einer Beurteilung zu der Erkenntnis, die ursprüngliche Diagnose korrigieren zu müssen, gibt das deutsche Patientenrechtegesetz seit 2013 klare Regeln vor: Patienten müssen in diesem Fall offen und verständlich informiert werden. Die Sorge, sich oder andere Kollegen zu belasten, soll im Interesse des Vertrauensverhältnisses und der zukünftigen Behandlungsplanung in den Hintergrund rücken.

Die guten Ergebnisse der technischen Qualitätsprüfung für die OCT-Bildgebung stimmen zunächst mit dem generellen Eindruck überein, dass sich die OCT-Aufnahme recht problemlos in den klinischen Alltag integrieren lässt. Das Fehlen einer FA bei etwa 20 % der Patienten bestätigt die Annahme, dass dieses Verfahren – im Gegensatz zu den Stellungnahmen der deutschen augenärztlichen Fachgesellschaften – nicht immer durchgeführt wird. Allerdings kann auch angenommen werden, dass die Rate von 20 % nur teilweise repräsentativ ist und eine höhere Dunkelziffer vorliegt, da den Studienärzten im ORCA-Modul die Durchführung einer FA klar empfohlen wurde. Dass in etwa 13 % der übermittelten FA-Bilddatensätze die vordefinierten technischen Mindeststandards nicht erreicht wurden, stellt für uns nicht nur einen weiteren, bisher nach unserem Ermessen wenig beachteten Aspekt im klinischen Alltag, dar, sondern würde auch mit der generellen Erfahrung übereinstimmen, dass die Anforderungen an die Durchführung einer FA anspruchsvoller sind im Vergleich zur OCT-Bildgebung. Diese betrifft sowohl die Infrastruktur (intravenöse Applikation des Farbstoffs, Notfallbereitschaft) als auch die Fähigkeiten und Erfahrungen des Untersuchers selbst sowie die Kooperation des Patienten. Übereinstimmend mit diesen Ergebnissen sind Erfahrungen von Reading Centern und Studienzentren aus anderen Projekten, bei denen die Fotografenzertifizierung für eine FA wesentlich zeitaufwendiger ist als die für eine OCT-Aufnahme.

Die festgestellten Unterschiede bezüglich niedrigerem Visus und höherer Netzhautdicke bei Studienaugen mit Konsensus der Diagnose oder zumindest der Indikation zur Anti-VEGF-Therapie deuten auf eine stärkere Exsudation im Bereich der Makula hin. Kongruent dazu ist, dass nach 3 Monaten VEGF-Hemmer-Therapie in dieser Gruppe eine deutlichere Abnahme der zentralen Netzhautdicke und ein eindeutiger Visusanstieg messbar waren. Diese Beobachtung betont die Bedeutung einer adäquaten Indikationsstellung bei der Basisvisite. Ähnlich kann auch die weiter bestehende stärkere Abnahme der zentralen Netzhautdicke im Verlauf über 24 Monate bewertet werden. Übereinstimmend mit den Gesamtdaten der OCEAN-Studie und anderen Versorgungsstudien, war im ORCA-Modul die Anzahl der Visiten und Behandlungen über die 24 Monate Beobachtungszeit deutlich niedriger als in den zuvor durchgeführten Zulassungsstudien [5, 6]. Dieses Ergebnis erklärt möglicherweise das Fehlen eines dauerhaften Visusanstiegs in der Gesamtkohorte des ORCA-Moduls und speziell auch in den Studienaugen mit Konsensus in der Diagnose. Interessant ist in diesem Zusammenhang aber auch insbesondere die Beobachtung, dass Patienten mit abweichender Diagnose oder fehlender Indikation zur Anti-VEGF-Therapie im Durchschnitt weniger Injektionen im ORCA-Modul erhalten haben. Dies könnte daraufhin hindeuten, dass zu dem Problem einer Unterbehandlung in der Realität das Problem einer Fehldiagnose die Ergebnisse für die Patienten offensichtlich zusätzlich beeinträchtigt.

Die vorliegende Analyse hat einige Limitationen. So ist die Beurteilung von Langzeiteffekten aufgrund der hohen Rate an fehlenden longitudinalen Daten nur eingeschränkt möglich. Dokumentationsfehler oder Verwechselungen können nicht ausgeschlossen werden bzw. wurden in einigen Fällen im Nachhinein festgestellt. Während eine relativ intensive Überprüfung der bildgebenden Verfahren durch die Reading Center sichergestellt wurde, erfolgte keine Kontrolle bei Erhebung der weiteren Untersuchungsbefunde. In diesem Zusammenhang erklären sich womöglich auch die vereinzelt starken Schwankungen der dokumentierten Visuswerte, die letztendlich verdeutlichen, dass in der klinischen Versorgung erhobene Visuswerte nur bedingt mit der Visusbestimmung im Rahmen von Studien vergleichbar sind. Schließlich muss auch bei der Interpretation der Daten beachtet werden, dass die Teilnahme am ORCA-Modul der OCEAN-Studie und auch der Einschluss von einzelnen Patienten an jedem Studienzentrum freiwillig waren. Damit handelt es sich nicht um eine „ungefilterte Real-Life-Analyse“, sondern um eine selektive Patientenpopulation. In diesem Kontext können wir insbesondere nicht ausschließen, dass die hier beobachteten Unterschiede zwischen eigentlicher Versorgung zu Studienergebnissen und Empfehlungen der Fachgesellschaften im Behandlungsalltag in Deutschland sich noch ausgeprägter darstellen.

Stärken der Analyse sind die prospektive Datenerhebung im klinischen Alltag, die große Zahl auch kleinerer Studienzentren im niedergelassenen Bereich und der spezielle Fokus auf die Bildgebung des Augenhintergrunds. Damit verbunden waren die Verwendung vordefinierter Aufnahmeprotokolle und eines Fragenbogens zur Befundinterpretation sowie die Auswertung durch 3 Reading Center. Schließlich können das Design und die Ergebnisse des ORCA-Moduls auch als Vorteil gewertet werden, weil damit vermutlich viel eher der Behandlungsalltag als im Vergleich zu Daten aus randomisierten klinischen Studien erfasst wird.

Fazit für die Praxis

  • Die Diagnose zur Indikationsstellung für Ranibizumab aufgrund des Vorliegens von einer der 3 Hauptindikationen konnte im weitaus größten Teil durch die Qualitätsprüfung der Reading Center bestätigt werden.

  • Technische Qualitätsanforderungen, d. h. die Durchführung der Aufnahmen nach vordefinierten Einstellungen und Zertifizierung der Untersucher, wurden für die OCT-Bildgebung ohne wesentliche Schwierigkeiten erreicht. Die technische Qualität der FA, die trotz Empfehlungen der Fachgesellschaften bei jedem 5. Patienten nicht vorlag, wurde – sofern durchgeführt – bei etwa 13 % der Patienten nicht erreicht. Damit lagen auswertbare FA-Datensätze nur für 70 % der Patienten vor.

  • Abweichende Diagnosen traten am häufigsten in Zusammenhang mit der Diagnose „neovaskuläre altersabhängige Makuladegeneration“ auf, am seltensten bei Diagnosestellung „retinaler Venenverschluss“. Die Vielzahl an Differenzialdiagnosen bei diskrepanter Diagnose verdeutlicht die zum Teil anspruchsvolle Indikationsstellung. Problematisch ist die fehlende Indikation zur VEGF-Hemmer-Therapie v. a., wenn alternative Behandlungen erforderlich sind.

  • Eine adäquate Indikationsstellung ist mit besserem initialem Therapieerfolg hinsichtlich morphologischen (OCT – zentrale Netzhautdicke) und funktionellen (Visus) Verlaufs assoziiert.

  • Mit der Möglichkeit von Verwechslungen, Fehldokumentation und Fehleinschätzungen muss im klinischen Alltag gerechnet werden. Im Sinne einer gesunden Fehlerkultur sind eine selbstkritische Überprüfung und eine offene Kommunikation mit dem Patienten notwendig.