Ein Teil der Kinder und Jugendlichen in DDR(Deutsche Demokratische Republik)-Heimen und Jugendwerkhöfen machten Vernachlässigungs-, Misshandlungs- und Missbrauchserfahrungen. Dem erkennbaren Bedarf an psychosozialer Unterstützung für diese Menschen stehen jedoch Zugangshürden in das Versorgungssystem gegenüber. Für die erforderliche Versorgung ist es wichtig, Barrieren für die Aufnahme einer Behandlung sowie hilfreiche und problematische Erfahrungen der Betroffenengruppe zu kennen.

Schätzungsweise eine halbe Millionen Kinder und Jugendliche war zwischen 1949 und 1989 in DDR-Kinderheimen, Jugendwerkhöfen und weiteren Institutionen der DDR-Jugendhilfe untergebracht (Laudien und Sachse 2012). Mittlerweile gibt es hinreichend Belege dafür, dass es in den Heimen häufig zu Vernachlässigung, Misshandlung und auch sexualisierter Gewalt gekommen ist (z. B. Arp 2019; Laudien und Sachse 2012; Hoffmann et al. 2023a). Es ist bekannt, dass sich frühe traumatische Erfahrungen im Leben eines Menschen bis ins Erwachsenenalter negativ auswirken können und u. U. langfristige und komplexe psychische Folgesymptomatiken entstehen. Interviewstudien und Expertisen weisen schon seit Jahren auf die z. T. komplexen Traumafolgen nach DDR-Heim-Erfahrungen und den damit verbundenen Behandlungsbedarf hin (z. B. Gahleitner 2009; Sack und Ebbinghaus 2012). Erschwerend hinzukommt, dass die individuelle Verarbeitung der Erlebnisse in den Heimen und Jugendwerkhöfen v. a. durch mangelnde gesellschaftliche Aufarbeitung verzögert oder gar eingeschränkt worden ist (Böhm et al. 2023). Die im Folgenden vorgestellte Studie widmet sich der Inanspruchnahme von psychosozialen Hilfsangeboten und Erfahrungen mit psychiatrischen/psychotherapeutischen Behandlungen von Menschen mit DDR-Heim-Erfahrungen und untersucht hilfreiche und problematische Behandlungserfahrungen aus kurzen Selbstberichten.

Hintergrund und Fragestellung

Das Heimsystem der DDR unterteilte sich grob in Normal- und Spezialheime (Wapler 2012). Normalheime machten den größten Anteil der insgesamt über 660 Heime in der DDR aus und waren Einrichtungen für Kinder und Jugendliche, die als „normal erziehbar“ galten, keine wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten oder „Verhaltensstörungen“ aufwiesen und nicht anderweitig versorgt werden konnten (Dreier-Horning und Laudien 2021). Die Spezialheime wiederum umfassten Spezialkinderheime, Jugendwerkhöfe, den Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau, Durchgangsheime und das Kombinat der Sonderheime. „Schwererziehbare“ sollten in den Spezialheimen „umerzogen“ werden (Dreier-Horning und Laudien 2021; Laudien und Sachse 2012). Es ist nachgewiesen, dass eine große Anzahl der damaligen Kinder und Jugendlichen Zuständen und Praktiken ausgesetzt war, die nicht nur als besonders ungerecht und schmerzhaft empfunden wurden, sondern teilweise bereits gegen damaliges Recht verstoßen haben und als menschenunwürdig gelten (AGJ 2012; Deutscher Bundestag 2008; Wapler 2012). Der Heimalltag war für viele Kinder und Jugendliche, insbesondere in den Spezialheimen, geprägt durch fehlende Intimsphäre, Arbeitserziehung, Zwang, Gewalt, Freiheitsbeschränkungen und entwürdigende Strafmaßnahmen (z. B. Isolation durch Arrest, Kollektivstrafen). Viele Menschen mit DDR-Heim-Erfahrungen berichten von emotionaler und körperlicher Vernachlässigung, Misshandlung und sexualisierter Gewalt während ihrer Heimzeit. Gewalt konnte vom Heimpersonal und auch von Peers in den Einrichtungen ausgehen (Hoffmann et al. 2023a). Zu den berichteten psychischen Langzeitfolgen der Befragten zählen posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) und komplexe posttraumatische Belastungsstörungen (kPTBS), Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen, Suchterkrankungen ebenso sowie Schwierigkeiten in der Beziehungsgestaltung und weitere soziale und auch materielle Schädigungsfolgen (AGJ 2012; Ebbinghaus und Sack 2013, Hoffmann et al. 2023a). Zudem berichten Menschen mit DDR-Heim-Erfahrungen bis heute von Schwierigkeiten, über ihre Erfahrungen zu sprechen, und davon, sich aufgrund ihrer Heimvergangenheit gesellschaftlich stigmatisiert und marginalisiert zu fühlen (de Andrade und Gahleitner 2021; Gahleitner et al. 2023).

Dem erkennbaren Bedarf an psychosozialer Unterstützung für Menschen mit DDR-Heim-Erfahrung stehen jedoch gewisse Zugangshürden in das Versorgungssystem gegenüber. Zum einen fällt auf, dass Betroffene häufig über wenig Informationen über bestehende professionelle Hilfsangebote verfügen, und zum anderen berichten sie, dass der Prozess der Offenlegung ihrer Erfahrungen oft von Angst vor Unverständnis und Unwissen seitens der psychosozialen Fachkräfte begleitet ist oder gar verhindert wird (Gahleitner 2009; Gfesser et al. 2021; Spahn et al. 2020). Gfesser et al. (2021) wiesen auf Stigmatisierungsprozesse in privatem, familiärem, gesellschaftlichem und institutionellem Bereich als Behandlungsbarriere für Menschen mit DDR-Heim-Erfahrung hin. Eine Studie von Kantor et al. (2022) zu wahrgenommenen Barrieren von ehemaligen Heimkindern aus Österreich bestätigt diese Befunde. Scham, befürchtete Zurückweisung und negative institutionelle Vorerfahrungen (z. B. Gewalt, Vernachlässigung) können außerdem das Hilfesuchverhalten der Betroffenen einschränken. Auch traumaspezifische Barrieren (z. B. Gruppentherapie als belastende Erfahrung, die zu sehr an Gruppenkontexte in Heimen erinnere) wurden benannt (Kantor et al. 2022). In einer Befragung von psychotherapeutischen Fachkräften zu ihren Erfahrungen mit der psychosozialen Versorgung von Menschen mit DDR-Heim-Erfahrungen konnte bereits herausgearbeitet werden, dass tiefverwurzeltes Misstrauen, Angst vor Stigmatisierung sowie Scham- und Schuldgefühle der Betroffenen die Behandelnden vor besondere Herausforderungen in der Gestaltung der therapeutischen Beziehung stellen (Hoffmann et al. 2023b).

Die im Folgenden vorgestellten Studienergebnisse haben zum Ziel, die Behandlungserfahrungen von Menschen mit DDR-Heim-Erfahrungen mit dem psychosozialen Versorgungssystem in Deutschland zu beleuchten. Dazu wurden Daten einer Fragebogenstudie von Menschen mit DDR-Heim-Erfahrungen ausgewertet und folgende Schwerpunkte untersucht:

  • Welche psychosozialen Hilfsangebote wurden von den befragten Menschen mit DDR-Heim-Erfahrungen in Anspruch genommen?

  • Unterscheiden sich Frauen und Männer im Aufsuchen von psychosozialer Unterstützung?

  • Unterscheiden sich Menschen mit Normalheimerfahrungen von Menschen, die auch in Spezialheimen untergebracht waren, in der Inanspruchnahme von psychosozialer Unterstützung?

  • Darüber hinaus wurden hilfreiche und problematische psychiatrische/psychotherapeutische Behandlungserfahrungen der Studienteilnehmer:innen identifiziert sowie hinderliche Faktoren beim Zugang zum Versorgungssystem erfragt.

Methode

Die vorliegende Untersuchung war Teil einer größer angelegten Befragung zu Erfahrungen in DDR-Kinderheimen und Jugendwerkhöfen des vom Bundesministerium geförderten Forschungsverbunds „TESTIMONY – Erfahrungen in DDR-Kinderheimen. Bewältigung und Aufarbeitung“. Die Studienakquise erfolgte u. a. über Radio, Fernsehen, verschiedene Print-Medien (z. B. Tageszeitungen, kostenlose Wurfzeitungen, Magazine), Betroffenengruppen (z. B. Heimkinderforen, Gruppen bei Facebook) und über die Landesbeauftragten zur Aufarbeitung von SED-Unrecht. Der Erhebungszeitraum war von Mai 2021 bis Dezember 2022. Die Befragung verfolgte einen Mixed-Methods-Ansatz. Quantitative Daten wurden für die Stichprobenbeschreibung, Häufigkeiten der Inanspruchnahme unterschiedlicher psychosozialer Angebote und die Behandlungszufriedenheit erhoben. Ergänzend dazu wurden Fragen mit offenem Antwortformat gestellt, um einen möglichst individuellen Einblick in die Behandlungserfahrungen aus Sicht der Studienteilnehmer:innen zu erhalten. Diese waren Folgende:

  1. 1.

    Was an Ihrer Behandlung war gut? Was haben Sie als hilfreich empfunden?

  2. 2.

    Was an Ihrer Behandlung war ggf. problematisch?

  3. 3.

    Falls Sie gern eine Behandlung für psychische Probleme in Anspruch nehmen würden, aber noch nie in Behandlung waren: Was steht dem im Wege?

Qualitative Analyse

Die qualitativen Daten wurden mit der „inhaltlich-strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse“ nach Kuckartz (2018) unter Benutzung des Programms MAXQDA 24 (VERBI – Software. Consult. Sozialforschung. GmbH, Berlin, Deutschland) ausgewertet. Die Hauptkategorien leiteten sich direkt aus den Fragestellungen ab: hilfreiche und problematische Behandlungserfahrungen sowie hinderliche Faktoren für eine Behandlungsaufnahme. Im Anschluss daran wurden die Freitextangaben der Teilnehmer:innen codiert, und es entstanden induktiv Subkategorien. Die Kategorien werden im Ergebnisteil in Bezug auf die Fragestellungen zusammenfassend dargestellt. Auf eine Häufigkeitsauszählung der Kategorien wird verzichtet, da es nicht darum geht, die Aussagen der Betroffenen zu gewichten, sondern eine möglichst große Bandbreite an individuellen Behandlungserfahrungen darzustellen. Das vollständige Kategoriensystem wird im Zusatzmaterial online: Kategoriensystem bereitgestellt.

Statistische Methoden

Die quantitative Auswertung erfolgte mithilfe der Software SPSS 29 (IBM 2023). Um Gruppenunterschiede hinsichtlich der Inanspruchnahme einer psychiatrischen/psychotherapeutischen Behandlung zwischen Frauen und Männern sowie Menschen mit Normalheimerfahrungen und Menschen mit Spezialheimerfahrungen zu ermitteln, wurden χ2-Tests gerechnet. Zur Berechnung der Effektstärke wurde der φ‑Koeffizient verwendet, bei dem ein Wert ab 0,1 als kleiner, ein Wert ab 0,3 als mittlerer und ein Wert von größer als 0,5 als großer Effekt gewertet wird (Cohen 1988).

Stichprobe

Die vorliegende Stichprobe umfasst insgesamt 273 Personen, die als Kinder und Jugendliche in einem oder mehreren DDR-Kinderheimen oder Jugendwerkhöfen untergebracht waren. Die Teilnehmenden waren zum Befragungszeitpunkt zwischen 36 und 84 Jahre alt (Mittelwert [M] = 60 Jahre, Standardabweichung [SD] ± 10,11 Jahre). Es waren 48,7 % (n = 133) der Befragten weiblich. Von den Befragten waren 110 Studienteilnehmer:innen (40,3 %) in mindestens einem Spezialheim und 162 (59,3 %) ausschließlich in mindestens einem Normalheim untergebracht. Eine Person (0,4 %) machte keine Angaben. Eine ausführlichere Stichprobenbeschreibung findet sich bei Hoffmann et al. (2023a, S. 28).

Ergebnisse

Inanspruchnahme psychiatrischer/psychotherapeutischer Behandlung und psychosozialer Angebote

Etwa die Hälfte (56,0 %; n = 153) der Befragten gab an, in ihrem Leben mindestens einmal wegen psychischer Probleme in Behandlung gewesen zu sein (Mittelwert [M] = 56,95; Range = 36 bis 83 Jahre; Standardabweichung [SD] ± 8,63), 40,3 % waren bereits mehrfach in Behandlung (n = 110). Zum Erhebungszeitpunkt befanden sich 77 (28,2 %) der Befragten in Behandlung. Der Tab. 1 lässt sich entnehmen, welche Behandlungsangebote von den Studienteilnehmer:innen bisher in Anspruch genommen wurden.

Tab. 1 Häufigkeit der Inanspruchnahme verschiedener Behandlungsangebote

Der Tab. 2 lässt sich zusätzlich entnehmen, welche weiteren psychosozialen Angebote von allen Studienteilnehmer:innen bisher in Anspruch genommen wurden.

Tab. 2 Häufigkeit der Inanspruchnahme von Beratung und Seelsorge

Die globale Behandlungszufriedenheit konnte auf einer Skala von 1 (sehr unzufrieden) bis 10 (sehr zufrieden) angegeben werden. Im Mittel betrug die Behandlungszufriedenheit 6,34 (n = 140, Standardabweichung [SD] = 2,9). Die Häufigkeitsverteilung lässt sich der Abb. 1 entnehmen.

Abb. 1
figure 1

Frage: Wie zufrieden waren Sie mit Ihrer Behandlung? (Skala von 1 = sehr unzufrieden bis 10 = sehr zufrieden; n = 140)

Frauen nahmen signifikant häufiger eine Behandlung in Anspruch als Männer (χ2 (1, n = 266) = 15,9, p < 0,001, φ = −0,25). Menschen mit Normalheimerfahrungen nahmen ähnlich häufig eine Behandlung in Anspruch wie Menschen mit Spezialheimerfahrungen (χ2 (1; n = 265) = 2,96, p = 0,09, φ = 0,11).

Behandlungserfahrungen der Studienteilnehmer:innen

Mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse konnten hilfreiche und problematische Faktoren im Behandlungsverlauf und am Ende der Behandlung herausgearbeitet werden. Außerdem konnten hinderliche Aspekte für die Inanspruchnahme einer Behandlung zusammengetragen werden. Die Tab. 3 zeigt die zusammenfassenden Ebenen, zu denen sich die hinderlichen, problematischen und hilfreichen Faktoren an den unterschiedlichen Zeitpunkten zuordnen lassen, und soll einen Überblick über das Kategoriensystem, das nachfolgend genau erläutert wird, geben.

Tab. 3 Ebenen der hinderlichen, problematischen und hilfreichen Faktoren vor, während und nach der Behandlung aus Sicht der Studienteilnehmer:innen

Hindernisse für das Aufsuchen einer Behandlung

Auf individueller Ebene (Tab. 3 Ebene a) wurden Scham‑, Schuld- oder Angstgefühle als hinderlich auf dem Weg in eine Behandlung beschrieben. Fehlendes Vertrauen (v. a. nach Bindungstraumatisierungen bzw. Erfahrungen zwischenmenschlicher Gewalt) bis hin zu Misstrauen gegenüber Institutionen, wie z. B. Kliniken, hinderten Betroffene am Aufsuchen einer Behandlung. Eine negative bzw. resignierte Einstellung hinsichtlich eines Behandlungserfolges ließ sich ebenfalls als Hürde erkennen („Ich glaube nicht, dass mir heute noch geholfen werden kann“, TN 46). Bezogen auf die behandelnden Fachkräfte (Tab. 3 Ebene b) befürchteten die Befragten fehlendes Hintergrundwissen zum DDR-Heimsystem und zu den damaligen Erziehungspraktiken. Sie vermuteten mangelndes Verständnis für die Heimbiografien und die Erfahrungen der Betroffenen. Auf struktureller Ebene (Tab. 3 Ebene c) wurden Aspekte wie Therapieplatzmangel, daraus resultierende lange Wartezeiten und fehlende Spezialist:innen (z. B. für Traumatherapie) in ländlichen Regionen thematisiert.

Problematische Erfahrungen

Während der Behandlung

Angst‑, Scham- und Schuldgefühle (Tab. 3 Ebene d) wurden auch als belastend während des Behandlungsprozesses beschrieben. Besonders wurde thematisiert, dass es herausfordernd sei, eine vertrauensvolle Beziehung zu einer Therapeutin/einem Therapeuten aufzubauen. Für manche sei die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und die Konfrontation mit den eigenen Gefühlen im Behandlungsprozess überfordernd gewesen. Bezogen auf die Behandler:innen (Tab. 3 Ebene e) beschrieben einige der Teilnehmer:innen deren fehlendes Verständnis für ihre Vergangenheit, das Gefühl, dass ihnen ihre Geschichte nicht geglaubt würde, oder beobachteten gar eine Überforderung der Behandler:innen selbst mit ihren Berichten. Auf struktureller Ebene (Tab. 3 Ebene f) wurden folgende Aspekte problematisiert: Unsicherheiten hinsichtlich der weiteren Finanzierung von (v. a. längeren) Behandlungen und Probleme, weitere therapeutische Anbindung zu finden. Rigide Klinikstrukturen, strenge Tagesabläufe oder Gruppentherapien haben manche Studienteilnehmer:innen zu sehr an die Abläufe im Heim erinnert und konnten u. U. zum Abbruch der Behandlung führen (Tab. 3 Ebene g).

Am Ende der Behandlung

Aus einigen Betroffenenberichten ging hervor, dass diese am Ende der Behandlung enttäuscht waren, weil ihre Erwartungen nicht erfüllt wurden (Tab. 3 Ebene h) oder nicht das gewünschte Ergebnis erreicht wurde (Tab. 3 Ebene i). Die Gründe dafür scheinen vielseitig zu sein. Gemeinsam sind die Erfahrungen, dass sich die Betroffenen etwas anderes von der Behandlung versprochen hatten. Betroffene berichteten beispielsweise von einer rein symptomorientierten Behandlung oder von umfassender Stabilisierung, vermissten aber die Arbeit an den zugrunde liegenden biografischen Themen, wie z. B. Gewalterfahrungen im Heim. Sie berichteten, dass die Heimvergangenheit aus ihren Augen zu wenig thematisiert werden konnte, und dass das Behandlungsergebnis daher nicht nachhaltig gewesen sei. Dinge aus ihrer Vergangenheit seien zwar zu Tage getreten, jedoch unzureichend bearbeitet worden. Das Behandlungsende wurde von ihnen manchmal als abrupt und ohne geklärte weitere Unterstützung wahrgenommen.

Hilfreiche Erfahrungen

Während der Behandlung

Als hilfreich im Behandlungsprozess wurde die positive Beziehungserfahrung mit der Therapeutin/dem Therapeuten genannt (Tab. 3 Ebene j). Die grundsätzliche Möglichkeit, sich überhaupt jemanden öffnen zu können und Gehör zu finden, wurde als heilsam erlebt. Vor allem wurden eine wertschätzende Haltung der Behandelnden und die Tatsache, dass diese sie ernst nahmen und ihnen glaubten, betont. Die Befragten machten sehr heterogene Angaben zum Therapiesetting und zum Behandlungsansatz (ambulant vs. stationär, Einzel- vs. Gruppentherapie, verschiedene Therapieverfahren) – hier lässt sich zusammenfassend festhalten, dass es als positiv empfunden wurde, wenn auf individuelle Bedürfnisse Rücksicht genommen werden konnte (Tab. 3 Ebene k). Während z. B. für manche ein stationäres Setting zu sehr an den Kontext im Heim (geregelte Tagesabläufe, wenig Privatsphäre) erinnerte, konnte für andere wiederum das Erleben von Struktur, Schutz und Geborgenheit in einer Klinik im Vordergrund stehen und als hilfreich erlebt werden. Als besonders positiv im Behandlungsverlauf wurden auf der Ebene von Therapiemethoden und -techniken (Tab. 3 Ebene l) psychoedukative Elemente und das Erlernen von Strategien, z. B. zur Emotionsregulation, wahrgenommen. Hierbei wurden v. a. konkrete und alltagsbezogene Hilfestellungen, die für einen verbesserten Umgang mit ihrer Vergangenheit, den aktuellen Symptomen und Krisen sorgten, von den Studienteilnehmer:innen erwähnt. Einige spezifische Therapietechniken (z. B. Autogenes Training) und eine individuell angepasst medikamentöse Behandlung wurden ebenfalls als hilfreich benannt. Zuletzt zeigte sich, dass die Befragten aus ihrer Sicht von einer Behandlung im multiprofessionellen Ansatz (z. B. Ergotherapie oder Sportprogramme) profitierten.

Am Ende der Behandlung

Als besonders hilfreich am Ende einer Behandlung wurden die Anwendung der erlernten Strategien zur Bewältigung von Alltag und Krisensituationen (Tab. 3 Ebene m) und die positive, kontinuierliche Beziehungserfahrung zur Fachkraft genannt (Tab. 3 Ebene n). Die Befragten berichteten, von der beständigen Beziehungserfahrung im therapeutischen Setting profitiert zu haben, indem sie lernen konnten, wieder Vertrauen auch zu anderen Menschen zu fassen. Sie berichten zudem vom gelungenen Transfer der Hilfestellungen in ihren Alltag und von einem verbesserten Umgang mit ihren Gefühlen. Positiv seien die behutsame Thematisierung und Aufarbeitung der Vergangenheit gewesen (Tab. 3 Ebene o). Die Berichte der Studienteilnehmer:innen machten deutlich, wie wichtig für sie in der Behandlung erlernte Selbstwirksamkeit und Selbstfürsorge waren (Tab. 3 Ebene p). Sie empfanden es als hilfreich, Grenzen setzen zu können und auf ihre Bedürfnisse zu hören. Die Schilderungen zeigten, dass sie durch den therapeutischen Prozess aktiver in ihrem Leben geworden sind und durch die erlernten Strategien in der Lage sind, besser für sich zu sorgen und einzustehen. Als letzten wertvollen Punkt wurde Therapie als Raum zur Selbstreflexion und daraus folgenden neue Perspektiven auf das eigene Leben thematisiert (Tab. 3 Ebene q).

Diskussion

Interpretation der Ergebnisse

Ziel der Untersuchung war es, die Inanspruchnahme von psychosozialen Angeboten und Erfahrungen von Menschen mit DDR-Heim-Erfahrungen mit psychiatrischen/psychotherapeutischen Behandlungen zu untersuchen, um Vorschläge für den Abbau von Zugangsbarrieren und zur Verbesserung der Versorgungssituation abzuleiten. Über die Hälfte der Befragten hatte bereits Behandlung in Anspruch genommen, wobei am häufigsten von ambulanter Psychotherapie und psychiatrischen Behandlungen berichtet wurden. Seltener wurden psychosoziale Unterstützungsangebote, wie z. B. Beratung oder Seelsorge, wahrgenommen. Die Behandlungszufriedenheit der Befragten fällt sehr heterogen aus. Zwar gibt es gut zwei Drittel, die mit ihrer Behandlung (sehr) zufrieden sind, jedoch macht die Befragung deutlich, dass den Bedarfen der Studienteilnehmer:innen noch nicht in Gänze gerecht werden konnte. Es zeigte sich, dass Frauen häufiger eine Behandlung aufsuchten als Männer, was dem allgemein bekannten Geschlechterunterschied entspricht (Nam et al. 2010). Es konnte sich kein Unterschied im Aufsuchen einer Behandlung zwischen Befragten mit und ohne Spezialheimerfahrung finden lassen. Im Kontrast dazu steht, dass Betroffene mit Spezialheimerfahrung mehr Misshandlungs- und Vernachlässigungserfahrungen ausgesetzt waren, häufiger von daraus folgenden psychische Belastungen berichten und einen tendenziell höheren Behandlungsbedarf aufweisen (Hoffmann et al. 2023a). Proportional zu ihrem Bedarf scheinen sie also weniger Behandlung zu bekommen. Dafür können verschiedene Gründe diskutiert werden. Aufgrund der Schwere und Komplexität der potenziell traumatisierenden Lebensumstände können störungsspezifische Barrieren für diese Betroffenengruppe mehr greifen. Eine erschütterte Weltsicht, tief verankertes Misstrauen sowie Schuld- und Schamgefühle können sie davon abhalten, eine professionelle Behandlung aufzusuchen. Es ist auch möglich, dass die Betroffenen mit Spezialheimerfahrung weniger (finanzielle, soziale) Ressourcen zur Verfügung haben als Menschen, die ausschließlich in Normalheimen untergebracht waren und vermehrt Stigmatisierungserfahrungen in der Vergangenheit gemacht haben. Ein tendenziell geringeres Schul‑/Ausbildungsniveau kann eine weitere Hürde für die Betroffenen mit Spezialheimerfahrung darstellen.

Obwohl von vielen positiven Erfahrungen im Behandlungskontext berichtet wurde, offenbaren sich auch Problemfelder, die sich mit den Berichten von Fachkräften zu ihren Behandlungserfahrungen mit Menschen mit DDR-Heim-Erfahrungen decken (Hoffmann et al. 2023b) und im Einklang mit der bestehenden Literatur zu Zugangshürden für ehemalige (DDR-)Heimkinder stehen (Gahleitner 2009; Gfesser et al. 2021; Kantor et al. 2022; Spahn et al. 2020). Im Folgenden werden die hilfreichen, hinderlichen und problematischen Faktoren auf verschiedenen Ebenen auf dem Weg in eine Behandlung, während der Behandlung und bei Ende einer Behandlung diskutiert.

Eine an die Zielgruppe sprachlich angepasste Informationsvermittlung über bestehende psychosoziale Hilfsangebote – z. B. über Betroffenenverbände, Print-Medien oder Informationsveranstaltungen – könnte den Weg in eine Behandlung für die Betroffenen vereinfachen. Dabei sollte von Anfang an auf eine empathische Haltung ihnen gegenüber geachtet werden sollte, um den berichteten Gefühlen von Angst, Scham und Schuld sowie den negativen Einstellungen und den Vertrauensproblemen im Vorhinein (trauma-)sensibel zu begegnen. Diese lassen sich durch die negativen institutionellen und zwischenmenschlichen Vorerfahrungen der Betroffenengruppe und fortwährende Stigmatisierungserfahrungen erklären. Die Vergangenheit wurde oft jahrelang von den Betroffenen verschwiegen und verdrängt. Schwierigkeiten seitens der Betroffenen, sich zu öffnen und auf den Therapieprozess einzulassen, sollten demnach nicht als fehlende Behandlungsbereitschaft interpretiert werden. Zu verstehen, woher diese Schwierigkeiten kommen, und dass diese für die Betroffenen oft eine Art Schutzfunktion erfüllen, ist v. a. dann möglich, wenn ausreichend Wissen aufseiten der Fachkräfte in Bezug auf das Aufwachsen in DDR-Kinderheimen und Jugendwerkhöfen und den möglichen komplexen Folgen für die Betroffenen vorhanden ist. Eine zugewandte Haltung der Behandler:innen zum DDR-Heim-System und zu den komplexen, leidvollen Erfahrungen, die viele Kinder und Jugendliche in den Einrichtungen z. T. machen mussten, kann den Vertrauensaufbau deutlich erleichtern. Den Berichten von Betroffenen Glauben zu schenken, sich gemeinsam vorbehaltlos und offen auf die Rekonstruktion der Biografie des Klienten/der Klientin einzulassen, erscheint besonders essenziell. Aufgrund einer möglichen Chronifizierung und der Komplexität der psychischen Störungen sowie eines späten Behandlungsbeginns ist oft nur ein kleinschrittiges Vorgehen in der Behandlung möglich. Der bewusste Einbezug von Psychoedukation kann den Zugang zu Gefühlen erleichtern und die Selbstreflexion der Betroffenen fördern. Potenzielle individuelle Hürden (z. B. Gruppensituationen, Klinikstrukturen) sollten zu Beginn der Behandlung besprochen und, wenn möglich, berücksichtigt werden. Das Erlernen von praktischen Hilfestellungen für das alltägliche Leben und die Förderung von Selbstwirksamkeit scheinen besonders hilfreich für die Betroffenen zu sein.

Darüber hinaus könnte eine Clearing-Stelle für Betroffene mit gebündelten Informationen über bestehende psychosoziale Hilfsmöglichkeiten einen niedrigschwelligen Zugang für Menschen mit DDR-Heim-Erfahrung darstellen. Dort könnten ihre Anliegen, die häufig auch z. B. auch die Suche nach Akten oder Unterstützung bei der Rehabilitierung umfasst, von Beginn an geklärt werden und durch gezielte Weitervermittlung versorgt werden. Nicht zuletzt ist es auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Tabuisierung der Thematik und die Stigmatisierung der Betroffenen aufzubrechen sowie das erlebte Unrecht der Betroffenen anzuerkennen.

Limitationen und Forschungsausblick

Über die Hälfte der Befragten hatten bereits Behandlungserfahrungen und konnten Auskunft darüber geben. Die Behandlungserfahrungen wurden jedoch sehr allgemein abgefragt und konnten im Einzelnen nicht aufgeschlüsselt ausgewertet werden, z. B. nach dem Zeitpunkt der Behandlung (wie viele Jahre nach der Heimerfahrung?). Es lässt sich aus der bisherigen Befragung nicht kausal schlussfolgern, was genau im Einzelnen bei den Studienteilnehmer:innen zur Zufriedenheit oder zur Unzufriedenheit mit der Behandlung führte, da die Behandlungszufriedenheit global abgefragt wurde, viele der Befragten aber eine Vielzahl an Kontakten mit dem Hilfesystem hatten. Offen bleibt, warum die psychosozialen Beratungsangebote nicht häufiger genutzt wurden, und auch welche Erfahrungen dort bereits gemacht wurden.

Die vorliegende Studie beschränkt sich auf die spezifischen Erfahrungen und Bedarfe von Menschen mit DDR-Heim-Erfahrung. Es wäre sinnvoll, diese Perspektive um die Erfahrungen und Bedarfe von Menschen mit Heimerfahrungen aus der BRD (vor und nach der Wende) zu erweitern, um Fachkräfte allgemein mehr für das Thema sensibilisieren zu können. Psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungen sowie auch psychosoziale Beratung von Menschen mit DDR-Heim-Erfahrungen können eine wesentliche Rolle in der individuellen Verarbeitung von traumatischen Erfahrungen in Kindheit und Jugend leisten. Insbesondere für Überlebende institutioneller Gewalt sind sie auch ein wichtiger Baustein einer gesellschaftlichen Anerkennung von erlittenem Unrecht.

Fazit für die Praxis

  • Angst vor Stigmatisierung und Unverständnis oder Ablehnung erklären womöglich das jahrzehntelange Schweigen der Betroffenen.

  • Eine ermutigende, wertschätzende und geduldige Haltung von Fachkräften kann Menschen mit DDR-Heim-Erfahrung den Weg in eine (multi-)professionelle, kontinuierliche Behandlung erleichtern.

  • Vertrauen, Alltagsbewältigung und Selbstwirksamkeit stellen wichtige Behandlungserfahrungen für die Betroffenen dar.