Im Folgenden werden durch eine Analyse des kürzlichen Bitcoin Halving eine detailliertere Analyse des Stromverbrauchs von Bitcoin durchgeführt sowie daraus Implikationen für die langfristige Entwicklung des Stromverbrauchs abgeleitet. Der in Abb. 1 dargestellte Vergleich der Entwicklung der Bitcoin-Preise und Hashrate der vergangenen 12 Monate legt nahe, dass die oben beschriebene obere Schranke tatsächlich eine recht gute Schätzung für den tatsächlichen Stromverbrauch darstellt: Bei relativ stabilen Bitcoin-Preisen bis März 2020 steigt die beobachtete Hashrate kontinuierlich an; offenbar wurden hier das Aufnehmen oder Ausweiten von Mining-Aktivitäten, was mit der Beschaffung von entsprechender Hardware verbunden ist, als lohnenswert angesehen. Ein Kurssturz von Bitcoin Anfang März 2020 im Rahmen einer allgemein schwachen Börsenstimmung infolge der COVID-19-Pandemie wurde jedoch von einem zwar etwas geringer ausgeprägten, aber dennoch deutlichen Abfall der Hashrate begleitet. Man könnte dies dadurch erklären, dass wegen der Reduktion des Werts von Bitcoin und damit der Höhe des Mining-Anreizes Miner mit höheren variablen Kosten, etwa aufgrund veralteter Hardware oder hoher Strompreise, hier kurzfristig aus dem Mining gedrängt wurden. Danach stieg mit dem Bitcoin-Kurs auch die Hashrate wieder auf das vorherige Niveau. Das in vielen PoW-Blockchains vorgesehene und im Falle von Bitcoin etwa alle 4 Jahre geschehende Bitcoin Halving am 11.05.2020 bewirkte dann jedoch eine permanente Halbierung der Block-Rewards und eine entsprechde Reduktion des ökonomischen Anreizes zum Mining. Da die Bitcoin-Preise weitgehend konstant blieben, fiel entsprechend die Hashrate ähnlich wie zuvor deutlich ab.
Überraschenderweise stieg jedoch bereits eine Woche später die Hashrate erneut deutlich an, ohne dass die Preise für Bitcoin in änlichem Umfang stiegen. Dies könnte folgende Ursachen haben:
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Bei einer genaueren Betrachtung der erwarteten Gewinne durch Mining müssen auch Transaktionsgebühren, die der Erzeuger eines neuen Blocks bekommt, einbezogen werden – insbesondere nach dem Halving machten diese an manchen Tagen bis zu 20 % der Belohnung aus und die Transaktionsgebühren sind nach dem Halving auch teilweise deutlich angestiegen.
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Die Difficulty wird nicht in Echtzeit, sondern nur etwa alle 14 Tage angepasst – mit der Difficulty vor dem Halving lohnte es sich also ggf. nicht, am Mining teilzunehmen, dafür aber mit der dann erstmalig nach dem Halving angepassten und damit deutlich verringerten Difficulty (es dauert also eine Weile, bis sich das System wieder im Gleichgewicht befindet).
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In China beginnt im Mai und Juni in einigen Regionen die Regenzeit, sodass durch Wasserkraft viel billiger Strom verfügbar ist und einige Mining-Pools Strom bereits für knapp 0,03 USD/kWh anbieten, insbesondere da sich der Wettbewerb angesichts der sinkenden Mining-Erlöse deutlich verschärft hat [26].
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Es wird verstärkt moderne, energieeffiziente Hardware erworben und eingesetzt, wodurch die variablen Kosten signifikant sinken.
Um diese Zusammenhänge zu untersuchen, analysieren wir den Zusammenhang zwischen dem ökonomischen Anreiz, am Mining teilzunehmen, in Form eines erwarteten Mining-Erlöses in USD je \(10^{\mathsf{18}}\) berechneter Hashes und der tatsächlichen Partizipation in Form der Hashrate, im Zeitraum um das Halving mit einem genaueren Modell. Dieses berücksichtigt auch die tatsächliche momentane Blockzeit bzw. Difficulty sowie die zusätzlich zu den Block Rewards vom Erzeuger eines neuen Blocks eingenommenen Transaktionsgebühren. Die sich daraus ergebenden Verläufe sind in Abb. 2 dargestellt. Dabei zeigt sich, dass die Korrelation zwischen erwarteten Gewinnen und der Hashrate mit ca. 0,57 sehr hoch ist. Dies legt nahe, dass bereits viele Miner in Echtzeit oder kurzfristig entscheiden, ob sich für sie aktuell die Teilnahme am Mining lohnt oder nicht, weil sie bereits vor dem Halving nahe an der Kostenneutralität operiert haben. Neben den Unregelmäßigkeiten um das Halving sind vor allem in den letzten 2 dargestellten Wochen geringere Korrelationen zu verzeichnen, dies könnte durch die beschriebenen geänderten Stromtarife in Chinas Mining-Pools bedingt sein.
Um den Einfluss der Stromtarife noch näher zu analysieren, betrachten wir in Abb. 3 den Einfluss von Mining-Hardware und Strompreisen auf die relative Marge, also das Verhältnis von Mining-Gewinnen (d. h. die Differenz aus Mining-Erlösen und Stromkosten) zu den Stromkosten des Mining im Detail. Dabei wird ausschließlich der Stromverbrauch berücksichtigt; weitere variable Kosten sowie Investitionen (bspw. für Hardwarebeschaffung) werden ignoriert. Dadurch entsprechen die gezeigten Daten einer Obergrenze der relativen Marge. Als Referenzhardware wurde für Hardware, die im Jahr 2016 neu auf den Markt kam, der weitverbreitete Bitmain Antminer S9 (11,5 TH), für 2018 der MicroBT Whatsminer M10S und für 2020 der Bitmain Antminer S19 Pro (110 TH) herangezogen [27]. Diese entsprachen zum Zeitpunkt ihrer Markteinführung wohl jeweils der energieeffizientesten Hardware. Der senkrechte Strich zeigt wie in Abb. 1 und Abb. 2 den Zeitpunkt des Bitcoin Halving. In der Tat wird bei Strompreisen von 0,05 USD/kWh durch das Halving alte, weniger energieeffiziente Hardware kurzfristig aus dem Markt gedrängt, wohingegen modernere, energieeffizientere Hardware profitabel bleibt und bei niedrigeren Strompreisen auch das Mining mit älterer Hardware ökonomisch sinnvoll bleibt.
Aufgrund der Beobachtungen ist naheliegend, dass die hergeleitete obere Schranke mittlerweile wohl tatsächlich ein guter Schätzer für den tatsächlichen Stromverbrauch von Bitcoin ist. Abb. 4 zeigt die sich aus den unterschiedlichen Szenarien ergebenden Stromverbräuche von Bitcoin. Die untere Schranke mit 2020 Hardware sowie die obere Schranke mit 0,025 USD/kWh sind als sehr verlässlich anzusehen, da kaum davon auszugehen ist, dass nennenswerte Mining-Aktivitäten mit effizienterer als der modernsten auf dem Markt erhältlichen Hardware oder Stromkosten unter 0,025 USD/kWh stattfinden. Realistischer sind aber auf Basis tatsächlich im Netzwerk typischer Hardware und Strompreise die beiden gestrichelten Schranken. Die Schätzwerte von Digiconomist [28] und Cambridge [29] scheinen angesichts der sicheren oberen und unteren Schranken zwar plausibel und reihen sich gut in diese realistischen Schranken ein, erklären aber möglicherweise den Einbruch der Hashrate infolge des Kurssturzes und des Bitcoin Halving nicht hinreichend. Insofern könnte man durchaus erwarten, dass sich die tatsächliche Hashrate vor dem Halving eher an der oberen Schranke für 0,05 USD/kWh orientiert hat und nach dem Halving aufgrund des verschärften Wettbewerbs durch billige Stromtarife auch Mining-Hardware, die zunächst aus dem Markt gedrängt wurde, wieder eingesetzt wurde und damit der tatsächliche Stromverbrauch sogar über die obere Schranke mit 0,05 USD/kWh gestiegen ist.
Man könnte jedoch erwarten, dass dies nur ein vorübergehender Effekt ist und sich der Stromverbrauch nach dem Ende der Regenzeit eher wieder an der oberen Schranke mit 0,05 USD/kWh orientiert. Selbst wenn sich der Stromverbrauch von Bitcoin aufgrund sehr niedriger Strompreise im Bereich von weniger als 0,025 USD/kWh aufhalten sollte, so ist davon auszugehen, dass es sich in diesem Fall um Strom aus erneuerbaren Energien handelt, da deren Grenzkosten auch 0 sein können, wohingegen die Kosten für Stromerzeugung durch fossile oder nukleare Brennstoffe kaum 0,025 USD/kWh unterschreiten dürften. Insofern würde selbst eine Überschreitung der „sicheren“ oberen Schranke aufgrund lokal oder vorübergehend niedriger Strompreise wohl keinen höheren CO2-Fußabdruck für Bitcoin bedeuten als mit der oberen Schranke mit 0,025 USD/kWh.
Unter der Annahme gleichbleibender ökonomischer Rahmenbedingungen, also der Preise für Bitcoin und Strom sowie der Transaktionsgebühren, bedeutet diese Orientierung des tatsächlichen Stromverbrauchs an der oberen Schranke auch, dass durch die periodischen Halvings der Stromverbrauch von Bitcoin langfristig deutlich sinken wird. Aktuell machen die Block-Rewards noch etwa 80 % der Mining-Erlöse aus, bei gleichbleibenden Preisen für Strom und Bitcoin sowie Transaktionsgebühren würde demnach in 4, 8 bzw. 12 Jahren der Stromverbrauch im Vergleich zu Anfang 2020 um 40 %, 60 % und 70 % zurückgehen und sich langfristig bei etwa 20 % des heutigen Wertes, also 20 TWh/a und damit ca. 4 % des heutigen deutschen Stromverbrauchs, einpendeln. Da ökonomische Rahmenbedingungen wie die Preise für Bitcoin und Transaktionsgebühren praktisch nicht verlässlich vorhergesagt werden können, stellt dies keine verlässliche Prognose dar. Jedoch kann man daraus schließen, dass bereits in wenigen Jahrzehnten und bei beschränkten Bitcoin-Preisen der Wert der durch Bitcoin verbrauchten elektrischen Energie nicht mehr wesentlich größer sein wird als die kumulativen Transaktionsgebühren. Etwa ab dem Jahr 2140 wird das ohnehin der Fall sein; ob Bitcoin so lange relevant sein wird, ist jedoch nach nur 11 Jahren kaum zu beurteilen. Durch die Konkurrenz zu anderen Kryptowährungen sowie technische Weiterentwicklungen, etwa hinsichtlich der Performanz (Verringerung der Knappheit von Transaktionen), könnte man vermuten, dass sich auch die Transaktionsgebühren im Vergleich zum heutigen Niveau nicht mehr nennenswert erhöhen werden. Diese Argumentation kann man auf viele Kryptowährungen, die wie Bitcoin eine periodische Halbierung der Block-Rewards aufweisen, übertragen.