Die Urologen haben das PSA erfunden, die Geißel der Pathologen. Aber diese haben sich mit ASAP fürchterlich gerächt!Footnote 1

Im Zeitraum 1951 bis Januar 2012 findet man in der elektronischen Datenbank PubMed/Medline® unter dem Begriff „Prostatabiopsie“ die unglaubliche Zahl von knapp 43.000 Publikationen. Diese „unbereinigte“ Zahl ist ein sehr grober und oberflächlicher Maßstab, weil viele Publikationen aus den früheren Jahren nur marginal mit der Prostatabiopsie im heutigen Sinn etwas zu tun hatten. Mehr als drei Viertel aller diesbezüglichen Publikationen wurden erst in den letzten 2 Jahrzehnten publiziert. Die Ursache des rasanten Anstiegs der Publikationen in den nachfolgenden Jahren ist die zunächst zaghafte [31], dann aber routinemäßige und sogar systematische serologische Bestimmung des prostataspezifischen Antigens (PSAFootnote 2; sog. Männerscreening) für die Entdeckung eines klinisch stummen Prostatakarzinoms [5]. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass die ersten PSA-Untersuchungen an Prostatakarzinomen von Pathologen immunhistochemisch durchgeführt wurden [32] – und dies erst ganze 11 Jahre, nachdem der Immunologe Ablin [1] dieses Gewebsantigen (kein Tumormarker!) isoliert hatte.

Die Pathologen wurden plötzlich mit der Diagnostik eines symptomlosen und unsichtbaren Tumors konfrontiert, der sich nur durch erhöhte Werte von PSA im Blut bemerkbar machte. Die erhöhten Werte sind an und für sich kein sicherer Nachweis für ein bestehendes Karzinom, weil auch bei Entzündungen und mechanischer Reizung (Sport), die Werte erhöht sind. Deswegen versucht man, mit anderen serologischen Parametern (freies PSA, PSA-Dichte, PSA-Verdopplungszeit) eine etwas sicherere serologische Krebsvorhersage zu erreichen [19]. Zurzeit befinden sich einige molekulare Marker als möglicher Ersatz für das PSA-Screening in der Testphase, wobei 2 RNA-Marker, die im Harn bestimmt werden, am aussichtsreichsten erscheinen. Das bisher am häufigsten getestete PCA3 ist eine nichtkodierende RNA, die offensichtlich nur im Prostatagewebe vorkommt. Der bereits kommerziell erhältliche Test (Progensa® PCA3) hat eine 60%ige Sensitivität. Der Nachweis von PCA3 dient v. a. zur Indikation einer Rebiopsie [26, 27]. Einen höheren positiven prädiktiven Wert (94%) hat der Nachweis der TMPRSS2:ERG-Genfusion an Prostatazellen im Harn [26, 27], wobei diese Methode allerdings außerordentlich aufwendig ist. Von der Kombination beider Tests wird eine deutlich bessere Treffsicherheit erwartet.

Die Beweisführung für ein erhöhtes serologische PSA traf und trifft aber nur die Pathologen. Nach Einführung des PSA-Screenings vor 20 Jahren standen sie plötzlich nicht nur vor einer riesigen Zahl von Prostatabiopsien (z. B. in den USA >1 Mio./Jahr) sondern auch einer fast gänzlich unbekannten Pathomorphologie gegenüber. Die prostatische intraepitheliale Neoplasie (PIN), die atypische adenomatöse Hyperplasie (AAH), die Basalzellenhyperplasie usw. sind morphologische „Entdeckungen“ dieser zwanzigjährigen Ära.

Abgesehen vom morphologischen Neuland verringerte sich auch die Menge des im Einzelfall zu untersuchenden Gewebes dramatisch. Das Volumen des durch dünnere Nadeln gewonnenen Gewebes entspricht bestenfalls der Hälfte (Gauge 16) oder sogar weniger als einem Drittel (Gauge 18) des Gewebsvolumens einer mit der alten Vim-Silverman-Nadel gewonnenen Biopsie. Mehrfachbiopsien erhöhen zwar die Wahrscheinlichkeit der Entdeckung eines bestehenden Prostatakrebses, verringern aber keinesfalls die Irrtumswahrscheinlichkeit!

Der angesehene amerikanische Urologe Andriole bezeichnete in einem Review [4] die konventionelle Prostatabiopsie als ein Lotteriespiel, bei dem das Karzinom oft verfehlt wird, und falls es entdeckt wird, werden dessen Eigenschaften (Größe, Lokalisation im Organ und Gleason-Score) meist falsch bewertet. Die Diskussion über die notwendige Anzahl von Biopsien für das sichere Aufspüren des Prostatakarzinoms ist unter Urologen noch immer voll im Gange [6, 10]: Minimalisten bescheiden sich mit 10 Biopsien, die Maximalisten verlangen 32 „Sättigungsbiopsien“ (fast eine „Nadelprostatektomie“), zumindest nach einer vorausgegangenen negativen Biopsieserie. Tatsächlich zeigen aber seriöse Untersuchungen, dass man mit 32 Biopsien keine höhere Treffsicherheit erreicht als mit 18 Biopsien [10]. Wir Pathologen sind bei diesem Treiben nur Zaungäste – eine winzige kleindrüsige Proliferation (ASAP: „atypical small acinar proliferation“) in einem Biopsiezylinder ist ein diagnostisches Problem, das in keiner Beziehung zur Zahl der Biopsien steht.

Im vorliegenden Heft analysieren Helpap u. Oehler [17] die Fragestellungen der Konsiliarbefunde, die sie im Jahr 2008 erhielten, und vergleichen diese mit Befunden aus zwei früheren Jahren (1995, 2003). Das Einholen einer Zweitmeinung bei malignitätsverdächtigen Prostataläsionen ist zwischenzeitlich in ganz Europa gängige Praxis, zumal in großen Prostatazentren auch bei zweifelsfreien auswärtigen Diagnosen der Urologe eine Zweitbegutachtung durch den „hauseigenen“ (falls vorhanden) Uropathologen wünscht. Dabei geht es primär um die Interpretation der Befunde, die für die Therapieplanung wichtig sind. Nebenbei kann in diesem Zusammenhang mit Freude festgestellt werden, dass sich die Uropathologie bei der jungen Generation europäischer Pathologen offensichtlich großer Beliebtheit erfreut und daher auch ausreichend Pathologen mit entsprechender Expertise zur Verfügung stehen.

Helpap u. Oehler [17] weisen auf die Tatsache hin, dass eine Reihe von diagnostischen Schwierigkeiten oder gar Fehlleistungen nicht durch mangelnde diagnostische Fähigkeiten, sondern durch technische Probleme verursacht werden. Fehler und diagnostische Unsicherheiten sind durch Anwendung standardisierter Einbettungsmethoden [25] und mit guter Schnitt- und Färbequalität größtenteils vermeidbar. Auch die Immunhistochemie ist kein Allheilmittel, welches mittels positiver oder negativer Reaktionen und fröhlichen Farben eine sichere Diagnose verspricht. Eine positive Razemase(α-Methylazyl-CoA-Razemase)-Reaktivität findet sich manchmal auch in harmlosen Läsionen, und es gibt auch p63-positive Karzinome [23]! Die Razemase-Reaktion ist generell eine launische Diva, deren „Erscheinen“ von vielen Faktoren abhängt und sogar in ein und demselben Labor ganz unterschiedliche Ergebnisse liefern kann [20].

Abseits von den nüchternen Zahlen, die die umfangreiche Konsiliartätigkeit der Autoren detailliert belegen, ist für mich der Vergleich der Fragestellungen der Einsender in den verschiedenen Zeitperioden die wichtigste Botschaft dieser Arbeit. In den 1990er Jahren standen offensichtlich die Fragen der Abgrenzungen von AAH und PIN von Karzinomen und die Unterscheidung zwischen den Gleason-Scores 6 und 7 im Vordergrund. 2008 ist das „Interesse“ für AAH und PIN signifikant geringer geworden, dafür stehen ASAP und der Gleason-Score im Vordergrund. AAH und PIN haben offensichtlich ihre „Faszination“ verloren und stellen in der täglichen Diagnostik auch kein differenzialdiagnostisches Schreckgespenst mehr dar. Interessanterweise werden Fälle mit Atrophie nicht näher besprochen – die proliferative Form der Atrophie [7] ist nach eigener Erfahrung die häufigste Ursache tragischer Fehldiagnosen.

Man kann Murphy [22] nur beipflichten, wenn er meint, dass es keine wirklich gute Idee ist, unsere diagnostischen Unsicherheiten hinter einem Kürzel (ASAP) zu verstecken, das wie eine Diagnose klingt. Anständigerweise sollte man einfach mitteilen, dass eine sichere Diagnose nicht möglich ist. Aber, so wie viele andere unkorrekte medizinische Bezeichnungen (wie z. B. die im angelsächsischen Sprachraum gebräuchliche Prostatahypertrophie), ist auch ASAP aus der Uropathologie nicht mehr wegzudenken. Die Diagnose ASAP bedeutet eine fast 50%ige Wahrscheinlichkeit, dass in der nachfolgenden Rebiopsie ein Karzinom gefunden wird. Dies ist ein wesentlich höher Prozentsatz, als bei der vor 10 Jahren „modernen“ Diagnose HGPIN („High-grade-PIN“) in der Vorbiopsie. Die HGPIN hat selbst nach Einschätzung ihres Erfinders Bostwick [28] deutlich an prädiktiver Bedeutung verloren. Die Ursache für diesen Niedergang liegt nach Meinung der Experten [28] einerseits in den extensiven Biopsietechniken, die schon primär mehr Karzinome zutage fördern und die PIN als Indikator der Notwendigkeit einer Rebiopsie bedeutungslos machen würden. Andererseits sind die von PIN begleiteten Karzinome meist so klein, dass sie unentdeckt blieben oder aber gibt es PIN auch ohne „Begleitkarzinom“.

ASAP ist eine klassische Diagnose, die durch schlechtes oder nicht richtig verarbeitetes Biopsiematerial entsteht. Werden die Schnitte für die Immunhistochemie gleichzeitig mit denen für die HE-Färbung (sog. Intervallschnitte) hergestellt, gehen nur 8% der vorhandenen Karzinome verloren. Wird der Paraffinblock nachträglich geschnitten (sog. „Re-cut“) sind es über 50% [16]! Tatsächlich bestätigen viele Publikationen, dass viele ASAP a priori bereits vom Pathologen nicht erkannte Karzinome sind [17]. Nichtsdestotrotz wird es immer Fälle geben, die trotz perfekter Technik und Zweitmeinung durch ausgewiesene Experten unklar bleiben. Die Urologen wissen, dass in solchen Fällen der Patient rebiopsiert werden muss – „as soon as possible“! Für die Pathologen gibt es ganz einfache Regeln für die Selbstkontrolle der diagnostischen und technischen Qualität von Prostatabiopsien [12]:

  • die Durchschnittslänge der Biopsiezylinder (gemessen am Objektträger) sollte 10 mm betragen,

  • eine ASAP-Häufigkeit <3% ist gut, ASAP <5% ist noch annehmbar,

  • letztlich darf, nach Kontrolle, die Zahl falsch-negativer Diagnosen 3% nicht übersteigen.

Die Gleason-Exegeten treffen sich alle paar Jahre, um in den Originalzeichnungen von Gleason [13] weitere Geheimnisse zu entdecken. Beim letzten Treffen 2005 ist das Gleason-System verschärft, aber auch wesentlich vereinfacht worden. Deshalb erscheint es durchaus verwunderlich, dass unter den von Helpap u. Oehler [17] aufgeführten Konsultationsfällen noch Fälle mit Gleason-Score 3 (Grade 1+2), 4 (Grade 2+2) und 5 (Grade 2+3) vorzufinden sind. Die einfachen Regeln lauten: Gleason-Grad 1 gibt es nicht und Grad 2 ist der typische Tumor der transitionalen Zone, dem man praktisch ausschließlich im TUR (transurethrale Resektion)-Material als inzidentales Karzinom begegnet. In der Biopsiediagnostik sollte man die Gleason-Grade 1 und 2 nicht verwenden.

Die wesentliche Vereinfachung betrifft aber die Bewertung der kribrösen (siebähnlichen) Drüsen, die in Gleasons Originalzeichnungen bei Grad 2 (ganz klein), 3 und 4 zu finden sind. Die Gleason-Experten haben mit gutem Grund entschieden, dass, unbeschadet der Morphologie dieser kribrösen Strukturen, ihre Anwesenheit Gleason-Grad 4 bedeutet [13].

Am 9. März 2010 veröffentlichte der PSA-Entdecker Richard Ablin [2] in „The New York Times“ einen Artikel mit dem Titel „The great prostate mistake“ mit folgendem Statement:

„I never dreamed that my discovery four decades ago would lead to such a profit-driven public health disaster. The medical community must confront reality and stop the inappropriate use of P.S.A. screening. Doing so would save billions of dollars and rescue millions of men from unnecessary, debilitating treatments.“

Ähnlich wie die Väter der Atombombe, die sich von ihrer unheilbringenden Entdeckung nach und nach lossagten, versucht Ablin [2] mit seinem pathetischen Aufruf, eine Entwicklung zu stoppen, die sich mit neuen Testmethoden langsam bereits in die Post-PSA-Screening-Ära zu bewegen beginnt.

Die Reaktionen waren sowohl in den USAFootnote 3 und mehr noch in Europa heftig [15]. Dem Aufruf lag eine Publikation im New England Journal of Medicine zugrunde, in der gezeigt wurde, dass das PSA-Massenscreening in den USA keine Verringerung der Mortalität bei Prostatakrebs bewirkt hatte [3]. Ganz im Gegensatz dazu zeigen europäische Studien eine langsame, aber deutliche Abnahme der Prostatakrebsmortalität eben durch das PSA-Screening [33]. Tatsächlich erkennt man in der Zwischenzeit auch in den USA an, dass beide Studien nicht vergleichbar sind [21] und dass im Gegensatz zur zitierten US-amerikanischen Studie die europäischen Studien methodisch einwandfreier durchgeführt wurden. Nichtsdestotrotz stellt sich auf beiden Seiten des Atlantiks die berechtigte Frage, ob die Prostatektomie tatsächlich die einzige Therapieoption für die potenziell heilbaren Prostatakarzinome sei. Es ist nämlich hinlänglich bekannt, dass nach dem 50. Lebensjahr, zwar 50% der Männer ein latentes Karzinom haben, aber nur bei 10% wird es klinisch manifest – d. h. die Mehrzahl wird mit, aber nicht an Prostatakrebs sterben [9]. Deswegen heißt das magische Wort nun „active surveillance“, d. h. dass unter bestimmten Voraussetzungen ein Patient mit Prostatakrebs nur aktiv beobachtet wird [14, 30]. „Aktiv“ bedeutet aber auch, dass Prostatabiopsien gegebenenfalls vermehrt entnommen werden müssen.

Die wichtige Voraussetzung für die aktive Überwachung wäre die Feststellung, ob es sich um einen sog. „insignifikanten Prostatakrebs“ handelt. Die klar definierten Kriterien [11] für den insignifikanten Prostatakrebs sehen vor, dass das Karzinom in nicht mehr als zwei Biopsiezylindern vorhanden sein darf. Es wird nunmehr von mehreren Prostatazentren versucht, diese grobe Quantifizierung durch eine präzisere zu ersetzen [18, 24]. Es ist anzunehmen, dass die Standardisierung der Karzinommessmethoden am Biopsiezylinder eines der Kernthemen kommender Konsensuskonferenzen sein wird, um diesbezüglich verbindliche Leitlinien zu klinischen Normogrammen für die Therapieplanung zu erarbeiten [29].

Ob nun Prostatektomie, Surveillance oder andere therapeutische Optionen – es ist in nächster Zukunft nicht zu erwarten, dass ohne Prostatabiopsien klinische Entscheidungen getroffen werden. Der Einsatz neuer morphologischer Parameter und vielleicht sogar eine neue Deutung des Gleason-Gradings [8] werden wieder neue Diskussionen entfachen. Wie eingangs gesagt... eine unendliche Geschichte!

Prof. Dr. G. Mikuz