Gibt es die psychosomatische Reaktion innerhalb der Erkrankung in der Augenheilkunde?

Nach Alexander [1] hat jeder emotionale Zustand sein eigenes physiologisches Syndrom. Sympathische Erregung macht allgemein zum Handeln und aktiven Eingreifen bereit. Dauererregung kann bei Konkurrenz, Aggressions- und Feindseligkeitshaltung auftreten. Es kann zu Migräne, Herzneurose, Hochdruck oder Überfunktion der Schilddrüse kommen.

Parasympathische Erregung tritt bei Rückzug oder Begeben in Abhängigkeit auf; ebenso bei Nicht-Befriedigung von Abhängigkeitsbedürfnissen: Es kann zu Erschöpfungszuständen und Magen-Darm-Reizsyndrom kommen. Es wurde eine Spezifität emotionaler Faktoren bei spezifischen somatischen Störungen diskutiert. Die Entstehung der einzelnen Krankheiten ist innerhalb der beiden Grundhaltungen Flucht/Kampf und Rückzug aus der Konfliktsituation zu suchen.

Zum Beispiel:

  • Heiterkeit führt zu Lachen;

  • Furcht zu erhöhtem Blutdruck und beschleunigter Herzfrequenz.

Es gibt das Konzept der stimulusspezifischen Reaktion, das Konzept der individualspezifischen Reaktion und das Konzept der motivationsspezifischen Reaktion. Auch Persönlichkeitstypen und spezifische Krankheitsauslöser werden in diesem Zusammenhang diskutiert. Ebenso ist die auslösende Familienkonstellation wichtig. Dies führt uns zur „Allgemeinen Psychosomatik“ und damit aber auch zur „Speziellen Psychosomatik“, welche wir hier in diesem Leitthemenheft „Psychosomatik in der Augenheilkunde“ mit einigen Artikeln erörtern möchten.

Jede körperliche Erkrankung löst (mit Notwendigkeit) auch psychische, d. h. auch Gehirnvorgänge aus und umgekehrt. Jede ursprünglich seelisch bedingte Störung wird auch körperliche Wirkung entfalten. Jede chronisch körperliche Erkrankung entfaltet ebenso anpassungsbedingte seelische Veränderungen und auch Veränderungen in Richtung Flucht oder Kampf. Jede entfremdende und beeinträchtigende körperliche Veränderung verursacht seelische Veränderungen.

Diese beiden Seiten stehen bei jeder Erkrankung in einer dauernden, innigen Wechselwirkung. Die Berücksichtigung dieser Wechselwirkung ist von größter Wichtigkeit für die Diagnostik und die Therapie.

In den letzten Jahren ist die Anzahl der Krankheitsfälle im Bereich der psychosomatischen und seelischen Störungen eklatant gestiegen.

Daher ist es in der Augenheilkunde für die behandelnden Ärzte wichtig, den körperlich erkrankten Augenpatienten nach Veränderungen zu befragen: die seelischen Veränderungen, die biopsychosozialen Veränderungen zu erfahren, die Veränderung der körperlichen Wahrnehmung und die Einflüsse auf die körperliche Krankheit (z. B. auslösende Situation).

Ein sehr schöner Beitrag von Dr. med. Thomas Bertelmann, führt uns hin zu der Wichtigkeit der Entspannungsmethoden beim Glaukom, die zweithäufigste Ursache für eine schwere Visusverminderung oder Erblindung weltweit. Herr Bertelmann erörtert ausführlich die Veränderungen der Diagnostik und der Therapie des Glaukomerkrankten durch die Anwendung und die Durchführung von Entspannungsmethoden. Der Faktor „Stress“ ist im Vergleich zu vielen anderen Krankheitsbildern ein in der Psychotherapie eher schwierig und langwierig zu behandelnder Parameter. „Stress“ ist durch Entspannungsverfahren veränderbar/beeinflussbar.

Dennoch ist Stress grundsätzlich einer der klassischen schulmedizinadjuvanten Therapie, den Entspannungsverfahren, zugänglich. Der direkte Einfluss von Stress auf das Dienzephalon, beeinflusst durch unsere emotionalen Reize, führt immer zu humoralen Reaktionen. Wir können davon ausgehen, dass Beeinflussbarkeit der glaukomatösen Erkrankung auch durch Entspannungsmethoden diskutiert werden kann.

Herr Dr. Nepp aus Wien stellt fest, dass bei Patienten mit therapieresistenten trockenen Augen eine große Gruppe von Patienten enthalten ist, die zu 52% unter Angst und Depression leiden, aber auch ebenso häufig vegetative Dystonien zu 25% haben. Generalisierte Ängste und Panikstörungen sind ebenso mit diesem Krankheitsbild des therapieresistenten trockenen Auges verbunden. Für die Untersuchung war also eine Gegenüberstellung psychischer und somatischer Symptome notwendig. Die Untersuchung psychischer Probleme unterliegt wesentlich anderen Bedingungen wie die klaren Parameter einer Untersuchung morphologischer Symptome des Auges. Die Patienten erleben eine unterschiedliche individuelle Aktivität und Dynamik in ihrer Krankengeschichte. Daher ist der Versuch, allgemeine psychische Symptome zu erfassen, mit einer häufigen Zahl von Irrtümern und Fehlinterpretationen möglich. Insofern hat Herr Dr. Nepp sich auf die Persönlichkeitsuntersuchung durch Benutzung eines Fragebogens und weiterer Parameter verlassen, und es führte zu der Feststellung, dass bei langwierigen Krankheitsverläufen der Sicca-Syndrome die Persönlichkeitsstörungen/psychischen Konflikte gehäuft sind. Therapeutisch bedeutet dies, dass zur Sicca-Therapie eine weitere therapeutische Intervention, die „Psychosomatische Therapie“, mit hinzugenommen werden sollte oder auch eine länger dauernde psychotherapeutische oder psychiatrische Therapie.

Depressive Verhaltensmuster vermindern sowohl die Wahrnehmung der Beschwerden als auch die Selbsthilfeanteile dieser Patienten. Phobische Verhaltensmuster lenken psychische Probleme besonders auf die somatischen Augenerkrankungen. Der Umgang mit diesen besonderen Patienten erfordert Einfühlungsvermögen des behandelnden Arztes und eine Übung der Übertragung/Gegenübertragung von starken emotionalen Vorgängen (Angst und Aggression).

Daher ist der nächste Artikel von Frau Dr. Gabriele Brumm und Frau Dr. Silke Schnell besonders wichtig: die „Psychosomatische Grundversorgung in der Augenheilkunde in ihrer Relevanz, Ausbildung mit Fallbeispielen“. Gefolgert wird, dass die Integration der psychosomatischen Ausbildung in der Facharztweiterbildung der Augenheilkunde in ihrer praktischen Ausübung besonders wünschenswert ist und auch eine deutlich größere theoretische Grundlage erübt werden sollte. Das Faktum ist, dass der Arzt wenigstens für die Hälfte seiner Klientel psychotherapeutische Kenntnisse besitzen sollte, und dieses wird in der heutigen Zeit von den Patienten erfordert und ist für die Therapie sinnvoll. Das biopsychosoziale Modell nach Georg L. Engel wird erörtert und ebenso besonders auf die Wichtigkeit der Kenntnisse einer Gesprächsführung hingewiesen. Die richtigen Fragen zu stellen und die weiterführende Kommunikation zu nutzen, damit eine bessere therapeutische Leitung des Patienten zu erhalten, wird mit Fallbeispielen somatoformer Störungen und somatopsychischer Störungen dargestellt.

Frau Prof. Ilse Strempel von der Marburger Universitätsklinik hat ein Fallbeispiel dazu beschrieben: „Die endokrine Orbitopathie - Ein sichtbar psychophysisches Leid“. Da die endokrine Orbitopathie eine Prävalenz von 0,5–2% hat, ist sie zwar eine relativ seltene Erkrankung, dennoch eine Erkrankung, die durch die Art der Stressoren und der außerordentlichen Belastungssituation der Patienten nicht nur den Augenarzt beschäftigt, sondern ebenso kosmetische Operateure, Psychiater und Allgemeinmediziner. Die Patienten haben eine hohe Lebensunzufriedenheit, und ebenso sind sie in ihrem psychosozialen Leben beeinträchtigt. Dies wird mit einer Befragung der Patienten deutlich. Frau Prof. Ilse Strempel weist darauf hin, dass bedeutungsvoll ist, dass 60% dieser Patienten ein Verlusterlebnis vor Beginn der Erkrankung angaben. Da die übliche Antwort auf Verlusterlebnis im Rahmen einer Trauerreaktion die Hoffnungslosigkeit ist, folgt ein korrespondierender affektiver Zustand, nämlich Trauer und Depression. Dies kann aufgrund der Kraft des Stressors zu Veränderungen des Immunsystems führen und damit bei bestimmten Vorbedingungen innerhalb dieses Menschen auch den Ausbruch der Erkrankung bedingen. Frau Prof. Strempel weist darauf hin, dass mutzumaßen ist: Angst, Unsicherheitsgefühle und Minderwertigkeitsgefühle mit sozialer Unsicherheit und häufig niedriger sozialer Stellung hängen oftmals mit Stress und dieser Erkrankung zusammen.

Fazit: Psychoneuroimmunologie (PNI) und Psychoneuroendokrinologie (PNE) zeigen wissenschaftlich auf, wie sehr die Psyche das Immunsystem verändern kann. Die endokrine Orbitopathie ist ein charakteristisches Krankheitsbild, mit äußerlich sichtbarem Ausdruck dieser Zusammenhänge. Wichtig ist es, dies zu erkennen, zu erfragen und die Anamnese bewusst für diese Zusammenhänge zu ergänzen und damit die Psychosomatik in die Diagnostik und in die therapeutischen Möglichkeiten mit einfließen zu lassen. Gerade bei diesen Krankheitsbildern ist es ganz wichtig, dass es mit dem oben beschriebenen ärztlichen Handeln nur dann einen therapeutischen Erfolg hat, wenn der Kranke ebenso zur Mitarbeit gewillt ist wie der Arzt.

Ich wünsche dem Leser mit diesem ungewöhnlichen Arbeiten in der Augenheilkunde eine gewinnbringende und mutvolle Lektüre.

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Dr. Gabriele Emmerich