Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

die im Krankenhausstrukturgesetz formulierte Absicht, die Obduktionsrate in Krankenhäusern zu erhöhen, stößt nicht nur auf Zustimmung [3]. Vorbehalte resultieren aus dem aktuellen Personalmangel und Kostendruck, der auf Krankenhäusern und Pathologieinstituten lastet. Zwar ist die Zahl der Krankenhausärzte seit dem Jahre 2006 deutlich gestiegen, Arbeitsbelastung und Personalmangel stehen aber weiterhin auf der Beschwerdeliste [1].

So kann der Einwand leitender Krankenhausärzte vielleicht nicht überraschen, die regelmäßige Teilnahme an gemeinsamen Fallkonferenzen im Anschluss an Obduktionen sei eine u. U. nicht erfüllbare Bedingung im Rahmen der Qualitätsanforderungen an die Durchführung klinischer Obduktionen.

Laut Umfrage des Bundesverbandes Deutscher Pathologen aus dem Jahr 2015 fanden nur bei jeweils <20 % der Teilnehmer aus verschiedenen Gruppen von Pathologieinstituten (Universitätsinstitute, Krankenhausinstitute und Institute in privater Niederlassung) in <10 % der jährlich durchgeführten Obduktionen Organdemonstrationen anlässlich klinisch-pathologischer Konferenzen statt. Bei jeweils etwa einem Viertel der genannten Einrichtungen wurde bei >50–90 % der jährlichen Obduktionen eine Befunddemonstration und -besprechung mit den klinischen Kollegen durchgeführt (Grassow-Narlik et al., Berlin, sowie noch unveröffentlichte Daten). Der für diese interdisziplinäre Besprechung erforderliche Personaleinsatz der Klinikärzte sollte daher bei der gesetzlich vorgeschriebenen Kalkulation der Durchschnittskosten einer Obduktion durch das InEK (Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus) zwingend berücksichtigt werden, falls diese Form der Qualitätssicherung ernst zu nehmend durchgesetzt werden soll.

Entsprechende Erwartungen werden auch von den Vertretern der klinischen Fächer an uns herangetragen, die es bei gemeinsamen Besprechungen von Obduktionsfällen – sei es im Obduktionssaal oder mittels digitaler Befundübermittlung (z. B. anlässlich interdisziplinärer Mortalitäts- und Morbiditätskonferenzen) – genau wissen wollen und hierfür zeitliche Freiräume benötigen (J. Westermann, Berlin, H. Müller-Redetzky, Berlin und M. Schlegel, Würzburg).

Aus Gründen des wirtschaftlichen Einsatzes medizintechnischer und personeller Ressourcen ist eine begrenzte Konzentrierung bestimmter Leistungen unseres Fachgebiets nicht ganz zu umgehen. Die zunehmende Verlagerung der Qualitätssicherung von einem professionszentrierten Instrument zu einem Instrument der Versorgungssteuerung darf jedoch nicht dazu missbraucht werden, den Krankenhausmarkt zu bereinigen [2]. Auch für kleinere Krankenhäuser muss die Möglichkeit zur Qualitätssicherung durch Obduktionen erhalten bleiben.

Der Stellenwert der Obduktionstätigkeit in Pathologieinstituten wird – eine zukünftig angemessene Finanzierung vorausgesetzt – weiterhin ganz entscheidend davon abhängen, inwieweit sich auch die ärztlichen Leiter nicht universitärer und universitärer Einrichtungen mit der Obduktionspathologie identifizieren und welche Freiräume sie hierfür den dort tätigen Ärzten zugestehen bzw. bei den klinischen Partnern einfordern. Ist es wirklich gerechtfertigt, zugunsten einer beschleunigten Befunderhebung in der Eingangsdiagnostik die Obduktionstätigkeit in jeder Hinsicht hinten anzustellen?

Mit dem zunehmenden Rückgang der klinischen Obduktionen droht der Verlust eines der Integration ärztlichen Wissens dienenden Alleinstellungsmerkmals der Pathologie, das wegen der von uns durch die tägliche Eingangsdiagnostik erworbenen Erfahrungen auch nicht durch eine intensivierte Kooperation mit der Rechtsmedizin kompensiert werden kann (S. v. Stillfriedt, Aachen, T. Riepert, Mainz). Seitdem in mehreren Bundesländern nach unerwarteten Todesfällen in zeitlichem Zusammenhang mit ärztlichen Eingriffen auf Leichenschauscheinen bereits obligatorisch die Einordnung bei einer nicht-natürlichen Todesart vorgesehen ist und alle Todesfälle mit unbekannter Todesursache, bei denen trotz sorgfältiger Untersuchung und Einbeziehung der Vorgeschichte (auch im Krankenhaus) keine konkreten Befunde einer lebensbedrohlichen Erkrankung vorliegen, als ungewisse Todesart deklariert werden sollen, gibt es eine Schnittmenge im Tätigkeitsbereich von Rechtmedizinern und Pathologen, in der sich Anforderungen der Qualitätssicherung und Beweissicherung überlappen [4]. Erst nach der Nichtbeauftragung einer rechtsmedizinischen Obduktion durch die Staatsanwaltschaft kann der Weg zur Durchführung einer klinischen Obduktion aus Qualitätssicherungsgründen beschritten werden, falls die Zustimmung der Angehörigen vorliegt. Hier liegt sowohl in gesetzlicher als auch in gesundheitspolitischer Hinsicht Handlungsbedarf zur Gestaltung der Kooperation beider Fachdisziplinen vor.

Eine nachhaltige Neubewertung klinischer Obduktionen durch die Ärzteschaft setzt voraus, dass es gelingt, flächendeckend einen ausreichenden Qualitätsstandard der Obduktionen zu erreichen. Hierzu sind neben der zwischenzeitlich aktualisierten S1-Richtlinie zur Durchführung von Obduktionen [6] erforderlichenfalls die Heranziehung von Spezialisten für die Befundanalyse bestimmter Organsysteme (z. B. Neuropathologen) und eine institutionalisierte Weiterbildung des Pathologienachwuchses auf dem Gebiet der Obduktionspathologie geeignete Mittel (W. Schulz-Schaeffer, Homburg).

Darüber hinaus sollte in Pathologieinstituten die Expertise zur Interpretation und Diskussion klinischer Befunde im Kontext komplexer morphologischer Veränderungen erhalten und weiter ausgebaut werden, um die gewünschten qualitätssichernden Ergebnisse mit ggf. neuen Einsichten zum Krankheitsverlauf zu erzielen. Seit der Änderung der Weiterbildungsordnung im Jahre 2003 entfällt das „Gegenjahr“ für Weiterbildungsassistenten der Pathologie in einem klinischen Fach. Aktuell haben nur noch 29 % dieser Assistenten eine Weiterbildungszeit in einem Fachgebiet der unmittelbaren Krankenversorgung abgeleistet oder geplant [5]. Daher müssen wir zukünftig in höherem Maße als bisher diesbezüglich für eine verstärkte Zusammenarbeit mit unseren klinischen Partnern werben, denen es vermutlich ebenfalls wegen personeller Engpässe immer schwerer fällt, jungen Weiterzubildenden ihrer Fachrichtungen einen Ausbildungsabschnitt in Pathologieinstituten zuzugestehen, um Krankheitsabläufe „begreifen“ zu lernen. Sie würden damit allerdings der Selbstreflektion ärztlichen Handelns eine weitere Perspektive eröffnen und einen Grundstein dafür legen, Zweifel an Diagnosen zuzulassen (C. Wittekind, Leipzig).

Aus medizinethischer Sicht kommt der ärztlichen Selbstkontrolle durch klinische Obduktionen besonders vor dem Hintergrund einer zunehmend marktwirtschaftlichen Orientierung des Gesundheitswesens eine wichtige Bedeutung zu, da sie auch eine kritische Überprüfung der zu Lebzeiten des Patienten erfolgten Indikationsstellung zur Durchführung bestimmter diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen zulässt (D. Gross, Aachen, A. Bosse, Stuttgart).

Auch wenn z. B. im Universitätsspital Zürich im Zeitraum von 1972 bis 2002 ein Rückgang von relevanten Widersprüchen der autoptisch und klinisch ermittelten Hauptdiagnosen (Fehler der Klasse I und II) von 30 auf 7 % dokumentiert und im Qualitätsbericht der Klinik publiziert werden konnte (A.‑K. Rodewald et al., Zürich), belegen die aktuellen Auswertungen der Obduktionsergebnisse von drei verschiedenen Universitätskliniken (F. Erlmeier et al., München, J. Andruszkow et al., Aachen und U. Fries, Köln), dass Obduktionen auch heute noch im wesentlichen Umfang unbekannte Grundleiden aufdecken.

Bei der notwendigen Implementierung von Obduktionen in die Qualitätsmanagementregularien von Tumor- und Transplantationszentren sowie von klinischen Studien kommt besonders den Hochschulvertretern unseres Fachgebiets in Kooperation mit den Berufsverbänden und Fachgesellschaften der beteiligten Disziplinen eine Vorreiterstellung zu (F. Hofstädter, Regensburg).

Für die Gesundheitspolitik kann die wissenschaftliche Auswertung von Obduktionsergebnissen klären helfen, ob diejenigen chronischen Erkrankungen, deren Behandlung von unserem Gesundheitssystem finanziert wird, dieselben sind, deren Spätfolgen uns das durch Obduktionen sichtbar gemachte „morphologische Langzeitgedächtnis“ in Form der zum Tode führenden Grundleiden widerspiegelt. Möglicherweise entziehen sich auch heute noch bestimmte Erkrankungen unseren Diagnoseverfahren und therapeutischen Bemühungen. Der Erkenntnisgewinn durch Obduktionen kann möglicherweise im Interesse der Gemeinschaft der Versicherten und der Kostenträger dazu beitragen herauszufinden, ob sich der apparative, medikamentöse und finanzielle Aufwand ärztlicher Bemühungen ethisch rechtfertigen lässt, mit dem wir bei bestimmten schwerwiegenden Erkrankungen im Einzelfall versuchen, den drohenden letalen Ausgang möglichst lange hinauszuschieben.

Falls es durch die in Aussicht gestellte Finanzierung von Obduktionen gelingt, die Obduktionsquoten zu erhöhen, wäre die kontinuierliche epidemiologische Auswertung von Obduktionsergebnissen wieder sinnvoll möglich. Sie könnte als weiteres Steuerungsinstrument für den Mitteleinsatz im Gesundheitssystem und wieder zur Überprüfung der Wirksamkeit gesundheitsfördernder Maßnahmen herangezogen werden.

figure a

Prof. Dr. J. Friemann