Probleme mit dem Ein- bzw. Durchschlafen gehören zu den am meisten verbreiteten gesundheitlichen Beschwerden in der Bevölkerung, denn über 30 % der Deutschen, v. a. Frauen, leiden unter Schlafstörungen [25]. Bei etwa 6 % der Bevölkerung wird sogar eine pathologische Schlafstörung, also eine Insomnie, diagnostiziert [25]. Durch Ein- und Durchschlafprobleme wird bei Insomnien nicht nur die Schlafqualität, sondern auch die Tagesaktivität beeinträchtigt. Die Betroffenen leiden nachts, weil sie nicht (wieder) einschlafen können, und tagsüber aufgrund von Müdigkeit und Erschöpfung. Häufig sind solche Schlafstörungen mit muskuloskeletalen Erkrankungen und chronischen Schmerzen assoziiert. Häufig bildet sich ein fatales Zusammenspiel beider Entitäten. So führen Schmerzen häufig zu Schlafstörungen und umgekehrt. Schlechter Schlaf fördert das erhöhte Schmerzempfinden am darauffolgenden Tag, der Schmerz wiederum fördert den schlechten Schlaf in der darauffolgenden Nacht. Schlechter Schlaf und chronischer Schmerz erhöhen jeweils das Risiko des anderen und beeinflussen die Leistungsfähigkeit und Lebensqualität beträchtlich. Auch aus sozioökonomischer Sicht ist die Schlafstörung ebenso wie der Rückenschmerz von erheblicher Relevanz. Die direkten Kosten von Schlafstörungen werden dabei auf weit über 2 Mrd. US-Dollar pro Jahr allein in den USA geschätzt. Zählt man die indirekten Kosten durch Fehltage am Arbeitsplatz, verminderte Leistung am Arbeitsplatz oder Frühberentung hinzu, erhöhen sich die Kosten nochmals signifikant. Nichtspezifische muskuloskeletale Erkrankungen gehören wie die Schlafstörungen mit zu den häufigsten Gesundheitsproblemen in der Bevölkerung [1,2,3,4,5, 8,9,10,11,12,13,14, 19, 21, 24,25,26,27,28]. Es konnte nachgewiesen werden, dass Weckreaktionen im Schlaf, sog. Arousals, stimulusabhängig sind. Gerade myofunktionelle bzw. muskuloskeletale Schmerzsyndrome können solche enterozeptiven Weckreaktionen durch Aktivierung von Muskeldehnungsrezptoren oder muskuloskeletalen Schmerzen auslösen und damit die einzelnen Schlafphasen unterbrechen und bis hin zum vollständigen Aufwachen führen.

Nichtspezifische muskuloskeletale Erkrankungen sind die mit Abstand häufigsten Ursachen chronischer Schmerzen. Sie sind weltweit ein belastendes Problem, das sich auf den Menschen selbst mit Behinderungen und auf die Gesellschaft mit hohen Kosten für das Gesundheitssystem auswirkt. Der am meisten betroffene Bereich ist der Rücken; Rückenschmerzen verursachen den größten Teil der Gesundheitskosten für chronische Schmerzen und die meisten Behinderungen für die Betroffenen und deren soziales Umfeld [4, 9, 11, 13, 28]. In der neuen, 2017 veröffentlichten Nationalen VersorgungsLeitlinie Nicht-spezifischer Kreuzschmerz wird berichtet, dass 85 % der deutschen Bevölkerung mindestens einmal in ihrem Leben Kreuzschmerzen bekommen. Jede 4. Frau und jeder 6. Mann hatten 2009/2010 ein Jahr vor der Befragung unter Kreuzschmerzen gelitten, die mindestens 3 Monate anhielten und sich nahezu täglich bemerkbar machten [4]. Breivik et al. [3] veröffentlichten die Ergebnisse einer Telefonumfrage mit 46.394 erwachsenen Teilnehmern (Ablehnungsrate 46 %) aus 15 europäischen Staaten und aus Israel. Von den Befragten gaben 19 % an, seit 6 Monaten unter chronischen Schmerzen mehrmals in der letzten Woche zu leiden; 61 % waren vermindert oder ganz unfähig, außerhalb ihres Zuhauses zu arbeiten; 19 % haben ihre Arbeit verloren und 13 % schmerzbedingt ihre Arbeitsstelle gewechselt. Wegen der Schmerzen konsultierten 60 % ihren Arzt 2‑ bis 9‑mal in den letzten 6 Monaten.

1995 beliefen sich die Gesamtkosten für muskuloskeletale Erkrankungen in den USA auf 214,9 Mrd. US-Dollar. Im Jahr 1963 betrugen sich die Gesamtkosten für muskuloskeletale Erkrankungen in den USA etwa 0,5 % des Bruttoinlandsprodukts. Ab 1980 war ein sprunghafter Anstieg der Kosten zu verzeichnen. Der Gesamtaufwand für Erkrankungen des Bewegungsapparats erreichte 1992 2,5 % und 1995 fast 3 % des BIP [28]. Für Rückenschmerzen lassen sich für das Jahr 2006 in Deutschland indirekte Kosten von knapp 49 Mrd. € errechnen, was etwa 2,2 % des deutschen BIP ausmacht. Die jährlichen direkten Kosten für Rückenschmerzen werden mit 4,2 Mrd. € veranschlagt [29]. Schlechter Schlaf wird als einer der häufigsten Beschwerden bei chronischen Schmerzen angesehen [7].

Seit vielen Jahren wird auf die Wechselwirkung der Kieferfehlstellung zur Fehlstellung im Haltungsapparat hingewiesen. Kieferbewegungen sind über ein neuronales Koordinationsnetzwerk immer auch mit Bewegungen des Kopfes und des Nackens verbunden. Dies erklärt, dass eine funktionelle Störung im Kiefergelenk immer zu einer Verstellung im Arthron der Kopfgelenke und somit zu einer CCD führen muss. Wenn also eine CMD nachgewiesen wird, ist immer auch eine Blockierung, eine funktionelle Störung im Bereich der Kopfgelenke, nachweisbar – ebenso wie bei jeder Kopfgelenkblockierung eine Störung im kraniomandibulären Bereich vorliegt. Diese Störungen führen, fortgeleitet über die posturale Muskulatur, zu einer Störung des gesamten Haltungsapparats. Somit müssen Kiefer- und Kopfgelenke sowie Wirbelsäulenstörungen zeitgleich und gemeinsam behandelt werden, um einen therapeutischen Erfolg zu erzielen [14, 16, 30]. Trotz dieser Zusammenhänge wird die CMD/CCD bei den Therapieempfehlungen chronischer Schmerzen nicht oder nur selten erwähnt – auch nicht im Zusammenhang mit Störungen des Schlafs.

Anhand einer retrospektiven Studie mit 606 bislang therapieresistenten Patienten mit chronischen Schmerzen und schlechtem Schlaf sollte untersucht werden, ob durch das zusätzliche Einbeziehen der CMD/CCD in das interdisziplinäre, multimodale Behandlungskonzept zeitgleich und kombiniert mit manualtherapeutischen Maßnahmen nicht doch noch eine Besserung der Beschwerden und damit auch eine Besserung des Schlafs erzielt werden kann. Als therapieresistent wurde eine nichtvorhandene Schmerzverbesserung trotz interdisziplinärer fachärztlicher Schmerzbehandlung über 6 Monate angesehen.

Material und Methode

Patientenkollektiv

Die Basis der vorliegenden Studiengruppe bildeten alle von den Autoren behandelte Patienten mit CMD/CCD aus den Jahren 1997 bis 2014. Die Studienteilnehmer wurden durch eine retrospektive Datenanalyse der vorliegenden digitalisierten Patientenakten der teilnehmenden Einrichtungen requiriert, Patienten mit inkompletter Akte wie fehlenden Untersuchungsdaten oder Patienten, bei denen keine vollständige Dokumentation der Follow-up-Termine vorlagen, wurden aus der Datengrundlage aussortiert. Teilnehmende Einrichtungen waren eine Universitätsklinik mit Spezialsprechstunde für CMD- und CCD-Patienten sowie eine kooperierende auf CMD- und CCD-Krankheitsbilder spezialisierte Zahnarztpraxis.

Haupteinschlusskriterium war die Diagnose einer CMD/CCD in der Patientenakte. Die Erstanamnese beim Zahnarzt wurde über einen vom Patienten zu Hause ausgefüllten und im Vorfeld zurückgesandten Schmerzanamnesebogen erhoben. Eine 30- bis 60-minütige mündliche Befragung durch die Autorin ergänzte den Fragebogen und verifizierte das Schmerzgeschehen. Die Befragung und der Schmerzfragebogen beinhalteten eine Ganzkörperanalyse und eine spezielle Analyse der CMD-Beschwerden. Der Therapieverlauf wurde nach kombinierter und zeitgleicher zahnärztlicher und manualmedizinischer Behandlung der CMD/CCD schrittweise dokumentiert und bei jeder Kontrollsitzung notiert. So konnten 328 männliche und 614 weibliche Studienteilnehmer identifiziert werden. Weitere Einschlusskriterien waren, dass die vorliegenden funktionellen Wirbelsäulenstörungen und die CCD/CMD sowie die Beschwerden für zumindest 3 Monate angehalten haben mussten.

Diagnose der CCD/CMD

Die Diagnose der CCD/CMD wurde entsprechend den Empfehlungen der DGMSM und des ICCMO gestellt. Die diagnostischen Kriterien, die von diesen Studiengruppen zugrunde gelegt werden, implizieren die Empfehlungen der DGZMK und die RDC/TMD, bieten im neuromuskulären Ansatz aber ein weiteres diagnostisches Spektrum. Die instrumentelle Funktionsuntersuchung (Magnetkinesiographie, Elektromyographie, Elektrosonographie) erfolgte mit dem K7 der Fa. Myotronics®, Seattle, WA, USA. Eine detaillierte Darstellung der CMD-Untersuchung ist früheren Veröffentlichungen der Autoren zu entnehmen [16, 17].

Therapeutisches Vorgehen bei der kombinierten und zeitgleichen CMD/CCD-Behandlung

Die CMD wurde mittels neuromuskulär und myozentrisch ausgerichteter Aufbissschiene behandelt. Die Aufgabe der Aufbissschiene ist die physiologische Neuzentrierung der Kiefer- und Kopfgelenke sowie die Beseitigung der funktionellen Wirbelsäulenstörungen. Zeitgleich und kombiniert mit der Aufbissschienentherapie erfolgte die manualtherapeutische Behandlung der funktionellen Wirbelsäulenbeschwerden. Bei der Herstellung der Aufbissschiene und der Ermittlung der myozentrischen Kieferrelation wurden die neuromuskulären Gesichtspunkte nach Jankelson [15] berücksichtigt. Voraussetzung für die Kieferrelationsbestimmung war eine entspannte Kau‑, Kopf- und Halsmuskulatur. Die Muskelspannung wurde im Ausgangszustand und nach den Entspannungsmaßnahmen vor der Bissnahme über das Elektromyogramm kontrolliert. Als Entspannungsmaßnahmen dienten manualtherapeutische Behandlungen, insbesondere ein „occipital base release“ mit anschließender Atlasimpulstherapie nach Arlen in Verbindung mit niederfrequenter TENS-Therapie der Kau‑, Kopf- und Halsmuskulatur [15]. Diese Maßnahmen erfolgten auch direkt vor dem Eingliedern und Einschleifen der Aufbissschiene. Die Qualität der Bissnahme für die Aufbissschiene wurde anhand manualmedizinischer Testungen („range of motion“, Beinlänge, Hüftabduktion) überprüft. Die Schiene wurde bis zur Stabilisierung der kybernetischen Einheit Kiefer- und Kopfgelenk immer und auch zum Essen getragen. Die Nachbetreuung der Schiene erfolgte zeitgleich und kombiniert mit manualtherapeutischen Maßnahmen zur Verbesserung der funktionellen Störungen des Halte- und Stützapparats. Nach den Entspannungsmaßnahmen und vor der Bissnahme für die Aufbissschiene bzw. vor dem Einschleifen der Schiene wurde der Zahnkontakt mittels Aqualizer, einem mit Wasser gefüllten Polster, abgepuffert. Zum Einschleifen und zur Kontrolle der Aufbissschiene haben sich folgende Sitzungen bewährt: 1 Tag nach Eingliederung der Schiene, 1 Woche nach Eingliederung sowie 2, 4, 6, 10, 16 und 24 Wochen nach Eingliederung. Im Rahmen dieser Termine erfolgte auch eine interdisziplinäre Follow-up-Untersuchung und Reevaluation. Danach muss individuell entschieden werden, welche Kontrollen in welchen Abständen erforderlich sind. Jeweils direkt vor dem Einschleifen der Schienen wurden neuromuskuläre Entspannungsmaßnahmen (u. a. Manualtherapie, niederfrequente TENS-Therapie der Kau‑, Kopf- und Halsmuskulatur) eingeleitet. Vor den Entspannungsmaßnahmen wurde die Aufbissschiene gegen einen Aqualizer ausgetauscht und der Patient kam mit Aqualizer zwischen den Zähnen zum Einschleifen der Schiene in die Zahnarztpraxis. Bei jeder Sitzung wurde der Beschwerdeverlauf erörtert und notiert. Die statistische Auswertung erfolgte mittels Microsoft Office 365© sowie IBM SPSS Statistics© Vers. 25.

Ergebnisse

Von den 942 chronischen und therapieresistenten Schmerzpatienten, die untersucht wurden, beklagten 606 (64,3 %) einen nichterholsamen Schlaf (morgens nicht erholt, Tagesmüdigkeit und eingeschränkte Leistungsfähigkeit). Am stärksten betroffen waren Patienten mit Rücken‑, Kopf- und Nackenschmerzen sowie die Patienten mit zusätzlichem FMS (Tab. 1).

Tab. 1 Prävalenz der Schlafstörungen bei allen 942 CMD-CCD-Patienten und Prävalenz der Schlafstörungen gegliedert nach Beschwerdebildern

Die Gruppe der 606 untersuchten Schlechtschläfer setzte sich aus 65,4 % (n = 396) Frauen und 34,6 % (n = 210) Männern zusammen. Der Altersdurchschnitt der Patienten lag bei 46,6 (18–74 ) Jahren. Im Mittel bestanden die Schmerzen seit 105 Monaten (8,8 Jahren). Der mittlere Beobachtungszeitraum betrug 37 Monate. Die durchschnittliche Schmerzintensität lag auf einer Skala von 1–10 bei 8,5. Einen WPI von mindestens 7 und einen Symptomschwerescore von mindestens 5 zeigten 63,9 % (n = 388) der Patienten, 26,5 % (n = 161) wiesen einen WPI von 3–6 und einen Symptomschwerescore von mindestens 9 auf (Tab. 2 und 3). Somit ließ sich bei 90,3 % (n = 549) der 606 Schlechtschläfer auch ein FMS diagnostizieren (AWMF-Diagnosekriterien [8]). Bezogen auf den WPI zeigten sich im Schnitt 7,9 Komorbiditäten. Zählt man weitere, im WPI nicht aufgeführte Komorbiditäten hinzu (Kopfschmerzen, Schwindel, Ohrprobleme, Tinnitus, Schluckstörungen, Stimmstörungen, Augen-Seh-Störungen, vegetative Symptome, depressive Verstimmung), resultieren im Schnitt 13,0 Komorbiditäten pro Patient, wobei 70,1 % (n = 426) der Patienten zwischen 11 und 29 Komorbiditäten angegeben haben (Abb. 1).

Tab. 2 606 CMD-CCD-Patienten mit schlechtem Schlaf und ihr Symptomschwerescore (WPI): WPI in der Summe und die Summe im Schnitt pro Patient 9,6
Tab. 3 Alle 942 CMD-CCD-Patienten, Vergleich der Patienten mit und ohne Schlafstörungen und Vergleich der Schlechtschläfer mit und ohne FMS
Abb. 1
figure 1

Komorbiditäten bei 606 CMD-CCD-Patienten mit schlechtem Schlaf, ermittelt aus dem Widespread-Pain-Index und der zusätzlichen Erfassung von Kopfschmerzen, Schwindel, Ohrproblemen, Tinnitus, Schluckstörungen, Stimmstörungen, Augen-Seh-Störungen, vegetativen Symptomen, depressiver Verstimmung. Im Schnitt 13,0 pro Patient

In Tab. 3 werden alle 942 CMD-CCD-Patienten mit Patienten mit und ohne Schlafstörungen und die Schlechtschläfer mit und ohne FMS verglichen. Parameter sind der Symptomschwerescore, Schmerzangaben in der NRS-Skala von 1–10, der WPI, zusätzliche Komorbiditäten und die Anzahl der betroffenen Körperregionen. Die Patienten mit schlechtem Schlaf und der zusätzlichen FMS-Diagnose wiesen in allen Bereichen die höchste Belastung auf. Der größte Unterschied zeigte sich bei der Patientengruppe mit Schlafstörungen ohne FMS. Durch die myozentrische Aufbissschienentherapie, die zeitgleich und kombiniert mit neuromuskulären Entspannungsmaßnahmen (u. a. Manualtherapie, niederfrequente TENS-Therapie der Kau‑, Kopf- und Halsmuskulatur) durchgeführt wurde, konnte bei 84,5 % (n = 513) der 606 Schlechtschläfer eine gute bis sehr gute Besserung der bislang therapieresistenten Beschwerden im Körper und bei 89,1 % (n = 434) eine Besserung der Beschwerden im Kieferbereich erzielt werden. Einzelheiten zum Beschwerdebild und dessen Besserung finden sich in Tab. 4 und 5. Von den 606 CMD-CCD-Patienten mit schlechtem Schlaf hatten 120 (19,8 %) keine Kieferbeschwerden, obwohl eine CMD nachweisbar war. Durch die Einbeziehung der stummen CMD in das interdisziplinäre therapeutische Konzept konnte bei 86,7 % (n = 104) der bislang therapieresistenten Patienten doch noch eine gute bis sehr gute Besserung der Körperbeschwerden insgesamt und bei 78,3 % (n = 95) eine Besserung des Schlafs herbeigeführt werden. Bei 42,5 % (n = 258) wurden bereits eine oder mehrere Aufbissschienentherapien ohne Beschwerdebesserung durchgeführt. Nur bei 4,8 % (n = 13) erfolgte diese Schienentherapie zeitgleich und kombiniert mit Entspannungsmaßnahmen. Bei 95,2 % wurde die Schienentherapie isoliert durchgeführt (Tab. 6).

Tab. 4 Besserung der Körperbeschwerden bei 606 CMD-CCD-Patienten mit schlechtem Schlaf durch die kombinierte und zeitgleiche Behandlung der CMD/CCD
Tab. 5 Besserung der Kieferbeschwerden bei 606 CMD-CCD-Patienten mit schlechtem Schlaf durch die kombinierte und zeitgleiche Behandlung der CMD/CCD
Tab. 6 Vorangegangene Aufbissschienentherapie bei 606 CMD-CCD-Patienten mit schlechtem Schlaf

Weitere Daten, die in dieser Untersuchung erhoben wurden, sind den Tabellen 7–11 zu entnehmen, die nur in der Onlineversion zur Verfügung stehen. In Tab. 7 sind die Dysfunktionszeichen der Schlechtschläfer aufgeführt, in Tab. 8 ist die Schmerzlokalisation im WPI vermerkt und in Tab. 9 werden Beschwerden von Patienten mit gutem und mit schlechtem Schlaf verglichen. Die Besserung der Körperbeschwerden bei Schlechtschläfern mit stummer CMD zeigt Tab. 10 und in Tab. 11 sind die Dysfunktionszeichen dieser Patienten mit stummer CMD dargestellt.

Diskussion

Die CMD ist heute, besonders auch unter Heranziehung der apparativen Zusatzuntersuchungen, ein klar definiertes Krankheitsbild mit anerkannten und erfolgreichen Behandlungsmöglichkeiten [6]. In der vorliegenden Untersuchung wurden 606 Patienten mit der gesicherten Diagnose CMD, die gleichzeitig unter einem subjektiv schlechten Schlaf litten, analysiert. Entsprechend der kybernetische Einheit Kiefer- und Kopfgelenke zeigte sich bei den 606 Patienten auch eine CCD, sodass eine Manualtherapie der Kopfgelenkblockierung erforderlich war. Bei einem hohen Anteil an Patienten mit schlechter Schlafqualität konnte durch das Einbeziehen der CMD/CCD in das bislang therapieresistente Beschwerdebild eine Befundverbesserung erreicht und der Schlaf gebessert werden. Der hohe Anteil an Patienten mit CMD, die schmerzbedingt unter einer Schlafstörung leiden, verdeutlicht die erhebliche Relevanz. Wenn Schlaf mit CMD und die CMD mit muskuloskeletalen unspezifischen chronischen Schmerzen verbunden ist und sich eine Besserung des Schlafs durch die synchrone CMD/CCD-Therapie erreichen lässt, ist es wichtig, auf die Therapie der muskuloskeletalen Schmerzen einzugehen, um auch den Schlaf bessern zu können. Hierbei wird in der Literatur das Einbeziehen der CMD in das therapeutische Konzept fast regelmäßig vermisst.

In einer Studie der Weltgesundheitsorganisation von 2003 wird erwähnt, dass nur bei 15 % der Patienten mit akuten Rückenproblemen eine Diagnose erhalten werden konnte, die diese Beschwerden kausal erklärt. Auch berichtet diese Studie davon, dass Interaktionen von Wirbelsäulenerkrankungen zu anderen Erkrankungen weitgehend unbekannt sind. Die Autoren fordern, dass die Interaktion und Behandlung von Komorbiditäten ausgewertet werden sollten [28]. Daher ist es umso wichtiger, Aspekte in das therapeutische Konzept einzubeziehen, deren Bedeutung bislang noch nicht ausreichend gewürdigt wurde.

Eine subjektive Beschwerdesymptomatik bei der CMD ist kaum einmal auf das Kiefergelenk lokalisiert, sondern in den meisten Fällen sehr viel weiter ausgedehnt. Im Patientengut der Autorin mit 708 CMD-CCD-Patienten mit FMS finden sich neben den Schmerzen im Kiefer‑, Gesichts- und Kopfbereich auch Schmerzen im Nacken-Schulter- (95 %), Rücken- (78 %), Hüft- (41 %) und auch im Kniebereich (42 %). Dass diese angegebenen Schmerzsymptome im kausalen Zusammenhang mit der CMD/CCD gesehen werden müssen, ist mit den guten Behandlungserfolgen einer myozentrisch durchgeführten Schienentherapie zeitgleich und kombiniert mit manualtherapeutischen Maßnahmen zu belegen [17].

Da die CMD zu den drei häufigsten chronischen Schmerzkrankheiten, neben Kopf- und Rückenschmerzen, gezählt werden muss und die CMD eine komplexe Pathophysiologie mit signifikanten Assoziationen einer Vielzahl von anderen chronischen Schmerzzuständen, z. B. der Fibromyalgie, hat, forderten Ghurye et al. [12], Ärzte sollten in der Lage sein, CMD korrekt zu diagnostizieren und beim Vorliegen von Komorbiditäten einer multidisziplinären Therapie zuzuführen. Wichtig ist dies besonders auch vor dem Hintergrund, dass chronische CMD die Lebensqualität negativ beeinflusst und zu einer bedeutenden Belastung des Gesundheitssystems beiträgt.

Die Ergebnisse der Autoren haben gezeigt, dass bei 86,7 % der 120 Patienten mit stummer CMD eine Besserung der Schmerzen im Körper und bei 78,3 % eine Besserung des Schlafs durch das Einbeziehen der CMD in das multimodale therapeutische Konzept erzielt werden konnte. Eine stumme CMD ist dabei als CMD ohne „klassische“ CMD-Symptomatik im Bereich des Kauapparats wie Bruxismus oder Schmerzen im Bereich der Kiefergelenke definiert. Auch bei stummer CMD, die wegen der fehlenden CMD-Schmerzsymptomatik oft übersehen wird, sollte bei therapieresistenten chronischen Schmerzen und Schlafstörungen eine Untersuchung auf CMD erfolgen und mit einfachen Testungen, wie z. B. dem Aqualizer-Test, die Auswirkung der Kieferstellung auf die Körperperipherie geprüft werden [14].

In Rahmen einer norwegischen Gesundheitsstudie (HUNT) untersuchten Nordstoga et al. [20] verschiedene körperliche Einflüsse auf die Prognose von chronischen Rückenschmerzen bei 4484 Frauen und 3039 Männern bei einem 11-jährigen Follow-up. Dabei berichteten 59,4 % der Frauen und 48,1 % der Männer von keiner Besserung. Personen bis zu 3 weiteren Schmerzbereichen im Körper hatten eine größere Chance auf Besserung, währen diese bei Personen mit 6 bis 9 Schmerzbereichen deutlich verringert war. Die zunehmende Anzahl von Schmerzstellen wurde umgekehrt mit der Besserung von chronischem Rückenschmerz assoziiert. Die Ergebnisse zeigen, dass bei entsprechendem therapeutischen Vorgehen auch bei einer großen Zahl von Komorbiditäten mit hohem Chronifizierungsgrad eine Besserung der Schmerzen und des Schlafs erreicht werden kann.

In der Nationalen VersorgungsLeitlinie Nicht-spezifischer Kreuzschmerz wird erwähnt, dass eine multimodale Behandlung grundsätzlich voraussetzt, dass spezifische Störungen der Körperstrukturen ausgeschlossen wurden [4]. Die CMD ist solch eine spezifische Störung und sollte in den Untersuchungen berücksichtigt werden. Beim Literaturstudium fällt aber v. a. auf, dass die Beschwerdebilder der CMD isoliert im Kiefer- und Gesichtsbereich gesehen werden. Eine ganzheitliche Beobachtung fehlt. Eine CMD verursacht ebenso Beschwerden im Schulter‑, Lendenwirbelsäulen‑, Hüft- bis hinunter in den Fußbereich und kann den Schlaf negativ beeinflussen. Berücksichtigt werden müssen die auf- und absteigenden Ketten vom Kiefer‑/Kopfgelenk bis in den Bereich der unteren Extremitäten und vice versa. Von großer klinischer Bedeutung ist, dass Symptome und Beschwerden nichtspezifischer muskuloskeletaler Störungen durch konsequente Behandlung der CMD/CCD mit Manualtherapie und myozentrischer Schienentherapie positiv beeinflusst werden können. Bei 84,5 % der Patienten mit chronischen Schmerzen konnte eine gute bis sehr gute Besserung der bislang therapieresistenten Beschwerden im Körper und bei 89,1 % eine Besserung der Beschwerden im Kieferbereich erzielt werden. Somit wird der nichtspezifische Schmerz in einen kausal erklärbaren, spezifischen Schmerz überführt.

Die CMD wird in der Literatur häufig als Folge von chronischen Krankheiten, wie z. B. des FMS, aber auch als Folge von schlechtem Schlaf beschrieben [10, 18, 24]. Dies wird geschlussfolgert, da sich CMD-Schmerzen oft erst lange nach den Schmerzen im Körper zeigen. Eine Kiefer- und Kiefergelenkfehlstellung entwickelt sich aber nicht erst im Erwachsenenalter, sondern schon in den ersten Lebensjahren und ist nicht isoliert von anderen Körperstrukturen zu betrachten. Auch wenn sich CMD-Schmerzen häufig erst nach anderen Körperschmerzen zeigen, kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass die CMD als Folge dieser Beschwerden zu werten ist. Werden die Daten der vorgelegten Studie kritisch gewürdigt, muss gefolgert werden, dass eine muskuloskeletale Störung zu einer CMD führen kann. Aber auch der umgekehrte Weg ist denkbar, dass eine CMD eine muskuloskeletale Störung hervorruft oder unterhält. Bei der Diagnose und Behandlung nichtspezifischer chronischer Schmerzen muss auch eine CMD untersucht und behandelt werden. Auch andere Autoren konnten diesen umgekehrten Weg, die Besserung des Schlafs durch die CMD-Therapie, feststellen [23, 27].

Der hohe Leidensdruck der Patienten mit chronischen, nichtspezifischen Schmerzen und schlechtem Schlaf macht eine direkte und suffiziente Therapieanbahnung unabdingbar. Dies hat neben der humanitären, patientenindividuellen Aufgabe auch eine bedeutende sozioökonomische Relevanz. Chronische Schmerzen sind ein häufiger Anlass für Arztbesuche. Im Rahmen des telefonischen Gesundheitssurveys 2003 des Robert Koch-Instituts gab ein Viertel aller Befragten an, in den vergangenen 12 Monaten wegen Rückenschmerzen einen Arzt aufgesucht zu haben [22].

Zusammenfassend verdeutlicht diese deskriptive Arbeit, dass Patienten mit CMD/CCD, die unter einer subjektiv schlechten Schlafqualität leiden, von einer Kombinationstherapie bestehend aus myozentrischer Schienentherapie und manualmedizinischer Behandlung profitieren – sowohl im Hinblick auf die bestehende Schmerzsymptomatik und Symptomstärke als auch hinsichtlich der subjektiven Schlafqualität. Die Autoren stellen nochmals heraus, dass chronische Schmerzen den Schlaf stören können. Bei der Diagnose und Behandlung von Schlafstörungen sollte daher stets auch auf eine CMD mituntersucht und ggf. mitbehandelt werden.

Limitationen

Diese Studie hat wie jede Arbeit auch Limitationen. So handelt es sich um eine rein deskriptive Beschreibung ohne kausale Beurteilung oder nähere Informationen oder Spezifikationen der angegebenen Schlafbeschwerden. Die Beurteilung der Schlafqualität bzw. -störung fand einzig auf Grundlage einer anamnestischen Befragung statt und war daher rein subjektiv. Anerkannte Schlaffragebögen wurden nicht verwendet. Die Fragen in dieser Arbeit beschränkten sich darauf, ob der Schlaf gut ist, ob eine Tagesmüdigkeit vorliegt, ob die Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist und ob kognitive Störungen vorliegen. Eine prospektive Folgestudie zur Ausarbeitung der Studienergebnisse unter Berücksichtigung schlafmedizinscher Standards ist daher bereits geplant. Durch das spezialisierte Profil der beteiligten Einrichtungen könnten die Prävalenz und die hohe Chronifizierungsrate an CMD-CCD-Patienten überproportional hoch sein.