Seit der Erfindung des Ophthalmoskops durch Hermann von Helmholtz vor mehr als 150 Jahren haben Schlüsselinnovationen in der ophthalmoskopischen Bildgebung unser Verständnis von der Funktion und Dysfunktion des Sehapparates maßgeblich bestimmt. Einer dieser innovativen Meilensteine ist der Einsatz adaptiver Optiken für die Bildgebung der Netzhaut. Adaptive Optiken (AO) sind komplexe photonische Werkzeuge, die zunächst in den 1970er-Jahren für erdbasierte, beobachtende Spiegelteleskope entwickelt wurden. Zum ersten Mal 1996 im menschlichen Auge demonstriert, werden AO seither auch in der Ophthalmoskopie eingesetzt – bei zunehmendem klinischem Interesse. Heute steht der klinischen und grundlagenwissenschaftlichen Netzhautforschung eine Vielzahl von technischen Möglichkeiten zur Verfügung, AO bei der Beurteilung von Netzhauterkrankungen und der Aufklärung ihrer Mechanismen unterstützend einzusetzen.

Im vorliegenden Heft finden Sie 2 Übersichtsarbeiten zu diesem jungen Forschungsfeld. Der erste Beitrag „Technische Grundlagen adaptiver Optiken in der Ophthalmologie“ stellt nach einem kurzen historischen Überblick die optisch-physikalische Funktionsweise der AO vor. Für den zukünftigen klinischen Anwender gibt der Beitrag einen Überblick über die bislang mit AO ausgestatteten bildgebenden Modalitäten: die AO-Fundusfotografie, die AO-Scanning-Laser-Ophthalmoskopie (AO-SLO) und die AO-optische Kohärenztomographie (AO-OCT). Für die beiden erstgenannten Modalitäten existieren bereits heute kommerziell erhältliche Produkte, und im Beitrag werden diese mit der bislang noch in Forschungslaboratorien entwickelten AO-OCT und experimentellen Systemen verglichen.

Der zweite Übersichtsbeitrag „Histologie im lebenden Auge: nichtinvasive mikroskopische Struktur- und Funktionsanalyse der Netzhaut mit adaptiven Optiken“ bespricht die konkreten Anwendungsfelder, die sich für AO-ausgestattete bildgebende Verfahren bieten. Orientiert am anatomischen Aufbau der Netzhaut, werden aktuelle Befunde aus der klinischen Netzhautforschung, die AO für höchstaufgelöste Strukturanalyse heranziehen, besprochen: ausgehend von der Nervenfaserschicht der retinalen Ganglienzellaxone, über das feinste Gefäßnetzwerk der inneren Netzhaut, bis zu den Photorezeptoren und dem retinalen Pigmentepithel. Dieser Teil wird mit einer umfassenden Zusammenstellung aller bisher untersuchten Netzhauterkrankungen mit mikroskopischer Strukturanalyse substantiiert. Schließlich wird eine moderne AO-gestützte Funktionsanalyse vorgestellt, die es ermöglicht, Wahrnehmungsexperimente auf elementarster Ebene, Sehzelle für Sehzelle, im lebenden menschlichen Auge durchzuführen.

Die AO-gestützte Ophthalmoskopie gehört zu den „emerging trends“ in der Augenheilkunde (Abb. 1). Schon jetzt hat sie neue, spannende Einblicke in die mikroskopische Struktur, Funktion und Dysfunktion der Netzhaut ermöglicht. Der In-vivo-Zugang zu einzelnen Rezeptorzellen der lebenden Netzhaut ist ein noch junges Forschungsfeld und verspricht durch die Erweiterung des Spektrums messbarer Veränderungen der Netzhaut neue Wege in der klinischen und grundlagenwissenschaftlichen Forschung des Sehens.

Abb. 1
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Adaptive Optiken in der klinischen Netzhautforschung. Anzahl der Publikationen pro Jahr (blaues Rechteck), die adaptive Optiken bei der Untersuchung von Netzhauterkrankungen einsetzen. Die Daten beruhen auf einer Pubmed-Literatursuche vom 25.09.2016. Vorhersage für 2016 (weißes Rechteck mit blauer Umrandung), basiert auf der Summe aller Publikationen bis zum 25.9.2016 multipliziert mit der Zahl 12 geteilt durch 9

Die AO-gestützte Ophthalmoskopie gehört zu den „emerging trends“ in der Augenheilkunde

Nun wünsche ich Ihnen viel Freude bei der Lektüre und hoffe, dass Sie von der Faszination und dem enormen klinischen Potenzial, das in der Betrachtung der allerkleinsten Strukturen der Netzhaut liegt, für Ihre eigene Arbeit inspiriert werden.

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Dr. rer. nat. W.M. Harmening