Seit mehr als 160 Jahren dient die Obduktion der Untersuchung der Auswirkungen und der Pathogenese von Krankheiten an menschlichen Geweben. Der hohe Wert dieser Methode für die Erforschung neuer Krankheiten wurde im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie deutlich. Seit mehr als zwei Jahren haben die deutsche Pathologie, Neuropathologie und Rechtsmedizin ein deutsches Register für COVID-19-Obduktionen (DeRegCOVID) aufgebaut und sich in einem Netzwerk, dem Deutschen Forschungsnetz für Obduktionen bei Pandemien (DEFEAT PANDEMIcs), fortgeführt im Nationalen Obduktionsnetzwerk (NATON), zusammengeschlossen, um die Auswirkungen von COVID-19 multizentrisch und multidisziplinär zu untersuchen. Das Register und das Netzwerk, an dem bereits 138 Personen in 35 universitären und außeruniversitären Zentren beteiligt sind, stehen allen interessierten Zentren offen.

Bereits 1859 berichtete Rudolf Virchow von seiner Aufgabe, „die Sektionen in eine Hand zu bringen, geordnete Protokolle einzuführen und diese zu sammeln, um brauchbare Summen zu erhalten“ und entwickelte eine standardisierte Obduktionstechnik und Befundberichterstattung [13]. Seit 1952 sind ständige Bemühungen der Pathologie und der Rechtsmedizin um eine einheitliche Erfassung der bei Obduktionen gewonnenen Daten und deren koordinierte Auswertung dokumentiert [5, 6, 9, 10]. In jüngster Zeit hat die COVID-19-Pandemie den Wert der Obduktion bei der Erforschung neuer Krankheiten und den großen Bedarf an der Analyse der durch Obduktionen gewonnenen Daten deutlich gemacht.

Deutsches Register für COVID-19-Obduktionen

Um möglichst viele COVID-19- und pandemieassoziierte Obduktionen zu erfassen, wurde am 15. April 2020 die erste Version des Deutschen Registers für COVID-19-Obduktionen (DeRegCOVID) gestartet. Über die Plattform „LibreClinica“ (https://covidpat.ukaachen.de/LibreClinica/pages/login/login) können angeschlossene Obduktionszentren (universitäre oder außeruniversitäre Institute für Pathologie, Neuropathologie und Rechtsmedizin) obduktionsbezogene Daten wie Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen, Todesursache sowie Anzahl und Art der lokal archivierten Proben in ein eCRF („electronic case report form“) eingeben. Dabei bleiben die Bioproben dezentral im Eigentum der jeweiligen Obduktionszentren („dezentrales Biobanking“). Eine Nutzung der Daten für gemeinsame Analysen (und Publikationen) erfolgt nur nach Absprache und in Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Zentrum. Zu den zentralen Aufgaben des Registers gehören: 1. das Sammeln der Daten, 2. die Unterstützung der Obduktionszentren bei der Dateneingabe und bei Fragen zur Durchführung von COVID-19-Obduktionen, 3. die Übermittlung von Anfragen für Forschungsprojekte an die Obduktionszentren und 4. die Sichtung, Kuratierung und Analyse der Daten und deren Weitergabe an Fachgesellschaften, Gesundheitsbehörden und die Öffentlichkeit (Abb. 1; [12, 14]). Im Jahr 2022 soll das Register auf ein neues System (RedCap) umgestellt werden, das bei gleicher Funktionalität noch mehr Datensicherheit bieten wird. Formulare wie die bereits verfügbaren Empfehlungen und SOPs sowie ein Antragsformular für Forschungsprojekte sind auf der Website (www.DeRegCOVID.ukaachen.de) verfügbar. Für eine niedrigschwellige Kommunikation wurden Social-Media-Profile für DeRegCOVID geschaffen (Twitter: @DeRegCOVID, Instagram: @DeRegCOVID, LinkedIn: DeRegCOVID). Das Register ist modular aufgebaut und kann daher flexibel an spezifische Forschungsinteressen und Studien angepasst werden, z. B. Impfungen und virale Varianten, klinische Untersuchungen oder definierte Lokalisationen der gesammelten Proben. Aus dem Register konnte ein Bericht über die vorhandenen Daten aus COVID-19-Obduktionen und ein Bericht über die Prävalenz intrakranieller Blutungen bei COVID-19-Obduktionen von Patient:innen mit und ohne extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) generiert werden [15, 16]. In einem Leserbrief zu dem ersten Bericht aus dem DeRegCOVID wurde angemerkt: „Das Beispiel des deutschen Autopsieregisters sollte als Modell für Europa und den Rest der Welt betrachtet werden, da es nachweislich multizentrische autopsiebasierte Studien mit zentraler Datenerfassung, -analyse und -berichterstattung sowie technischer und wissenschaftlicher Unterstützung für die verschiedenen Autopsiezentren und Forscher auf lokaler Ebene erleichtert.“ [11].

Abb. 1
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Prinzipien, Entwicklung und Zentren von DeRegCOVID

Von DEFEAT PANDEMIcs zu NATON

Im September 2020 startete das kooperative Obduktionsnetzwerk DEFEAT PANDEMIcs mit mehr als drei Viertel aller universitären Obduktionszentren aus den Bereichen Rechtsmedizin, Pathologie und Neuropathologie. DeRegCOVID bildete das elektronische Rückgrat des Netzwerks zur Erfassung von Daten aus COVID-19-Obduktionen und standardisierten postmortalen Geweben und Körperflüssigkeiten.

Derzeit haben die an DEFEAT PANDEMIcs beteiligten Obduktionszentren mehr als 146 wissenschaftliche Artikel veröffentlicht [1, 2, 4, 12, 18,19,20]. In einem gemeinsamen Review hat das DEFEAT-PANDEMIcs-Konsortium die Expertise der teilnehmenden Obduktionszentren zu Auswirkungen von SARS-CoV‑2 auf die verschiedenen Organsysteme zusammengefasst [7]. Die methodische und technische Entwicklung der Obduktion, z. B. die postmortale Bildgebung (Ultraschall, Computertomographie) in Kombination mit minimal-invasiven Techniken (MIA) oder Robotersystemen, extrem hochauflösende Bildgebungsverfahren an nassem und in Paraffin eingebettetem Material oder OMICs-Technologien wie Genomics, Transcriptomics, Proteomics und Metabolomics, die im Rahmen des DEFEAT-PANDEMIcs-Konsortiums begonnen wurde, werden in NATON (NATionales ObduktionsNetzwerk/National AuTOpsy Network), teilweise in Zusammenarbeit mit anderen NUM-Projekten, weiterentwickelt. Die klinische Relevanz von morphologischen und nukleinsäurebasierten Nachweismethoden von SARS-CoV‑2 sowie Ausmaß und Infektiosität der Kontamination von Schutzkleidung bei der Obduktion wurden multizentrisch untersucht [3, 8, 14, 17].

Da viele lokale Labors den Nachweis von SARS-CoV-2-RNA aus Abstrichen oder Gewebeproben an die Kliniker:innen oder Obduzierenden zurückmelden, ohne Angaben zur Virusvariante zu machen, ist die genaue SARS-CoV-2-Variante in vielen Fällen nicht bestimmt worden. Da die genaue Variante aus wissenschaftlicher Sicht relevant sein kann, besteht für Zentren, die an NATON teilnehmen, die Möglichkeit, SARS-CoV-2-positive Gewebeproben aus Obduktionen zentral mittels Multiplex-PCR auf das Vorhandensein bekannter Mutationen analysieren und gegebenenfalls sequenzieren zu lassen.

Um die Obduktionsforschung über die Herausforderungen von Pandemien hinaus auf eine nachhaltige und vielseitige Basis zu stellen, wird die Expertise von universitären und außeruniversitären Spezialist:innen in Deutschland, die sich mit Obduktionen und der Analyse von Biomaterialien aus Obduktionen beschäftigen, innerhalb von NATON, und außeruniversitär, aber auch international zusammengeführt. Um dies zu ermöglichen, bietet NATON eine Plattform für die Vernetzung von Diensten, Expert:innen und Anwendenden in der obduktionsgetriebenen Forschung. Die wichtigsten strukturellen Ziele von NATON sind die Bereitstellung von:

  1. 1.

    einer langfristigen Infrastruktur für die Pandemie-Preparedness,

  2. 2.

    einer Keimzelle für kollaborative Obduktionsforschung, auch über Pandemien hinaus,

  3. 3.

    einer nachhaltigen NUM-Plattform mit breiten wissenschaftlichen Anwendungen,

  4. 4.

    der Integration von Fachwissen, Daten und Proben, die aus der Obduktion stammen, in NUM.

Die Anwendungsfälle in NATON im Jahr 2022 sind insbesondere die Pathophysiologie von COVID-19 in verschiedenen pathogenen SARS-CoV-2-Varianten, postakute Folgen von COVID-19 und Verstorbene nach einer SARS-CoV-2-Impfung. Langfristig bietet NATON eine ideale Plattform für die obduktionsgestützte Forschung, insbesondere von Multisystemerkrankungen, z. B. neben Infektionskrankheiten auch seltene Erkrankungen, Folgen von Intensivbehandlungen, metastasierende Tumorerkrankungen, aber auch die Gewinnung von Kontrolldaten und Geweben für die oben genannten Anwendungsfälle.

Durch die offene und partizipative Gestaltung der Governancestruktur und des Nutzerkonzepts von NATON können beliebige Partner einbezogen werden. Die standardisierten und zum Teil skalierbaren NATON-Dienste sind für alle Partner verfügbar. NATON wird flexibel und kontinuierlich an die jeweilige Situation angepasst und weiterentwickelt.

Das wissenschaftliche Ziel von NATON ist es, die COVID-19-Forschung als Schwerpunkt von NUM durch obduktionsgetriebene Forschung mit einzigartigen Daten und Geweben zu ergänzen. Die Rückkopplungsschleife zwischen Forschung, Patientenversorgung und Pandemiemanagement ermöglicht die Umsetzung von klinischen und Managementfragen in Forschungsansätze und umgekehrt von Forschungsergebnissen in die Patientenversorgung und das Krisenmanagement.

Schlussfolgerungen

Das Deutsche Register für COVID-19-Obduktionen (DeRegCOVID) und das Nationale Obduktionsnetzwerk (NATON) werden durch eine breite Beteiligung von Obduktionszentren aus Pathologie, Neuropathologie und Rechtsmedizin in ganz Deutschland ermöglicht. Die vielfältigen Kooperationen zwischen den Zentren haben den hohen Stellenwert der Obduktion als Instrument zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie, zukünftiger Pandemien und auch anderer Anwendungsgebiete deutlich gemacht und die kooperative, vernetzte Obduktionsforschung ermöglicht. Die zukünftigen Bemühungen fokussieren sich auf die Etablierung von langfristigen Strukturen, die eine nachhaltige Entwicklung der obduktionsgetriebenen Forschung ermöglichen.

Fazit für die Praxis

  • Das Deutsche Register für COVID-19-Obduktionen (DeRegCOVID) und das Nationale Obduktionsnetzwerk (NATON) unterstützen obduktionsgetriebene multizentrische Forschung.

  • Die teilnehmenden Zentren haben den hohen Wert der Obduktion und der aus der Obduktion gewonnenen Daten und Biomaterialien für die moderne Medizin unter Beweis gestellt.

  • Der Zusatznutzen der Sammlung von durch Obduktionen gewonnenen Daten und Biomaterialien für die medizinische Forschung und die zukünftige Notwendigkeit einer vernetzten, multizentrischen (obduktionsgetriebenen) Forschung wurden erfolgreich unter Beweis gestellt.

  • Die Infrastrukturen sind offen für alle interessierten Zentren.