Die Diagnostik von Erkrankungen des Knochenmarks nimmt eine Sonderstellung ein, da hierbei mit der Hämatologie eine weitere Fachdisziplin eine zentrale Rolle spielt und die Knochenmarkhistologie nur einen Teilaspekt darstellt – im Gegensatz zur sonst üblichen Oberhoheit der Pathologie über gewebs- und zellbasierte Untersuchungen. In vielen Fällen sind für eine korrekte Diagnosestellung die Einbeziehung klinischer Befunde sowie der Resultate von Aspirationszytologie, Durchflusszytometrie, Zytogenetik und Molekulargenetik, die zumindest in der Befundungspraxis im deutschen Sprachraum meist in den Händen der Kollegen der Hämatologie liegen, notwendig. Das erfordert nicht nur eine gehörige Portion gelebter Interdisziplinarität, sondern auch eine profunde Kenntnis der diagnostischen Kriterien aufseiten des Befunders und eine Weitergabe der relevanten klinischen und Laborbefunde, wie Blutbild, Differenzialblutbild oder Zytogenetik, vonseiten der Klinik.

Die fehlende klinische Information ist zwar in allen Teilbereichen der Pathologie ein oft beklagter Missstand, kann aber gerade in der Knochenmarkdiagnostik häufig in einer fehlerhaften Interpretation der morphologischen und phänotypischen Veränderungen resultieren.

Als ein Beispiel unter vielen für die absolute Notwendigkeit der Integration klinischer Daten sei die chronische myelomonozytäre Leukämie (CMML) genannt. Bei ihr sind die morphologischen Knochenmarkveränderungen im Trepanat zwar durchaus suggestiv, letztlich ist aber eine sichere Diagnose nur unter Kenntnis der Blutbildveränderungen bzw. des Ausstrichs und des molekulargenetischen Befunds möglich, da eine persistierende Monozytose von >1•109 und die Abwesenheit des BCR-ABL1-Fusionsgens essenzielle Diagnosekriterien darstellen. Ob neue molekulare Befunde, wie die vor Kurzem beschriebene, in etwa 50% der CMML nachweisbare Mutation des Spliceosom-assoziierten Gens SRSF2 die eher arbiträren diagnostischen Kriterien für diese myelodysplastisch/myeloproliferative Neoplasie verbessern können, bleibt abzuwarten. Bei der Polycythaemia vera hat der in nahezu allen Fällen positive Nachweis der JAK2-V617F-Mutation (oder einer der seltenen Exon-12-Mutationen) frühere diagnostische Algorithmen obsolet gemacht und dazu geführt, dass oft auf eine diagnostische Knochenmarkbiopsie ganz verzichtet wird.

Aufgrund des rasanten Fortschritts in der molekularen Diagnostik hämatologischer Neoplasien, die gerade jetzt aufgrund des „next generation sequencing“ zu einem Quantensprung ansetzt und eine Fülle neuer diagnostischer Marker generieren wird, ist vonseiten der Pathologie eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit diesen neuen Erkenntnissen und gegebenenfalls eine Anpassung diagnostischer Abläufe erforderlich, um die klinische Relevanz der Knochenmarkbiopsie zu erhalten.

Die gute Nachricht ist, dass auch in der Diagnostik am paraffineingebetteten Knochenmarktrepanat heute beinahe das komplette Spektrum immunhistochemischer und molekularer Methoden eingesetzt werden kann und neue Erkenntnisse sehr rasch Eingang in die Routinediagnostik finden. Dies konnte am Beispiel des Einsatzes eines paraffingängigen, BRAF-V600E-spezifischen Antikörpers für die Diagnose der Haarzellleukämie eindrucksvoll gezeigt werden, und dies gerade ein Jahr nach der Erstbeschreibung des Vorkommens dieser Mutation in nahezu 100% der Fälle dieser B-Zellneoplasie [1, 2].

Aufgrund der Besonderheiten der hämatopathologischen Diagnostik am Beckenkammtrepanat, die sowohl eine bestmögliche Morphologie als auch eine Erhaltung von Antigenstrukturen und DNA- und RNA-Molekülen trotz der notwendigen Entkalkung des Gewebes erfordern, kommt der Aufarbeitung der Knochenmarkbiopsie besondere Bedeutung zu. Diese wird in einem eigenen Beitrag dieses Themenhefts eingehend beleuchtet. Obwohl es eine Vielzahl von erfolgreichen Fixierungs- und Entkalkungsprotokollen gibt und der Artikel sicher keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann, spiegelt er unsere Erfahrungen mit immunhistochemischer und molekularer Diagnostik am Knochenmarkbiopsat wider und kann Anregungen zur Verbesserung der Technik liefern.

Die Beiträge zu den verschiedenen Gruppen hämatopoetischer und lymphatischer Neoplasien zeigen die zunehmende Bedeutung immunphänotypischer und molekularer Befunde für die Diagnosestellung unabhängig davon, an welchem Material sie erhoben werden, und unterstreichen, wie sehr unsere diagnostischen Möglichkeiten am Trepanat gewachsen sind. Dies trifft sowohl auf häufige Routinefragestellungen wie die Staginguntersuchung bei malignen Lymphomen wie auch auf die oft schwierige Primär- und Verlaufsdiagnostik myeloischer Neoplasien zu, sodass die Knochenmarkdiagnostik am Trepanat durchaus selbstbewusst einen Platz neben den anderen diagnostischen Techniken einnehmen kann.

Hauptziel dieses Themenhefts ist es, praktisch-tätigen Pathologen einen Überblick über die moderne Diagnostik von Knochenmarkbiopsien und ausgewählte neue Entwicklungen in der immer komplexer werdenden Klassifikation hämatologischer Neoplasien zu bieten.

Aufgrund der überragenden Bedeutung der interdisziplinären Beurteilung von Knochenmarkveränderungen haben wir uns dazu entschlossen, klinisch tätige Kollegen mit sehr großer Erfahrung in der hämatologischen Diagnostik als Autoren zu gewinnen, um die Indikationsstellung zur Knochenmarkbiopsie und ihre Wertigkeit sowie den Einsatz der verschiedenen Techniken bei der Diagnose akuter Leukämien aus klinischem Blickwinkel zu beschreiben.

Ich hoffe, dass dieses Themenheft nicht nur einen kurz gefassten aktuellen Überblick liefern kann, sondern vielleicht darüber hinaus Anregungen zur vertieften Auseinandersetzung mit aktuellen Themen der Knochenmarkdiagnostik bietet.

F. Fend