Der Zentralarterienverschluss (ZAV) zählt zu den wenigen wirklichen Notfällen in der Augenheilkunde. Dabei verbindet man mit dem Begriff des Notfalls in der Regel eine verfügbare und wirkungsvolle Therapie, die es aber beim nichtarteriitischen ZAV bisher nicht gibt. Als Hoffnungsträger der vergangenen Jahre galt die kathetergeführte intraarterielle Fibrinolyse, die in kleinen Fallserien ermutigende Ergebnisse geliefert hat. Die Überlegenheit der intraarteriellen Fibrinolyse gegenüber einer konservativen Therapie konnte in der ersten multizentrischen, prospektiven und randomisierten Studie, die jemals zum Thema ZAV durchgeführt wurde, nicht bestätigt werden: Bei mehr Komplikationen waren die Visusergebnisse nach Lysetherapie nicht besser. Damit ist die kathetergeführte intraarterielle Fibrinolyse für die Behandlung des ZAV unter den Bedingungen dieser Studie nicht mehr zu empfehlen. Aufbau, Ergebnisse und Konsequenzen der EAGLE-Studie (EAGLE: European Assessment Group of Lysis in the Eye) werden in dem Beitrag von Wolf et al. beschrieben. Obwohl es in der Studie keine reine Beobachtungsgruppe gab und die Wirksamkeit der Therapien im Vergleich zum Spontanverlauf nur geschätzt werden kann, sind die Ergebnisse der intraarteriellen Fibrinolyse und der konservativen Therapie mit hoher Wahrscheinlichkeit besser als die wenigen historischen Daten des Spontanverlaufs. Trotzdem sind wir noch immer weit davon entfernt, von einem therapeutischen Durchbruch sprechen zu können. Verbesserungen finden sich v. a. im niedrigen Dezimalvisusbereich unter 0,1 – der durchschnittliche Visus stieg von Handbewegung auf 0,02. Nach den Erfahrungen der EAGLE-Studie muss man sich auch fragen, ob die intraarterielle Katheterlyse überhaupt für die klinische Routine geeignet gewesen wäre. Die Rekrutierungsphase verlief sehr zäh; innerhalb von 5 Jahren konnten lediglich 84 Patienten in die Studie einbezogen werden. Die meisten Patienten mit frischem ZAV, die nicht in die Studie aufgenommen wurden, waren entweder zu alt (>75 Jahre) oder nahmen Marcumar® ein, sodass eine Lyse auch außerhalb der Studie nicht möglich gewesen wäre.

Die kathetergeführte intraarterielle Fibrinolyse unter den Bedingungen der EAGLE-Studie ist nicht mehr zu empfehlen

Trotzdem gab es auch ermutigende Erkenntnisse: Entgegen den zellbiologischen oder tierexperimentellen Befunden scheint die Überlebenszeit retinaler Zellen beim älteren Menschen länger als die mehrfach beschriebenen 4–6 h zu sein. Der Grund ist darin zu suchen, dass der Verschluss beim Menschen nur selten komplett ist und mit einer künstlichen Unterbrechung der gesamten Blutzufuhr im Tierversuch nicht verglichen werden kann. Es erscheint deshalb sinnvoll, Patienten mit akutem ZAV bis 24 h nach Verschlussereignis zu therapieren. Das konservative Schema der EAGLE-Studie bietet sich dafür an. Es kann aber zurzeit nicht beantwortet werden, ob andere Behandlungen effektiver sind. Die EAGLE-Studie kann auch nicht die Frage beantworten, ob eine frühzeitigere Fibrinolysetherapie wie etwa beim akuten Schlaganfall innerhalb der ersten 4,5 h nach Verschluss zu besseren Ergebnissen geführt hätte. Sowohl in der EAGLE-Studie als auch in eigenen vorausgegangenen Arbeiten betrug der Anteil der Patienten mit einer Verschlussanamnese unter 6 h (von den ersten Symptomen bis zur Vorstellung in der Klinik) lediglich zwischen 35% und 40% (EAGLE resp. [1]). Nur knapp 20% der Patienten der EAGLE-Studie wurden auch innerhalb der ersten 6 h behandelt. Die Schwierigkeit besteht im klinischen Alltag darin, dass sich Patienten mit akutem ZAV meist etwas später vorstellen als Patienten mit Apoplex. Die Überlegungen zum Faktor „Zeit“ ändern aber nichts an den Komplikationen nach intraarterieller Fibrinolysetherapie. Deshalb ist auch bei Verschlüssen mit kürzerer Anamnese Vorsicht geboten.

Gibt es Alternativen zur intraarteriellen Fibrinolyse? Hoffnungsvolle Ergebnisse wurden auch für die intravenöse Fibrinolyse berichtet; es gelten hierfür allerdings die gleichen Einschränkungen wie für die intraarterielle Applikation von Fibrinolytika. Weitere Therapieversuche lehnen sich an die Behandlung des ischämischen Schlaganfalls an, wie z. B. die Neuroprotektion mit Erythropoetin (EPO) und die Sonothrombolyse. Ob diese Verfahren auch am Auge hilfreich sind, bleibt abzuwarten. Die anatomischen Besonderheiten des Auges (Endarteriensystem ohne Kollateralen, hohe arteriovenöse Sauerstoffdifferenz, geringe Sauerstoffreserven) machen die Netzhaut im Fall einer Minderperfusion besonders anfällig; deshalb bleiben manche Hoffnungsträger der Apoplextherapie bei der Anwendung nach ZAV wirkungslos.

Umso wichtiger ist es, den ZAV als Spiegel einer Systemerkrankung zu verstehen und die Risikofaktoren einer generalisierten Arteriosklerose abzuklären. Dabei kommt dem Augenarzt als erste Kontaktperson bei akutem Sehverlust eine besondere Bedeutung zu. In allen Beiträgen zum Leitthema wird auf die enge Kooperation zwischen Augenarzt und Hausarzt hingewiesen. Diese Zusammenarbeit ist essenziell, um den Patienten den Weg zu einer möglichst lückenlosen Diagnostik und Versorgung zu ebnen. In dem Beitrag von Heinz werden die gängigen Risikofaktoren benannt und die aus internistischer Sicht erforderlichen Untersuchungen diskutiert. Als besondere Motivation bei der Abklärung der Risikofaktoren sollte auch die Tatsache dienen, dass die eindeutig erhöhte Mortalität nach ZAV durch die Behandlung der Risikofaktoren fast auf Normalniveau gesenkt werden kann.

Der Zentralarterienverschluss ist als Spiegel einer Systemerkrankung zu verstehen

Mit dem Zusammenhang zwischen retinalen Veränderungen und internistischer Systemerkrankung beschäftigen sich auch Wolf et al. in ihrem Beitrag. Die Ausführungen gehen auf die Hoffnung zurück, den generalisierten Gefäßstatus eines Patienten anhand der leicht feststellbaren retinalen Veränderungen abschätzen zu können. Im Fall einer Retinopathie ist dieser Zusammenhang gegeben: Mikroaneurysmata, retinale Blutungen, „Cotton-wool“-Herde und weiche Exsudate gehen mit einer erhöhten Mortalität einher und sollten als Entscheidungshilfen dienen, eine internistische Behandlung zu beginnen oder die Effektivität einer laufenden Therapie zu überprüfen. Bei rein vaskulären Veränderungen ohne Retinopathie ist dieser Zusammenhang nicht sicher gegeben und die Datenlage insgesamt unklarer. Auch mithilfe neuester diagnostischer Apparaturen bleibt die Bedeutung von Veränderungen der Netzhautgefäße umstritten, und in der klinischen Routine ist es bisher nicht erforderlich, Patienten mit rein vaskulären retinalen Veränderungen internistisch abklären zu lassen. Der Beitrag unterstreicht aber auch die Bedeutung großer epidemiologischer Analysen, mit deren Hilfe das Risiko einer generalisierten Gefäßerkrankung für den einzelnen Patienten anhand weniger Parameter abgeschätzt werden kann.

Zusammenfassend kann man festhalten, dass wir in den vergangenen Jahren berechtigte Hoffnung hatten, mit der intraarteriellen kathetergeführten Fibrinolyse endlich eine zufriedenstellende Therapie zur Behandlung des ZAV anbieten zu können. Die Ergebnisse der EAGLE-Studie haben diese Hoffnung allerdings zunichte gemacht, und es ist bisher keine Therapie in Sicht, die diese Leere in nächster Zeit füllen könnte. Umso bedeutender sind die adäquate Behandlung und Prophylaxe kardiovaskulärer Erkrankungen sowie die konsequente Einstellung der arteriosklerotischen Risikofaktoren. In diesem Kontext kommt dem behandelnden Augenarzt eine wichtige beratende und begleitende Funktion zu.

Nicolas Feltgen