Für die Statik und Mobilität des Beins stellt das Kniegelenk in der Gelenkkette der unteren Extremität das Zentrum dar. Mit seiner sehr komplexen Bauweise ist es funktionell als „Getriebegelenk“ zu definieren, das einerseits in einem Gleit-Abroll-Prozess im meniskofemoralen Gelenkanteil die Flexion und Extension, andererseits in Flexion im meniskotibialen Gelenkanteil die Innen- und Außenrotation ermöglicht. Als morphologisch wichtige Bausteine zu nennen sind einerseits die Gelenkkörper von Femur, Tibia und Patella und andererseits die Menisken, Bänder, Reservefalten, Gleitbeutel, der infrapatellare Fettkörper, die Flügelfalten und die Muskeln, die das Gelenk rundum sichern und dynamisch führen (Abb. 111). Eine ausgeprägte Propriozeption in Gelenkkapsel, Bandapparat, Sehnen und Muskeln ermöglicht eine feine sensomotorische Steuerung zur Synchronisierung aller morphologischen Strukturen der Kinematik. Ebenso findet sich ein spezifisches Nozizeptionsmuster. Das Kniegelenk weist ein ausgeprägtes arterielles, venöses und lymphatisches Vaskularisationsmuster auf, wodurch bei voller Funktionstüchtigkeit eine gute Mikrozirkulation gewährleistet wird.

Abb. 1
figure 1

Sagittalschnitt durch das laterale Kompartiment auf Höhe der Articulatio tibiofibularis

Abb. 2
figure 2

Tibiasockelpräparat mit Menisken, vorderem und hinterem Kreuzbandpfeiler

Abb. 3
figure 3

Rechtes Kniegelenk. Ansicht von ventral mit Kapselbandstrukturen

Abb. 4
figure 4

Linkes Kniegelenk. Ansicht von medial mit Lig. collaterale tibiale, Sehne des M. semimembranosus und Retinaculum patellae mediale

Abb. 5
figure 5

Rechtes Kniegelenk. Ansicht von dorsal mit Sehne des M. semimembranosus (Pes anserinus profundus, Lig. popliteum obliquum, Lig. popliteum arcuatum), Lig. collaterale fibulare und M. popliteus

Abb. 6
figure 6

Linkes Knie, teilweise eröffnet. Ansicht von dorsolateral mit Lig. collaterale fibulare, Meniscus lateralis und Sehne des M. popliteus

Abb. 7
figure 7

Linkes Knie. Ansicht von lateral mit Lig. collaterale fibulare, anterolateralem Ligament, Meniscus lateralis und Lig. meniscofemorale

Abb. 8
figure 8

Linkes Knie, eröffnet. Ansicht von ventral mit Menisken und Ligg. cruciata

Abb. 9
figure 9

Linkes Knie. Verlauf und Insertionsareale des Lig. cruciatum anterius in Streckstellung

Abb. 10
figure 10

Linkes Knie, eröffnet. Ansicht von dorsal mit Menisken, Lig. cruciatum posterius und Lig. meniscofemorale posterius

Abb. 11
figure 11

Rechtes Knie, Paramedianschnitt. Verlauf und Insertionsareale des Lig. cruciatum posterius in Beugestellung

Störfaktoren und ihre funktionellen Auswirkungen

Als Störfaktoren sind grundsätzlich akute, unmittelbar das Gelenk betreffende isolierte oder kombinierte Verletzungsmuster, wie z. B. Bandläsionen, Meniskuseinrisse etc., zu nennen. Unabhängig von solchen primären Läsionen können die morphologischen Strukturen aber auch sekundär durch Achsenfehlstellungen sowie muskuläre Dysbalancen und Dysfunktionen in Mitleidenschaft gezogen werden. Dabei werden primär nicht betroffene Strukturen kompensatorisch fehl- bzw. chronisch überbelastet und konsekutiv in einem sich aufschaukelnden pathologischen Prozess ebenfalls geschädigt.

Dadurch werden die Stabilität und Mobilität in den Bewegungsabläufen in Kombination mit einer zunehmenden Schmerzsymptomatik stark beeinträchtigt. So können sich beispielsweise auch Fehlhaltungen und -belastungen der Lendenwirbelsäule über den Beckengürtel und das Hüftgelenk sowie auch eine Koxarthrose in Form einer Fernsymptomatik mit schmerzhaften Fehlbelastungen auf das Kniegelenk auswirken. Auch eine Hyperpronation des Fußes kann zu einer kompensatorischen Fehlbelastung und Schmerzsymptomatik im Tibiofibulargelenk führen. Im Rahmen von Achsenfehlstellungen werden Kapselbandstrukturen, Menisken, Kreuzbänder und Knorpelauflagen unterschiedlich stark fehlbelastet und in der Folge degenerativ verändert. Die Muskelgruppen, die das Gelenk dynamisch sichern und führen, wie z. B. der Quadrizepsstreckapparat, die ischiokruralen Muskeln (Hamstring-Gruppe), der M. popliteus und der für die laterale Stabilität wichtige Tractus iliotibialis geraten dabei in Dysbalancen und Dysfunktionen. Dabei kommt es zu Wechselwirkungen durch veränderte Zugtendenzen bezogen auf die Bewegungsachsen und die Traglinie des Beins, die sich wiederum negativ auf die Gelenkbinnenstrukturen auswirken.

Fazit für die Praxis

Die genaue Kenntnis der speziellen und komplexen Morphologie des Kniegelenks und ein funktionell orientiertes, ganzheitliches Verständnis über die Statik und Dynamik der gesamten unteren Extremität ermöglichen einen erfolgreichen Einsatz konservativer manualtherapeutischer Konzepte zur Behandlung schmerzhafter Dysfunktionen