Am 16.03.2012 verstarb Professor Dr. med. Harro Seeliger (Abb. 1).

Abb. 1
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Harro Seeliger

Harro Gerhard Rudolf Seeliger kam am 15.05.1934 als erstes von fünf Kindern der Eheleute Dr. med. Gerhard Seeliger und seiner Ehefrau Annemarie, geb. Barth, in Lübeck zur Welt. Kinder- und Jugendjahre verbrachte er in Bad Ems und Bad Bertrich/Mosel. Sein Abitur legte er am staatlichen Gymnasium in Traben Trabach ab. Das Medizinstudium absolvierte er von 1955 bis 1961 an der Goethe Universität in Frankfurt am Main. Dort war er auch über zwei Jahre als wissenschaftlicher Assistent in der Dr. Senckenbergischen Anatomie tätig, was in ihm – nach seinen Worten – die anhaltende Neigung zur Morphologie begründete. In unmittelbarem Anschluss an das Medizinstudium wurde er unter Herrn Prof. H. Fricke mit seiner Dissertation „Quantitative Untersuchungen an Albinomäusen“ zum Doktor der Medizin promoviert. In diese Zeit fällt auch seine Heirat mit Frau Oberstudienrätin Christa Langsdorf.

Aus seiner Medizinalassistentenzeit hebt er in seinem Lebenslauf den Aufenthalt bei Prof. M. Ratschow (Angiologie) in Darmstadt hervor. Die Ausbildung im Fach Pathologie führte ihn über die Stationen pathologisches Institut in Gießen (Professor Sandritter), pathologisches Institut der städtischen Kliniken in Darmstadt (01.12.1963–31.03.1967, Professor Schopper) nach Homburg/Saar, wo er am pathologischen Institut der Universität des Saarlandes, damals schon unter der Leitung von Professor Dr. med. Georg Dohm, am 01.04.1967 eine wissenschaftliche Assistentenstelle antrat. Im Jahr 1969 erfolgte die Ernennung zum Oberarzt an diesem Institut. Erst 1970, nachdem durch die Ärztekammer des Saarlandes der Facharzt für Pathologie etabliert war, konnte Harro Seeliger im Juli des gleichen Jahres seine Anerkennung als Facharzt für pathologische Anatomie – wie es damals hieß – erhalten. Seine Habilitationsschrift „Über die Wirkung von Östrogen- und Glucocorticoidgaben auf die Nebennierenentwicklung des Feten (Untersuchungen an neugeborenen Ratten)“ wurde im Mai 1971 angenommen, am 13.07.1971 wurde Harro Seeliger die Venia legendi für das Fach Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie verliehen. Noch im gleichen Jahr erfolgte die Ernennung zum Professor auf Lebenszeit und zum Wissenschaftlichen Rat.

Am 01.1.1981 trat Harro Seeliger die Stelle als leitender Arzt des pathologischen Instituts am Klinikum in Ludwigsburg an. Dort hat er auch 1999 seine berufliche Laufbahn beendet.

Wissenschaftlich trat Harro Seeliger in seiner Homburger Zeit anfänglich mit Untersuchungen kindlicher Herzen mit Fehlbildungen und Arbeiten zur Morphologie und Pathogenese digitaler Arterienverschlüsse hervor. Weiter widmete er sich der morphologischen Erforschung endokriner Organe unter besonderer Berücksichtigung der Nebennierenrinde, ein Forschungsschwerpunkt des pathologischen Instituts der Universität des Saarlandes. In Zusammenarbeit mit der tierexperimentellen Abteilung der pharmazeutischen Firma Thomae in Biberach/Riß und der Universität Göttingen untersuchte er Reaktionen an der Nebennierenrinde von Ratten und von Minipigs unter verschiedenen Versuchsbedingungen. Als Erstautor veröffentlichte er 24 wissenschaftliche Arbeiten, in vielen weiteren firmierte er als Koautor. Themen dieser wissenschaftlichen Arbeiten und Veröffentlichungen waren unter anderem Tuberkulose, Sarkoidose, Amyloidose und granulomatöse Entzündungsreaktionen, ebenso Untersuchungen über das Prostatakarzinom, speziell das duktale, damals sogenannte endometrioide Karzinom der Prostata. Selbstverständlich beteiligte sich Harro Seeliger auch in großem Umfang an der akademischen Lehre und betreute als Doktorvater zahlreiche Dissertationen in Homburg und auch während seiner Tätigkeit in Ludwigsburg.

Als Chefarzt des pathologischen Instituts in Ludwigsburg legte er sehr großen Wert auf interdisziplinäre Zusammenarbeit. In der täglichen Diagnostik manifestierte sich dies in seinem stetigen Bemühen, die morphologischen Befunde mit dem klinischen Krankheitsbild zu korrelieren. Den Obduktionen räumte er einen sehr hohen Stellenwert ein. Dies zeigte sich in den von ihm wöchentlich abgehaltenen klinisch-pathologischen Demonstrationen, die er als offenes Diskussionsforum nutzte. Es waren immer sehr lebhafte Veranstaltungen, die regen Zuspruch erhielten.

Aufgrund seines umfangreichen, fundierten Fachwissens, verbunden mit seiner offenen und herzlichen Persönlichkeit war Harro Seeliger ein ausgezeichneter Lehrer. Viele angehende Mediziner hat er in den 1970er- und -80er-Jahren in einem damals noch üblichen Pathologiejahr betreut und viele Kollegen zu erfolgreichen Pathologen ausgebildet.

Entsprechend seinem gegenüber allen Lebensfragen offenen Charakter engagierte sich Harro Seeliger in seiner Homburger Zeit in hochschulpolitischen Fragen und administrativen Aufgaben, stets mit dem Anspruch an sich, seine inneren Einstellungen und Überzeugungen einzubringen und umzusetzen. So setzte er sich während seiner Assistentenzeit in der Assistentenbewegung ein, die für mehr Mitbestimmung kämpfte. Nach seiner Habilitation war er in vielfältiger Mission im Fakultätsrat tätig. Unter seiner Mithilfe wurde Mitte der 1970er-Jahre das Homburger Prostatakarzinomregister am pathologischen Institut eingerichtet. In Ludwigsburg war er mehrere Jahre als stellvertretender ärztlicher Direktor und ärztlicher Direktor tätig und maßgeblich an der strategischen Ausrichtung und Zukunftsplanung des Klinikums beteiligt. Weiter war Harro Seeliger von 1987 bis 2009 als Fachgutachter in der Gutachterkommission der Landesärztekammer Baden-Württemberg tätig.

Auch nach Beendigung seiner beruflichen Laufbahn konnte er von der Morphologie nicht lassen und brachte sich noch über viele Jahre in eine tiermedizinische Klinik als „Veterinärpathologe“ ein.

Alle, die Harro Seeliger kannten und das Glück hatten mit ihm zusammenzuarbeiten, haben mit großer Anteilnahme seinen Tod zur Kenntnis genommen.

Harro Seeliger war ein „Vollblutmensch“ mit ungemein positiver Ausstrahlung, gepaart mit Bescheidenheit im Auftreten. Er konnte sehr gut zuhören. Für die Menschen in seinem Umfeld, speziell für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seines Instituts, hat er sich rückhaltlos eingesetzt und ihnen auch den Weg in die weitere Zukunft bereitet. Wahrhaftigkeit war ein wesentliches Charaktermerkmal, das seine Persönlichkeit prägte. Er liebte die Menschen, Tiere und die Natur, letztere – zum Verdruss so manchen Jägers auf seinem Ansitz – besonders früh am Morgen, wenn sie erwachte.

Als sozialer, geselliger und humorvoller Mensch suchte und fand er auch Befriedigung in der Kunst, vor allem in der Musik, die er als Klavierspieler aktiv ausübte. Aber auch das Theater, die Literatur, Philosophie und Geschichte zogen ihn an.

Einen schweren Schicksalsschlag musste Harro Seeliger hinnehmen, den plötzlichen Unfalltod seiner Frau. Seine hoffnungsvolle und positive Einstellung zum Leben hat er sogar in dieser für ihn schweren Zeit nicht ganz verloren. Eingebettet in diese Grundhaltung war er aber sicher zu allen Zeiten auch ein ernster und nachdenklicher Mensch.

Alle, die Harro Seeliger kannten, werden ihn als gütigen, charaktervollen und lebensbejahenden Menschen in ehrenvoller Erinnerung behalten.

P. Vierling, Villingen-Schwenningen