Schulterschmerzen gelten, nach Kreuz- und Knieschmerzen, als die dritthäufigste muskuloskeletale Erkrankung in der Primärversorgung [5]. Die Schmerzen gehen oftmals mit funktionellen Einschränkungen einher, die sich auf das berufliche und soziale Leben der Betroffenen auswirken können. Eine verminderte Lebensqualität und das Auftreten bzw. ein Anstieg psychischer Probleme stehen zudem in direktem Zusammenhang mit dem Vorkommen von anhaltenden Schmerzen in dieser Region [6]. Hinsichtlich der Prognose für Menschen mit Schulterbeschwerden lässt sich erkennen, dass diese stark zwischen den Individuen variiert. Durchschnittlich leiden 50 % der Menschen 6 Monate nach dem Aufsuchen von Hilfe in der Primärversorgung immer noch an Symptomen [7]. Laut Daten aus 61 verschiedenen Studien zu Schulterschmerzen, in die Länder mit niedrigem, mittlerem und hohem Einkommen einbezogen wurden, belief sich die Prävalenz in der Primärversorgung auf 1,01–4,84 % [8].

Neben Schulterproblemen sind auch Nackenbeschwerden eine weitverbreitete Erkrankung, die zu erheblichen Belastungen und Beeinträchtigungen führen kann. Die Global Burden of Disease Study hat das Ausmaß globaler Belastung durch Nackenbeschwerden näher beleuchtet. Die Daten dieser Studie wurden von 1990 bis 2017 in der Allgemeinbevölkerung von 195 Ländern erhoben und anschließend verglichen. Bei Nackenbeschwerden konnte aufgrund der hohen Variation zwischen einzelnen Ländern eine globale Prävalenz von 3,14–3,98 % ermittelt werden [9]. Mehreren Studien zufolge ist die globale Prävalenz sowohl von Nacken- als auch von Schulterbeschwerden bei Frauen höher einzustufen als bei Männern [8, 10,11,12].

Jüngste Studien haben gezeigt, dass Nacken- und Schulterbeschwerden nicht nur im Erwachsenenalter gehäuft auftreten, sondern dass diese schon bei Schulkindern und Jugendlichen sehr häufig sind [13,14,15,16,17]. Laut Literatur schwankt die Häufigkeit von Nacken- und Schulterschmerzen bei Kindern und Jugendlichen, je nach Land, zwischen 11 % und 45 % [13,14,15,16,17,18,19]. Wenn Muskel-Skelett-Beschwerden, einschließlich Nacken- und Schulterschmerzen, schon im Kindes- und Jugendalter auftreten, kann dies ein wichtiger Faktor für das Auftreten ähnlicher Beschwerden im Erwachsenenalter sein [15, 20, 21]. Um Schmerzen vorzubeugen, ist es essenziell, die Risikofaktoren, die diese Beschwerden bei Schulkindern und Jugendlichen begünstigen, besser zu verstehen [10].

Risikofaktoren

Zu einer der potenziellen physischen Ursachen von einer Vielzahl an Muskel-Skelett-Beschwerden zählt die immer weiter ansteigende tägliche Nutzung von mobilen Geräten wie beispielsweise Smartphones. Vor allem Nacken‑, Schulter‑, Rücken‑, Finger- und Daumenschmerzen werden mit der zunehmenden Beliebtheit von Smartphones in Verbindung gebracht [1, 2]. Im Speziellen werden Nackenschmerzen oft durch eine nach vorn gerichtete Kopfhaltung verursacht, die zu einer der häufigsten Ursachen für anatomische Veränderungen der Halswirbelsäule zählt. Eine vorwärts gerichtete Kopfhaltung geht mit Berufs- oder Lebensgewohnheiten einher, bei denen der Blick meist nach unten oder nach vorne gerichtet ist. Nicht nur die Nutzung von mobilen Geräten, sondern auch das Tragen eines schweren Rucksacks wird mit einer überspannten Vorwärtshaltung des Kopfes assoziiert [3, 4].

Nacken- und Schulterbeschwerden gehen mit ähnlichen Merkmalen und Folgen einher wie andere Schmerzzustände, z. B. Rücken- oder Kreuzschmerzen [22]. Bei einer komplexen Chronifizierung körperlicher Schmerzen kommt es zu einer Interaktion von körperlichen, neurobiologischen, sozioemotionalen und psychologischen Faktoren [23,24,25].

Psychologische Faktoren fließen hierbei nicht nur in die Schmerzwahrnehmung ein, sondern können zusätzliche sekundäre Effekte hervorrufen, die wiederum einen negativen, aufrechterhaltenden Einfluss auf das Erleben von und Anpassen an Schmerzen haben. Beispielsweise geht das Katastrophisieren von Schmerzen mit einem intensiveren Erleben von Schmerzzuständen und Einschränkungen einher. Unter Schmerzkatastrophisierung wird die negative mentale Einstellung während einer gegenwärtigen oder einer erwarteten Schmerzerfahrung verstanden, die die Auswirkung und den Schweregrad des Schmerzes vergrößert [27, 30]. Das Katastrophisieren von Schmerzen kann zu maladaptivem, „passivem Coping“ oder kognitiven Mechanismen wie Angst-Vermeidungsverhalten führen. Angst-Vermeidungsverhalten bezieht sich in diesem Kontext auf die schmerzbedingte Angst, die dazu führt, schmerzauslösende Aktivitäten zu vermeiden, größere Schmerzen zu erwarten und sich eingeschränkter zu erleben [31,32,33].

Als einer der häufigsten und allgegenwärtigen Risikofaktoren für Schmerzchronifizierung gilt Stress. Laut der Weltgesundheitsorganisation sind 90 % der Erkrankungen, von denen Menschen betroffen sind, stressbedingt [39]. In einer australischen Längsschnittstudie, die von 2006 bis 2007 Daten von Büroangestellten der durchführenden Universität gesammelt hat, wurde erforscht, inwiefern Stress einen Risikofaktor für das Auftreten von Nackenschmerzen darstellt. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass hoher psychischer Stress einen mittleren bis großen positiven Zusammenhang mit dem Auftreten von Nackenschmerzen aufweist [40]. Entsprechend einer systematischen Literaturrecherche zu möglichen Risikofaktoren für arbeitsbedingte Erkrankungen der oberen Extremitäten hängen arbeitsbedingte Stressoren ebenfalls mit Nacken- und Schulterschmerzen zusammen [41]. Die Beschwerden werden v. a. durch hohe quantitative Anforderungen am Arbeitsplatz, mangelnde sozioemotionale Unterstützung durch Arbeitskolleg:innen, geringen Einfluss und niedrige Arbeitsplatzkontrolle negativ beeinflusst [42]. Zudem konnte das Auftreten von Nacken- und Schulterbeschwerden mit einigen psychosozialen Faktoren wie geistiger Müdigkeit am Ende eines Arbeitstages, Nicht-ausgeruht-Sein nach einer Pause, keine Abwechslung bei der Arbeit und Sich-über-andere-Ärgern assoziiert werden [43].

Als einer der häufigsten Risikofaktoren für Schmerzchronifizierung gilt Stress

Darüber hinaus weisen Angst und Depression einen bidirektionalen Zusammenhang mit chronischen Schmerzen, d. h. eine wechselseitige Beeinflussung und Verstärkung, auf. Sie können u. a. eine Erhöhung der Komplexität und des Schweregrades der Schmerzzustände hervorrufen [26,27,28,29]. Eine Studie, in der länderübergreifende Daten aus allgemeinen Bevölkerungsstichproben zur Komorbidität von Nacken- und Rückenschmerzen mit psychischen Erkrankungen erhoben wurden, fand heraus, dass auch nach Bereinigung um potenzielle Einflüsse von Alter und Geschlecht die Prävalenz von affektiven Störungen, Angststörungen und Suchterkrankungen bei Personen mit chronischen Nackenschmerzen höher war als bei Personen ohne Beschwerden. Den Daten zufolge gelten schwere Depressionen als stärkster psychosozialer Risikofaktor für Nacken- und Rückenschmerzen [44].

Weitere Risikofaktoren für eine Chronifizierung von Nacken- und Schulterschmerzen sind eine niedrige Selbstwirksamkeitserwartung sowie eine geringe Schmerzakzeptanz [22]. Unter Selbstwirksamkeit wird die Überzeugung einer Person, dass diese im Stande ist, Tätigkeiten und Aufgaben auch beim Auftreten von Schwierigkeiten auszuführen, verstanden [34]. Während sich allgemeine Selbstwirksamkeit auf die Wahrnehmung der persönlichen Fähigkeit, ein großes Spektrum an potenziellen (Stress‑)Situationen effektiv bewältigen zu können, bezieht, geht es bei der Schmerzselbstwirksamkeit um eine bereichsspezifische Selbstwirksamkeit. Diese nimmt Bezug sowohl auf die Ausführung von Aufgaben und Tätigkeiten trotz Schmerzzuständen als auch auf eine Regulation der Schmerzen [35, 36]. Haben Schmerzpatient:innen eine geringere Schmerzakzeptanz, bedeutet das, dass sich Betroffene innerlich gegen die Schmerzen auflehnen, dadurch emotional und kognitiv beansprucht werden und sie Aktivitäten, die mit den persönlichen Lebenszielen übereinstimmen, hintanstellen (s. auch ACT; [37, 38]).

Resilienzfaktoren

Resilienzfaktoren sind Schutzfaktoren und Schlüsselmechanismen in der Assoziation von Symptomen und Beeinträchtigung bei Menschen mit chronischen Schmerzzuständen [45]. Resilienz bezeichnet die Fähigkeit, trotz erheblicher Belastung gut zu funktionieren, den Alltag zu bewältigen und sich anzupassen [46]. Eine Studie konnte herausfinden, dass Menschen mit einer größeren Anzahl an Resilienzfaktoren bessere Ergebnisse in Bezug auf körperliche Funktion und psychische Prozesse bei Schmerzzuständen zeigen. Dies könnte auf den Nutzen adaptiver Ressourcen hinweisen. Resilientere Personen gelten als allgemein widerstandsfähiger und verfügen über ein größeres Kohärenzgefühl, das es ihnen erleichtert, Ressourcen zu mobilisieren, um Herausforderungen in Verbindung mit Schmerzen erfolgreich zu bewältigen [47]. Psychische Resilienzfaktoren von Schulter- und Nackenschmerzen umfassen beispielsweise psychische Flexibilität, die sich als signifikanter Einflussfaktor für den Zusammenhang zwischen Schmerzsymptomen und Funktionsfähigkeit erwiesen hat [45]. Psychische Flexibilität bedeutet, dass eine Person in vollem Kontakt mit dem gegenwärtigen Moment und je nachdem, was die aktuelle Situation erfordert, ihr Verhalten ändern oder aber auch beharrlich beibehalten kann.

Physische Aktivität kann ebenfalls einen Schutzfaktor darstellen. Regelmäßiger Sport und eine erhöhte Beweglichkeit der Halswirbelsäule können Nacken- und Schulterschmerzen vorbeugen und dazu beitragen, dass sich diese nicht chronifizieren. Neben den weithin bekannten positiven Auswirkungen von Sport auf die Psyche kann dies insbesondere auch zu einer Verbesserung der Selbstwirksamkeitserwartung beitragen, was sich wiederum positiv auf die Resilienz und den Umgang mit Schmerzen auswirkt. Bei Menschen, die mehr als 3‑mal pro Woche Sport machen, ist die Wahrscheinlichkeit, Nackenbeschwerden zu bekommen, 1,5-mal geringer. Eine erhöhte Beweglichkeit der Halswirbelsäule, die durch aktive Übungen zur Beugung und Streckung erzielt werden kann, kann um den Faktor 2,3 vor Nackenschmerzen schützen [40].

Psychologische und psychotherapeutische Therapie

Eine effektive Behandlung psychologischer und sozioemotionaler Faktoren kann im Rahmen einer psychologischen Behandlung oder Psychotherapie erfolgen. Darunter weist die Verhaltenstherapie zahlreiche Wirksamkeitsbelege in der Behandlung von Menschen mit chronischen Schmerzen auf. Im Rahmen der Psychotherapie arbeitet man beispielsweise an unterdrückten Emotionen bei erhöhtem Stresserleben, der Veränderung des Erlebens und Verhaltens bei affektiven Störungen (wie z. B. Angst, Depressionen), der Umstrukturierung kognitiver Glaubenssätze oder der Verbesserung der eigenen Selbstwirksamkeitserwartungen. Speziell bei einem stark negativen psychischen Erleben und maladaptiven Umgang mit Nacken- und Schulterschmerzen kann das Erlernen von angemessenen Copingstrategien und Entspannungsübungen förderlich sein. Die kognitive Verhaltenstherapie wird idealerweise in ein biopsychosoziales Behandlungsmodell integriert [48]. Eine mögliche Anwendung der kognitiven Verhaltenstherapie bei Schmerzpatient:innen erfolgt laut der Deutschen Schmerzgesellschaft in 3 Behandlungsstufen [49].

Die kognitive Verhaltenstherapie ist eine gängige psychotherapeutische Intervention zur Behandlung von chronischen Schmerzen

Im ersten Schritt wird eine Situationsanalyse mit der Patientin bzw. dem Patienten durchgeführt, um die Umgangsweise mit Schmerzen und deren Wahrnehmung zu erfassen. Wenn man direkte Zusammenhänge zwischen eigenen Gedanken oder Gefühlen und Schmerzen nicht wahrnehmen kann, kann eine Erweiterung der Analyse durch ein selbst geführtes Schmerztagebuch sinnvoll sein [49]. Im nächsten Behandlungsschritt vereinbaren Therapeut:innen und Patient:innen konkrete Ziele für die angestrebten Veränderungen im Verhalten und gedanklichen Erleben von Schmerzen. Hier können auch Angst-Vermeidungsverhalten oder Durchhaltestrategien adressiert und verändert werden [49]. Die im Zuge der Therapie erarbeiteten adaptiven Strategien werden dann in der letzten Behandlungsstufe im sicheren Rahmen der Therapiesitzungen mit den Patient:innen geübt. Hierfür können beispielsweise die neu erlernten Umgangs- und Verhaltensweisen in Konfrontationsübungen oder Rollenspielen erprobt werden. Besonders bei chronischen Schmerzen geht es hierbei um das Umlernen lang bestehender Gedanken- und Verhaltensmuster. Hausaufgaben können zur schrittweisen Übertragung der Therapieinhalte in den Alltag von Patient:innen förderlich sein [49].

Alternativ oder ergänzend zeigen achtsamkeits- und akzeptanzbasierte Therapieansätzen hohe Wirksamkeitsbelege in der Schmerztherapie. Dabei wird mit Patient:innen eine nichtwertende und gegenwärtige Lebenshaltung geübt. Als besonders wirkungsvoll werden hierbei die MSBR sowie die ACT gesehen, deren Effektivität bei der Behandlung von Schmerzen sogar auf neuronaler Ebene nachgewiesen werden konnte [50]. In der MSBR werden in Bezug auf Schmerzen besondere Elemente der Achtsamkeitsübungen wie Psychoedukation über Achtsamkeit im Alltag, achtsames Atmen, Gehmeditationen, der 3‑Minuten-Atemraum („breathing space“) und der Body Scan durchgeführt. Die ACT hingegen fokussiert v. a. auf schmerzbezogene Vermeidungshaltungen, dysfunktionale Gedankenmuster und Perspektivenverlust [50]. Eine Behandlung im Sinne der ACT erfolgt in 6 Modulen, die jeweils einen eigenen therapeutischen Prozess darstellen. Die aufeinander bezogenen Module umfassen die Behandlung von persönlichen Werten, Commitment diesen Werten oder Lebenszielen gegenüber (Selbstverpflichtung), Schmerzakzeptanz, kognitive Defusion (Abkopplung von maladaptiven Gedankenmustern), Achtsamkeit sowie das Selbst in einem anderen Kontext zu sehen [50].

Fazit

Sozioemotionale und psychologische Faktoren, wie Katastrophisierung, Stress, Mangel an Resilienzfaktoren und Schmerzakzeptanz sowie erlebter Selbstwirksamkeit, spielen eine wesentliche Rolle bei der Entstehung, Aufrechterhaltung und Chronifizierung von Schulter- und Nackenschmerzen. Durch eine multimodale und interprofessionelle Schmerztherapie, z. B. Integration kognitiv-verhaltenstherapeutischer oder achtsamkeitsbasierter Ansätze, kann eine umfassende und komplementäre Symptom- und Ursachenbehandlung stattfinden.