Physiotherapeutische skoliosespezifische Bewegungstherapieansätze („physiotherapy scoliosis specific exercises“, PSSE) und Rumpfstabilisierungsübungen gelten als evident wirksam zur Cobb-Winkel-Reduktion und zur Verringerung der Skolioseprogredienz. Empfehlungen beziehen sich jedoch vorwiegend auf juvenile oder adoleszente Betroffene und mit PSSE ist immer eine Therapieumgebung verknüpft. In dieser Pilot- und Machbarkeitsstudie wird für erwachsene Skoliosepatienten vor dem Hintergrund einer lebenslangen Trainingsnotwendigkeit die Wirksamkeit eines gerätegestützten PSSE im Setting eines Fitnessstudios untersucht.

Hintergrund

Für die konservative Behandlung skoliotischer Wirbelsäulenkrümmungen („conservative treatment for idiopathic scoliosis“, CTIS) werden von der internationalen Dachgesellschaft (International Scientific Society on Scoliosis Orthopaedic and Rehabilitation Treatment, SOSORT) neben der Korsettversorgung („bracing“) auch physiotherapeutische skoliosespezifische Trainingsübungen (PSSE) als evident wirksam und empfehlenswert qualifiziert [1, 2]. Metaanalytisch wurden für spezifisch konfigurierte Rumpfstabilisierungsübungen zwar etwas geringere Effektstärken ermittelt, aber die positive Wirksamkeit konnte gleichfalls attestiert werden [3].

Die Empfehlungen für trainingstherapeutische Interventionen zur Reduktion des Cobb-Winkels bei skoliotischen Wirbelsäulenkrümmungen oder zur Vorbeugung einer Progredienz werden überwiegend für die juvenile oder die idiopathische Adoleszentenskoliose ausgesprochen [1,2,3], wobei sich zeigt, dass sowohl die Rate an Respondern als auch die absoluten Effekte in der Cobb-Winkel-Reduktion bei jüngeren Skoliosepatienten größer waren als bei älteren Jugendlichen [4].

Sportlicher Aktivität i. A. werden nicht nur kollaterale positive Effekte im Sinne einer psychosozialen Lebensqualitätssteigerung und verbesserter kardiopulmonaler Funktion zugesprochen [1,2,3], sondern auch positive und dosisabhängige, skoliosespezische Wirkungen (Cobb-Winkel-Verbesserungen ≥ 5°), wie in einer aktuellen SOSORT-prämierten Arbeit mit korsettversorgten adoleszenten Skoliosepatienten (mit oder ohne PSSE) während eines 1,5-jährigen Follow-up-Beobachtungszeitraum gezeigt werden konnte [5]. Für sportliche Aktivitäten mit ihren positiven psychosozialen Aspekten wird angenommen, dass sportliche – nicht im engeren Sinne therapeutische – Aktivität (z. B. Sportklettern) sich auch positiv auf motivatorische Aspekte auswirken kann, sodass die Adhärenz und Compliance für skoliosekorrigierendes Training gesteigert werden kann [6]. Dech et al. [6] ermittelten für ihre Therapie mit skoliosespezifischen Kletterübungen eine Compliance von 78 % ohne nennenswerte Komplikationen im Sinne unerwünschter Nebenwirkungen bei betroffenen Jugendlichen.

Für erwachsene Skoliosepatienten liegt hier gegenwärtig noch eine Erkenntnislücke vor. Bei Erwachsenen wird angenommen, dass Training im Fitnessstudio als weitverbreiteter Freizeitsport eher als komplementäres Training mit positiven Skoliosewirkungen geeignet sei, die Lebenswirklichkeit von Skoliosepatienten im Erwachsenenalter abzubilden.

Daher hatte die vorliegende Pilot- und Machbarkeitsstudie das Ziel, Wirkungen einer an das gerätegestützte Fitnesstraining angepassten Variante skoliosespezifischer Trainingsübungen (PSSE) auf die axiale Rumpfrotation und den Skoliosewinkel explorativ zu ermitteln, um eine mögliche Vergleichbarkeit mit der Wirkung eines traditionellen ambulanten Schroth-Trainings abzuschätzen. Aus messmethodischen Gründen wurde sich hierbei auf thorakale Skoliosekrümmungen fokussiert [7, 8].

Methodik

Studiendesign

Die Daten wurden im Sinne einer prospektiven Einzelfallvergleichsinterventionsstudie erhoben (Evidenzlevel 4).

Studienteilnehmer

Als Einschlusskriterien für die Teilnahme an einer Intervention wurden definiert: weibliches Geschlecht, Alter ≥ 18 Jahre und ≤ 30 Jahre, thorakal akzentuierte Skoliose mit einem Cobb-Winkel ≥ 25°, Vorerfahrungen mit dem Schroth-Lehnert-Behandlungskonzept [9] zur Sicherung der Körpereigenwahrnehmung und das Einverständnis zur 6‑wöchigen Interventionsteilnahme. Eine aktuell vorliegende Korsettverordnung oder vormalige Skolioseoperationen galten als Ausschlusskriterium.

Drei Probandinnen (EXP 1–3) mit folgenden Personenmerkmalen wurden für die Einzelfallanalysen eingeschlossen und erhielten jeweils eine spezifische Intervention:

  • EXP 1: gerätebasiertes 3‑D-Training in „Face-to-face-1:1-Betreuung“ (initial thorakaler Skoliosewinkel 26°; 23 Jahre; 1,60 m; 54,5 kg; Body-Mass-Index 21,3 kg/m2; 2‑mal Schroth-Reha; Korsett 16.–18. Lebensjahr)

  • EXP 2: gerätebasiertes 3‑D-Training in 1:1-Videocall-Betreuung (initial thorakaler Skoliosewinkel 29°; 25 Jahre; 1,66 m; 70,0 kg; BMI 25,4 kg/m2; 5‑mal Schroth-Reha; Korsett 11.–17. und 20.–21. Lebensjahr)

  • EXP 3: klassisches PSSE nach dem Lehnert-Schroth-Konzept (initial thorakaler Skoliosewinkel 44°; 27 Jahre; 1,61 m; 59,0 kg; BMI 22,8 kg/m2; 2‑mal Schroth ambulant in 2017 und 2021; kein Korsett, aber Aktivliege in Jugendzeit)

Im Einklang mit der Deklaration von Helsinki in ihrer aktuellen Fassung wurden die Probandinnen über Studienziele und -methoden sowie über datenschutzrechtliche Aspekte und die Freiwilligkeit mit der Möglichkeit der Beendigung der Teilnahme ohne Angaben von Gründen aufgeklärt; sie erklärten sich schriftlich zur Studienteilnahme und zur Nutzung ihrer anonymisierten Daten für eine wissenschaftliche Publikation bereit.

Messsysteme

Skoliometer

Zur indirekten Objektivierung der axialen Rumpfrotation (ATR) wurde standardisiert während des Adams-Vorneigetests der thorakale Neigungswinkel mithilfe eines handelsüblichen Inklinometers (Skoliometer GIMA, Gessate, MI, Italien) mit einer Auflösung von 1° erhoben [10]. Das Verfahren gilt als praktikabel und reliabel mit Standardfehlern für wiederholte Tests von 1,3–1,5° [11].

Videorasterstereographie

Die Videorasterstereographie (VRS) gilt als berührungsloses und nichtinvasives Verfahren zur indirekten Erfassung der Wirbelsäulenform, wobei die Krümmungscharakteristik der Rückenoberfläche eine dreidimensionale Rekonstruktion der Lage der Wirbelkörper im Raum (C7 bis L4) ermöglicht [12]. In Analogie zum radiologischen Cobb-Winkel (Strahlengang a.-p.) wird bei der VRS (Formetric, Diers, Schlangenbad, Deutschland) der Skoliosewinkel als eingeschlossener Winkel zweier Tangenten errechnet; bei einer Belichtung der Rückenoberfläche (p.-a.) muss die Orientierung der Konvexkrümmung für direkte Vergleiche mit dem Röntgenbild jedoch gespiegelt werden (Abb. 1). Die VRS gilt als reliabel [13]. Für Skoliosepatienten ergab sich ein Standardfehler für den Skoliosewinkel von 5,2° (ICC = 0,70–0,72) und ein Validitätskoeffizient von r = 0,70 ohne signifikante Unterschiede (p = 0,60) zwischen Cobb- und Skoliosewinkel [8, 14].

Abb. 1
figure 1

Skoliosewinkel von Probandin 1 in der Bildgebung im Röntgen (a), als Illustration im Rasterlinienbild auf der Rückenoberfläche (b) und in der Oberflächenrekonstruktion (c)

Trainingsinterventionen

Probandin 3 erhielt ein klassisches PSSE-Trainingsprogramm (ambulante Schroth-Therapie) im physiotherapeutischen Praxissetting (6 Wochen, 1 Einheit pro Woche, 45 min; [15]). Die Trainingsinterventionen für EXP 1 („Face-to-face-1:1-Betreuung“) und EXP 2 (Videocall-1:1-Betreuung) beinhalteten ein 6‑wöchiges Programm (3 Einheiten à 45 min pro Woche, 4 Übungskomplexe mit einer Intensität von 12–16 auf der RPE-Borg-Skala [16], pro Übung ruhig ausgeführte 5er-Serien, unterbrochen durch 10 s Serienpausen bis zum Erreichen der Übungsdauer von 5 min; Warm-up und Cool-down jeweils 10 min).

Die eigentlichen Trainingsübungen bestanden aus 3‑D-Derotationsübungen an Geräten, wie sie jedem Studio als Grundausstattung dienen (Power-Rack mit Klimmzugstangen, Widerstandszüge/Tubes).

Videorasterstereographisch ließ sich illustrieren, dass das Derotationsmuster der Übungen Einfluss auf die Haltung hatte, sodass die originäre skoliotische Wirbelsäulenkrümmung grundlegend verändert (überkorrigiert) wurde (Abb. 2). Das derotierende Bewegungsmuster kann wie folgt beschrieben werden: 1) zentrales Ausrichten des Beckens über der Unterstützungsfläche, 2) natürliche Lordose, 3) mediales Ausrichten des Beckenkamms, 4) Beckenkämme parallel zur Schulterachse einstellen, 5) Beckenkämme auf gleiche Höhe einstellen (Abb. 2c). Beim Einnehmen der Zielposition ausatmen, 2 s halten und bei der Entlastung einatmen. In Abb. 3 werden die 4 Derotationsübungen in Neutralstellung, in der Ausgangsposition und in der Zielposition illustriert.

Abb. 2
figure 2

Wirbelsäulenformrekonstruktion (Projektionslinien der Videorasterstereographie) von Probandin 1 in Normalhaltung (a), während der Ausübung/Überkorrektur des Derotationsmusters (zu den Ziffern: siehe Fließtext „Trainingsinterventionen“) (b). Korrespondierende 3‑D-Derotationsübung (c)

Abb. 3
figure 3

Derotationsübungen (Übung 1‑4) im Sitz, in Schräglage, im Hang und im Stand (dargestellt von Probandin 1) jeweils in Normalhaltung der Wirbelsäule (a), in der Ausgangsposition zu Übungsbeginn (b) und in der Zielposition der 3‑D-Derotationsübung (c)

Statistische Methoden

Der hier vorliegende einzelfallanalytische Ansatz erlaubt keine Signifikanzaussagen im Sinne einer statistischen Entscheidung mit einer maximal erlaubten Irrtumswahrscheinlichkeit von p = 5 %; allerdings können interventionsabhängige Veränderungen (pre–post) mit 95 %iger Wahrscheinlichkeit gegenüber zufälligen Messfehlern abgesichert werden, indem das Konzept des „minimal detectable change“ (MDC) verfolgt wird [17]. Aus den 3fach wiederholt erhobenen Messdaten (Pretest) wurden das arithmetische Mittel (M) und die Standardabweichung (SD) berechnet, woraus sich der Standardmessfehler (SEM) nach der Formel SEM = SD / √n und im Weiteren der MDC nach der Formel MDC = SEM × 1,96 × √2 berechnen ließ. Liegt ein Posttest-Messwert (ebenfalls M aus 3 Wiederholungen) außerhalb des MDC-Vertrauensintervalls, darf mit 95 %iger Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die Veränderungen wahrhaftig und nicht messfehlerbedingt waren.

Ergebnisse

Die Ergebnisse wurden tabellarisch (Tab. 1) und grafisch aufbereitet (Abb. 4). Unter Berücksichtigung der MDC-Vertrauensintervalle konnten für EXP 2 (∆ −9°) und EXP 3 (∆ −6°) gegen Messfehler abgesicherte, wahrhaftige Veränderungen im Skoliosewinkel (VRS) dokumentiert werden, was als Responder-Verhalten gedeutet wird. Für EXP 1 galt dies nicht (∆ −1°). Im ATR-Neigungswinkel wurde eine wahrhaftige und bedeutsame Veränderung nur für EXP 3 (∆ −8°) festgestellt (Responder). Formal waren auch die ATR-Verringerungen bei den Probandinnen mit dem Fitnessstudio-PSSE-Konzept größer als der MDC-Vertrauenskorridor, die Verbesserungen vom Betrag her jedoch nur gering (EXP 1: ∆ −2°; EXP 2: ∆ −1°).

Tab. 1 Pre- und Posttest-Ergebnisse mit MDC-Vertrauenskorridor der Probandinnen
Abb. 4
figure 4

Der Skoliometerneigungswinkel (ac) und der Skoliosewinkel (df) der drei Probandinnen (EXP 1–3) mit Pre- und Posttestergebnissen (durchgezogene Linien) und dem MDC-Vertrauensintervall (gestrichelte Linien mit Fehlerantennen)

Diskussion

Ziel dieser Pilotmachbarkeitsstudie war die explorative Wirkungsanalyse eines neuartig konzipierten 3‑D-Fitness-Derotationstrainings in Präsenz- bzw. telemetrischer 1:1-Betreuung, um Vergleiche mit einem konventionellen ambulant durchgeführten Schroth-Training abzuwägen.

Nach einem 6‑wöchigen ambulanten Schroth-Training ergaben sich klinisch bedeutsame Verbesserungen im VRS-Skoliosewinkel (EXP 3). Vergleichbare Verbesserungen konnten auch für eine von zwei Probandinnen beobachtet werden, die nach dem gerätebasierten Fitnessstudiokonzept trainiert haben (EXP 2), nicht jedoch für die weitere Probandin (EXP 1), die in diesem Sinne als Nonresponder bezeichnet werden darf. Relevante Trainingswirkungen im Hinblick auf den ATR-Neigungswinkel wurden für das traditionelle Schroth-Training beobachtet (EXP 3); für das gerätebasierte PSSE waren die Verbesserungen vernachlässigbar klein (EXP 1, EXP 2). Zu beachten ist, dass die Schroth-Probandin vor Therapiebeginn mit 44° die ausgeprägteste thorakale Skoliose aufwies, während die beiden Studio-PSSE Probandinnen initial thorakale VRS-Skoliosewinkel von unter 30° hatten. Da die vorliegenden Einzelfalldaten nicht verallgemeinert werden dürfen, können Einordnungen mit gruppenstatistischen Daten aus der Literatur nur vorsichtig vorgenommen werden.

Monticone et al. [18] empfehlen anhand ihrer einjährigen Follow-up-Untersuchungen ein aufgabenorientiertes Wirbelsäulentraining mit aktiver Haltungsselbstkorrektur, allerdings für Betroffene mit einer milden Skoliose und vor ihrer Skelettausreifung. Auch Schreiber et al. [19] konstatieren einer additiven halbjährigen Schroth-Therapie in Relation zur alleinigen Standardversorgung eine vorteilhaftere Wirksamkeit zur Cobb-Winkel-Verringerung, allerdings auch für AIS-Patienten im Alter von 10 bis 18 Jahren. Bei Liu et al. [4] wird deutlich, dass die größten Effekte nach einem spezifischen Programm („Xinmiao treatment system“) im Hinblick auf eine Cobb-Winkel-Reduktion und bei der Responder-Rate in den jüngsten Patientengruppen zu beobachten waren. Allgemein anerkannt wird, dass PSSE-Programme (z. B. das deutsche Schroth-Konzept, aber auch andere Programme wie das SEAS aus Italien, das BSPTS aus Spanien, das FITS aus Polen u. w.) eine temporäre Verzögerung bei Skolioseprogression oder eine temporäre Reduktion des Cobb-Winkels bei nichtprogredienten Skoliosen bewirken können [20]. Für das Alterssegment der Patienten mit adulter idiopathischer Skoliose (ADIS) konnten in einer mehrjährigen Kohortenstudie ebenfalls positive Effekte (68 % Responder, ∆ −4,6 ± 5,0° Cobb-Winkel-Reduktion) für skoliosespezifische Übungen (SEAS) beobachtet werden [21]. Die vorliegenden Einzelfallbefunde (∆ −1 bis −9°) könnten sich hier einreihen.

Unsere Einzelfallbeobachtungen legen nahe, dass das Training im Fitnessstudio-Setting bei Erwachsenen mit ausgereiftem Skelettwachstum durchaus zu vergleichbaren Verbesserungen des Cobb-Winkels führen kann wie ambulantes Schroth-Training, aber auch, dass es nicht nur Responder gibt.

Limitationen

Die vorliegende Machbarkeitsstudie hat wesentliche Limitierungen.

  • Eine Verallgemeinerbarkeit von Einzelfallanalysen ist nicht gegeben.

  • Messmethodisch begründet konnten nur Personen mit prominent thorakaler Skoliose inkludiert werden.

  • Damit die 1:1-Betreuung – ohne physiotherapeutisch-manuelle Korrekturen – machbar ist, mussten die inkludierten Probandinnen sensibilisiert für ihre Körperselbstwahrnehmung sein und somit ausgeprägt gute Vorerfahrungen mit dem PSSE-Konzept nach Schroth-Lehnert haben.

Ausblick

Die explorativ gewonnenen Einzelfallerkenntnisse können hypothesenbildend genutzt werden, um in einer größer angelegten Interventionsstudie Effekte im Fitnessstudio-Setting zu überprüfen und dabei auch die Adhärenz und Compliance über einen längeren Zeitraum zu erfassen, sodass sich eine Perspektive für ein komplementäres skoliosespezifisches Training im Fitnessstudio für Patienten mit ADIS ergeben könnte.

Fazit für die Praxis

  • Die Machbarkeit eines 3‑D-Skoliosetrainings im Fitnessstudio-Setting konnte exemplarisch gezeigt werden.

  • Wirkungen auf den Skoliosewinkel und die ATR lagen im Einzelfall vor.

  • Weiterführende Überprüfungen sind zwingend.