Am 05. Juni 2013 starb Professor Dr. med. Lutz-Dietrich Leder im Alter von 80 Jahren (Abb. 1).

Abb. 1
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Lutz-Dietrich Leder

Erstmals erlebte ich ihn bei seinem Bewerbungsvortrag 1974 um die C4-Stelle am Universitätsinstitut Berlin-Charlottenburg (Klinikum Westend). Seine temperamentvolle Präsentation, seine klaren Ausführungen und intelligenten Schlussfolgerungen beeindruckten mich sehr. Der Kontrast zu einem Vortrag von Wilhelm Doerr einige Zeit zuvor, in dessen ehemaligem Institut im „Westend“, hätte stärker nicht sein können: Schwer verständlichen Neologismen mit pseudophilosophischem Hintergrund in pathetischer Attitüde in verschachtelten Sätzen auf der einen Seite standen kurze knappe Aussagen mit methodischer Akribie und analytischem Fazit gegenüber. Meine Entscheidung war gefallen: Wenn Leder nicht nach Berlin kommt, folge ich ihm nach Westdeutschland, wohin auch immer.

Der Weg für Leder nach Essen war lang. Wenige Jahre nach seiner Geburt 1933 als erster von drei Geschwistern in Nordhausen/Harz wurde der Vater, ein promovierter Volkswirt, mehrfach versetzt, sodass von 1939–1943 die Volksschulen in Weißenfels in Sachsen, Stargard in Pommern und Weimar in Thüringen besucht wurden. 1945 nach den ersten zwei Gymnasialjahren in Weimar floh die Familie vor der Sowjetischen Besatzung nach Helmstedt in Niedersachsen. Hier erhielt Leder 1954 das Reifezeugnis. Inzwischen war der Vater am Statistischen Bundesamt tätig, sodass die Familie in Wiesbaden ansässig wurde. Hier und im nahen Frankfurt begeisterte der American Way of Life mit Entertainment und Jazzmusik den jungen Mann, dem sich als begabtem Gitarren- und Klavierspieler im Unterhaltungssektor gute Chancen boten – Fertigkeiten, die auch später Institutsmitarbeiter begeisterten. Nun, damals siegte die Vernunft, er akzeptierte das disziplinierende Medizinstudium.

Mit Abschluss des Studiums in Frankfurt (1954–1960) promovierte Leder bei Karl Lennert „Über die histochemisch nachweisbare alkalische Phosphatase im menschlichen Lymphknoten“. Leder folgte Lennert zunächst nach Heidelberg (1960–1963) und dann nach Kiel (1963–1975), wo er ab 1968 als leitender Oberarzt tätig war. Schwerpunkt war die Hämatopathologie, insbesondere die enzymhistochemische Leukämiediagnostik. Hinzu kam die Lymphknotendiagnostik im Rahmen des 1965 gegründeten Lymphknotenregisters. Sein wissenschaftliches Generalthema war der Blutmonozyt, über dessen Herkunft und prospektive Potenz seine Habilitationsschrift 1967 als Monographie erschien. Bereits zuvor hatte er 1964 seine grundlegende Entdeckung publiziert, dass die Naphthol-ASD-Chloracetatesterasereaktion am formalinfixierten paraffineingebetteten Schnittmaterial zur Darstellung neutrophiler myeloischer Zellen und Gewebsmastzellen geeignet ist, was in den USA zur Bezeichnung „Leder Stain“ führte. Neben dem schwierigen Feld der Hämatopathologie engagierte sich Leder diagnostisch und wissenschaftlich durchaus in der Breite unseres Fachs. Durch herausragende Publikationen und Vorträge war er bald international bekannt und erhielt bei Bewerbungen mehrere vordere Listenplätze. Von Henry Rappaport, dem führenden Hämatopathologen der USA, wurde er als die „am stärksten profilierte Persönlichkeit unter den deutschen Pathologen, die bisher nicht in leitender Position sind“, apostrophiert.

1975 entschied sich das aufstrebende Universitätsklinikum Essen mit dem Plan für das erste Tumorzentrum Deutschlands (Westdeutsches Tumorzentrum) und dem klinischen Vater der 1974 erstmals publizierten Kiel-Klassifikation maligner Lymphome, Günter Brittinger, für den jungenhaften ehrgeizigen Professor aus Kiel.

Bald nach dem Start als Ordinarius am 01. Oktober 1975 in Essen erfolgte allerdings die Ernüchterung. Von 18 Arztstellen wurden 6 gestrichen und der Laboretat stark gekürzt. Hinzu kam eine extreme Belastung durch sehr hohe Studentenzahlen. Für 240 Studenten pro Semester standen nur 80 Plätze zur Verfügung, sodass alle Kurse 3-mal gehalten werden mussten. Die erhofften wissenschaftlichen Möglichkeiten für den jungen Ordinarius waren so von vornherein eingeschränkt. Selbst der Service für die Kliniken (Fallkonferenzen) musste reduziert werden. Besonders wichtig war Leder eine hohe Laborqualität mit sorgfältiger Schnitt- und Färbetechnik. Eine transparente Diagnostik am Diskussionsmikroskop war obligat. Die anstehenden Aufgaben wurden von Chef und Mitarbeitern durch hohen Arbeitseinsatz oft bis Mitternacht bewältigt.

Zur Knochenmark- und Lymphknotenpathologie erfolgten zahlreiche Vortragseinladungen, z. B. nach Mailand, Budapest, Zürich, Wien, Berlin, München, Amsterdam, London und New York. Eine vierwöchige Vortragsreise durch Japan 1979 fand großen Anklang und führte über mehrere Jahre Gastprofessoren nach Essen. Über 300 Publikationen, teils als Buchbeiträge, teils in hochrangigen Zeitschriften, tragen seinen Namen und sind von ihm wesentlich geprägt. Unvergessen ist eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Kiel-Klassifikation bei einem Kolloquium zum neu erschienenen Handbuch über Non-Hodgkin-Lymphome in Essen 1979. Als Anhänger der Monoklonalitätstheorie und früher Verfechter der Tumorzellheterogenität auch bei malignen Lymphomen präsentierte Leder zu den „linientreuen Lymphomentitäten“ einen hart geschliffenen Kommentar. Über ein Dutzend Promotionen und fünf Habilitationen zur Hämatopathologie, Lymphomklassifikation und Makrophagenfunktion führte Leder mit hohem persönlichem Einsatz zum Abschluss.

Als Dekan der medizinischen Fakultät war Leder von 1979–1980 tätig. Zudem engagierte er sich juristisch erfolgreich für das Nebentätigkeitsrecht der Kollegen. Über viele Jahre entwarf er die Prüfungsfragen für das IMPP in Mainz.

Mit dem Aufkommen nichtmorphologischer Methoden, wie der PCR Anfang der 90er Jahre, reduzierte Leder seine wissenschaftliche Tätigkeit. Die zunehmende Standardisierung der Diagnostik und der wachsende Einfluss von Leitlinien wurden von ihm als Einschränkung der diagnostischen Kunst empfunden. Die starke Aufsplitterung der Diagnosegruppen – katalysiert durch neue Techniken – lief seiner Forderung nach einer tumorbiologisch orientierten Diagnostik entgegen, die heute als therapierelevante individualisierte Tumordiagnostik en vogue ist.

So widmete er sich zunehmend privaten Interessen wie der Ornithologie und der Musik sowie seinen Favoriten Goethe und Schopenhauer. Als Emeritus (seit Februar 1998) unterrichtete er mit großer Begeisterung Kinder aus der Nachbarschaft.

Jedes Thema, das er aufgriff, bearbeitete er ernsthaft und intensiv. Dabei war er kein Macher, sondern eher ein Denker, auch ein sog. Sprechdenker, der für das Anfertigen von Ideen beim Sprechen seine Mitarbeiter als Medium brauchte. Die täglichen intensiven Gespräche am Diskussionsmikroskop waren offen, geistreich, humorvoll bis humoristisch, nur selten prüfend, aber nie verletzend. Fehlende Einsicht und leere Phrasen allerdings konnten seine Spottlust provozieren, die auch im Unterricht aufblitzen konnte. Seine Studenten nannten ihn treffend „Jerry Lewis“. Seine hohe Empfindsamkeit und seine große Sorge vor Abhängigkeiten, auch durch Kooperationen, standen ihm gelegentlich im Weg.

Leder behandelte seine Mitarbeiter immer absolut loyal, förderte ihre Fähigkeiten selbstlos, achtete streng auf Breite und Qualität ihrer Weiterbildung, war so weit wie nur möglich gerecht und spielte mit Ihnen nie – wie mancher Chef – ein doppeltes Spiel. Der Text in der Todesanzeige (FAZ 13.06.2013) durch seine Mitarbeiter trifft es genau:

Seine Liebe galt der Natur in ihrer vielfältigen Gestalt. So schulte er unseren morphologischen Blick. Er verstand es meisterlich, die Variabilität des normalen und des pathologischen menschlichen Gewebes zu ordnen und einzuordnen, ohne je die Begrenztheit dieses Tuns zu vergessen. Die Klarheit seines Denkens und seiner Sprache hat uns alle geprägt. Lange bevor flache Hierarchien und Umgang auf Augenhöhe Schlagworte einer modernen Führungskultur wurden, hat er uns diese Kultur vorgelebt. Wir trauern um unseren Lehrer.

K. Donhuijsen, Braunschweig