In der ärztlichen und physiotherapeutischen Befunderhebung ist die Untersuchung der „Beweglichkeit“ eines Gelenks, eines Bewegungssegments der Wirbelsäule oder eines Wirbelsäulenabschnitts ein wichtiger Schritt zur Festlegung weiterer Untersuchungen. Der Begriff „Beweglichkeit“ wird dabei nach Harke et al. [8] primär als Oberbegriff für das Bewegungsausmaß und die Freiheitsgrade eines Gelenks genutzt.

So wie die individuelle Gesamtbeweglichkeit von vielen Faktoren abhängig ist, u. a. von Alter und Geschlecht, können auch die Ursachen einer Einschränkung der „Beweglichkeit“ vielfältig sein. Diese lassen sich dann über die gezielte Untersuchung des Gelenks und relevanter myofaszialer Strukturen weiter eingrenzen.

Für die Untersuchung der Wirbelsäule gehören das Ott-Zeichen (OZ) und das Schober-Zeichen (SZ) zum Grundwissen von Ärzten und Therapeuten. Beide Funktionstests sind in der aktuellen orthopädischen und physiotherapeutischen Grundlagenliteratur zu finden [2, 5,6,7]. So gelten OZ und SZ – scheinbar unbestritten – als Funktionstests für die Mobilität der thorakalen und lumbalen Wirbelsäule. Der Begriff Mobilität steht dabei für die „Beweglichkeit“ eines Wirbelsäulenabschnitts.

Bartrow [2] gibt als Indikationen für die Messung des OZ an:

  • Skoliotische Veränderungen der Wirbelsäule

  • Entzündlich-rheumatische Erkrankungen (z. B. M. Bechterew, M. Scheuermann)

  • Atemwegserkrankungen

Für die Messung des SZ gibt er an:

  • Unspezifischer Rückenschmerz

  • Entzündlich-rheumatische Erkrankungen

Für das OZ werden am stehenden Patienten Hautmarken über dem DFS C7 und 30 cm weiter nach kaudal aufgetragen. Bei maximaler Flexion wird erwartet, dass sich dieser Abstand um 2–4 cm vergrößert und bei Extension um 1–2 cm verringert. Für das SZ werden am stehenden Patienten Hautmarken über dem DFS S1 und 10 cm weiter nach kranial aufgetragen. Bei maximaler Flexion wird erwartet, dass sich dieser Abstand um 3–5 cm vergrößert und bei Extension um 1–3 cm verringert [5].

Für beide Tests wird eine Bewegungseinschränkung bei degenerativen entzündlichen Veränderungen der Wirbelsäule beschrieben [5].

Dabei weist Bartrow [2] darauf hin, dass bei diesen Messungen weder Elastizität und Beweglichkeit der Haut noch sonstige Variablen berücksichtigt werden und somit die Aussagekraft zu relativieren ist.

Schildt-Rudloff u. Harke [16] erkennen den Wert dieser Messungen in Verlaufsbeobachtungen bei ausgedehnten Bewegungsminderungen und sehen die Hauptursachen für diese in Verspannungen und Verkürzungen relevanter Muskeln dieser Regionen. Trotz kontroverser Diskussionen könnten es aber sinnvolle Assessments sein, wenn sie funktionelle Aspekte der Mobilität abbilden würden.

In Abb. 1 sind das OZ und das SZ mit den beiden Referenzpunkten DFS C7 und DFS S1 und den entsprechenden Hautmarkierungen im Stand sowie die zu erwartenden Veränderungen der standardisierten Messstrecken bei Vorbeuge und Rückbeuge dargestellt.

Abb. 1
figure 1

Ott-Zeichen und Schober-Zeichen (© Schielke, verändert nach Buckup 2008)

Modifikationen

Inzwischen existieren verschiedene Varianten des SZ.

So wurde der ursprüngliche Test erstmals von Macrae u. Wright [10] und später von Moll u. Wright [11] modifiziert. Das „modifizierte“ SZ misst am stehenden Patienten 10 cm oberhalb und 5 cm unterhalb des Iliosakralgelenks. Der Referenzpunkt wird dabei durch eine Verbindungslinie zwischen den beiden SIPS aufgefunden. Der bei nicht eindeutigem Auffinden des Iliosakralgelenks möglicherweise entstehende Fehler wird dadurch minimiert.

Eine weitere Modifikation erfolgte durch Williams et al. [21]. Der nunmehr „modifizierte modifizierte“ Test nach Schober misst am stehenden Patienten, wieder von einer Verbindungslinie zwischen den beiden SIPS ausgehend, 15 cm oberhalb die zweite Hautmarke ein.

Später schlugen Oesch et al. [12] für die Messung in Flexion und Extension eine Skalierung in Millimetern vor, um Fehler gegenüber Rundungen auf Zentimeter zu minimieren.

Diese modifizierten Varianten des SZ sind jedoch nur in ausgewählten Fachbeiträgen beschrieben und scheinen v. a. dem leichteren Auffinden des kaudalen Messpunktes geschuldet zu sein. In den dem Autor bekannten Lehrbüchern und Lehrformaten sowie in der praktischen Arbeit wurden beide Zeichen stets in ihrer ursprünglichen Beschreibung vermittelt und verwendet.

Da beide Tests in der Praxis häufig zu keinen verwertbaren Ergebnissen führten und sich aus diesen Untersuchungen auch keine nachvollziehbaren Therapieoptionen ergaben, wurden sie vom Autor einer kritischen Betrachtung unterzogen.

Validität

In der quantitativen Forschung gibt es die drei Hauptgütekriterien Validität, Reliabilität und Objektivität.

Die Validität prüft die Gültigkeit einer Messung, stellt also die Frage, ob der Test tatsächlich das misst, was er messen soll. Denn nur bei einem validen Test sind die Messergebnisse interpretierbar. Bei der inhaltlichen (oder logischen) Validität sind die Aufgaben des Tests inhaltlich identisch mit den Merkmalen, die durch den Test erfasst werden sollen. Die Begründung erfolgt also nach Rey [15] argumentativ und nicht empirisch numerisch. Ein Aspekt der inhaltlichen Validität ist die Augenscheinvalidität („face validity“). Sie bezieht sich auf die Frage, ob auch für Laien offensichtlich ist, welche Merkmale durch den Test erfasst werden sollen. Sie spiegelt also die augenscheinliche Plausibilität oder unmittelbare Evidenz der Passung der Testinhalte zum erfassten Konstrukt wider [22].

Grundsätzlich stellt sich für die Augenscheinvalidität die Frage, ob fest definierte Messstrecken, 30 cm für das OZ und 10 cm für das SZ, überhaupt individuell unterschiedliche anatomische Verhältnisse (Körpergröße, anatomische Varianten) korrekt abbilden können.

Zuerst wurde durch den Autor untersucht, bei welchen anatomischen Verhältnissen die standardisierten Messstrecken für das OZ und das SZ im aufrechten Stand überhaupt den Bereich der BWS und der LWS vollumfänglich abbilden. Dies traf bei männlichen Skeletten von ca. 170 cm Größe (z. B. Modell „Bert“ von Galaxymed) recht genau zu.

Dann nahm der Autor Messungen an Schülern und Studenten der Physiotherapie im aufrechten Stand vor. Diese erfolgten im Zeitraum von 2018 bis 2022 auf freiwilliger Basis im Rahmen von insgesamt 6 Lehrveranstaltungen. Dabei wurde jeweils in Dreiergruppen gemessen, sodass jeder Proband 2‑mal von den beiden anderen Gruppenteilnehmern und ein 3. Mal vom Autor vermessen wurde. Bei unterschiedlichen Messergebnissen wurde der Durchschnitt ermittelt. Es wurde eine Skalierung in 5‑mm-Schritten vorgenommen und alle Ergebnisse wurden entsprechend gerundet. Die Instruktionen zum sicheren Auffinden der DFS C7 und DFS S1 orientierten sich an den Palpationsgängen von Reichert [14] und wurden vorher mehrfach vom Autor demonstriert und in Dreiergruppen geübt.

Erfasst wurden zuerst Geschlecht, Alter und Körpergröße der Teilnehmer. Nach Abschluss aller Messungen wurde der Anteil der Probanden errechnet, bei denen durch das OZ und SZ die BWS und LWS korrekt erfasst wurden. Weiterhin wurde die Strecke ermittelt, die durch das OZ und SZ bei den Teilnehmern durchschnittlich nicht erfasst wurde (Tab. 1).

Tab. 1 Messwerte bei Anwendung der standardisierten Messstrecken für das OZ und das SZ im Stand

Aus Tab. 1 ist ersichtlich, dass nur bei 8 % der untersuchten Frauen und bei 0 % der Männer OZ und SZ die zu messenden Wirbelsäulenabschnitte vollumfänglich abbildeten. Aufgrund der Anatomie der Wirbelsäule (Größe und Stellung der Wirbelkörper) ist der größte Teil der nichterfassten Strecke der unteren BWS zuzurechnen. Dieser Abschnitt weist allerdings funktionell die höchste Beweglichkeit auf.

Nach Hochschild [9] sind die DFS von Th 10 und Th 11 kürzer und verlaufen nicht mehr so steil wie die darüberliegenden und der 12. DFS verläuft annähernd horizontal. Da die beiden kaudalsten Rippenpaare frei zwischen den Muskeln der Bauchwand enden und die Knorpelanteile zwischen Rippen und Sternum im Abschnitt Th 9–Th 12 sehr groß sind, ist hier eine ausgeprägtere Verformung möglich.

Das bedeutet, dass das OZ die funktionelle Beweglichkeit der BWS zu messen vorgibt, den relevantesten Teil jedoch teilweise nicht erfasst.

Weshalb ergaben aber beide Tests in den 1940er Jahren verwertbare Ergebnisse?

Zuerst soll die Entwicklung der Körpergröße zwischen 1896 und 1996 betrachtet werden.

Im Betrachtungszeitraum von 1896 bis 1996 ist ein deutlicher Zuwachs der Körpergröße bei Frauen und Männern zu beobachten, der sich zum Ende allmählich verringerte (Abb. 2 und 3).

Abb. 2
figure 2

Entwicklung der Körpergröße deutscher Frauen der Geburtsjahrgänge 1896–1996 [3]. (Der blaue Pfeil markiert den ungefähren Zeitraum der Entwicklung des OZ und SZ.)

Abb. 3
figure 3

Entwicklung der Körpergröße deutscher Männer der Geburtsjahrgänge 1896–1996 [4]. (Der blaue Pfeil markiert den ungefähren Zeitraum der Entwicklung des OZ und SZ.)

Die Erstbeschreibung des SZ lässt sich auf das Jahr 1937 datieren [17], für das OZ ist die Erstbeschreibung nicht bekannt. In den 1940er Jahren, also im ungefähren Zeitraum der Entwicklung des OZ und SZ, lag die durchschnittliche Körpergröße der Frauen bei 161–163 cm, die der Männer bei 170–174 cm (Abb. 2 und 3).

Für das Jahr 2021 betrugen laut Mikrozensus [18, 19] die Durchschnittsgrößen in der Altersgruppe 20–25 Jahre für Frauen 167,5 cm und für Männer 181,4 cm.

In den letzten 80 Jahren ist also ein Wachstumszuwachs von ca. 6 cm bei Frauen und ca. 9 cm bei Männern zu verzeichnen. Diese 9 cm entsprechen bei den Männern ziemlich genau dem mit dem OZ und SZ durchschnittlich nichterfassten Wirbelsäulenabschnitt aus Tab. 1.

Wird nun die ursprüngliche Testindikation Morbus Bechterew betrachtet, galt diese lange Zeit als Männerkrankheit und wurde erst diagnostiziert, wenn bereits röntgenologisch sichtbare knöcherne Veränderungen in den Sakroiliakalgelenken und/oder der Wirbelsäule sichtbar waren. Durch modernere Diagnosemöglichkeiten (MRT, Szintigraphie und Laborparameter) können heute chronische Entzündungen deutlich vor den radiologisch sichtbaren Veränderungen festgestellt und schon im Frühstadium behandelt werden. Dies zeigt sich auch in den aktuellen ASAS-Kriterien zur Klassifikation der axialen Spondyloarthritis [20].

Mit den ursprünglichen (radiologischen) Diagnosekriterien wurden Frauen oft gar nicht erfasst, da es im Krankheitsverlauf geschlechtsspezifische Unterschiede gibt. Durch neuere Studien wurde das Verhältnis von betroffenen Männern zu betroffenen Frauen von ursprünglich etwa 10:1 [13] auf bis zu 1:1 [1] korrigiert, wobei sich auch in neuerer Literatur noch eine scheinbar ungleiche Geschlechterverteilung findet [22].

Für die ursprüngliche Patientengruppe, für die die Tests in den 1940er Jahren entwickelt wurden, ergibt sich ein männlicher Patient mit einer Körpergröße zwischen 1,70–1,74 m. In Abb. 4 wird der Einfluss verschiedener Körpergrößen auf das OZ und SZ deutlich.

Abb. 4
figure 4

Einfluss der Körpergröße auf das Ott-Zeichen (Klammer ocker) und Schober-Zeichen (Klammer rot) im Stand. (© Schielke)

Bei einer Körpergröße im Bereich zwischen 1,66 m und 1,74 m (abhängig von den Körperproportionen) können das OZ und das SZ die thorakale und lumbale Wirbelsäule relativ genau beschreiben (Abb. 4a).

Ab einer Körpergröße von ca. 1,74 m wird ein Abschnitt der Wirbelsäule nicht erfasst (Abb. 4b, leerer Pfeil), wogegen bei einer Körpergröße unter ca. 1,66 m ein Wirbelsäulenabschnitt doppelt erfasst wird (Abb. 4c, gefüllter Pfeil).

Fazit und Ausblick

Das OZ und das SZ sind keine validen Tests zur Messung der Mobilität der thorakalen und lumbalen Wirbelsäule. Trotzdem ist ein zuverlässiger Test zur Diagnostik und zuverlässigen Verlaufsdokumentation eines Therapiefortschritts sinnvoll.

Zukünftig sollte ein Test zur Messung der Mobilität der thorakalen und lumbalen Wirbelsäule entwickelt werden, der sich ausschließlich an anatomischen Referenzpunkten orientiert und funktionelle Beweglichkeitsmaße und ihre Veränderungen definiert.