Die Deutsche Pathologie trauert um Prof. Dr. med. Dr. h.c. Paul Hermanek (Abb. 1), der am 17. September 2020 in Erlangen im Alter von 96 Jahren verstarb. Er hat wie wenige deutsche Pathologen durch seine Arbeiten die Entwicklungen in der Pathologie beeinflusst und für Arbeitsabläufe gesorgt, die uns heute selbstverständlich vorkommen, es aber vor 50 Jahren keinesfalls waren.

Abb. 1
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Paul Hermanek

Paul Hermanek wurde am 8. März 1924 als Sohn eines Börsenmaklers in Wien geboren. Nach dem Kriegsdienst als Sanitäter absolvierte er sein Medizinstudium in Wien und legte 1950 das Staatsexamen ab. Er war seit 1947 Mitglied der nichtschlagenden katholischen akademischen Verbindung Norica. Ihr Wahlspruch lautet: Numquam incerti, semper aperti! (Niemals unsicher, immer offen!). Nach der Facharztausbildung wurde er 1957 Oberarzt am Pathologischen Institut der Allgemeinen Poliklinik Wien und habilitierte sich 1966 in der Pathologie der Universität Wien mit einer Arbeit zur pathologischen Anatomie.

In der Chirurgischen Universitätsklinik Erlangen hatte der damalige Ordinarius für Chirurgie, Gerd Hegemann, beschlossen, die Pathologie neu und moderner zu gestalten und eine „Abteilung für klinische Pathologie mit Schwerpunkt Tumorpathologie“ zu etablieren – die einzige dieser Art an den deutschen chirurgischen Universitätskliniken. Die Pathologie schien Hegemann damals sehr obduktionsorientiert und sehr mit grundlagenwissenschaftlichen Problemen beschäftigt, aber zu wenig den damals aktuellen Fragestellungen der Klinik zugewandt, insbesondere zu wenig an den klinischen Aspekten einer moderner werdenden Onkologie interessiert. Er forderte eine Bearbeitung der Operationspräparate nach dem amerikanische Vorbild der „surgical pathology“.

Paul Hermanek war überzeugt von dieser Aufgabe und machte sich mit Schwung und Energie an die Umsetzung der von den Kollegen aus der Klinik geforderten Vorgaben. Dabei brachte er viele eigene Impulse in seine Tätigkeit ein. So führte er neue Methoden und Konzepte in die Chirurgie ein, die unter dem Motto „Histologie- und Stadiengerechte Chirurgie“ bekannt wurden. Mit diesem Konzept wurden in Erlangen Grundlagen einer „neuen“ onkologischen Behandlung gelegt. Diese nahm weltweit anerkannten Einfluss auf Fortschritte in der chirurgischen Onkologie im Sinne einer später zunehmenden Individualisierung multidisziplinärer Therapieverfahren. Hierdurch konnte die Prognose, insbesondere von Patienten mit Magen- und Darmkrebs, entscheidend verbessert werden. Auch das Konzept der Residualtumorklassifikation und der Nachweis der Wichtigkeit des Chirurgen als Prognosefaktor wurde von Paul Hermanek ganz wesentlich begründet und weiterentwickelt.

Durch neue Methoden der Gewebebearbeitung und die direkte Anbindung an den Operationssaal wurde die Zeit für Schnellschnittuntersuchungen auf unter 5 min verkürzt – eine Zeit, die bei anderen Pathologen ungläubiges Staunen hervorrief. Damit schuf er Voraussetzungen, die es ermöglichten, während der Operation dem Chirurgen durch feingewebliche Untersuchungen am Resektionsrand, den regionalen Lymphknoten und benachbarten Organstrukturen wichtige Entscheidungshilfen für die Auswahl der Operationsmethoden zu liefern. Die weitgehend standardisierte Untersuchung der gewonnenen Operationspräparate erbrachte Daten, die für die Weiterentwicklung der onkologischen Chirurgie bahnbrechend waren.

In der chirurgischen Klinik in Erlangen war es lange vor Einführung der heutigen Tumorboards guter Brauch, dass Therapieentscheidungen multidisziplinär und mit dem Pathologen getroffen wurden. Paul Hermanek hat sehr schnell erkannt, dass die schönsten Befunde und Ergebnisse in der Chirurgie und Pathologie für weitere Therapieentwicklungen nicht von Wert sind, wenn sie nicht sehr gut dokumentiert werden und so vergleichbare Daten für größere Datenbanken liefern. Aus dieser Erkenntnis entstanden nicht nur das „Klinische Krebsregister der chirurgischen Universitätsklinik Erlangen“, sondern auch Anleitungsbücher für die Dokumentationen von verschiedenartigsten Daten von Krebspatienten und damit entscheidende Bausteine für die Dokumentationsarbeit von Tumorzentren. Eine Besonderheit war, dass er es vermochte, seine Standardisierung der Diagnostik und insbesondere auch der Dokumentation immer streng an den klinischen Zielen auszurichten, mit „Maß und Ziel“. Diese Arbeiten waren längerfristig konzeptuelle Grundlage für zahlreiche Anforderungen von klinischer und pathologischer Seite, die in die S3-Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft eingegangen und als wesentlicher Baustein einer Qualitätssicherung zu sehen sind. Ihm war klar, dass die für den Patienten mitunter sehr eingreifenden Möglichkeiten der onkologischen Therapie nur qualitätsgesichert angewendet werden dürfen.

Diese Erfahrung hat er konsequent und Einfluss ausübend in internationale Gremien eingebracht. Zusammen mit Leslie Sobin vom Armed Forces Institute of Pathology in Washington gab er 1987 und 1992 die TNM-Klassifikation der UICC heraus.

Paul Hermanek konnte über die Jahre eine große Zahl von KollegInnen in der Chirurgie, Urologie und Inneren Medizin (Gastroenterologie) für eine Mitarbeit an seinen sich erfolgreich weiterentwickelnden Konzepten begeistern. Die klinischen Kollegen verstehen sich zum Teil heute noch als „Schüler“ Hermaneks, was seine fachübergreifende Bedeutung illustriert.

Unterstützt durch die weiterführenden Ideen von Paul Hermanek wurden in Erlangen Grundlagen einer „neuen“ onkologischen Behandlung gelegt. Sie fanden bald Verbreitung in deutschen und europäischen Kliniken und letztlich in der Welt. Die Außenwirkung wurde unterstützt durch die Teilnahme von Paul Hermanek und anderen Erlanger Kollegen an zahlreichen großen klinischen Studien, z. B. der Deutschen Magenkarzinomstudie. Paul Hermanek war auf wissenschaftlichen Kongressen begeistert und begeisternd in Diskussionen, und konnte mit kritischen Fragen besonders junge Wissenschaftler ansprechen.

Fragt man nach den Ursachen des Erfolges, stechen sein Arbeitseifer und seine Begeisterungsfähigkeit für die neue klinische Tumorpathologie heraus, gepaart mit Mut, Selbstvertrauen und Können. Diese Eigenschaften übertrugen sich auf alle Mitarbeitenden. Seine Vorstellungen von der Notwendigkeit klarer Begriffe und Definitionen, die in einer präzisen Sprache Ausdruck finden mussten, hat viele Wissenschaftler beeinflusst. Die Konzepte seiner Arbeit wurden von Paul Hermanek in Vorträgen und Arbeiten von hervorragender Didaktik und eindrucksvoller Aussagekraft immer wieder dargestellt. Die Ergebnisse wurden vielfältig in nationalen und internationalen Zeitschriften veröffentlicht (knapp 1000 Publikation als Erst- und Koautor). Seine letzte Publikation ist noch im Februar dieses Jahres erschienen.

Paul Hermanek war Mitglied zahlreicher Fachgremien. So hatte er nach seiner Emeritierung 1990 von 1991 bis 1994 die Leitung der Kommission Diagnostische Standards der Deutschen Krebsgesellschaft inne und von 1995 bis 1999 den Vorsitz über die Kommission Qualitätssicherung der Deutschen Krebsgesellschaft. Er engagierte sich für die organspezifische Tumordokumentation. Prof. Hermanek war nicht nur 1987 und 1992 Herausgeber der TNM-Klassifikation maligner Tumoren der UICC, sondern auch des TNM-Atlas sowie des TNM-Supplement und der Prognostic Factors in Cancer.

Für seine Verdienste um die Krebsbehandlung erhielt Paul Hermanek 1988 (zusammen mit F. P. Gall) den deutschen Krebspreis und 1996 die Karl-Heinrich-Bauer-Medaille. Darüber hinaus wurde er für seine Verdienst mehrfach ausgezeichnet, u. a. 1987 mit dem Johann-Georg-Zimmermann-Wissenschaftspreis der Medizinischen Hochschule Hannover, 1991 mit der Ehrenmitgliedschaft der Österreichischen Gesellschaft für Pathologie in Wien, 1993 mit der Max-Lebsche-Medaille der Vereinigung der Bayrischen Chirurgen, 1994 mit dem European Award der Europäischen Society Surgical Oncology, 1994 mit dem Dr. med. h.c. der Universität Münster, 1997 mit dem Wilhelm-Warner-Krebspreis, 1999 mit der Ehrenmitgliedschaft der Chilenischen Chirurgengesellschaft, 2001 mit der Ehrenmitgliedschaft der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie sowie mit zahlreichen weiteren Boardmitgliedschaften und Ehrenvorlesungen.

Die Deutsche Gesellschaft für Pathologie verliert mit ihm, der bis ins hohe Alter wissenschaftlich aktiv war, einen Pionier der Onkologie, der mit seinen sorgfältigen klinisch-wissenschaftlichen Arbeiten den Grundstein für Verfahren gelegt hat, die heute noch angewendet werden und wichtig sind, weil sie die Überprüfungsmatrix neuer molekularer Methoden und ihrer prognostischen Bedeutung darstellen.

Paul Hermanek war mit seiner 2017 verstorbenen Frau Christine ein leidenschaftlicher Musik- und vor allem Opernliebhaber. So war die Nähe von Erlangen zu Bayreuth für ihn besonders erfreulich.

Wir trauern mit seinen 2 Kindern, Enkeln und seiner Urenkelin um einen Menschen, von dem Leslie Sobin nach Erhalt der Todesnachricht sagte: „He was an extraordinary man!“