Warum sollten wir Augenärzte uns mit diesem Thema befassen? Warum gibt es ein ganzes Leitthemenheft in Der Ophthalmologe? Generell wird uns Augenärzten nachgesagt, z. T. auch vorgeworfen, wir seien keine „richtigen“ Ärzte, hätten uns für dieses am Kopf liegende ästhetische, für das Überleben nicht unbedingt erforderliche Organ entschieden, um uns nicht „die Hände schmutzig“ zu machen. Dieser Auffassung möchte ich widersprechen, und ich denke, Sie stimmen mir zu. Nicht nur das Zupackende, den Notfall Suchende macht den „richtigen“ Arzt aus. Ist das Auge das Fenster zur Seele, so ist es doch auch das Fenster zum Körper, das es uns ermöglicht, viele Systemerkrankungen zu erkennen und zu überwachen, bevor das innerlich liegende Organ Symptome erzeugt. So sind wir als Augenärzte nicht nur „richtige“, auch für das Überleben des Patienten wichtige Ärzte, sondern wir haben das Glück, unsere Patienten ein ganzes Leben lang zu betreuen. Dazu gehört eben auch die Zeit der Familienplanung und Fortpflanzung.

Die augenärztliche Betreuung umfasst auch die Zeit der Familienplanung und Fortpflanzung

Kinderwunsch ist in unserer Gesellschaft bei abnehmenden Geburtenzahlen ein zentrales Thema. Frauen in Deutschland bekommen weniger und später im Leben die ersten Kinder. Im Jahr 2009 kamen in Deutschland 665.126 Kinder zur Welt. Dies ist die niedrigste Geburtenzahl seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und ca. 30% weniger als noch 1990 (Quelle Statistisches Bundesamt, www.destatis.de). Im Jahr 2010 hat diese Zahl mit 677.947 ganz leicht zugenommen. Die meisten Frauen sind bei ihrem ersten Kind zwischen 30 und 34 Jahre alt, gefolgt von der Gruppe der 25- bis 29-Jährigen, als dritthäufigste Gruppe folgen die 35- bis 39-Jährigen [1]. Psychologisch verständlich nehmen mit dem späteren Zeitpunkt des Erstgebärens auch die Ängste zu, es könne etwas schiefgehen. Gleichzeitig ist der Generation der jetzt im gebärfähigen Alter befindlichen Frauen der Contergan-Skandal noch in Erinnerung. So ist es nicht erstaunlich, dass eine Google-Suche mit den Stichwörtern „Medikament“ und „Schwangerschaft“ 5.830.000 Treffer erzielt! Als erster Treffer zeigt sich erfreulicherweise die Seite embrytox.de, eine Seite, die wir Ihnen zusammen mit der Seite reprotox.de ans Herz legen wollen, da hier aktuelle und wissenschaftlich überprüfte Informationen leicht nachzulesen sind sowie Daten aktiv gesammelt werden. Doch gibt es leider auch unprofessionelle Seiten und Chatgroups von Laien, die von einer Medikamenteneinnahme in der Schwangerschaft generell und unkritisch abraten und hier Ängste schüren. Dies hat zur Folge, dass notwendige Behandlungen unterbleiben, vorzeitig beendet werden oder dass nach bereits erfolgter Therapie erwünschte und intakte Schwangerschaften abgebrochen werden. Frauenärzte sind zunehmend von Ängsten geplagt, bei einer Fehlbildung des Kindes rechtlich belangt zu werden, und raten daher gern, Medikamente zu vermeiden, ohne den Einzelfall zu beleuchten. Hier ist sicher auch der steigende Zeitdruck in unserem Gesundheitssystem schuld.

Leicht wird vergessen, dass es bei ca. 3% aller Schwangerschaften zu einer größeren, äußerlich erkennbaren Fehlbildung des Neugeborenen kommt, meist durch genetische Aberrationen, und dass nur ca. 2% der Fehlbildungen durch Einfluss von Drogen oder Medikamenten erzeugt wurden [2]. Entscheidend ist auch, ob die Medikamentengabe während der sensiblen Phase der Schwangerschaft geschieht, d. h. während der Organbildung in der Embryogenese im 1. Trimenon, oder zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Organbildung abgeschlossen ist.

Doch trotz der generell höheren Zurückhaltung bei der Medikamentengabe während einer Schwangerschaft kommt auch das gegenteilige Verhalten vor, sodass es durch mangelnde Informationen zum Einsatz von unzureichend erprobten oder riskanten Arzneimitteln mit einem erhöhten Fehlbildungsrisiko kommt. Nur wenn wir mit unseren Patienten vor jedem Einsatz einer potenziell problematischen Therapie über Kinderwunsch oder evtl. bestehende Schwangerschaften reden, kann ein gesundes Gleichgewicht zwischen notwendiger Behandlung und Sicherheit des Fetus erzielt werden!

Weitere Ängste gibt es bei vorbestehenden Augenerkrankungen bezüglich des Geburtsmodus. Hier wird dem Augenarzt die Aufgabe übertragen, die Indikation zum Kaiserschnitt zu beurteilen. Generell ist bei keiner Augenerkrankung eine natürliche Geburt kontraindiziert. Wir gehen auf die Augenerkrankungen ein, die häufig die Frage des Geburtsmodus aufkommen lassen.

Eine weitere Herausforderung ist die Führung von Patientinnen mit Augenerkrankungen während einer Schwangerschaft und der anschließenden Stillzeit.

Mit den hier vorgestellten Beiträgen möchten wir Ihnen Ängste nehmen und Hilfen anbieten, Ihre Patientinnen kompetent zu beraten und zu betreuen, sowohl was Medikamentengaben während der Schwangerschaft als auch die Betreuung von vorbestehenden Augenerkrankungen in dieser Periode betrifft.

Ich wünsche Ihnen Freude beim Lesen und mutiges Behandeln auch von schwangeren Patientinnen!