Liebe Leserin,

lieber Leser,

wenn Sie diese Ausgabe vor sich haben, ist wieder ein Jahr bald zu Ende. Hinter uns liegen 3 Jahre, in denen COVID-19 (SARS-CoV-2) das offizielle Leben in aller Breite und Tiefe stark beeinflusst hat. Maßgeblich beeinflusst wurden auch der Patientenkontakt, die Fort- und Weiterbildungstätigkeit und nicht zuletzt der wissenschaftliche Austausch, obwohl viel getan wurde, über die digitalen Medien einen Ausgleich zu schaffen. Die Fédération Internationale de la Médicine Manuelle (FIMM) hatte zu wissenschaftlichen Webveranstaltungen eingeladen. Die European Scientific Society of Manual Medicine (ESSOMM, www.essomm.eu) konnte in ihren regelmäßigen Spezialistentreffen das „European core curriculum and principles of Manual Medicine“ fertigstellen und Open Access in Manuelle Medizin veröffentlichen.

Europäischer Kongress Manuelle Medizin – Leipzig 2023

Bei unseren MM-Gesellschaften wuchs der Wunsch zur Wiederaufnahme des direkten Gedankenaustausches und gegenseitiger Demonstration von Untersuchungs- und Behandlungstechniken, wie es vor Corona regelmäßig auf unseren MM-Kongressen üblich war.

Die DGMM und die ESSOMM haben sich über die Personalunion unseres DGMM-Präsidenten Prof. Dr. Hermann Locher, der auch Präsident der ESSOMM ist, entschlossen, zu einem „Europäischen Kongress Manuelle Medizin 2023“ einzuladen. Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz hatten sich noch im letzten Jahr getroffen, um den Ersten Europäischen Kongress für Manuelle Medizin / First European Congress of Manual Medicine in Leipzig 2023 vorzubereiten. In äußerst konstruktiver Stimmung mit seminarübergreifender Brückenbildung und internationaler Konsensfindung wurden die personellen Eckpositionen für den Kongress in Leipzig einschließlich der Struktur des wissenschaftlichen Programms inklusive der Workshops erstellt.

Der Kongress soll am 21. und 22. April 2023 in Leipzig im Hotel Marriott stattfinden. Es wird hochrangig besetzte Plenarvorträge, Sitzungen mit wissenschaftlichen Beiträgen und ein reiches Spektrum an Workshops geben. Insbesondere für die weiter entfernt wohnenden ausländischen Kollegen besteht die Möglichkeit, die Kongressbeiträge virtuell über Streaming von zu Hause aus zu verfolgen. Die Beiträge werden simultan deutsch-englisch übersetzt.

Kongressbeiträge werden per Streaming zur Verfügung gestellt und simultan deutsch-englisch übersetzt

In Vorbereitung des Kongresses gab es auch Gespräche mit der International Academy of Manual/Musculoskeletal Medicine (IAMMM), um in Zukunft gemeinsame Wege bei der weiteren Entwicklung der manuellen Medizin zu beschreiten.

Die DGMM und der Kongresspräsident Prof. Locher laden alle Manualmediziner und alle nationalen Gesellschaften als Mitglieder der ESSOMM nach Leipzig ein. Leipzig ist verkehrsgünstig europazentral angebunden, das Kongresshotel befindet sich in der Stadtmitte, direkt gegenüber dem Bahnhof. Über das Streaming besteht die einmalige Möglichkeit, die auf dem Kongress präsentierten Ergebnisse europaweit zu verbreiten. Weitere Informationen zur Kongressanmeldung, zu den Veranstaltungen und zur Kongressbetreuung sowie zu den Übernachtungsmöglichkeiten können Sie der Kongresswebsite (https://dgmm-kongress.de/) entnehmen.

Sie sind ganz herzlich eingeladen.

„Evidence(-based medicine) in manual medicine/manual therapy“

Die Techniken und Methoden der manuellen Medizin sind vielfältig und zahlreich. Daher ist es notwendig, den auf Anatomie und Physiologie basierenden wissenschaftlichen Hintergrund zu skizzieren, ihre Wirksamkeit in klinischen Studien nachzuweisen und dies zu publizieren, um die manuelle Medizin in komplexe klinische Therapieschemata zu implementieren. [1]

Diese Aussage charakterisiert auch die Aufgabe unserer Zeitschrift, die sie nun schon im 60. Jahr nach ihrer Gründung parallel zu anderen internationalen relevanten Zeitschriften erfüllt. Dies konnte und kann sie nur erfüllen, wenn sich viele Autoren und Diskutierende aus Wissenschaft, Lehre und Praxis an der Wissensgenerierung und an den Diskussionen beteiligen. Sie als Leser können am besten einschätzen, inwieweit dies gelungen ist.

In der heutigen Ausgabe werden verschiedene Themenkreise angesprochen.

Coenen et al. stellen ein manualtherapeutisches Basiskonzept für die ärztliche und physiotherapeutische Praxis vor: „Manuelle Medizin: Therapie der Wahl bei infantiler Zerebralparese“. Eine ihrer in der Praxis bestätigten Folgerungen lautet: „Eine Verbesserung der Haltungs- und Bewegungsleistung bei infantiler Zerebralparese wird erreicht durch die manualmedizinische Behandlung reversibler Dysfunktionen an den sensorischen Schlüsselregionen der Wirbelsäule und Behandlung der physikalischen Veränderungen an den Weichteilstrukturen.“

Mokov u. Weiberlenn, die sich schon einmal mit dem Thema der Integration des Leitbahnkonzepts der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) in die Verfahren der modernen manuellen Medizin beschäftigten, haben an dieser spannenden Thematik weitergearbeitet und stellen uns die „Manualmedizinische Leitbahntherapie im viszeralen Bereich“ vor. Sie berichten: „Auf Basis moderner manualmedizinischer Verfahren wurde ein System manueller Diagnostik und Behandlung von Funktionsstörungen entwickelt, in dem komplexe individuelle funktionspathologische Befundmuster als zusammenhängende Zeichen einer Energieflussstörung nach dem TCM-Leitbahnkonzept angesehen werden.“ Dabei sehen die Autoren den traditionellen TCM-Begriff des Energieflusses in den Leitbahnen als „symbolische Umschreibung empirisch feststellbarer klinischer Äußerungen neurovegetativer reflektorischer Vorgänge und ihrer Reaktionen auf manualmedizinische Einflussnahme“.

Congost et al. liefern uns einen auf 30-jähriger Erfahrung beruhenden Bericht zum Thema „Kaufunktion, Kiefergelenk und CMD – der Weg zum funktionell gesunden Kauorgan: It’s all about chewing!“ Der Autor möchte uns zeigen, wie die biologischen Faktoren, d. h. die Biomechanik des Kausystems, in einer Weise berücksichtigt, beeinflusst und gestaltet werden kann, dass ein Großteil der Patienten, die an einer kraniomandibulären Dysfunktion leiden, allein damit ursächlich behandelt werden kann.

So fügt sich Erkenntnis an Erkenntnis und Erfahrungen erweitern sich im Sinne eines kontinuierlichen langen Prozesses zu einer evidenzbasierten Medizin (EBM). „EBM ist die gewissenhafte, explizite und vernünftige Nutzung moderner, bester Evidenz bei Entscheidungen über die Versorgung einzelner Patienten. EBM integriert klinische Erfahrung und Patientenwerte mit den besten verfügbaren Forschungsinformationen. … Die Praxis der evidenzbasierten Medizin ist ein Prozess des lebenslangen, selbstgesteuerten, problemorientierten Lernens in denen die Betreuung der eigenen Patienten den Bedarf an klinisch wichtigen Informationen über Diagnose, Prognose, Therapie und andere klinische und gesundheitliche Probleme …“ [2]. Zu den eingangs erwähnten vielfältigen Techniken und Methoden der manuellen Medizin gibt es eine schier unübersichtliche Anzahl von Studien mit ebenfalls unterschiedlicher Zielstellung.

Beyer, Loudovici-Krug u. Vinzelberg haben aus den sich in der Literatur der letzten 20 Jahre angehäuften Ergebnissen ca. 80 Reviews (mit mehreren Hundert Einzelstudien und insgesamt Tausenden Patienten) mit relevanter Fragestellung (Wirkung auf unteren Rückenschmerz, Nackenschmerz, Extremitätenschmerz, temporomandibuläre Dysfunktion) ausgesucht, evaluiert und die Ergebnisse tabellarisch dargestellt: „Evidence(-based medicine) in manual medicine/manual therapy – a summary review“. Aufgrund des verfügbaren wissenschaftlichen Materials kann geschlussfolgert werden, dass ein allgemeiner EBM-Level III verfügbar ist, wobei individuelle Studien die Stufe II oder Ib erreichen, was die Voraussetzung und Fähigkeit schafft, diagnostische und therapeutische Techniken der MM zu validieren. Der Beitrag ist Open Access publiziert.

Mit besten Wünschen für den Jahreswechsel

L. Beyer