Die Hand ist nicht nur ein essenzielles Kommunikationsinstrument, sondern auch das primäre Werkzeug des Menschen. Dies führt unweigerlich zu einer erhöhten Verletzungsgefahr der Hand, wodurch etwa ein Drittel aller Arbeitsverletzungen die obere Extremität betreffen [6, 8]. Die häufigsten Verletzungsmechanismen hierbei sind Quetschtraumen, Frakturen oder auch Amputationen [8]. Gerade schwerwiegende Quetschverletzungen müssen nicht primär zu einer Amputation führen, können jedoch einen massiven Gewebeverlust und in der Folge auch Funktionsverlust nach sich ziehen [14]. Des Weiteren haben angeborene Extremitätendefekte häufig eine deutlich eingeschränkte Lebensqualität und Unabhängigkeit zur Folge.

In den letzten Jahren konnten die Indikationen zum prothetischen Extremitätenersatz von der klassischen Amputation auch auf Patienten mit traumatischem Funktionsverlust oder angeborenen Defekten ausgeweitet werden. Trotzdem ist es wichtig klarzustellen, dass der prothetische Ersatz keinesfalls mit einer soliden biologischen Rekonstruktion konkurrieren kann und soll, jedoch eine sinnvolle Alternative bzw. Erweiterung des Spektrums zur Wiederherstellung von Extremitätenfunktionen darstellt [2].

Im vorliegenden Beitrag werden die Möglichkeiten des prothetischen Ersatzes bei Amputationen sowie funktionsloser Hand dargestellt.

Funktionslose obere Extremität

Schwerwiegende Knochen- oder Weichteilverletzungen der oberen Extremität müssen zwar notwendigerweise zu einer Amputation der Hand oder des Arms führen, können allerdings einen schwerwiegenden Funktionsverlust nach sich ziehen. Dies gilt z. B. für ausgeprägte Verletzungen des Armnervengeflechts, aber auch für Verbrennungs‑, Explosions- oder Avulsionstraumata [2]. Trotz adäquater und zeitgerechter chirurgischer Rekonstruktion kann in manchen Fällen keine sinnvolle Extremitätenfunktion wiederhergestellt werden [4]. In diesen Situationen hat der prothetische Ersatz in den letzten Jahren einen immer höheren Stellenwert erlangt [2]. Trotzdem ist es wichtig festzuhalten, dass der prothetische Ersatz mit einer suffizienten biologischen Rekonstruktion nicht konkurrieren kann und soll. Er bietet allerdings eine sinnvolle Alternative, um am Ende der biologischen rekonstruktiven Leiter eine Wiederherstellung einer Extremitätenfunktion zu ermöglichen [2]. In diesen Fällen dient die Prothese als Rekonstruktion einer Hilfshand bzw. eines Hilfsarms, um den Patienten im täglichen Leben und bei der Arbeit zu unterstützen.

Eine nicht funktionstüchtige Hand bzw. einen funktionslosen Arm mit einem Stück Technik zu ersetzen, stellt einen neuen Ansatz in der Extremitätenrekonstruktion dar. Die notwendige elektive Amputation inklusive möglicher Nerventransfers oder Muskeltransplantationen zur Schaffung von Muskelsignalen und Ersatz mit myoelektrischer Prothese wird als bionische Rekonstruktion bezeichnet [2]. Essenziell hierbei ist die adäquate Indikationsstellung.

Prothetische Rekonstruktion

Im Folgenden wird anhand eines Patientenbeispiels der Prozess der prothetischen Rekonstruktion bei funktionsloser Extremität dargestellt.

Bei der Patientin handelt es sich um eine 29 Jahre alte Frau, die im Rahmen der langwierigen Behandlung eines ursprünglich gutartigen Knochentumors von Radius und Ulna ein Kompartmentsyndrom entwickelte. Trotz zeitnaher Fasziotomie und nach einer zusätzlichen bakteriellen Infektion kam es zu einer Volkmann-Kontraktur und nach langer Ruhigstellung zu einer „frozen hand“. Selbst mit intensiver Ergo- und Physiotherapie konnte keine brauchbare Handfunktion wiedererlangt werden. Die Ellenbogenbeweglichkeit war auf ein Minimum eingeschränkt und die Hand größtenteils asensibel, dystroph und für die Patientin funktionslos (Abb. 1). Eine biologische Rekonstruktion war aufgrund der atrophen und durch das Kompartmentsyndrom schwer geschädigten Unterarmmuskulatur nicht möglich.

Abb. 1
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Funktionslose Hand nach Kompartmentsyndrom

Zur Austestung und Veranschaulichung der prothetischen Möglichkeiten wurde die Patientin mit einer sog. Hybridprothese provisorisch versorgt. Hierfür wird eine myoelektrische Prothese mithilfe einer Schienenkonstruktion an die existierende Hand montiert, um die vorhandenen Myosignale zu testen und zu trainieren sowie dem Patienten die zu erwartende prothetische Funktion vor Augen zu führen (Abb. 2). Dies stellt einen wichtigen Schritt in der Entscheidungsfindung sowohl für den Patienten als auch für den Arzt dar. Nimmt der Patient einen deutlichen Funktionsgewinn wahr und ist dieser auch mit einem objektiven Handfunktionstest belegbar, können eine elektive Amputation und ein prothetischer Ersatz auf Wunsch des Patienten geplant werden. Präoperativ werden alle potenziellen Patienten einer psychologischen Evaluation unterzogen, um Coping-Mechanismen entsprechend abzuklären.

Abb. 2
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Versorgung mit Hybridprothese

Nach erfolgreicher Anpassung der Hybridprothese entschied sich die Patientin für eine bionische Rekonstruktion und daher für eine elektive transradiale Amputation. Im Rahmen der Amputation wurde eine extensive Arthrolyse des Ellenbogengelenks durchgeführt. Der Bewegungsumfang im Ellenbogengelenk konnte dadurch deutlich verbessert und das Extensionsdefizit auf 20° reduziert werden. Aufgrund des dystrophen Zustands des Unterarms und der multiplen Voroperationen kam es postoperativ zu einer verzögerten Wundheilung. Acht Wochen nach Amputation konnte mit der Prothesenversorgung begonnen werden. Die myoelektrische Prothese wurde mit 2 Muskelsignalen, an den Extensoren und an den Flexoren, gesteuert. Die bionische Rekonstruktion ermöglichte dieser jungen Patientin nicht nur funktionell, sondern auch ästhetisch eine deutliche Verbesserung (Abb. 3).

Abb. 3
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Zustand nach erfolgter Prothesenanpassung

Aufgrund dieser Ergebnisse wurde das Konzept der bionischen Rekonstruktion auch bei Patienten mit angeborenen Extremitätenfehlbildungen angewandt [13]. Es kann auch bei Patienten mit Nervenausrissverletzungen die oft enorm quälenden Deafferenzierungsschmerzen, die aufgrund der inneren nervalen Amputation zustande kommen, deutlich reduzieren [4]. Hierbei dürfte die prothetische Versorgung als eine kontinuierliche Spiegeltherapie und funktionelle Rückkoppelung dienen und dadurch die Schmerzsituation verbessern.

Hohe Amputation

Konventionelle myoelektrische Prothesen werden mit 2 Muskelsignalen, die von zwei getrennt innervierten Muskelgruppen der verbliebenen Stumpfmuskulatur stammen, angesteuert. Auf transhumeralem Amputationsniveau werden der M. biceps und M. triceps, bei glenohumeralen Stümpfen meist der M. pectoralis major und der M. latissimus dorsi als Signalgeber verwendet. Die einzelnen prothetischen Gelenke und Funktionen (Hand, Handgelenk, Ellenbogen) müssen mittels unterschiedlicher Algorithmen, wie z. B. Kokontraktionen der erwähnten beiden Muskeln, angewählt und in der jeweiligen Ebene mit denselben Muskeln linear angesteuert werden. Somit sind mit ein und derselben kognitiven „Bewegung“ verschiedene prothetische Funktionen auszuüben. Ein Patient mit transhumeraler Amputation muss daher mit dem M. biceps, kognitiv Ellenbogenbeugung, nicht nur den prothetischen Ellenbogen beugen, sondern nach Umschalten auch die Hand schließen und das Handgelenk drehen. Ein harmonischer, dem natürlichen Bewegungsmuster einigermaßen entsprechender Bewegungsablauf ist mit diesem Steuerungsmechanismus nicht möglich.

Selektive Nerventransfers

Die chirurgische Multiplikation von Muskelsignalen zur Verbesserung der Prothesensteuerung wurde erstmals von Kuiken et al. [5] beschrieben. Hierbei werden die Nerven, die durch die Amputation ihr Zielorgan verloren haben, im Wesentlichen N. radialis, N. medianus, N. ulnaris und bei glenohumeraler Amputation auch der N. musculocutaneus, an einzelne Muskeln im Stumpfbereich transferiert [11]. Nach erfolgter Nervenregeneration ist es dadurch möglich, eine suffiziente Anzahl intuitiv steuerbarer Muskelsignale zu kreieren. Diese Technik der selektiven Nerventransfers bei Amputierten wird „targeted muscle reinnervation“ (TMR) genannt. Je nach Amputationshöhe hat sich ein bestimmtes Nerventransferschema etabliert ([11]; Tab. 1 und 2) Die Nerven, die ihr Zielorgan im Rahmen der Amputation verloren haben, werden möglichst muskelnah an den selektiven Nervenast des jeweiligen Zielmuskels transferiert, hierfür wird der Zielmuskel naturgemäß für die Dauer der Reinnervation denerviert. Nach erfolgter Reinnervation spannen sich schließlich die Zielmuskeln entsprechend der Aktivität der Spendernerven an und ihr Muskelpotenzial kann mithilfe von Oberflächenelektroden zur Prothesensteuerung verwendet werden. Ziel dieser Operation ist es, den Patienten mit bis zu 6 individuellen Muskelsignalen auszustatten. Auf diese Weise ist eine harmonische, intuitive, dem natürlichen Bewegungsmuster entsprechende Steuerung gewährleistet, ohne dass der Patient zwischen den verschiedenen Steuerungsebenen wechseln muss.

Tab. 1 Schema Nerventransfer nach transhumeraler Amputation
Tab. 2 Schema Nerventransfer nach glenohumeraler Amputation

Voraussetzung für die Durchführung selektiver Nerventransfers sind intakte Muskeln im Bereich des Amputationsstumpfs sowie ein weitgehend intaktes proximales Armnervengeflecht. Diesbezüglich ist eine präoperative Magnetresonanztomographie, hochauflösender Ultraschall sowie Messung der Nervenleitgeschwindigkeit und Elektromyographie (EMG) des verbliebenen Armnervengeflechts zu empfehlen. Des Weiteren muss dem Patienten bewusst sein, dass nach erfolgter Operation und abgeschlossener Nervenregeneration ein intensives Signal- und Prothesentraining notwendig ist. Somit ist mit einer abgeschlossenen TMR-Prothesen-Versorgung erst etwa 12 Monate nach Operation zu rechnen.

Nachbehandlung

Die Nachbehandlung von Patienten mit TMR-Prothese hat sich als mindestens so entscheidend wie die Operation selbst herausgestellt. Der Patient muss unter gezielter Anleitung eines Therapeuten die Ansteuerung der einzelnen Muskelsignale erlernen und trainieren. Verschiedene Systeme wie etwa EMG-Biofeedback dienen hierbei zur Unterstützung und v. a. Visualisierung der Muskelsignale [16]. Durch die Visualisierung kann mit speziellem kognitiven Training an der Signaltrennung gearbeitet werden. Zu Beginn werden meist die einzelnen Bewegungen gleichzeitig mit der Gegenseite ausgeführt und im weiteren Verlauf entkoppelt. Das intensive Signaltraining beginnt nach erfolgter Nervenregeneration und somit Etablierung der ersten zusätzlichen Muskelsignale. Dies ist etwa 3 bis 6 Monate nach erfolgter TMR-Operation der Fall. Bei den meisten Patienten ist die Nervenregeneration nach ca. 9 Monaten abgeschlossen, jedoch können sich auch zu diesem Zeitpunkt die Orte der besten Elektrodenpositionen noch ändern und somit eine erneute Schaftkorrektur notwendig machen.

Bei transhumeral Amputierten bleibt jeweils ein Teil des M. biceps und M. triceps mit seiner ursprünglichen Innervation erhalten, wodurch die prothetische Versorgung mit konventioneller 2‑Signal-Steuerung nach Abschwellung des Stumpfs sofort wieder möglich ist. Bei glenohumeral Amputierten werden jedoch alle oberflächlich liegenden Muskeln im Stumpfbereich denerviert und somit lässt sich eine myoelektrische Prothese erst nach Reinnervation der ersten Muskelsignale wieder steuern.

Die Technik der selektiven Nerventransfers hat sich mittlerweile auch als solide Methode zur Behandlung von Neurom- bzw. Phantomschmerzen etabliert [15]. Denn schon ein einzelnes hypersensibles Neurom am Amputationsstumpf kann das Tragen einer Prothese unmöglich machen [1]. Selektive Nerventransfers, wie sie bei einer TMR-Operation durchgeführt werden, stellen eine sinnvolle Verbindung des betroffenen Nervs zu einem funktionellen Endorgan her. Dadurch erhält das zentrale Nervensystem wieder eine sinnvolle Rückmeldung, die schmerzhafte Lücke kann geschlossen werden und es kommt zu keiner erneuten Neurombildung. Die klinische Erfahrung hat auch gezeigt, dass durch die verbesserte und intuitivere Prothesensteuerung und dadurch erhöhte Akzeptanz und Inkorporation der Prothese auch eine Reduktion der Phantomschmerzen zur erzielen ist. Dem Gehirn wird, ähnlich dem Prinzip der Spiegeltherapie, durch die Prothese eine sensorische wie auch visuelle Rückmeldung geboten und somit eine funktionstüchtige Extremität simuliert.

Zukünftige Weiterentwicklungen

Myoelektrische Signale werden derzeit mittels Oberflächenelektroden aufgenommen und an die Prothese zur Steuerung weitergeleitet. Aufgrund von Weichteilverschiebungen über einem Muskel, der variablen Elektroden- bzw. Stumpfposition im Schaft, Kontaktverlust durch Hebelwirkungen und der Impedanzschwankungen je nach Temperatur und Transpiration der Haut kann es zu einer mangelnden Signalübertragung und im Weiteren zu Fehlfunktionen der Prothese kommen. Gegenstand laufender Studien sind implantierbare Elektroden. Hiermit wird das Signal direkt aus dem Muskel und unabhängig von äußeren Einflüssen abgeleitet [9]. Neben der Steuerung, die durch neue Technologien in der Signalextraktion und -verarbeitung, wie z. B. Mustererkennung, deutlich verbessert werden kann, wird auch die prothetische Anbindung an den Stumpf laufend optimiert [10, 12]. Das Konzept der Osseointegration ermöglicht eine direkte Anbindung an das knöcherne Skelett mit bestmöglichem Erhalt des Bewegungsumfangs des Stumpfs [3]. Hier verhindert noch die Gefahr der Weichteil- und Knocheninfektionen aufgrund des perkutanen Durchtritts eine breite Anwendung.

Diskussion

Ein kompletter Funktionsverlust oder sogar die Amputation der oberen Extremität stellt für die betroffenen Patienten einschneidende und traumatische Erlebnisse dar. Diese gehen oft mit massiven Einbußen der Lebensqualität einher [7]. Der prothetische Ersatz, auch wenn er in manchen Fällen mit einer notwendigen elektiven Amputation verbunden ist, ermöglicht eine Reintegration ins Arbeits- und Sozialleben und somit eine verbesserte Lebensqualität.

Selektive Nerventransfers im Rahmen einer TMR-Operation bieten Patienten mit hohen Amputationen der oberen Extremität die Möglichkeit einer verbesserten und v. a. intuitiveren Prothesensteuerung. Gleichzeitig lassen sich vorhandene Neurome am Amputationsstumpf behandeln. Der prothetische Extremitätenersatz im Sinne der dargestellten bionischen Rekonstruktion ist ein neuer Ansatz in der Rehabilitation von Patienten, bei denen alle Möglichkeiten der biologischen Rekonstruktion ausgeschöpft wurden. Die adäquate Indikationsstellung ist sicherlich die größte Herausforderung und unterliegt dem Grundsatz „Primum non nocere“.

Fazit für die Praxis

  • Eine sinnvolle und erfolgreiche biologische Rekonstruktion soll und darf nicht mit dem prothetischen Ersatz konkurrieren.

  • Zur Umsetzung der dargestellten Konzepte des prothetischen Extremitätenersatzes bedarf es einer interdisziplinären Zusammenarbeit von Chirurgen, Physiotherapeuten, Technikern und Orthopädietechnikern, aber auch Psychologen und Wissenschaftlern.

  • Der prothetische Extremitätenersatz ermöglicht eine funktionelle Wiederherstellung bei Patienten mit funktionsloser und asensibler Hand bzw. nicht funktionstüchtigem Arm nach massiven Weichteil- oder Nervenverletzungen sowie angeborenen Defekten.