Das Pseudoexfoliations (PEX)-Syndrom spielt in unserer zunehmend alternden Bevölkerungs- und Patientenstruktur mit einer derzeitigen Prävalenzrate von 5–10% der Bevölkerung über 60 Jahre eine zunehmend wichtigere Rolle im klinischen Alltag. Neben dem häufigen Risiko einer Katarakt- und Glaukomentwicklung prädisponiert das PEX-Syndrom durch Beteiligung des gesamten Vorderabschnitts auch zu einem breiten Spektrum potenzieller klinischer und chirurgischer Komplikationen, wie z. B. Phakodonesis und Linsensubluxation aufgrund einer ausgeprägten Zonulaschwäche; Pigmentdispersion, Mydriasisschwäche und Bildung hinterer Synechien aufgrund degenerativer Irisveränderungen; Gefäßokklusionen, Blut-Kammerwasser-Schrankendefekten, kapillaren Hämorrhagien und Vorderkammerhypoxie als Manifestationen einer ausgeprägten Vaskulopathie der Irisgefäße sowie einer kornealen Endotheldysfunktion und frühen Endotheldekompensation im Sinne einer PEX-Keratopathie. Darüber hinaus sind Patienten mit PEX-Glaukom auch häufig von einer Sicca-Symptomatik betroffen.

Aufgrund des charakteristischen, pathognomonischen Matrixprozesses bildet das PEX-Syndrom eine gut abgegrenzte, eigene Entität, deren Ursachen wir – vor allem dank neuer genetischer und molekularbiologischer Erkenntnisse – zunehmend besser verstehen lernen. Im Rahmen des durch die DFG von 1997 bis 2009 in Erlangen geförderten Sonderforschungsbereichs „Glaukome einschließlich Pseudoexfoliationssyndrom“ konnte mittels umfangreicher biochemischer, zell- und molekularbiologischer Analysen ein heute allgemein akzeptiertes Pathogenesekonzept des PEX-Syndroms als stressinduzierter generalisierter Elastose erarbeitet werden, die aus dem Zusammenspiel genetischer und exogener Faktoren (z. B. oxidativer Stress) resultiert. Als wichtigster genetischer Risikofaktor wurde das LOXL1-Gen identifiziert, das für ein Schlüsselenzym der Elastogenese, Lysyloxidase-like1, kodiert. Da bestimmte Polymorphismen im LOXL1-Gen bei praktisch allen PEX-Patienten in allen geografischen Populationen weltweit vorkommen, scheint es sich bei LOXL1 um einen grundlegenden Risikofaktor für die Entwicklung eines PEX-Syndroms/Glaukoms zu handeln. Der erste Beitrag erläutert die Rolle von LOXL1 in der Pathophysiologie des PEX-Glaukoms, wobei LOXL1 einerseits an der Bildung und Akkumulation des PEX-Materials in den Kammerwasserabflussstrukturen und damit an der Druckerhöhung beteiligt ist, andererseits auch bindegewebige und biomechanische Veränderungen der Lamina cribrosa induziert und damit zu einem PEX-spezifischen Risiko für ein Sekundärglaukom prädisponiert. Diese PEX-assoziierte „Bindegewebsschwäche“ der Lamina cribrosa bildet die strukturelle Grundlage für eine erhöhte Vulnerabilität von PEX-Augen gegenüber einem druckinduzierten Sehnervenschaden und erklärt die klinischen Beobachtungen einer geringeren Drucktoleranz und höheren Progressionsrate bei Augen mit PEX-Glaukom im Vergleich zum primären Offenwinkelglaukom [1, 2].

Das PEX-Glaukom stellt nach wie vor eine therapeutische Herausforderung dar

Aufgrund des rasch progredienten Verlaufs sowie der oft nur schwer regulierbaren hohen Druckwerte und -schwankungen stellt das PEX-Glaukom nach wie vor eine therapeutische Herausforderung dar. Morphologisch identifizierbare Ursache der chronischen Druckerhöhung ist die Blockade der konventionellen und uveoskleralen Kammerwasserabflusswege mit abnormal quervernetztem, elastotischem PEX-Material, dessen progressive Akkumulation in den Abflussstrukturen in kausalem Zusammenhang mit dem intraokularen Druckniveau und dem Sehnervenschaden steht. Aus der direkten Druck-Schaden-Korrelation, der verminderten Drucktoleranz des Sehnervenkopfes und der beschleunigten Glaukomprogression ergeben sich direkte Konsequenzen für drucksenkende Maßnahmen im Rahmen eines stringenten therapeutischen Stufenplans, der im zweiten Beitrag erläutert wird.

Die häufige Assoziation eines PEX-Syndroms mit einer Katarakt, überwiegend Kernkatarakt, könnte ursächlich mit den im vorderen Augensegment vorherrschenden chronischen Stressbedingungen (Ischämie/Hypoxie, reduzierte Antioxidanzienspiegel) zusammenhängen. Die Kataraktchirurgie ist durch die PEX-spezifischen Veränderungen der Gewebe des vorderen Augensegments komplikationsbehaftet, wobei die Fragilität und defekte Verankerung der Zonulafasern, die schlechte Mydriasis, eine flache Vorderkammer, die Vaskulopathie der Iris, hintere Synechien und eine korneale endotheliale Dysfunktion Hauptrisikofaktoren darstellen. Während die Häufigkeit intraoperativer Komplikationen wie Zonuladialysen, Glaskörperverlust oder Kapselrupturen aufgrund operationstechnischer Fortschritte erheblich reduziert werden konnte, scheint das Auftreten postoperativer Komplikationen, vor allem Vorderkapselfibrose und -schrumpfung sowie Dislokation und Subluxation des Kapselsack-Implantat-Komplexes, sukzessive anzusteigen. So werden 50–70% aller „In-the-bag-Subluxationen“ – mit einer mittleren Latenzzeit von 7 Jahren – durch PEX verursacht [3], wofür die progrediente Lockerung und Degeneration der Zonulaapparates verantwortlich ist. Der dritte Beitrag beinhaltet einen detaillierten praktischen Leitfaden zur Vermeidung und Behandlung von Komplikationen während und nach Kataraktchirurgie. Mithilfe geeigneter Techniken und Hilfsmittel zur Erweiterung der Pupille bei gleichzeitiger Vermeidung exzessiver Irismanipulation, zur Schonung der Zonulafasern, zur Reduktion der Kapselfibrose sowie zur Repositionierung des Kapselsack-Implantat-Komplexes lassen sich heute auch Katarakte in Augen mit fortgeschrittenem PEX-Syndrom sicher operieren. Eine akkurate präoperative Diagnostik und eine sorgfältige Vorbereitung durch Einschätzung des Zonula-, Pupillen- und Endothelstatus einschließlich Aufklärung der Patienten tragen ebenfalls dazu bei, unangenehme Überraschungen während des Eingriffs, Komplikationen im Spätstadium und evtl. juristische Auseinandersetzungen zu vermeiden.

Eine sichere Kataraktchirurgie wie auch eine gezielte Glaukomtherapie setzt jedoch eine frühe und akkurate Diagnosestellung voraus. Die dezenten und ausgeprägten diagnostischen Kriterien werden im vierten Beitrag dieser Serie zusammengefasst. Nachdem die zentrale Scheibe der Linsenauflagerungen bei bis zu 50% der Patienten mit PEX fehlen kann, ist eine medikamentöse Mydriasis für die Diagnostik unerlässlich. Frühstadien sind durch einen homogenen, diffus matten Oberflächenbelag, einer mikrofibrillären Vorstufe des PEX-Materials, auf der vorderen Linsenkapsel für den geübten Beobachter erkennbar. Zusätzliche klinische Zeichen, die bereits auf frühen Stadien manifest werden, sind eine Pigmentdispersion aus dem degenerativen Irispigmentepithel, begleitet von einer Pupillarsaumatrophie und Pigmentablagerungen auf Trabekelwerk und Irissphinkterregion. Nachdem das PEX-Syndrom bei der Mehrheit der Patienten in klinisch unilateraler Ausprägung vorliegt, kann vor allem der Vergleich mit dem Partnerauge hinsichtlich Pigmentierungsgrad, Pupillenweite oder Augeninnendruck diagnostisch hilfreich sein.

Weiterhin wird in diesem Beitrag der aktuelle Stand der systemischen Manifestationen des PEX-Syndroms referiert. Obwohl die Erstbeschreibung der systemischen PEX-Ablagerungen in Haut, Gefäßwänden und zahlreichen Organsystemen, vor allem dem Myokard, schon 20 Jahre zurückliegt, ist der kausale Zusammenhang zwischen diesen Ablagerungen und dem Vorliegen einer Systemerkrankung nicht abschließend geklärt. Zwar spricht eine wachsende Anzahl von Einzelstudien für eine Assoziation von PEX mit kardio- und zerebrovaskulären Erkrankungen, wie z. B. transienten ischämischen Attacken, Myokardinfarkt und Schlaganfall, abdominalen Aortenaneurysmen und Morbus Alzheimer, aber es besteht dringender Bedarf an einer weiteren Abklärung im Rahmen größerer prospektiver, randomisierter, bevölkerungsbasierter Studien. Auch die Bewertung der bei PEX-Patienten vorliegenden Hyperhomozysteinämie als Risikofaktor oder Marker für ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko muss aufgrund der aktuellen Interventionsstudien kritisch überdacht und evtl. revidiert werden. Aktuell sind Bestrebungen im Gange, die systemischen Beteiligungen bei PEX auf breiter bevölkerungsbasierter Grundlage (Leipziger LIFE-Studie) zu untersuchen. Es wird die Aufgabe der nächsten Jahre sein, die systemischen Manifestationen sowie die Funktion der assoziierten genetischen Faktoren genauer zu verstehen, um dadurch neue kausale, antifibrotische Therapiestrategien entwickeln zu können.