Eine wesentliche Spezifik, die den Menschen von allen anderen Säugetieren unterscheidet, ist seine im Laufe der Evolution erworbene Bipedie. Diese hat sich vor ca. 3 Mio. Jahren entwickelt [17]. Obwohl die Bipedie augenscheinlich energetische [19] und biomechanische [18, 25] Nachteile gegenüber der Quadrupedie aufweist, überwogen dennoch die Vorteile. Ob die durch die frei werdenden Arme effektivere Nahrungsaufnahme [10], die durch die Aufrichtung verminderte Sonneneinstrahlung und damit ein verringerter Hitzestau [30] oder andere evolutionäre Vorteile hier die ausschlaggebenden Faktoren waren, ist nach wie vor Gegenstand wissenschaftlicher Diskussionen. Durch die geänderte biomechanische Beanspruchung erfolgten anatomische Anpassungsvorgänge, die v. a. im Becken und in den Beinen zu einer Massenzunahme führten. Auch die Füße veränderten anforderungsbedingt ihre Anatomie: die Greiffunktion der Zehen ging durch die Eingliederung der Großzehe in den Zehenverbund der restlichen Zehen zwar verloren [21], jedoch wurde damit die Standfestigkeit deutlich verbessert [11]. Es gibt Hinweise darauf, dass unsere hominiden Vorfahren bereits über ein federndes Fußgewölbe verfügten [32], was durch einen sich ebenfalls adaptierenden Muskel- und Halteapparat ermöglicht wurde. All diese evolutionären Vorgänge haben sich jedoch in einer natürlichen Umgebung, also auf weichen und federnden Böden, und ohne heutiges Schuhwerk entwickelt [34].

Inwieweit diese Anpassungsprozesse dem täglichen Leben unserer Zeit entsprechen oder ob es immer noch Reserven gibt, um den menschlichen Gang in einer modernen Lebens‑, Industrie- und Arbeitswelt funktionell und energetisch zu optimieren, bleibt zu hinterfragen.

Hinweise darauf ergeben sich aus Studien, bei denen gezeigt werden konnte, dass, obwohl für den Gesamtorganismus während der Lokomotion ein energetisches Optimum bei ca. 4,5 km/h existiert [1, 4], dieses auf muskulärer Ebene so nicht nachweisbar ist [5]. Offensichtlich sind andere als rein lokomotorische Funktionen hier von Bedeutung. Dennoch kann man aufgrund der besonderen Kontaktfunktion der Füße annehmen, dass sich die Morphologie des menschlichen Fußes bereits optimal an die Anforderungen der bipedalen Lokomotion angepasst hat, um eine optimale Balance zwischen Mobilität und Stabilität zu gewährleisten. Allerdings haben sich die Lebensumstände der Menschen in vergleichsweise kurzer Zeit dramatisch verändert, indem Gebiete besiedelt und befestigte Wege und Behausungen errichtet wurden. Insbesondere innerhalb der letzten ca. 200 Jahre hat noch einmal eine dramatische Erhöhung der Veränderungsgeschwindigkeit stattgefunden, die aktuell durch Lokomotion über feste Untergründe, dem Tragen von eher modischem als funktionellem Schuhwerk, durch allgemeine Bewegungsarmut hervorgerufene muskuläre Degeneration sowie einem hohen Anteil statischer Belastungen gekennzeichnet ist und somit der Evolution bis dato kaum Zeit gab, sich hierfür anzupassen.

Unbestritten bleiben die bereits genannten Vorteile der Bipedie [20, 28, 31], jedoch ist der lange Hebel des Körpers im Vergleich zum kurzen Hebel der Füße auf eine optimale anatomische Stellung der Knochen des Fußes und seiner frühzeitigen pyramidalen Aufrichtung zwecks elastischer Aufrichtung angewiesen [25].

Abgeleitet aus empirischen Beobachtungen an betagten Schwindelpatienten wurde nach anatomischen Studien hypothetisiert, dass eine Kipprotation des Calcaneus beim Gehen eine Aufrichtung der Fußpyramide zur Folge hat, was Voraussetzung für die Entspannung des interossären Bandes zwischen unterem und oberem Sprunggelenk ist. Das Lig. talocalcaneum interosseum ist gemäß Kapandji 2009 [14] das Band mit den meisten Propriozeptoren des menschlichen Körpers und für die Einstellung des Fußes auf den Untergrund zuständig. Die beschriebene Kipprotation im unteren Sprunggelenk war die Grundlage zur Entwicklung einer auf den Rückfuß und dessen Muskel‑, Bänder- und Faszienstrukturen wirkenden Gangjustierhilfe, die eben dieses Rotationskippmoment seitengleich in den Bewegungsablauf inkludiert wissen wollte (Abb. 1). Der gedankliche Ansatz der an dieser Stelle eingebrachten Impulssituation ist eine frühe Aufrichtung der Fußpyramide bereits beim Initialkontakt, sodass dadurch ein symmetrisches, ökonomisches Gehen ermöglicht werden kann. Die sog. Augmentation fördert die optimale Abrollbewegung des Fußes beim Gehen, indem sie so auf den Fersenknochen einwirkt, dass dieser leicht nach außen bewegt wird und der Fuß in der Folge über den Außenrand abrollt. Dies bewirkt im Fuß eine Aufrichtung des Fußgewölbes sowie eine verbesserte Statik des Fußes während der Standphase und infolgedessen eine Symmetrisierung des Gangbildes.

Abb. 1
figure 1

Gangjustierhilfen in unterschiedlichen Größenausführungen (oben). Repräsentative Darstellung der Positionierung der Gangjustierhilfe im Rückfußbereich (unten)

Das zugrunde liegende mathematische Modell zur Symmetrisierung wird abstrahiert dargestellt durch die Lemniskate nach Bernoulli, die für den Fall einer strengen Symmetrie in der Position zweier Ausgangspunkte eine liegende Acht ergibt [16]. Das Verlassen dieser Symmetrie führt zu einer Lageänderung der resultierenden geometrischen Form, die auf die Gangmechanik übertragen bedeutet, dass unsymmetrische Lastangriffspunkte (also direkt zum initialen Fersenaufsatz) ebenfalls unsymmetrische Lastkompensationsvektoren im weiteren zeitlichen Verlauf der Standphase zur Folge haben. Gerade der initiale Bodenkontakt entscheidet also darüber, welche reflektorischen Korrekturmaßnahmen eingeleitet werden müssen, um die Standphase zu stabilisieren.

Die Unterstützung der optimalen Positionierung der Knochenpyramide des Fußes und die aus der Optimierung der Statik folgende Symmetrisierung des Gehens wurden nun um die Stabilisierungsnutzung in der Standphase erweitert und in der vorliegenden Untersuchung überprüft. Gesucht wurde ein möglichst standardisiertes Versuchsumfeld mit standardisierten Bewegungsbedingungen, um mithilfe eines einheitlichen Schuhs mit und ohne Augmentation die Hypothese zu überprüfen, dass das Einbringen einer gangjustierenden Bewegungshilfe (ab jetzt Gangjustierhilfe genannt) Einfluss auf die muskuläre Aktivität der in der ersten Studie als relevant für das Gehen detektierten Unterschenkelmuskeln und deren kokontraktive Zusammenarbeit sowie die posturale Kontrolle beim Gehen hat. Im Sinne einer Verbesserung wäre jegliche Veränderung zu interpretieren, die entweder zu einer Aufwandsminimierung oder zu einer Symmetrisierung der untersuchten Parameter führt.

Methodik

Bei der Untersuchung handelt es sich um eine Interventionsstudie im Messwiederholungsdesign mit Kontrollgruppe.

Probanden

Für die Studie wurden insgesamt 47 Probanden als studientauglich identifiziert, von denen sich 30 bereit erklärten, an der Untersuchung teilzunehmen. Die Probanden sollten männlich sowie zwischen 25 und 45 Jahren alt sein, keine orthopädischen Beschwerden haben und im Untersuchungszeitraum in der Spätschicht eingeteilt sein. Ausgeschlossen wurden Probanden mit orthopädischen Beschwerden sowie weiteren behandlungsbedürftigen gesundheitlichen Problemen. Aufgrund eines Dropouts wurden schlussendlich die Datensätze von 29 Probanden in die Auswertung einbezogen. Alle Teilnehmer wurden vor Beginn der Untersuchung über Zweck und Inhalt aufgeklärt und gaben ihr schriftliches Einverständnis zur Teilnahme an der Studie. Die Studie wurde durch die Ethik-Kommission der Landesärztekammer Baden-Württemberg positiv evaluiert (F-2020-049) und die entsprechende Bewilligung erteilt.

Die Studienteilnehmer waren Arbeiter einer Schuhfertigungsfabrik. Die Zuordnung zur Kontroll- bzw. Interventionsgruppe erfolgte randomisiert. Die beiden Gruppen unterschieden sich hinsichtlich ihrer anthropometrischen Kennzahlen nicht (Tab. 1).

Tab. 1 Anthropometrische Kenndaten der Studienpopulation

Untersuchung

Alle Studienteilnehmer wurden zu zwei Zeitpunkten im Abstand von 14 Tagen untersucht. Zu jedem Untersuchungszeitpunkt erfolgte eine Messung vor und eine Untersuchung nach Beendigung der Arbeitsschicht (jeweils Spätschicht). Somit gingen insgesamt vier Einzeluntersuchungen in die Analyse ein: Untersuchung vor Beginn der Arbeitsschicht (U1), Untersuchung nach Beendigung der Arbeitsschicht (U2), Untersuchung vor Beginn der Arbeitsschicht (U3), Untersuchung nach Beendigung der Arbeitsschicht (U4).

Alle Probanden waren Sicherheitsschuhträger (Klasse S1). Dieser Schuh ist in Relation zu einem Freizeitschuh relativ schwer (Schuhgewicht hat in etwa das Gewicht eines Fußes). Jeder Proband wurde zu Beginn der Untersuchung mit baugleichen, neuen Sicherheitsschuhen (HAIX Black Eagle) nach Anprobe in seiner Schuhgröße ausgestattet, die er über den gesamten Interventionszeitraum von 2 Wochen kontinuierlich während der Arbeitsschicht und auch während der Untersuchung trug. Die Kontrollgruppe erhielt das Standardmodell ohne Augmentation, während bei der Interventionsgruppe die zusätzliche Gangjustierhilfe in den Schuh eingebracht wurde (Patent Nr. DE10 2019 100 841.7, Gangjustierhilfe im Schuh). Die Probanden waren hinsichtlich der Gruppenzuordnung verblindet.

Für die Untersuchung gingen die Probanden in ihrer selbst gewählten normalen Gehgeschwindigkeit über eine 10 m lange Gehstrecke. Diese wurde jeweils 4‑mal absolviert, sodass für die Auswertung mindestens 40 vollständige Doppelschritte zur Verfügung standen. Daten wurden mittels Oberflächenelektromyographie (OEMG) und einer im Boden eingelegten Druckmessplatte (Länge 3 m, Zebris FDM, [Zebris medical GmbH, Isny, Deutschland]) erhoben.

Durchgeführte Messungen und Analyseparameter

Ganganalyse Zebris

Die beiden folgenden Parameter basieren auf dem Verlauf des Belastungsschwerpunkts („center of pressure“, COP) während der entsprechenden Schrittzyklen und beschreiben die Auslenkungen des mittleren COP-Schnittpunkts auf der Transversalebene. Äquivalent zum Kokontraktionssymmetrieindex wurde die Seitenzuordnung durch eine Betragsbildung aufgehoben.

Laterale Verlagerung

Dieser Parameter beschreibt die Links-rechts-Verlagerung des COP-Schnittpunkts im zeitlichen Verlauf des Belastungsschwerpunkts. Die absoluten Werte beschreiben die mittlere Auslenkung unabhängig von der Seite.

Anterior-posterior-Verlagerung

Dieser Parameter beschreibt die Vor-rück-Verlagerung des COP-Schnittpunkts im zeitlichen Verlauf des Belastungsschwerpunkts. Die absoluten Werte beschreiben die mittlere Auslenkung unabhängig von der Seite.

OEMG

Mittels OEMG wurde die muskuläre Aktivität der zu untersuchenden Muskeln während der Lokomotion erfasst. Aus den zeitnormierten Amplitudenverlaufskurven wurden mittlere Amplitudenwerte für den Bereich der mittleren Standphase (10–30 %) bestimmt, um die aufgestellte Hypothese der kokontraktiven Symmetrie zu überprüfen.

Symmetrieindex Kokontraktion EMG

Für die Analyse der Muskelfunktion wurden beidseitig der M. tibialis anterior sowie der M. peroneus longus mittels OEMG untersucht. Die Elektroden wurden hierfür an den von der SENIAM empfohlenen Positionen entlang der Faserrichtung angebracht. M tibialis anterior: Mitte des Elektrodenpaares bei 1/3 des Abstands zwischen Caput fibulae und Malleolus medialis, Ausrichtung entlang der Verbindungslinie zwischen den genannten Punkten; M. peroneus longus: Mitte der Elektroden bei ¼ des Abstands zwischen Caput fibulae und Malleolus lateralis, Ausrichtung senkrecht auf der Linie zwischen den genannten Punkten. Für die Identifikation der Schrittereignisse wurden zusätzlich auf dem Fußrücken beidseitig Inertialsensoren angebracht. Die Datenerfassung erfolgte mittels kabelloser OEMG-Technik (Myon AG, Schwarzenberg, Schweiz), sowohl für die OEMG-Daten (Abtastrate 2000/s, Auflösung 12 bit) als auch für die simultan erfassten Daten der Inertialsensoren (Abtastrate 286/s: Akzeleration, Lage und Magnetfeld in jeweils 3 Ebenen).

Für die Datenanalyse wurden in der Folge lediglich die kompletten Doppelschritte verwendet, deren Dauer maximal 10 % vom Median aller Schritte des jeweiligen Durchlaufs abwich. Die verbleibenden Doppelschritte wurden mit einer Genauigkeit von 0,5 % zeitnormiert. Die Rohdaten wurden als „root mean square“ (rms) quantifiziert und im Weiteren die Einzelschritte eliminiert, die stärker als die doppelte Standardabweichung vom Kurvenmittelwert aller gültigen Einzelschritte abwichen (Software: Maleda, CULTURA HOMINIS (Stutensee, Deutschland)/GJB Datentechnik [Ilmenau, Deutschland]). Für die Datenanalyse selbst wurden die gemittelten Zeitverlaufskurven pro untersuchtem Muskel verwendet. Für den Bereich der mittleren Standphase (10–30 % des normierten Schrittzyklus) wurde seitengetrennt der Kokontraktionsindex nach Rudolph berechnet [23]. Die Auswahl genau dieses Indexes erschien für die Fragestellung in Hinblick auf eine Optimierung der muskulären Aktivität als sinnvoll, weil er nicht nur das Amplitudenverhältnis der ausgewählten Muskeln zueinander, sondern auch das gemeinsame Amplitudenniveau berücksichtigt.

Die Werte beider Seiten wurden dann hinsichtlich vorhandener Seitenunterschiede durch Anwendung des Symmetrieindex [22, 27] quantifiziert (Berechnung als Differenz der Werte/Mittelwert, daher Wertebereich −200 bis 200, kleine Zahlenwerte stehen für geringe Asymmetrie), wobei hier die Seitenzuordnung bewusst durch eine Betragsbildung aufgehoben wurde, damit wechselnde Seitendifferenzen sich nicht auslöschen und das Ergebnis verfälschen können. Die Veränderung der Werte bis zu den Grenzwerten ist dabei linear, was die Beurteilung deutlich besser nachvollziehbar macht und so nicht für prozentuale Unterschiede gilt.

Statistische Analyse

Die Verteilungen sämtlicher Parameter wurden visuell mittels Kerndichteschätzer inspiziert. Für die Variablen laterale Verlagerung und Anterior-posterior-Verlagerung wurden aufgrund fehlender Werte die Stichprobengröße per Zufallsziehung ausbalanciert (Interventionsgruppe = 12, Kontrollgruppe = 12). Es wurde eine zweifaktorielle Varianzanalyse (ANOVA) mit Messwiederholungen (Gruppe × Zeit), mit der Gruppe als Zwischensubjektfaktor und Zeit als Innersubjektfaktor, gerechnet, um globale Effekte zu bewerten. Bei Verletzungen der Sphärizität wurde die Greenhouse-Geißer-Korrektur verwendet. Die Verteilung der Residuen wurde visuell über Quantil-Quantil-Diagramme überprüft. Anschließend wurden Post-hoc-Vergleiche mit korrigierten p-Werten, je nach Stichprobenanzahl mit Tukey- oder Holm-Anpassung, gerechnet. Das Signifikanzlevel wurde auf 0,05 gesetzt. Ergebnisse mit einem p-Wert von kleiner als 0,1 werden als mögliche Trends angesehen. Zusätzlich wurden korrigierte Hedges’-g-Effektgrößen (|d| > 0,2 klein, |d| > 0,5 mittel, |d| > 0,8 groß) berechnet. Sämtliche statistischen Analysen wurden mit der Statistiksoftware R (R Core Team, 2020) unter der Verwendung verschiedener Pakete [15, 24, 26, 33] durchgeführt.

Ergebnisse

Ganganalyseparameter

Laterale Verlagerung.

Es konnten keine signifikanten Interaktionseffekte zwischen den Messwiederholungen und den Gruppen gefunden werden: F (2,55, 56,14) = 0,46, p = 0,680, ηp2 = 0,01.

Gruppenunabhängig zeigten sich in den Post-hoc-Tests streng genommen keine signifikanten Unterschiede (p = 0,057, g = 0,63) zwischen den Messzeitpunkten U2 (x = 6,07) und U4 (x = 3,4).

Weiter zeigen Post-hoc Tests, dass die lateralen Verlagerungen bei der Interventionsgruppe zu U2 (xIntervention = 4,9, xKontrollel = 7,2, p = 0,16, g = −0,47) und U4 (xIntervention = 2,3, xKontrolle = 4,4, p = 0,22, g = −0,6) leicht geringer sind. Die Ergebnisse der ANOVA zeigten für diesen Vergleich (Haupteffekt Gruppe) jedoch keinen signifikanten Unterschied: F (1, 22) = 1,70, p = 0,206, ηp2 = 0,031 (Tab. 2, Abb. 2).

Tab. 2 Ergebnisse der Varianzanalyse (ANOVA) mit Messwiederholung für die ausgewählten Variablen
Abb. 2
figure 2

Prozentuale seitliche Verlagerung des COP-Schnittpunktes (s. Zebris) für beide Gruppen über die Messzeitpunkte. COP „center of pressure“

Anterior-posterior-Verlagerung.

Es konnten signifikante Interaktionseffekte zwischen den Gruppen und den Messwiederholungen gefunden werden: F (2,91, 63,96) = 3,69, p = 0,017, ηp2 = 0,04.

Unterschiede innerhalb der Gruppen zeigten sich nur bei für die Kontrollgruppe mit einer geringeren Vor- und Rückwärtsverlagerung im Vergleich U1 (xKontrollel_1 = 4,4) zu den restlichen Messzeitpunkten (xKontrolle_2 = 9,3; xKontrolle_3 = 7,0, xKontrollel_4 = 7,1). Bei der Interventionsgruppe zeigten sich keine signifikanten Änderungen über die Messzeitpunkte hinweg. Der Einfluss der Messwiederholung (Haupteffekt Zeit) ist in der ANOVA signifikant mit F (2,91, 63,96) = 4,57, p = 0,006, ηp2 = 0,05.

Post-hoc-Tests zeigen, dass sich die Gruppen zu U1 nicht wesentlich unterscheiden (xIntervention = 5,5, xKontrolle = 4,4, p = 0,5, g = 0,2). Zu U2 zeigt sich aber eine signifikant größere Vor- und Rückwärtsverlagerung bei der Kontrollgruppe (xIntervention = 5,7, xKontrolle = 9,3, p = 0,04, g = −0,75). Die Ergebnisse der ANOVA zeigten für diesen Vergleich (Haupteffekt Gruppe) jedoch keinen signifikanten Unterschied: F(1, 22) = 0,71, p = 0,407, ηp2 = 0,023 (Tab. 2, Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Prozentuale Vor- und Rückwärtsverlagerung des COP-Schnittpunktes (s. Zebris) für beide Gruppen über die Messzeitpunkte. COP „center of pressure“

Auswertung der OEMG

Symmetrieindex Kokontraktion.

Global konnten keine signifikanten Interaktionseffekte, Haupt- und Nebeneffekte gefunden werden (Tab. 2, Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Veränderung des Symmetrieindexes für den Kokontraktionsindex nach Rudolph [23] während der mittleren Standphase (10–30 %) für beide Gruppen über die Messzeitpunkte. EMG Elektromyographie

Multiple Mittelwertvergleiche zeigen jedoch in der Tendenz einen Gruppenunterschied zu U2 mit einem niedrigeren Symmetrieindex der Interventionsgruppe (xIntervention = 13,16, xKontrollel = 22,13, p = 0,09, g = −0,62). Auch zum vierten Messzeitpunkt nach der Schicht zeigt die Interventionsgruppe einen geringeren Symmetrieindex (xIntervention = 13,70, xKontrolle = 26,20, p = 0,02, g = −0,83) und damit weniger starke Unterschiede zwischen den beiden Körperhälften.

Diskussion

Ziel der Studie war es zu überprüfen, ob das Tragen einer Gangjustierhilfe Auswirkungen auf die posturale Kontrolle und die muskuläre Aktivität ausgewählter Unterschenkelmuskeln im Sinne einer Symmetrisierung des Gehens hat. Durch eine Angleichung der Statik des Fußes von rechter und linker Seite durch eine Gangjustierhilfe soll eine größtmögliche Symmetrie und Harmonie beim Gehen hergestellt werden. Eine Erhöhung der Symmetrie führt zu einer Reduktion des muskulären Aufwands und damit zu einer Ökonomisierung des Gehens [8], was v. a. bei Menschen, die im Stehen und Gehen arbeiten, von großem Vorteil ist: Mehr Wachheit und weniger Arbeitsunfälle, weniger Müdigkeit am Ende der Schicht, weniger orthopädische Beschwerden können die Folge sein.

Sowohl für die posturale Kontrolle als auch für die muskuläre Aktivität wurden Effekte detektiert. Die dafür ausgewählten beschreibenden Parameter – der Kokontraktionsindex (KI) sowie der Symmetrieindex (SI) in der hier verwendeten Variante mit Betragsbildung – erscheinen aus verschiedenen Gründen als sehr geeignet. Zum einen erfasst der KI durch die Einbeziehung der summierten Gesamtaktivität nicht nur das Amplitudenverhältnis der beiden betrachteten Muskeln, sondern auch deren Aktivitätsniveau, sodass damit insbesondere die Frage der energetischen Effizienz mit beantwortet wird. Zum anderen erlaubt die Verwendung der Betragswerte des SI die Aufsummierung vorhandener Seitendifferenzen, die ansonsten bei wechselnden Seitendifferenzen durchaus verloren gehen kann und somit auftretende Schwankungen maskiert.

Bis dato sind uns keinerlei Untersuchungen bekannt, die die Fragestellung einer seitenangleichenden Korrektur der Bewegungsführung des Fußes beim Tragen von entsprechend ausgestatteten Schuhen in Hinblick auf eine Gangsymmetrisierung bzw. Gangstabilisierung während der Lokomotion bzw. manuellen Lastmanipulationen untersucht haben. Gerade die initiale Lastübernahme (die allerdings noch beidseitig durch die Doppelkontaktphase gesichert ist) und die sich daran anschließende einbeinige Standphase sind für einen sicheren, effizienten und damit symmetrischen Gang wichtige funktionelle Phasen, für die physiologische Strukturverstrickungen gefunden wurden.

Im Vergleich zur Kontrollgruppe zeigte die Interventionsgruppe eine geringere laterale Verlagerung des COP-Schnittpunkts jeweils nach der Arbeitsschicht (U2 und U4). Ebenso konnten Gruppenunterschiede nach der Arbeitsschicht zu U2 in der Anterior-posterior-Verlagerung gefunden werden, mit einer geringeren Auslenkung des COP-Schnittpunkts bei der Interventionsgruppe. Jedoch ist dieser Effekt für den 4. Messzeitpunkt nicht feststellbar. Gleichsinnig verhielt sich der Symmetrieindex, bei dem ebenfalls jeweils nach der Arbeitsschicht, systematisch dann zu U4 nachweisbar weniger große Seitendifferenzen als vor der Schicht und im Vergleich zur Kontrollgruppe nachgewiesen werden konnten. Global lassen sich über Varianzanalysen im Messwiederholungsdesign aufgrund der Stichprobengröße keine Gruppeneffekte nachweisen. Bei einer Teststärke von 0,8 und einer notwendigen Effektgröße von 0,5 wäre dafür eine Gesamtstichprobengröße von 64 Probanden erforderlich [35], die aufgrund der Coronaschutzmaßnahmen und des Lockdowns nicht erreicht werden konnte.

Die Verlagerung des COP-Schnittpunkts auf der Transversalebene kann in Verbindung mit der posturalen Kontrolle gebracht werden. Diese wird von mehreren extrinsischen und intrinsischen Faktoren beeinflusst, u. a. auch die neuromuskuläre Ermüdung [9, 29]. Auch gibt es Studien, die zeigen, dass eine höhere Variabilität der lateralen Verlagerung mit einem höheren Sturzrisiko verbunden ist [12, 13]. Rückschließend kann vermutet werden, dass eine geringere Auslenkung des COP-Schnittpunkts auf der Transversalebene für eine bessere posturale Kontrolle steht und damit auf eine Optimierung des Gangverhaltens bei der augmentierten Gruppe hindeutet.

Wenngleich der Effekt in der Vor- und Rückwärtsverlagerung des COP-Schnittpunkts lediglich zum Messzeitpunkt 2 (nach der Schicht) nachweisbar war, bleibt festzuhalten, dass das Tragen der Gangjustierhilfe die posturale Kontrolle positiv beeinflussen kann.

Im zeitlichen Verlauf der statistischen Analyse der zitierten Arbeiten [2, 6, 7] und dieser Publikation zeigte sich, dass Überlegungen bezüglich Bewegungssymmetrisierung berechtigt in ein indexiertes Verhältnis gesetzt werden können. Anhand der nachweisbaren Verringerung des Symmetrieindex kann zumindest der indirekte Hinweis auf eine Umstellung der intrinsischen, funktionellen Ansteuerung der für die einbeinige Standphase wichtigen Antagonisten M. tibialis anterior (Supinator im unteren Sprunggelenk, Dorsalflexor im oberen Sprunggelenk) und M. peroneus longus (Pronator im unteren Sprunggelenk, Plantarflexor im oberen Sprunggelenk). Beide bilden einen Pseudosteigbügel und sorgen so, unabhängig von der Wirkung auf die Fußstellung, gemeinsam für die Querverspannung des Fußgewölbes [3]. Hierbei sichern und kontrollieren sie also die Fußstabilität während der Standphase, was insbesondere während der einbeinigen Standphase wichtig für die Standstabilität ist. Lässt sich diese also harmonisieren, kann von einer verbesserten Standstatik ausgegangen werden, deren funktionelles Spiegelbild in einer Symmetrisierung der Muskelaktivität gefunden werden kann.

An dieser Stelle ist es zwar nicht möglich, abstrahierte Aussagen hinsichtlich einer erhöhten oder verminderten Stabilisierungsleistung beider Muskeln abzuleiten, die Angleichung der beiden Körperhälften gibt jedoch deutliche Hinweise auf eine Angleichung vorhandener Seitendifferenzen. Diese sind in wechselnder Seitenzuordnung und Ausprägung grundsätzlich zu unterstellen, da es eine ideale Symmetrie weder morphologisch noch funktionell geben kann. Insbesondere die Tatsache, dass die Symmetrisierung v. a. nach der jeweiligen Arbeitsschicht nachweisbar war, was als gegensätzliche Tendenz zur Kontrollgruppe auftrat, spricht für eine funktionelle Harmonisierung der Ansteuerung auch unter Anstrengung. Da in beiden Kollektiven dasselbe Schuhmodell zum Einsatz kam, sind die beobachteten Veränderungen mit großer Sicherheit der Wirkung der Augmentation zuzurechnen. Eine Zunahme der Asymmetrie nach der Arbeitsschicht, wie sie in der Kontrollgruppe zu beobachten war, ist ein weiterer deutlicher Hinweis auf das Vorhandensein von im Normalfall zu unterstellenden Asymmetrien, die also durch die anhaltende Belastung der Arbeitsschicht stärker als vor Beginn zum Vorschein kommen.

Wenngleich in der alltäglichen Praxis der beiden Praxisinhaber beständig im alltäglichen Anwendungsgebrauch wohl erfolgreich umgesetzt [2, 6, 7], müssen weitere Studien zeigen, ob und in welchem Ausmaß längerfristige Auswirkungen durch das Tragen der Augmentation zu beobachten sind. Insbesondere bei Personengruppen mit starken Asymmetrien, die dauerhaft zu Überlastungen der aktiven und passiven Strukturen führen oder die Koordination beinträchtigen können, sind weitere Studien angezeigt. Insgesamt sprechen sowohl die Ergebnisse der Ganganalyseparameter als auch die Untersuchungsergebnisse der durchgeführten EMG-Untersuchung für eine positive Wirkung der applizierten Augmentation, sodass die Bezeichnung „Gangjustierhilfe“ berechtigt erscheint.

Fazit für die Praxis

  • Es konnte gezeigt werden, dass die Optimierung der Statik des Calcaneus durch beispielsweise die oben beschriebene Gangjustierhilfe zu einer Symmetrisierung des Gehens und zu einer Ökonomisierung des Gehens beiträgt.

  • Aus der vorliegenden Untersuchung ergeben sich deutliche Hinweise darauf, dass die Verwendung von Gangjustierhilfen zu einer Harmonisierung des Gangbildes bei gleichzeitig verringertem Kontrollaufwand beiträgt. Damit können insbesondere für lang dauernde Geh- und Stehbelastungen die Gefahr eines durch muskuläre Ermüdung verringerten Gelenkschutzes für das Sprunggelenk sowie ganz allgemein die Stand- und Gangsicherheit verbessert werden. Dies spielt eine Rolle bei arbeitenden Menschen, Trägern von Sicherheitsschuhen, Leistungssportlern, Kindern und älteren, gangunsicheren Menschen.

  • Ein geeignetes Mittel zur Überprüfung dieser Effekte ist der Kokontraktionssymmetrieindex, der in der Praxis in sehr kurzer Zeit und mit wenig Aufwand bestimmt werden kann. Darauf aufbauend lassen sich manualtherapeutische Interventionen anschließen, die die Optimierung der Statik durch die Gangjustierhilfe nutzen, um den Patienten in korrekter Positionierung der Fuß- und Beinachse beüben zu können.