Wie in der Darstellung des Entwicklungsprozesses dargestellt, wurde für die Beschreibung der Kompetenzen das bewährte Strukturmuster der Beschreibung und der Kategorisierung gemäß der Empfehlungen für Bildungsstandards in allen weiterführenden Schulen (Sekundarstufe I – Klassen 5–10) für den Primarbereich übernommen. Diese Übernahme wurde im Prozess vielfach diskutiert, da es Bestrebungen in der Fachdidaktik gibt, die Prozessbereiche zu überarbeiten. Allerdings hielt es der Arbeitskreis aus Gründen der Orthogonalität für sinnvoll, vor dem Vorliegen von Studien für den Primarbereich an dem Strukturmodell keine Änderungen vorzunehmen. Es ist sinnvoll, zunächst in den Bereichen Sekundarstufe I und II eine Diskussion auf breiter erfahrungsgeleiteter und empirisch abgesicherter Basis zu führen und damit begründet Sachentscheidungen vorzubereiten (Abb. 2).
Praxiselemente
Bereits in der frühen Entwicklungsphase der GI-Empfehlung für den Primarbereich wurde die zumeist fehlende informatische Bildung der Grundschullehrpersonen als Hürde für deren Verständnis des Dokuments identifiziert. Dennoch sollten auch diese, neben Entscheidungsträgern, Adressaten des Dokuments sein. Diese Herausforderung bestand nicht für die GI-Empfehlungen für die Sekundarstufen, obwohl auch von einer Vermittlung informatischer Bildung durch nicht grundständig ausgebildete Informatiklehrpersonen oder gar fachfremd Unterrichtende ausgegangen werden muss [20]. Dieser Einschränkung wurde mit zwei Maßnahmen begegnet. Zum einen liegt der GI-Empfehlung für den Primarbereich ein Glossar bei, welches kooperativ mit Grundschullehrpersonen entwickelt wurde [12]. Zum anderen sollen zu jedem Inhaltsbereich Aufgabenbeispiele entwickelt und bereitgestellt werden, um den Grundschullehrpersonen eine mögliche unterrichtliche Umsetzung zur Förderung der ausgewiesenen Kompetenzen an die Hand zu geben. Erste Elemente dazu wurden mit der Veröffentlichung der Entwurfsfassung in der LOG IN vorgestellt (Abb. 3), [21].
Nachfolgend werden Beispiele für den Primarbereich zu Automatenmodellen (Inhaltsbereich „Sprachen und Automaten“) und zur Kryptologie (Inhaltsbereich „Information und Daten“) skizziert. Während Automatenmodelle bislang nicht in der Grundschule thematisiert werden und den Grundschullehrpersonen unbekannt sind, werden Themen zur Kryptologie bereits rudimentär im Sach‑, Deutsch- und/oder Mathematikunterricht behandelt. Die Beispiele wurden mit (angehenden) Grundschullehrpersonen entwickelt und teilweise im Unterricht erprobt sowie evaluiert.
Automatenmodelle
Die Automatentheorie zeichnet sich durch einen starken Abstraktionsgrad aus, was wiederum hohe Anforderungen an die didaktische Aufbereitung entsprechender Themen für die Grundschule stellt. Schülerinnen und Schüler begegnen Automaten regelmäßig in ihrem Alltag, etwa über Getränkeautomaten [12]. Dass sich deren Abläufe formalisieren, über Automatenmodelle modellieren und mittels Zustandsübergangsdiagrammen oder -tabellen darstellen lassen, ist ihnen hingegen nicht bewusst. Alltagsautomaten stellen für die Schülerinnen und Schüler somit eine Black-Box dar, mit der sie interagieren, deren Funktionsweise sie jedoch nicht nachvollziehen können. Ein schülerorientierter Kontext ist Passwortsicherheit. Der Sicherheitsgrad eines Passworts kann anhand der Anzahl umgesetzter Kriterien definiert werden. Der Sicherheitsgrad sei über die Zustände rot, gelb und grün definiert. Die Anzahl erfüllter Kriterien stellt die Zustandsübergänge dar. Kriterien könnten Ziffern oder Klein- und Großbuchstaben sein. Neben der Bewertung des Sicherheitsgrads stellen die Schülerinnen und Schüler den Bewertungsvorgang auch in einem Zustandsübergangsdiagramm dar, um erstens die Automatisierbarkeit der Bewertung zu verstehen, zweitens den Bewertungsvorgang zu verinnerlichen und drittens das Zustandsmodell als kommunikationsstützende Notation zu erfahren (Abb. 4).
Die Schülerinnen und Schüler werden in die Lage versetzt, das Zustandsübergangsdiagramm in ein mentales Modell und ihr mentales Modell in ein entsprechendes Zustandsübergangsdiagramm zu überführen. Zunächst wird das vorgestellte Automatenmodell als Akzeptor aufgefasst, mit dem die Schülerinnen und Schüler exemplarisch Passwörter auf ihren Sicherheitsgrad, also die Anzahl erfüllter Kriterien, prüfen. Anschließend erweitern sie das Automatenmodell um selbstgewählte Kriterien sowie Zustände und modellieren diese im bestehenden Zustandsübergangsdiagramm. Dies könnte etwa über den Zustand orange und das Kriterium Wortlänge >7 Zeichen erfolgen. Im Rahmen einer Bachelorarbeit konnte eine 90 minütige Unterrichtseinheit in drei vierten Klassen erprobt werden. Eine Evaluation durch die hospitierenden Klassenlehrerinnen und -lehrer mittels Freitext-Fragebögen ergab eine positive Resonanz. Über einen Design-based-research-Ansatz (DBR) fanden die Expertisen der Lehrpersonen Eingang in die (Weiter‑)Entwicklung der Unterrichtseinheit. Der Autor kommt zu folgendem Fazit: „Es kann festgestellt werden, dass der Gegenstand ‚Passwortsicherheit‘ geeignet ist, um Kompetenzen des Inhaltsbereichs ‚Sprachen und Automaten‘ schülergerecht zu vermitteln“ [22].
Kryptologie
Kinder im Grundschulalter nutzen bereits einfache kryptologische Verfahren, um geheime Botschaften untereinander auszutauschen. Dazu zählen sowohl Transpositions- als auch Substitutionsverfahren. Anknüpfend an diese Erfahrungen können zunächst zwei einfache symmetrische Verfahren eingeführt werden: Caesar-Chiffre und Skytalen. Insbesondere der handlungsbasierte (enaktive) Zugang [23] bietet sich für die Grundschule an, um an das entwicklungspsychologische Stadium der Schülerinnen und Schüler anzuknüpfen (siehe Jean Piagets Modell der kognitiven Entwicklung [24]). Über die Gegenstände Kästchen, Schlüssel (privater Schlüssel) und Schloss (öffentlicher Schlüssel) kann ein kontrastierendes asynchrones Verfahren thematisiert werden.
Verschiedene kryptologische Verfahren, neben den genannten u. a. Vigenère-Chiffre, wurden bereits erfolgreich an Grundschulen umgesetzt [25]. Die Notwendigkeit verschlüsselter Kommunikation ergibt sich für die Schülerinnen und Schüler intuitiv aus ihrer Lebenswelt. Sowohl das Verständnis für einfache Verfahren als auch deren Anwendung, die Einführung fachsprachlicher Elemente wie Verschlüsseln, Übermitteln oder Entschlüsseln sowie die Reflexion eingesetzter Verfahren ist in den Klassen 3–4 möglich und führt zu hoher Motivation der Schülerinnen und Schüler. Erfahrungen zur Thematisierung von Automatenmodellen in der Grundschule liegen bislang nur sporadisch vor. Es existieren verschiedene Kontexte, die spezifisch für den Primarbereich entwickelt wurden. Dazu zählen die Kontexte „Farbmischung“ [26] oder „Schatzinsel“ [27]. Erfahrungen zur Vermittlung von Themen der Automatentheorie aus der ersten (Hochschule) und dritten (Fortbildungen) Lehrerbildungsphase liegen vor und deuten darauf hin, dass (angehende) Lehrpersonen sich in entsprechend aufbereitete Kontexte einfinden können. Ansätze von Studierenden liegen in Form schriftlicher Unterrichtsentwürfe vor [28].