Zusammenfassung
Informatik ist notwendiger Bestandteil der allgemeinen Bildung. Die offensichtliche Durchdringung aller Lebens- und Arbeitsbereiche mit Artefakten der Informatik führte zu einer gesellschaftlichen Diskussion über die notwendigen informatikbezogenen Voraussetzungen in der schulischen Bildung. Im hexadezimalen Bildungssystem der Bundesrepublik finden sich vielfältige Bemühungen, die Verfügbarkeit von Infrastrukturelementen – Informatikmittel – für Bildungs- und Ausbildungskontexte zu verbessern. Die notwendige, informatikbezogene Vorbereitung der Lehrkräfte sowie der Erzieherinnen und Erzieher im Sinne einer Qualifikation fällt hinter Bemühungen um Ausstattungsinitiativen deutlich zurück. Die Bemühungen der Bildungsadministration bestehen wesentlich in der Ermöglichung des Erwerbs von Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zur Benutzung und zur Bedienung; allenfalls wird eine kritische Betrachtung gefordert. Die von der GI in den Empfehlungen zu einem Gesamtkonzept zur informatischen Bildung im Jahr 2000 vorgenommene Gesamtsicht auf die Bildungsbiographie wurde für alle weiterführenden Schulen, für die gymnasiale Oberstufe und zuletzt für den Primarbereich ausgearbeitet. Inzwischen hat Informatik als Schulfach in sieben von 16 Bundesländern Eingang in den verpflichtenden Bildungskanon für die weiterführenden Schulen gefunden. Es ist notwendig, sich der Ermöglichung informatischer Bildung bereits in der Grundschule konstruktiv zuzuwenden. So ist die Empfehlung der GI „Kompetenzen für informatische Bildung im Primarbereich“ ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Etablierung der Informatik in der allgemeinen Bildung.
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Motivation
Zu Beginn der Arbeit des Arbeitskreises „Bildungsstandards Informatik für den Primarbereich“ steht ein Satz aus dem Koalitionsvertrag [1] der Regierungsparteien von 2013:
Dabei fördern wir … einen zeitgemäßen Informatikunterricht ab der Grundschule [1, S. 23].
In Deutschland liegt – grundgesetzlich garantiert – die Kultushoheit bei den Bundesländern. Daher ist diese Aussage zunächst einmal eine Absichtserklärung, die keine Folgen haben muss. Im Zuge der politischen Diskussion der folgenden Jahre wurde allerdings das sogenannte Kooperationsverbot zunehmend kritisch diskutiert und führte Anfang des Jahres 2019 zu der Zustimmung der Bundesländer zur Änderung der entsprechenden Grundgesetzartikel, aber nicht etwa zur Durchsetzung des Informatikunterrichts ab der Grundschule, sondern zur „Digitalisierung“ aller Schulen [2, 3].
Also kommen jetzt Informatiksysteme in jede Schule auch in jede Grundschule, kommt das WLAN in jeder Schule bis zur Schülerin und zum Schüler sowie auch zur Lehrperson. Selbstredend werden alle in der Schule mit lernförderlichen Informatiksystemen ausgestattet?
Bildung kommt nicht mit dem Möbelwagen und wird auch nicht im Klassenzimmer an die Wand geschraubt [4].
Bildungspolitische Diskussion und Entscheidungen
Die Sicht der Digitalisierungsbefürwortenden besteht darin, dass durch Informatikmittel in der Schule das Lernen verbessert wird. Bedenken sind angebracht. Wir wissen: Informatiksysteme sind Turing-vollständig, frei programmierbar, Ergebnis informatischer Modellierung, allerdings mitnichten ohne weiteres Zutun lernförderlich.
Um lernförderliche Effekte zu erreichen, müssen die Modellierungsanforderungen für die konkreten Informatiksysteme so gestaltet sein, dass der beabsichtigte Effekt Eingang in die Modellierung findet bzw. finden kann. Es muss geklärt werden, wie und unter welchen konkreten Bedingungen in den real existierenden Schulen mit den konkreten Lehrkräften und den aktuellen Schülerinnen und Schülern unter der Maßgabe administrativer Bedingungen solche Effekte erreicht werden (können). Diese Frage ist – trotz langjähriger Erfahrungen mit lernunterstützenden Systemen – nicht einfach zu beantworten.
Der Abschied von der Kreidezeit mag eine schöne Überschrift sein, lenkt den Blick allerdings vielleicht in die falsche Richtung.
Es ist bekannt, dass bildungspolitische Aktivitäten öffentliche Aufmerksamkeit erzeugen, da alle in diesem Bereich mitreden können, alle eine eigene Erfahrungsbasis vorweisen und alle Ideen, die Änderungen betreffen, immer auch auf ihre eigenen Erfahrungen beziehen (können). So ist es häufig gelungen, mit bildungspolitischen Themen 0‑1-Fragen zu verbinden, die dann zu (Pseudo‑)Entscheidungsnotwendigkeiten führen, allzu häufig geprägt von fast populistisch anmutenden Streitunkulturszenarien, bei denen pädagogische und/oder gar fachdidaktische Expertise eine deutlich nachgeordnete Rolle in der öffentlichen Auseinandersetzung spielen: Denken Sie an die Auseinandersetzungen um die sechsjährige Grundschule in Hamburg oder die Diskussionen um G8/G9 z. B. in Nordrhein-Westfalen.
Folgend finden sich in bildungspolitischen Texten Forderungen, die nicht gerade davon zeugen, dass die Autorinnen und Autoren sich der Expertise aus den Bildungswissenschaften und Fachdidaktiken bedienen, sondern Floskeln bemühen, um politisch handhabbare Kurzformen als Diskussionsbeitrag zu platzieren – Lehrpersonen, Eltern und Kinder werden ebenfalls nicht beteiligt.
Der (aktuelle) Koalitionsvertrag CDU/FDP in Nordrhein-Westfalen [5] formuliert:
Alle Kinder sollen auch Grundkenntnisse im Programmieren erlernen. Daher werden wir die Vermittlung von Fähigkeiten im Programmieren als elementaren Bestandteil im Bildungssystem verankern [5, S. 15].
Fachdidaktisch gegenargumentiert: Programmieren ist nur ein sehr kleiner Teil, der für informatische Bildung den Blick einengt auf einen Skill.
Es gilt, Problemstellungen aus der Erfahrungswelt der Schülerinnen und Schüler zum Ausgangspunkt einer informatischen Modellierung zu wählen und diese Modellierung altersangemessen mit den Schülerinnen und Schülern durchzuführen. Auf diesem Weg ist es nicht nur motivierend, sondern notwendig, Elemente der eigenen Modellierungen der Schülerinnen und Schüler durch ihre Eigentätigkeit umzusetzen; an genau diesen Stellen ist das Programmieren Teil der Modellierung und damit auch Unterrichtsbestandteil.
Populistisch gegenargumentiert: Haben die Lehrkräfte nicht genug damit zu tun, den Kindern Lesen, Schreiben und Rechnen als Kulturtechniken zu vermitteln?
Festzustellen ist, dass die kognitiven Anforderungen durch Informatikstrukturen (nicht nur durch Informatiksysteme) nichttrivial sind.
Prozess – Entwicklung der Empfehlungen im Kontext – Meilensteine
Die Gesellschaft für Informatik (GI) hat im Jahr 2000 ein Gesamtkonzept zur informatischen Bildung [6] verabschiedet. Dort werden grundlegende Elemente der Informatik dargestellt, die vom Kindergarten bis zum Abitur in der Bildungsbiografie von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Sinne einer informatischen Allgemeinbildung aufgeschlossen werden sollten. Dabei wird implizit davon ausgegangen, dass es einen für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtenden Lernort durch das Schulfach Informatik im allgemeinbildenden Schulsystem braucht, damit diese Elemente für jede Schülerin und jeden Schüler Bestandteil der Allgemeinbildung werden (zur Struktur und zu den Bezeichnungen vgl. Abb. 1). Bei der Forderung nach einem Pflichtfach Informatik bezogen wir uns zu diesem Zeitpunkt wesentlich auf alle weiterführenden Schulen (Sekundarstufe I).
Folgend wurde zunächst an einer Ausarbeitung der grundlegenden Struktur und der Beschreibung von Kompetenzen gearbeitet, die in allen weiterführenden Schulen (i. d. R. Klasse 5 bis 10 – Sekundarstufe I) ihren Platz finden muss. Der Prozess fand mit der Verabschiedung der Empfehlungen für Bildungsstandards durch das GI-Präsidium 2008 [8] einen vorläufigen Abschluss. Alle seither durchgeführten curricularen Arbeiten der Bildungsadministration verschiedener Bundesländer nahmen sich diese Blaupause zur Vorlage, sodass – wie auch bei vorgängigen Empfehlungen der GI für den Schulbereich seit 1976 [9] – von einem Erfolg der Bemühungen der GI gesprochen werden kann.
Da in der gymnasialen Oberstufe seit nunmehr fünf Jahrzehnten Informatik als eigenständiges Schulfach unterrichtet wird, konnten die dort gesammelten Erfahrungen und der erreichte Forschungsstand bzgl. des Informatikunterrichts als Basis für die Erweiterung der Sekundarstufen-I-Standards auf die allgemeinbildende Sekundarstufe II herangezogen werden. Es zeigte sich, dass insbesondere die Strukturelemente aus der Sekundarstufe I hinsichtlich der Inhalts- und Prozessbereiche (vgl. Abb. 2) eine gute Grundlage auch für die Sekundarstufe II darstellen. So wurde der Prozess der Entwicklung mit der Verabschiedung als Empfehlungen [10] Anfang 2016 erfolgreich bewältigt.
Für den Primarbereich stellt sich die Gesamtsituation deutlich schwieriger dar; während in weiterführenden Schulen ein Lernort i. d. R. durch ein Schulfach und dafür ausgebildete Fachlehrkräfte realisiert wird, unterrichten in der Grundschule im Wesentlichen Klassenlehrpersonen. Das Fachlehrkraftprinzip gilt nicht. Dass ein eigenes Schulfach Informatik für die Grundschule eingerichtet wird, kann zur Zeit noch nicht positiv beantwortet werden – auch wenn dies in anderen Ländern durchaus durchgesetzt wurde und umgesetzt wird – vgl. Abschn. „International“ – auch wenn sowohl Forsythe als auch Naur dies bereits in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts explizit gefordert haben [11].
Für die speziell in der Grundschule zu erreichenden Informatikkompetenzen lagen zum Zeitpunkt des Beginns der Arbeiten des Arbeitskreises (AK) „Bildungsstandards Primarbereich“ im Jahr 2013 keine umfängliche unterrichtliche Praxis und erst recht keine breitere Basis fachdidaktischer Arbeiten vor, die den AK in die Lage versetzt hätten, ausgehend von einer sicheren Grundlage auf eine Reihe von Vorarbeiten zurückgreifen zu können.
Es konnten Grundschullehrkräfte gewonnen werden, die im AK „Bildungsstandards Primarbereich“ aktiv mitarbeiteten. Durch ihre Mitarbeit wurde deutlich, dass die Formulierung von Kompetenzanforderungen gerade für die Grundschule eine große Herausforderung darstellt. Der Hintergrund dieser Herausforderung liegt in der (von Informatikkundigen) als selbstverständlich angesehenen fachlichen und fachdidaktischen Expertise als Voraussetzung für einen validen und korrekten Aufschluss von Konzepten der Informatik.
Als Ergebnis der mehrjährigen Arbeit wurden Anfang 2019 die Empfehlungen „Kompetenzen für informatische Bildung im Primarbereich“ der GI verabschiedet [12].
International
In vielen Ländern wurde Informatik als verpflichtendes Element in der allgemeinen Bildung in den letzten Jahren etabliert oder es wurde beschlossen, dies zu tun: Schweiz, UK (England [13]), Polen, Slowakei, Slowenien, USA, Indien, Südkorea, Israel, Australien und Neuseeland [14, S. 108 f.]. In Estland gehört Informatik schon seit einigen Jahren ab der ersten Klasse in der Grundschule zum verpflichtenden Unterricht [15] – bereits in der Kita werden Elemente der Informatik durch Projekte vorbereitet.
Wing erwähnt darüber hinaus, dass in Singapur Informatik in Schulen stattfindet; China scheint nach ihrem Kenntnisstand bald damit zu beginnen [16].
Wie dem Protokoll zur Anhörung zum MINT-Lehrerbedarf im Landtag in Nordrhein-Westfalen entnommen werden kann, beginnt Informatik in Singapur bereits in der Vorschule [17, S. 4].
„The Japan News“ dokumentiert [18], dass in Japan Informatik ab der Grundschule verpflichtend eingeführt wird – Versuche an Grundschulen laufen bereits.
Produkt (Ergebnis)
Wie in der Darstellung des Entwicklungsprozesses dargestellt, wurde für die Beschreibung der Kompetenzen das bewährte Strukturmuster der Beschreibung und der Kategorisierung gemäß der Empfehlungen für Bildungsstandards in allen weiterführenden Schulen (Sekundarstufe I – Klassen 5–10) für den Primarbereich übernommen. Diese Übernahme wurde im Prozess vielfach diskutiert, da es Bestrebungen in der Fachdidaktik gibt, die Prozessbereiche zu überarbeiten. Allerdings hielt es der Arbeitskreis aus Gründen der Orthogonalität für sinnvoll, vor dem Vorliegen von Studien für den Primarbereich an dem Strukturmodell keine Änderungen vorzunehmen. Es ist sinnvoll, zunächst in den Bereichen Sekundarstufe I und II eine Diskussion auf breiter erfahrungsgeleiteter und empirisch abgesicherter Basis zu führen und damit begründet Sachentscheidungen vorzubereiten (Abb. 2).
Praxiselemente
Bereits in der frühen Entwicklungsphase der GI-Empfehlung für den Primarbereich wurde die zumeist fehlende informatische Bildung der Grundschullehrpersonen als Hürde für deren Verständnis des Dokuments identifiziert. Dennoch sollten auch diese, neben Entscheidungsträgern, Adressaten des Dokuments sein. Diese Herausforderung bestand nicht für die GI-Empfehlungen für die Sekundarstufen, obwohl auch von einer Vermittlung informatischer Bildung durch nicht grundständig ausgebildete Informatiklehrpersonen oder gar fachfremd Unterrichtende ausgegangen werden muss [20]. Dieser Einschränkung wurde mit zwei Maßnahmen begegnet. Zum einen liegt der GI-Empfehlung für den Primarbereich ein Glossar bei, welches kooperativ mit Grundschullehrpersonen entwickelt wurde [12]. Zum anderen sollen zu jedem Inhaltsbereich Aufgabenbeispiele entwickelt und bereitgestellt werden, um den Grundschullehrpersonen eine mögliche unterrichtliche Umsetzung zur Förderung der ausgewiesenen Kompetenzen an die Hand zu geben. Erste Elemente dazu wurden mit der Veröffentlichung der Entwurfsfassung in der LOG IN vorgestellt (Abb. 3), [21].
Nachfolgend werden Beispiele für den Primarbereich zu Automatenmodellen (Inhaltsbereich „Sprachen und Automaten“) und zur Kryptologie (Inhaltsbereich „Information und Daten“) skizziert. Während Automatenmodelle bislang nicht in der Grundschule thematisiert werden und den Grundschullehrpersonen unbekannt sind, werden Themen zur Kryptologie bereits rudimentär im Sach‑, Deutsch- und/oder Mathematikunterricht behandelt. Die Beispiele wurden mit (angehenden) Grundschullehrpersonen entwickelt und teilweise im Unterricht erprobt sowie evaluiert.
Automatenmodelle
Die Automatentheorie zeichnet sich durch einen starken Abstraktionsgrad aus, was wiederum hohe Anforderungen an die didaktische Aufbereitung entsprechender Themen für die Grundschule stellt. Schülerinnen und Schüler begegnen Automaten regelmäßig in ihrem Alltag, etwa über Getränkeautomaten [12]. Dass sich deren Abläufe formalisieren, über Automatenmodelle modellieren und mittels Zustandsübergangsdiagrammen oder -tabellen darstellen lassen, ist ihnen hingegen nicht bewusst. Alltagsautomaten stellen für die Schülerinnen und Schüler somit eine Black-Box dar, mit der sie interagieren, deren Funktionsweise sie jedoch nicht nachvollziehen können. Ein schülerorientierter Kontext ist Passwortsicherheit. Der Sicherheitsgrad eines Passworts kann anhand der Anzahl umgesetzter Kriterien definiert werden. Der Sicherheitsgrad sei über die Zustände rot, gelb und grün definiert. Die Anzahl erfüllter Kriterien stellt die Zustandsübergänge dar. Kriterien könnten Ziffern oder Klein- und Großbuchstaben sein. Neben der Bewertung des Sicherheitsgrads stellen die Schülerinnen und Schüler den Bewertungsvorgang auch in einem Zustandsübergangsdiagramm dar, um erstens die Automatisierbarkeit der Bewertung zu verstehen, zweitens den Bewertungsvorgang zu verinnerlichen und drittens das Zustandsmodell als kommunikationsstützende Notation zu erfahren (Abb. 4).
Die Schülerinnen und Schüler werden in die Lage versetzt, das Zustandsübergangsdiagramm in ein mentales Modell und ihr mentales Modell in ein entsprechendes Zustandsübergangsdiagramm zu überführen. Zunächst wird das vorgestellte Automatenmodell als Akzeptor aufgefasst, mit dem die Schülerinnen und Schüler exemplarisch Passwörter auf ihren Sicherheitsgrad, also die Anzahl erfüllter Kriterien, prüfen. Anschließend erweitern sie das Automatenmodell um selbstgewählte Kriterien sowie Zustände und modellieren diese im bestehenden Zustandsübergangsdiagramm. Dies könnte etwa über den Zustand orange und das Kriterium Wortlänge >7 Zeichen erfolgen. Im Rahmen einer Bachelorarbeit konnte eine 90 minütige Unterrichtseinheit in drei vierten Klassen erprobt werden. Eine Evaluation durch die hospitierenden Klassenlehrerinnen und -lehrer mittels Freitext-Fragebögen ergab eine positive Resonanz. Über einen Design-based-research-Ansatz (DBR) fanden die Expertisen der Lehrpersonen Eingang in die (Weiter‑)Entwicklung der Unterrichtseinheit. Der Autor kommt zu folgendem Fazit: „Es kann festgestellt werden, dass der Gegenstand ‚Passwortsicherheit‘ geeignet ist, um Kompetenzen des Inhaltsbereichs ‚Sprachen und Automaten‘ schülergerecht zu vermitteln“ [22].
Kryptologie
Kinder im Grundschulalter nutzen bereits einfache kryptologische Verfahren, um geheime Botschaften untereinander auszutauschen. Dazu zählen sowohl Transpositions- als auch Substitutionsverfahren. Anknüpfend an diese Erfahrungen können zunächst zwei einfache symmetrische Verfahren eingeführt werden: Caesar-Chiffre und Skytalen. Insbesondere der handlungsbasierte (enaktive) Zugang [23] bietet sich für die Grundschule an, um an das entwicklungspsychologische Stadium der Schülerinnen und Schüler anzuknüpfen (siehe Jean Piagets Modell der kognitiven Entwicklung [24]). Über die Gegenstände Kästchen, Schlüssel (privater Schlüssel) und Schloss (öffentlicher Schlüssel) kann ein kontrastierendes asynchrones Verfahren thematisiert werden.
Verschiedene kryptologische Verfahren, neben den genannten u. a. Vigenère-Chiffre, wurden bereits erfolgreich an Grundschulen umgesetzt [25]. Die Notwendigkeit verschlüsselter Kommunikation ergibt sich für die Schülerinnen und Schüler intuitiv aus ihrer Lebenswelt. Sowohl das Verständnis für einfache Verfahren als auch deren Anwendung, die Einführung fachsprachlicher Elemente wie Verschlüsseln, Übermitteln oder Entschlüsseln sowie die Reflexion eingesetzter Verfahren ist in den Klassen 3–4 möglich und führt zu hoher Motivation der Schülerinnen und Schüler. Erfahrungen zur Thematisierung von Automatenmodellen in der Grundschule liegen bislang nur sporadisch vor. Es existieren verschiedene Kontexte, die spezifisch für den Primarbereich entwickelt wurden. Dazu zählen die Kontexte „Farbmischung“ [26] oder „Schatzinsel“ [27]. Erfahrungen zur Vermittlung von Themen der Automatentheorie aus der ersten (Hochschule) und dritten (Fortbildungen) Lehrerbildungsphase liegen vor und deuten darauf hin, dass (angehende) Lehrpersonen sich in entsprechend aufbereitete Kontexte einfinden können. Ansätze von Studierenden liegen in Form schriftlicher Unterrichtsentwürfe vor [28].
Ausblick
Die „Kompetenzen für informatische Bildung im Primarbereich“ können einerseits als Meilenstein, wichtiger Impuls und Orientierungsgrundlage für die Etablierung informatischer Bildung in der Grundschule bewertet werden. Die Verabschiedung des Papiers gehört andererseits zu den ersten Schritten eines langen Weges, der nur gemeinsam mit den Akteuren (insbesondere den Lehrpersonen) und Entscheidungsträgern bewältigt werden kann. Qualität in der informatischen Bildung kann nicht „von oben“ verordnet werden. Es wird in Zukunft darauf ankommen, wie sich die Einstellung der Lehrkräfte gegenüber informatischer Bildung durch die erfolgreiche Erprobung von Unterrichtsideen entwickelt und Unsicherheit und Unbehagen bezüglich informatischer Themen schwinden. Die so gewonnene Motivation dürfte wiederum Anreiz für die Entwicklung fachlicher und fachdidaktischer Kompetenzen der Lehrkräfte sein.
Die in der Praxis gewonnenen Erfahrungen werden Anlass sein, das Dokument regelmäßig auf notwendige Anpassungen zu prüfen.
GeRRI – Gemeinsamer (europäischer) Referenzrahmen Informatik
Mit dem Erwerb von Kompetenzen entsteht der Bedarf, diese auch nachweisen zu können. Nicht zuletzt bezüglich einer möglichen Vergleichbarkeit erfreuen sich „Benchmark“-Systeme einer großen Akzeptanz, mit denen das Maß der erworbenen Kompetenzen beschrieben und kompakt kommuniziert werden kann.
Pionierarbeit in dieser Sache ist bezüglich der Beschreibung von Sprachkenntnissen geleistet worden. Mit Trim et al. [29] wurde 2001 ein Referenzrahmen für (lebende) Sprachen vorgelegt, der als überaus erfolgreich bezeichnet werden muss. Geht es gesellschaftlich-beruflich um Sprachkenntnisse, werden diese gemäß der formulierten Sprachniveaus A1, A2, B1, B2, C1, C2 angegeben und eingefordert.
Bemühungen, ein ähnliches Modell für die Naturwissenschaften aufzurichten, führten zu ersten Vorschlägen, die allerdings – insbesondere für die Anforderungen der unteren Level – kontrovers diskutiert werden [30].
Seit ein paar Jahren wird in einem gemeinsamen Arbeitskreis von MNU und dem GI-Fachausschuss „Informatische Bildung in Schulen“ diskutiert, wie ein Referenzrahmen für Informatik gestaltet werden kann (vgl. z. B. [31,32,33]). Vorerst erfolgt eine Beschränkung auf die Level A1, A2, B1, B1+ und B2. Diese Level entsprechen in ihrem Anspruch den GI-Empfehlungen für „Kompetenzen im Primarbereich“ und für die Bildungsstandards in Sekundarstufe I und II, sind aber – wie der Referenzrahmen Sprachen – nicht an bestimmte Schulstufen gebunden. Die A‑Level beschreiben hierbei eine elementare informatische Bildung, während die B‑Level verschiedene Stufen informatischer Allgemeinbildung repräsentieren. Die Kompetenzen werden im GeRRI gemäß der drei inhaltlichen Grundkonzepte Automatisierung, Digitalisierung und Informatiksysteme strukturiert.
Digitalisierung auch und gerade in der Lehrerbildung nur auf Basis der Informatik
Digitalisierung beschreibt einen gesellschaftlichen Prozess, der wirtschaftliche Abläufe, das private und berufliche Umfeld von Individuen und sozialen Strukturen massiv verändert. Dies wird durch die dynamische Entwicklung und allgegenwärtige Nutzung von Informatiksystemen vorangetrieben. Um gesellschaftliche Prozesse – und Bildungsprozesse in der Schule gehören selbstverständlich dazu – souverän gestalten zu können, ist das Wissen um die zugrundeliegenden Konzepte der Informatik essenziell. Dies betrifft aufgrund der Allgegenwärtigkeit der Digitalisierung alle Lehrerinnen und Lehrer. Dies erfordert zunächst die Entwicklung und Evaluation der dafür nötigen Konzepte für eine entsprechende Reformierung der Lehrerausbildung – zum Beispiel zeigen [34] eine Möglichkeit, wie informatische Bildung Teil der Lehrerbildung werden kann. Darauf aufbauend ist der bildungspolitische Wille erforderlich, die organisatorischen und materiellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, relevante Aspekte der Digitalisierung und ihrer Grundlagen als Teil der obligatorischen Lehrerbildung nachhaltig zu etablieren.
Fazit
Durch Empfehlungen der GI konnten über die Zeit Elemente der Informatik für Bildungsprozesse vorbereitend strukturiert werden. Im Unterschied zu etablierten Schulfächern muss Informatik bis heute um die Anerkennung als Schulfach für alle Schülerinnen und Schüler ringen. Die notwendigen politischen Entscheidungen stehen nach wie vor aus und werden nur dann getroffen, wenn auf der politischen Ebene deutlich gemacht wird, dass der Stellenwert der Informatik nur durch das Unterrichtsfach Informatik im Bildungssystem eingelöst werden kann – alle Versuche, Informatik durch „Integration“ in andere Fächer voranzubringen, haben keinen positiven Effekt für die erforderliche informatische Bildung der Schülerinnen und Schüler nach sich gezogen.
Inzwischen ist klar, dass Informatikunterricht bereits in der Grundschule erfolgreich erteilt werden kann; inzwischen ist klar, dass alle Lehramtsstudierenden in der ersten Phase ihrer Lehrerbildung – also in der Universität – einen Zugang zur Wissenschaft Informatik benötigen. Hier sind Empfehlungen vorzubereiten, die die notwendigen Kompetenzen klar beschreiben, damit im Zuge von Reakkreditierungen gefordert und geprüft werden kann, dass diese Elemente Eingang in die Studiengestaltung finden. Bezogen auf GeRRI bedeutet dies, dass die noch fehlenden Level C1 und C2 dringend einer Ausgestaltung bedürfen.
Es bleibt noch viel zu tun!
Ein Fundament für eine erfolgreiche Integration informatischer Bildung an deutschen Grundschulen stellen die Grundschullehrpersonen dar. Sie repräsentieren für die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler die erste Bezugsperson zur Informatik. Deshalb ist eine entsprechende fachliche und fachdidaktische informatische Bildung aller Lehrpersonen an Grundschulen von hoher Relevanz. Hierfür muss informatische Bildung in die erste (Hochschulstudium), zweite (Referendariat) und dritte (Fortbildungen) Phase der Lehrerbildung integriert werden. Doch auch die Zusammenarbeit mit Entscheidungsträgern in Schule, Hochschule, Studienseminar und Bildungspolitik/-administration sowie den Eltern und Schülerinnen und Schülern ist bedeutsam, um zukünftigen Generationen informatische Mündigkeit und so die aktive Beteiligung an der Gestaltung der Gesellschaft auf einer eigenen fachlich validen Basis zu ermöglichen.
Informatik – Bildung
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Informatik ist die Leitwissenschaft der Digitalisierung
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Informatik ist das Leitfach für digitale Bildung, denn Digitalisierung ist Informatisierung
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Informatik ist allgemein bildend und muss in jeder Schule in der Liga der Hauptfächer spielen
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Informatik ist als verpflichtendes Schulfach in allen Schulen aller Schulformen durchgängig zu unterrichten
Nun ist die Bedeutsamkeit informatischer Modellierung für die Wissenschaft und ihre grundlegende Eignung im Zusammenhang von Vermittlungsprozessen Informatikkundigen zwar bekannt, allerdings kein Bestandteil der allgemeinen Bildung und vor allem kein Teil der Ausbildung von Lehrkräften.
Konzeptionelle Elemente, die Eingang in die informatische Bildung finden können, lassen sich durchaus fachlich valide so gestalten, dass Kinder die Chance haben, Informatikkompetenzen zu entwickeln.
Allerdings braucht es dazu nicht nur beste Materialien, sondern vor allem Lehrkräfte, die wissen, was sie warum, wann und mit welchen Mitteln tun, um die Kompetenzentwicklung bei den Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen und voranzubringen.
Informatik gehört in alle Stundentafeln aller Schulen – Informatik gehört in jedes Zeugnis
Informatik – Schule
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Seit über 50 Jahren gibt es die Gesellschaft für Informatik e. V.
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Seit mehr als 50 Jahren wird das Schulfach Informatik als Wahlfach in Deutschland unterrichtet
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Inzwischen wird in Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Bayern und Baden-Württemberg – also in 25 % aller Bundesländer – Informatik als Pflichtfach in weiterführenden Schulen unterrichtet – in Nordrhein-Westfalen ab dem Schuljahr 2021/2022, in Niedersachsen ab dem Schuljahr 2022/2023 in Rheinland-Pfalz starten 21 Pilotschulen mit dem Pflichtfach Informatik. Damit setzen sieben von 16 Bundesländern auf das Pflichtfach Informatik in allen weiterführenden Schulen.
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In England, Neuseeland, Singapur usw. wird Informatik ab der 1. Klasse der Grundschule unterrichtet und zwar als eigenständiges Schulfach
Informatik – Bildungsauftrag
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Aufgabe der allgemeinen Bildung: Schülerinnen und Schüler sollen – in einem geschützten Raum – mit „Denkzeugen“ ausgestattet werden, die es ihnen ermöglichen, ihre Zukunft verantwortlich selbst gestalten zu können.
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Zu den „Denkzeugen“ gehört die Fähigkeit, Probleme lösen zu können – diese übergeordnete Kompetenz adressieren die etablierten Schulfächer, indem sie fachbezogene Lösungsansätze bereitstellen.
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Die Entdeckung der von und durch Menschen gestalteten Artefakte führt in eine Ideenwelt, die nicht durch Naturgesetze, sondern durch „erfundene“ Strukturen, nämlich Zeichensysteme, geschaffen wird/wurde.
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Bezugsfächer
Deutsch (Lesen, Schreiben)
Mathematik (Zahlen, Rechnen)
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In Deutschland ist Informatik (informatische Modellierung inkl. Programmieren) in der Grundschule ein bisher völlig fehlendes Fach für einen allgemeinbildenden Zugang: Informatik
Informatik – Zieldimensionen
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Zugang der Kinder zur informatischen Modellierung (Abb. 5)
Codierung – aus Lebenszusammenhängen bekannt (Zeichensysteme, z. B. Verkehrszeichen, Anlauttabelle) – Systematisierung, Begriffsklärung – Daten, Information
Abläufe – aus Lebenszusammenhängen bekannt (z. B. Spielen) – zustandsorientierte Modellierung, regelbasierte Modellierung, Strukturierung – Bedingungen, logische Ausdrücke
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Der Beitrag enthält Elemente aus dem Projekt „Informatik an Grundschulen (IaG)“, die durch Unterstützung des Ministeriums für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (MSB) realisiert werden konnten. Darüber hinaus sind Elemente aus dem Projekt „Informatik in der Grundschule (IGS)“ des Arbeitsbereichs Didaktik der Informatik an der WWU Münster enthalten.
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Humbert, L., Best, A., Micheuz, P. et al. Informatik – Kompetenzentwicklung bei Kindern. Informatik Spektrum 43, 85–93 (2020). https://doi.org/10.1007/s00287-020-01247-6
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