Im Zeitalter der Digitalisierung verändert sich auch der Alltag in Schulen. Unterricht unterliegt einem Wandel und erfordert durch den Einsatz moderner digitaler Medien andere Rahmenbedingungen. Für viele Berufe ist der tägliche Umgang mit modernen Technologien bereits im eher geschlossenen Umfeld in den Schulen eine gute Orientierung. Diese Veränderungen sind Ausdruck eines Umbruchs in den Leitmedien, den wir schleichend bereits im Alltag erleben. Hier muss die Schule für die Allgemeinbildung Antworten finden. Und diese sind eben nicht nur auf das Vorhandensein digitaler Medien, deren Beurteilung und den Austausch von Materialien über verschiedene Plattformen beschränkt.
Aktuell werden verstärkt digitale Arbeitsweisen und damit verbundene IT-Kenntnisse gefordert, es wird vor einer digitalen Spaltung der Gesellschaft gewarnt und in sehr unterschiedlichen Facetten über Sinn und Unsinn von Bildung im Kontext von digitalen Medien und Informatik diskutiert. Spätestens seit der Veröffentlichung der ersten Ergebnisse vergleichender empirischer Studien wie TIMSS, PISA oder ICILS haben verschiedene Debatten und fast unzählige wissenschaftliche und journalistische Schriften dafür gesorgt, Interesse an einer sogenannten „digitalen Bildung“ zu wecken, ohne deren Gegenstand genauer zu beschreiben und damit wirkliche Antworten auf Fragen zu digitalen Phänomenen zu ermöglichen [1].
Die Fähigkeit zum bloßen Hantieren mit Arbeitsgeräten und Werkzeugen ist genauso wenig Zeichen einer Kompetenz im künstlerischen oder naturwissenschaftlichen Bereich, wie das Vermögen, Texte auf einer Schreibmaschine zu tippen, Zeichen eines kompetenten Sprachgebrauchs ist. Diese Metapher darf konsequenterweise auch auf die „digitale Bildung“ angewendet werden.
Auch hinsichtlich der informatischen Bildung ist nicht die Bedienung einer Anwendung oder eines Gerätes entscheidend, sondern es sind Konzepte zu hinterfragen, um Alltagsphänomene (oder schlicht: Erlebnisse bzw. notwendige Handlungen) zu verstehen und ihnen gestaltend begegnen zu können. Informatische Bildung und Nutzung digitaler Medien im Sinne einer Medienbildung befinden sich im Schulalltag in einem ständigen Begründungszwang, obwohl in Wirtschaft und Gesellschaft viele Anwendungen aus diesen Bereichen längst zur Normalität gehören. Gleichzeitig werden die öffentlichen Medien wie Presse und Fernsehen nicht müde, von Problemen in der Nutzung moderner Informationskanäle durch Kinder und Jugendliche zu berichten. Vielfältige Formen der Bildung in diesem Bereich wurden und werden gefordert. Computerführerschein, Medienpass und viele andere Wortschöpfungen reihen sich aneinander. Die Herausforderungen an die Bildung betreffen insbesondere die Interaktivität, die Kreativität oder auch das Gestalten. Dabei geht es nicht darum, „etwas mit digitalen Medien“ zu machen, sondern vielmehr darum, digitale Anwendungen selbst zu entwickeln und kreativ zu verändern. Dafür sind dann auch Modellieren und Realisieren (eigentlich Implementieren) erforderlich, Kernkompetenzen einer informatischen Bildung. Es erscheint in diesem Kontext überfällig, eine systematische Bildung – die Informatik und die digitalen Medien betreffend – einzufordern.
Es geht nicht um ein „Mehr an Informatikunterricht“, sondern um die Anerkennung für ein allgemeinbildendes Schulfach Informatik für alle Schülerinnen und Schüler überhaupt. Die bildungspolitischen Debatten um die Einführung von Fächern und die vorhandenen vollen Stundentafeln in allen Schularten sind eine Seite. Die andere Seite ist die aktuelle Notwendigkeit, essenzielle Grundlagen der Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft, insbesondere die Ausprägung der dafür notwendigen Kompetenzen, didaktisch geeignet in der Allgemeinbildung für alle fest zu verankern.
Schüler und Schülerinnen brauchen kein Spezialwissen, aber ein grundsätzliches Verständnis für Fragen der maschinellen Verarbeitung von Informationen und Daten. Sie sollten nicht nur eine „passive Konsumhaltung“ einnehmen, sondern beurteilen können, welche medizinischen, ökologischen und ethischen Folgen die Digitalisierung oder die künstliche Intelligenz haben. Sie sollten auch einschätzen können, welche Grenzen die Digitalisierung hat [2].
Da informatische Bildung sich nicht in der Bedienung einer Anwendung oder eines Gerätes erschöpft, sondern genau die notwendigen Informatikkonzepte hinterfragt, um Erlebnisse bzw. notwendige Handlungen mit digitalen Anwendungen – also Informatiksystemen – zu verstehen, muss sie im Kontext der Bildung in einer digitalen Welt unbedingt verortet werden.
Es gibt in den Bundesländern große Unterschiede in der Einordnung eines Schulfaches Informatik in die jeweilige Stundentafel. Das betrifft neben den Sekundarbereich I in den weiterführenden Schulen vor allem Informatikkurse in der Oberstufe auf unterschiedlichem Niveau. Das Interesse und die in der Schule bereits vorliegenden Angebote sind in verschiedenen Studien der letzten Jahre bereits sichtbar geworden. Zur Verbesserung der informatischen Bildung sind Maßnahmen zur Realisierung eines durchgängigen Informatik-Unterrichts umzusetzen [3].
Ein Fach Informatik als Kern der Ausprägung digitaler Kompetenzen dient der Darstellung und Systematisierung von Begriffen und Grundzusammenhängen der Informatik sowie der Vervollständigung von Kenntnissen und Einsichten zu grundlegendem Allgemeinwissen. Der Informatikunterricht stellt (ähnlich dem Mathematikunterricht im Rahmen einer mathematischen Bildung) ein wichtiges systematisierendes Element dar. In den durch die Gesellschaft für Informatik e. V. publizierten „Grundsätzen und Standards für die Informatik in der Schule“ sowie den „Kompetenzen für informatische Bildung im Primarbereich“ [4,5,6] sind Kompetenzen dargestellt und erläutert, die Anforderungen an eine informatische Bildung beschreiben, Antworten zu Alltagsphänomenen ermöglichen und an Beispielen zeigen, was Informatikbildung erreichen soll. Die Debatte um Schulfächer ist in diesem Zusammenhang ein zeitloses Thema:
Die Schulfächer sind eine künstliche Konstruktion, kommen im Leben selbst nicht vor, was vielfach als Beweis für die Lebensfremdheit der Schule gilt. Sie sind die einzige Möglichkeit, die komplexe Wirklichkeit des Lebens denkend zu ordnen. … Bei der Festlegung eines Kanons muß schließlich auch bedacht werden, daß jedes Schulfach sich hinsichtlich seiner Themen und Methoden deutlich von den anderen unterscheiden muß, damit es sich den Schülern als ein in sich vernünftig bearbeitbarer Aspekt der Wirklichkeit darstellen kann [7, S. 24, 26].
Nur ein Schulfach Informatik kann in diesem Sinne die notwendigen Sach‑, Methoden- und Handlungskompetenzen ausbilden und Defizite im vorhandenen Fächerkanon beseitigen. Letztlich ist informatische Bildung allerdings nur in einem Gesamtkonzept zu verwirklichen, das Beiträge zur Medienerziehung ebenso einschließt wie den Unterricht in einem eigenständigen Fach. Gegen ein Schulfach Informatik für alle spricht sachlich nichts. In der Argumentation wird oft angeführt, dass Programmierkenntnisse nicht für alle nötig seien. Diese eingeschränkte Sicht auf die Gegenstände des Faches ist dabei häufig durch die eigene Schulerfahrung entstanden. Informatik in der Schule ist einfach mehr.
Die benutzten Anwendungen und Programmiersprachen sind immer Werkzeuge zur Vermittlung von Inhalten der Informatik, zum Erlernen der Arbeitsmethodik des Faches und zum Beurteilen des Einsatzes der jeweiligen Systeme. So sind beispielsweise die fundierte Einführung in Standardsoftware, Strukturierung von Informationen und Abläufen, Suchstrategien im Internet, Aufbau und Funktionsweise des Internets oder auch die Beschreibung einfacher, automatisierbarer Vorgänge ein Beleg für die positive Wirkung der Informatik im Kanon der Unterrichtsfächer. Insbesondere geht es nicht nur um das Produzieren mit digitalen Werkzeugen, sondern auch um die digitalen Produkte selbst. Schließlich werden Modellierungstechniken benötigt, um zu verschiedenen Themen ein vertieftes Verständnis zu erzeugen.
In Deutschland existiert das Schulfach Informatik in der Oberstufe der Gymnasien seit ca. 40 Jahren und hat aus sehr unterschiedlichen Gründen bisher keine bundesweite Anerkennung gefunden. Verschiedene Versuche, die Gegenstände eines Faches Informatik integrativ in anderen Fächern oder Profilen einzubinden, können inzwischen bundesweit als gescheitert erklärt werden. Weder die Grundbildung in den 1980er-Jahren noch eine starke gesellschaftswissenschaftliche Ausrichtung Anfang der 1990er-Jahre konnten die Bildung zur Informatik in den Schulen stabilisieren. Die Chance, begleitend zum umfangreich geförderten Projekt „Schulen ans Netz“ die dazu gehörende Informatik-Bildung verpflichtend zu etablieren, wurde Mitte der 1990er-Jahre vertan. In der Vorstudie zur Bildungsinitiative „Schulen ans Netz“ wurde festgestellt:
Fünftes Ziel: Sich-Aneignen von Hintergrundwissen
Sich-Aneignen von Hintergrundwissen zum kompetenten und verantwortungsbewussten Umgang mit Netzen, d. h. das Erlangen bzw. Ergänzen einer informatischen Bildung [8, S. 25].
Betrachtet man den Zeitraum und eine Reihe gerade in jüngster Vergangenheit veröffentlichter Vergleichsstudien oder die internationalen Aktivitäten in diesem Bereich, wird erst richtig deutlich, welches Potenzial in den letzten 25 Jahren in Deutschland verschenkt wurde. Erst mit technischen und gesellschaftlichen Veränderungen Anfang der 2000er-Jahre wurde die Debatte bildungspolitisch wieder relevant, ohne bis heute einen Durchbruch zu einer verpflichtenden Informatikbildung zu erreichen.
Der aktuelle Stand zum Informatikunterricht ist in den Bundesländern sehr unterschiedlich und Vergleiche werden seitens der KMK nicht angestellt. Vorliegende Studien aus dem Jahr 2010 [9] sind wegen der positiven Veränderungen in jüngster Zeit nicht seriös zu verwenden. Es zeigt sich, dass man im Sekundarbereich in Mecklenburg-Vorpommern (seit 1998), Sachsen (seit 1992) und Bayern (seit 2001) ein Pflichtangebot in den einzelnen Jahrgangsstufen findet, in den beiden erstgenannten Ländern in allen Schulformen mit meist einer Wochenstunde. Mit großer Anstrengung aus den Schulen heraus hat sich die Situation in Baden-Württemberg (Pflicht in Klasse 7, Wahlpflichtangebot) etwas verbessert.
Das waren Gründe, um erneut eine Studie zum Stand des Informatikunterrichts in Deutschland an weiterführenden Schulen anzufertigen. Die Untersuchung erfolgte für die Sekundarstufe I (unter Einbeziehung der Orientierungsstufe ab Jahrgangsstufe 5) und für die Sekundarstufe II.