Schätzungsweise eine halbe Million Kinder und Jugendliche ist zwischen 1949 und 1989 in Kinderheimen und Jugendwerkhöfen der DDR aufgewachsen. Viele von ihnen haben in diesen Einrichtungen Vernachlässigungs- und Misshandlungserfahrungen gemacht, leiden z. T. bis heute an negativen psychischen Folgen dieser Erfahrungen und haben deshalb Bedarf an psychosozialer Unterstützung und psychotherapeutischer Behandlung. Betroffene berichten jedoch immer wieder von Zugangsschwierigkeiten zu diesen Angeboten sowie fehlendem Wissen und Verständnis aufseiten der Fachkräfte, was einer sachgerechten Versorgung im Wege stehen kann.

Hintergrund und Fragestellung

Das DDR-Heimsystem lässt sich grob in „Normalheime“ und „Spezialheime“ einteilen, wobei unter Spezialheimen Durchgangs- und Beobachtungsheime, Spezialkinderheime, das Kombinat der Sonderheime sowie Jugendwerkhöfe zusammengefasst wurden (Dreier-Hornig und Laudien 2021; Laudien und Sachse 2012). Kinder und Jugendliche, die als „schwer erziehbar“ galten, sollten in Spezialheimen „umerzogen“ werden (Sachse 2013; Laudien 2013). Nach derzeitigem Forschungsstand ist davon auszugehen, dass der Heimalltag für einen großen Teil der Betroffenen – insbesondere in den Spezialkinderheimen und Jugendwerkhöfen – durch fehlende Intimsphäre, Anwendung von Zwang und Gewalt, Freiheitsbeschränkungen sowie entwürdigende Erziehungs- und Strafmaßnahmen geprägt war (AGJ 2012; Arp 2019). Auch sexualisierte Gewalt wurde berichtet (Mitzscherlich et al. 2019; Hoffmann et al. 2023). In besonderem Maße war in Spezialheimen zudem der Zugang zu Bildung beschränkt. Hier wurden Kinder und Jugendliche in heimeigenen Schulen unterrichtet bzw. waren verpflichtet zu arbeiten, oft unter gesundheitsgefährdenden Bedingungen und ohne Wahlmöglichkeiten (Arp et al. 2012; Dreier-Horning und Laudien 2018). Auch wenn die negativen psychosozialen Auswirkungen der Erfahrungen und Bedingungen im Kontext von institutionalisierter Unterbringung inzwischen vielfach untersucht und belegt wurden (Carr et al. 2020, für einen Überblick), war dies für die DDR-Kinderheime lange nicht der Fall. Mit dem Forschungsverbund „TESTIMONY“ (www.testimony-studie.de) fand eine systematische und umfassende Untersuchung in Bezug auf DDR-Kinderheime und Jugendwerkhöfe statt (Spahn et al. 2020). Bestehende Expertisen und Berichte wiesen jedoch bereits früher darauf hin, dass viele Menschen, die in Kindheit und Jugend in DDR-Kinderheimeinrichtungen untergebracht waren, bis heute an negativen psychosozialen Auswirkungen ihrer Erfahrungen leiden (AGJ 2012; Mitzscherlich et al. 2019; Ebbinghaus und Sack 2013). Genannt wurden (komplexe) posttraumatische Belastungsstörungen, Angst- und Zwangsstörungen, Depressionen, Suchterkrankungen sowie Störungen der Persönlichkeitsentwicklung. Die sozioökonomische Situation kann darüber hinaus von den damaligen Einschränkungen im (Aus‑)Bildungsbereich beeinträchtigt sein, was sich wiederum negativ auf die psychische Gesundheit sowie den Zugang zu psychosozialer Unterstützung auswirken kann (Kluge et al. 2019; Niemeyer und Knaevelsrud 2023).

Rigide Strukturen, erniedrigende Erziehungspraktiken und negative Beziehungserfahrungen in den Einrichtungen konnten Kinder und Jugendliche in der sozial-emotionalen und kognitiven Entwicklung stark beeinträchtigen (Laudien und Sachse 2012; Dreier-Hornig und Laudien 2021). Langzeitfolgen davon sind beispielsweise geringer Selbstwert, mangelnde Selbstfürsorge, Bindungs‑, Verlust- und Autoritätsängste sowie Schwierigkeiten in der sozialen Kontaktaufnahme bzw. im Umgang mit Institutionen und Behörden (AGJ 2012; Ebbinghaus und Sack 2013; Spahn et al. 2020). Darüber hinaus erscheint es sinnvoll, die Zeit in den Heimen nicht isoliert zu betrachten, sondern auch die Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen vor der Heimeinweisung einzubeziehen. Hoffmann et al. (2023) konnten zeigen, dass viele Kinder und Jugendliche, die in DDR-Kinderheimeinrichtungen untergebracht wurden, im Vorfeld familiären Belastungsfaktoren ausgesetzt waren, also beispielsweise Misshandlung, sexuellen Missbrauch und Vernachlässigung in ihrer Herkunftsfamilie erlebten und diesbezüglich in den Einrichtungen nur unzureichend bei der Verarbeitung unterstützt wurden.

Ähnlich wie in Bezug auf Missbrauchsfälle im westdeutschen institutionellen Kontext (Caspari et al. 2021) ging die Aufarbeitung der DDR-Heimgeschichte, der Erfahrungen und Folgen für die Kinder und Jugendlichen von damals nur sehr schleppend voran (Feldhoff 2019; Spahn et al. 2020). Eine Evaluation des Fonds „Heimerziehung in der DDR in den Jahren 1949 bis 1990“ ergab, dass im Bereich der Abmilderung von Folgeschäden seelischer und körperlicher Art die Fondsleistung hinter den Erwartungen der Betroffenen zurückblieb und nur ein geringer Anteil den von ihnen geäußerten Wunsch nach Aufarbeitung als erfüllt ansah (BMFSFJ 2019; Martensen und Gahleitner 2019). Bis heute werden die Erfahrungen von Menschen mit DDR-Heimerfahrungen und die Folgen dieser Erfahrungen gesellschaftlich zu wenig wahrgenommen, was fortbestehende Stigmatisierungs‑, Marginalisierungs- und Abwertungserfahrungen mit sich bringt (Gahleitner et al. im Druck).

Zur psychosozialen Versorgungssituation von Menschen mit DDR-Heimerfahrungen lässt sich feststellen, dass die Inanspruchnahme geeigneter Behandlungsmöglichkeiten häufig aufgrund von Zugangshürden und mangelnder Informationen über bestehende Hilfsmöglichkeiten erschwert wird (Gahleitner 2009; Spahn et al. 2020). Gfesser et al. (2021) wiesen auf die Bedeutung von Stigmatisierungsprozessen als Behandlungsbarriere hin. Die Menschen mit DDR-Heimerfahrungen berichteten in dieser Studie von Bagatellisierung ihrer Erfahrungen durch ihr Umfeld, und dass sie ihre teilweise traumatischen Erfahrungen in der psychosozialen Versorgung nicht ausreichend ansprechen konnten. Diese Aussagen decken sich mit Ergebnissen einer Studie von Kantor et al. (2022) zu Zugangsbarrieren im Gesundheitssystem für Überlebende institutioneller Gewalt in österreichischen Kinderheimen. Fehlendes Wissen um Behandlungsmöglichkeiten und behandlungsbezogene Zweifel, Sorge um Stigmatisierung, Scham und Zurückweisung sowie traumaspezifische Barrieren waren die vorherrschenden Themen für die Befragten. Negative Erfahrungen mit Einrichtungspersonal (z. B. Psycholog:innen, Psychiater:innen) zur Zeit der Heimunterbringung (1940er- bis 1980er-Jahre) wurden ebenfalls genannt. Allgemein ist bekannt, dass negative Reaktionen auf das Berichten interpersoneller Gewalterfahrungen mit einem schlechteren psychischen Gesundheitszustand der Betroffenen und einer negativen Selbstbewertung einhergehen (Dworkin et al. 2019; Quinn und Chaudoir 2009).

Für Fachkräfte in der psychosozialen Versorgung ergeben sich somit mögliche Herausforderungen in der Behandlung von Menschen mit DDR-Heimerfahrungen. Zum einen hat sich das Fachwissen zu Diagnostik und Behandlung von Traumafolgestörungen in den letzten Jahren stark weiterentwickelt (Gysi 2022). Zum anderen bedarf es des Wissens um den historischen Kontext und das Spektrum möglicher Erfahrungen, die psychosozialen Folgen von komplexen und lang anhaltenden Traumatisierungen (Ebbinghaus und Sack 2013; Gahleitner 2009) sowie auch des Wissens um mögliche Barrieren in der Offenbarung („disclosure“) von Missbrauchserfahrungen (z. B. Filipas und Ullmann 2006; Lueger-Schuster et al. 2015). Beispielsweise zeigte eine Studie von Böttche et al. (2012), dass Wissen über spezifische historische Ereignisse und Kohorteneffekte Fachkräften hilft, ein besseres Verständnis des soziokulturellen Hintergrunds der Patient:innen zu erlangen und auch zugrunde liegende Prozesse, Werte und Normen besser zu verstehen. Gallistl und Frommer (2020) richteten in einer Studie ihren Blick auf Wissen und Kompetenz der Fachkräfte im Umgang mit SED-Unrechtserfahrungen und berichteten eine ähnliche Problematik. Wissenslücken der Fachkräfte könnten einerseits dazu führen, dass Menschen mit diesen Erfahrungen nicht geglaubt werde, und andererseits eine eigene Überforderung in entsprechenden Gesprächssituationen mit sich bringen.

Bisher fehlt eine systematische Untersuchung der Versorgungsrealität von Menschen mit DDR-Heimerfahrungen. Daher verfolgt die dargestellte Befragung das Ziel zu erfahren, ob psychologische Psychotherapeut:innen und andere Fachkräfte der psychosozialen Versorgung ähnlich wie Betroffene Zugangshürden und Behandlungsschwierigkeiten beschreiben, und ob ihrerseits ein Interesse an Weiterbildungsangeboten zum Thema besteht.

Methode

Zwischen September 2020 und Juni 2021 wurden in einer Online-Befragung Fachkräfte der psychosozialen Versorgung zu ihren Erfahrungen in der Behandlung/Beratung von Menschen mit DDR-Heimerfahrung befragt. Die Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig gab ihr positives Votum für die Befragung (407/20-ek). Die Einladung zur Studienteilnahme konnte über die verschiedenen Psychotherapeutenkammern der Bundesländer (außer Hamburg und Saarland), verschiedene Fachverbände und Fachzeitschriften (Psychotherapeutenjournal, Trauma und Gewalt) und mithilfe des Schneeballprinzips verbreitet werden. Die Teilnahme war freiwillig und anonym und nahm durchschnittlich 10 min in Anspruch. Vorerfahrungen in der Behandlung von Menschen mit DDR-Heimerfahrung waren keine notwendige Voraussetzung für die Studienteilnahme. Die Befragung verfolgte einen Mixed-Methods-Ansatz und wurde eigens für die vorliegende Studie entwickelt, da zu dieser spezifischen Thematik keine standardisierten Messinstrumente bekannt waren. Der Fragebogen bestand aus Fragen zum Wissensstand zum DDR-Heimsystem, zu den Arbeitserfahrungen mit ehemaligen DDR-Heimkindern, Zugangshürden zum Hilfesystem, evtl. Behandlungsherausforderungen und ihrem Fortbildungsinteresse zum Thema sowie demografischen Angaben. Der Fragebogen ist auf Anfrage bei der Letztautorin erhältlich. Quantitative Daten wurden v. a. zur Stichprobenbeschreibung erhoben, und um die Arbeitserfahrungen der Fachkräfte überblicksartig einschätzen zu können. Die deskriptive Auswertung erfolgte mithilfe der Software SPSS Statistics for Windows (Version 27.0, IBM® Cooperation, Armonk, NY, USA). Fragen mit offenem Antwortformat wurden mit der „Inhaltlich-strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse“ nach Kuckartz (2018) unter Benutzung des Programms MAXQDA der VERBI GmbH (2022) ausgewertet. Die Hauptkategorien ließen sich bereits aus den Fragestellungen ableiten. Für eine anschließende Feincodierung wurden die Angaben der Teilnehmenden aus den Freitextfeldern in inhaltliche Bausteine zerlegt und konnten induktiv entwickelten Subkategorien zugeordnet werden. Diese wurden in einer Rückkopplungsschleife von der Erstautorin und der Zweitautorin diskutiert und überarbeitet. Ziel des offenen Antwortformats war es, durch die Antworten der Fachkräfte einen möglichst breiten Einblick in die verschiedenen Aspekte der erfragten Thematik zu erlangen. Die Kategorien werden im Ergebnisteil in Bezug auf die Fragestellungen zusammenfassend dargestellt; auf Häufigkeitsauszählungen wird verzichtet. Die Freitextfelder wurden in der Regel mit wenigen Worten oder kurzen Wortgruppen von den Teilnehmer:innen beantwortet.

Stichprobe

Von den insgesamt 467 Personen, die die Umfrage begannen, wurden die Daten von 26 Personen aus dem Datensatz entfernt, weil diese den Fragebogen unvollständig beantwortet hatten. Die aufbereitete Stichprobe umfasst somit insgesamt 441 Teilnehmende. Diese waren zwischen 23 und 76 Jahre alt (Mittelwert [M] = 48,9 Jahre, Standardabweichung [SD] ± 10,7 Jahre). Es waren 83,1 % (n = 366) der Teilnehmenden weiblich. Durchschnittlich hatten die Teilnehmenden 18,4 Jahre Arbeitserfahrung (SD ± 10,4 Jahre; Spanne ein bis 47 Jahre). Von den Teilnehmenden gaben 78,8 % (n = 341) an, dass sie im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit bereits Kontakt zu Menschen mit DDR-Heimerfahrung hatten. Die beruflichen Qualifikationen können der Tabelle entnommen werden (Abb. 1). Der Großteil der Studienteilnehmenden arbeitete in ambulantem Setting (83,7 %, n = 368). Ein stationäres Arbeitssetting gaben 12,7 % (n = 56) an, und der Rest arbeitete teilstationär oder in anderen Kontexten, wie z. B. Behörden.

Abb. 1
figure 1

Berufliche Qualifikationen der Studienteilnehmer:innen (n = 441). Mehrfachnennung möglich. Angaben in Prozent

Die Studienteilnehmer:innen wurden gefragt, wo sie bis zum Befragungszeitpunkt die meiste Zeit ihres Lebens verbracht hatten. Dabei wurden von 230 Teilnehmenden (51,9 %) die neuen Bundesländer (einschließlich DDR) und von 196 Teilnehmenden (44,2 %) die alten Bundesländer genannt. Für 17 Teilnehmende (3,8 %) traf „weder noch zu“, was genauer erläutert werden konnte und in der Mehrzahl der Fälle bedeutete, gleich viel Zeit in den alten und neuen Bundesländern oder (in Einzelfällen) hauptsächlich Zeit im Ausland verbracht zu haben.

Ergebnisse

Die Teilnehmenden wurden zu Beginn der Befragung gebeten, ihren allgemeinen Wissenstand zur Heimerziehung in der DDR auf einer 5‑stufigen Antwortskala einzuschätzen: Es antworteten 6,1 % (n = 27) „sehr gut“, 20,4 % (n = 90) „gut“, 40,4 % (n = 178) „mittelmäßig“, 27,0 % (n = 119) „gering“, und 6,1 % (n = 27) gaben „nicht vorhanden“ an. Fachkräfte, die hauptsächlich in den neuen Bundesländern (einschließlich DDR) gelebt haben (M = 3,12, SD ± 0,97, n = 228), berichteten von einem signifikant höherem Wissenstand (t(408) = −5,238, p < 0,001, d = −0,51, 95 %-Konfidenzintervall [95 %-KI] für d: −0,68 bis −0,31) als Fachkräfte, die hauptsächlich in den alten Bundesländern gelebt haben (M = 2,63, SD ± 0,92; n = 182).

Bedeutung der Heimunterbringung

Im Folgenden werden Ergebnisse von den Fachkräften (n = 341) berichtet, die angaben, Behandlungserfahrungen mit Menschen mit DDR-Heimerfahrungen zu haben. Auf die Frage, welche Bedeutung die Heimunterbringung in der Behandlung/Beratung i. Allg. hatte, antworteten 67,5 % (n = 230) der Studienteilnehmenden, dass sie eine „eher große“ oder gar „zentrale“ Bedeutung eingenommen habe. Es teilten 20,8 % (n = 71) mit, dass die Heimunterbringung eine „eher geringe“ Bedeutung gehabt habe, und 1,2 % (n = 4) kreuzten „keine Bedeutung“ an. „Nicht verallgemeinerbar“ traf für 10,6 % (n = 36) der Teilnehmenden zu; diese ergänzten genauere Erläuterungen im Freitextfeld, dahingehend, dass die Bedeutung je nach Fall sehr unterschiedlich gewesen sei. Eine Thematisierung der Heimvergangenheit habe eher stattgefunden, wenn negative Erfahrungen im Heim oder im Jugendwerkhof gemacht wurden, weniger bei positiven Heimerfahrungen. Es käme weiterhin auf das Behandlungsanliegen eines/einer Betroffenen an, da manchmal aktuelle Beeinträchtigungen wichtiger gewesen seien als die Aufarbeitung der Vergangenheit.

Behandlungsherausforderungen

Es wurde zunächst mit einem Einzelitem gefragt, wie kompliziert/herausfordernd i. Allg. die Behandlung/Beratung von Menschen mit DDR-Heimerfahrungen, verglichen mit anderen Behandlungen/Beratungen, erlebt wurde: Es gaben 9,4 % (n = 32) an, die Behandlung als „wesentlich herausfordernder/komplizierter“ empfunden zu haben, 35,8 % (n = 122) kreuzten „herausfordernder/komplizierter“ an, 52,8 % (n = 180) kreuzten „ähnlich kompliziert/herausfordernd“, und 2,1 % (n = 7) fanden, die Behandlung sei „weniger kompliziert/herausfordernd“ gewesen. Auf die Frage, ob es aus Sicht der Fachkräfte besondere Herausforderungen in der Behandlung von Menschen mit DDR-Heimerfahrungen gebe, antworteten 61,3 % (n = 209) der Teilnehmenden mit „ja“, 26,4 % (n = 90) mit „nein“, und 12,3 % kreuzten die Option „weiß nicht“ (n = 42) an. Insgesamt 205 der befragten Fachkräfte spezifizierten ihre Angaben in einem Freitextfeld. Behandlungsherausforderungen ergäben sich vorrangig durch die Komplexität und die Schwere von Traumafolgestörungen, die v. a. durch frühe Bindungstraumatisierungen entstanden und oftmals bei (spätem) Behandlungsbeginn bereits chronifiziert seien. Die Etablierung einer tragfähigen therapeutischen Beziehung stelle die Behandelnden laut eigener Angaben vor Herausforderungen. Aufgrund häufiger Trennungs‑, Misshandlungs- und/oder Vernachlässigungserfahrungen in den Heimen (und oft auch den Herkunftsfamilien) sei die Beziehung zur behandelnden Person oft von Misstrauen geprägt. Dabei wurde auch der schwierige Zugang zu Gefühlen bei den Patient:innen thematisiert, sowie eine unterschiedlich ausgeprägte Bereitschaft, sich mit seiner Vergangenheit zu konfrontieren. Manche Betroffenen seien zudem durch schwierige sozioökonomische Lebenslagen „verbittert“ und hätten eine sehr geringe Selbstwirksamkeitserwartung, was den Therapieprozess erschwere. Unklare und unvollständige Biografien, weil Akten nicht gefunden wurden oder Patient:innen teilweise nur lückenhaft über Einweisungsgründe und Heimwechsel informiert worden seien, beeinträchtigen die Rekonstruktionen der Lebensgeschichten. Faktoren, die eine Behandlung aufseiten der Behandler:innen weiterhin erschweren könnten, seien: junges Alter, Herkunft aus den alten Bundesländern, wenig Berufserfahrung, wenig Hintergrundwissen zum Thema und die Angst vor eigener emotionaler Belastung durch die evtl. komplexen Traumatisierungen der Patient:innen. Für die Anamnese sei mehr Zeit einzuplanen, und insgesamt müsse manchmal mit nur sehr kleinschrittigen Therapieerfolgen gerechnet werden, so die Erfahrungen der Fachkräfte.

Zugangshürden zum Hilfesystem

Eine weitere Frage an die Fachkräfte war, ob es ihrer Meinung nach besondere Hürden auf dem Weg in die Beratung/Behandlung für Menschen mit DDR-Heimerfahrungen geben würde. Dies wurde von 54,4 % der Teilnehmenden bejaht (n = 340). In einem Freitextfeld konnten spezifischere Angaben gemacht werden, was 179 Teilnehmende taten. Obwohl nur nach Hürden für die Betroffenen gefragt wurde, ließen sich die Antworten im Wesentlichen in folgende 3 Kategorien aufteilen: (1) Hürden für die Betroffenen, (2) Hürden für die Fachkräfte und (3) Hürden auf struktureller Ebene.

Hürden für die Betroffenen.

Als eine solche wurde v. a. das stark ausgeprägte Misstrauen gegenüber dem Hilfesystem angegeben, dessen Wurzeln die Fachkräfte v. a. in den frühen Erfahrungen mit institutioneller Gewalt sahen. Unter Umständen könnten Fachkräfte von Betroffenen aufgrund von damaligen negativen Erfahrungen mit dem DDR-Jugendhilfesystem als „täterassoziiert“ wahrgenommen werden. Dabei ginge es, so die Studienteilnehmenden, v. a. um Ängste vor Fremdbestimmung durch behandelnde Fachkräfte (z. B. die Vorstellung, einfach in eine Klinik eingewiesen werden zu können, kein Mitspracherecht zu haben) und die Angst vor Retraumatisierung. Auch ginge es um die Ängste der Betroffenen davor, dass ihnen die eigene Geschichte nicht geglaubt werde, dass sie nicht verstanden werde (insbesondere von Fachkräften ohne DDR-Sozialisierung) sowie eine stark ausgeprägte Skepsis gegenüber Autoritäten. Ebenfalls thematisiert wurde die Erfahrung, dass es Betroffenen damals oft untersagt worden sei, über ihre Erfahrungen in Heimen und Jugendwerkhöfen zu sprechen. Diese „Schweigegebote“ würden verhindern, dass Betroffene sich Fachkräften unvoreingenommen anvertrauen könnten. Das Schweigen über die Vergangenheit in DDR-Heimen sei außerdem maßgeblich durch Schamgefühle begründet. Damit eng zusammen hingen die Angst vor erneuter Stigmatisierung als „ehemaliges Heimkind“ und Gefühle von Wertlosigkeit. Diese negative Sicht auf das Selbst könne die Bereitschaft, Hilfe von außen anzunehmen, senken, v. a. dann, wenn Betroffene der Überzeugung seien, schuld an ihrem Schicksal zu sein und keine Hilfe „verdient“ zu haben. Eine weitere Hürde auf der Ebene der Betroffenen könne Vermeidung und Verdrängung des Themas sein. Es würde Zeit brauchen, die Erlebnisse auch Jahre später als etwas zu „Bearbeitendes“ anzuerkennen.

Hürden aufseiten der Fachkräfte und auf struktureller Ebene.

Nach Hürden aufseiten der Fachkräfte und auf struktureller Ebene wurde nicht expliziert gefragt, dennoch ließen sich aus den Antworten der Teilnehmenden diese beiden (vom Umfang her kleineren) Kategorien bilden.

Als Hürde aufseiten der Fachkräfte wurde v. a. mangelndes Wissen über das Heimsystem und somit auch fehlendes Verständnis für die Erfahrungen und die Komplexität der Beeinträchtigungen angegeben. Dies könne zu hohen Erwartungen der Fachkräfte hinsichtlich eines Behandlungserfolgs führen. Auf struktureller Ebene wurden Hürden v. a. in Bezug auf wenig flexible Behandlungssettings thematisiert. Therapie-Settings könnten Betroffene überfordern, wenn sie zu sehr an traumatisierende Situationen in Heimen oder Psychiatrien erinnern. Auch thematisiert wurden bürokratische Hürden, z. B. bei der Finanzierung von therapeutischen Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz. Schwierig sei ebenfalls die Weiterfinanzierung von Therapien, wenn die Kassenleistungen erschöpft seien.

Unterstützung für Betroffene

Auf die Frage, welche Unterstützungsangebote es für Menschen mit DDR-Heimerfahrung geben sollte, wurden vielfältige Angaben von insgesamt 261 Teilnehmenden gemacht. Hilfreich wären Netzwerke von Anlauf- und Beratungsstellen, an die sich Betroffene und Fachkräfte gleichermaßen wenden könnten. An diesen Stellen sollten Informationen zu Aktenrecherche und zu rechtlichen Fragen, wie Opferentschädigung und Rehabilitierung zugänglich sein. Häufig betont wurde der Aspekt des niedrigschwelligen, unbürokratischen Zugangs zu psychosozialen Hilfeleistungen, v. a. für armutsbetroffene Menschen und Menschen mit kognitiven Einschränkungen. Weitere Vorschläge bezogen sich auf die Etablierung von (professionell angeleiteten) Selbsthilfegruppen, die Betroffenen die Möglichkeit gäben, sich zu vernetzen und gegenseitig zu stützen. Zugang zu Psychotherapie, insbesondere mit traumatherapeutischer Expertise, müsse schneller gewährleistet werden und solle bestenfalls ergänzend mit anderer, alltagsnaher Unterstützung Hand in Hand gehen. Psychoedukation über die Langzeitfolgen von frühen Traumatisierungen wurde als Mittel genannt, um Menschen mit DDR-Heimerfahrungen und auch ihren Angehörigen zu helfen. Dieses Wissen könne zur besseren Bewältigung des Alltags beitragen und solle Bestandteil von Behandlungen und Beratungen sein. Auf gesellschaftlicher Ebene könne die öffentliche Anerkennung von Leid und Unrecht unterstützend wirken. Die Veröffentlichung von Lebensgeschichten, die Verarbeitung der Thematik in Theater- und Kunstprojekten sowie die Aufnahme in Lehrplänen an Schulen würden einen wichtigen Beitrag leisten können, so die Befragten.

Weiterbildung für Fachkräfte

Abschließend wurde das Weiterbildungsinteresse der Fachkräfte zum Thema abgefragt, was von 419 Teilnehmenden beantwortet wurde. Dabei gaben 37,2 % (n = 156) an, Interesse an einer Weiterbildung zu haben, 40,8 % (n = 171) antworteten mit „vielleicht“, 12,7 % (n = 56) mit „eher nicht“ und 8,6 % (n = 32) mit „nein“, was genauer begründet werden konnte. Kein Weiterbildungsinteresse lag vor, wenn Fachkräfte keinen Kontakt zu Menschen mit Heimerfahrungen in der Praxis haben würden (z. B. als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut:in), bereits sehr erfahren in dem Bereich seien oder es aufgrund nahender Rente nicht mehr Priorität habe, sich derart spezifisch weiterzubilden. In einem weiteren Freitextfeld konnten inhaltliche Wünsche an eine mögliche Weiterbildung thematisiert werden. Insbesondere Wissen zu Rehabilitierung, Akteneinsicht und rechtlichen Hintergründen wurde von den Studienteilnehmenden als Bedarf thematisiert. Wissenschaftlich aufbereitetes Hintergrundwissen zum Heimsystem (auch der BRD), zu Erziehungsmethoden und den Schädigungsfolgen nach negativen Heimerfahrungen wurden gewünscht – v. a. in Kombination mit Wissensvermittlung zur Diagnostik von (komplexen) Traumafolgestörungen gemäß der 11. Auflage der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-11). Strategien zum Aufbau von Selbstwert und Selbstwirksamkeit sowie zum Umgang mit Verbitterung bei Betroffenen wurden ebenfalls gewünscht. Es wurde weiterhin angeregt, Heimerfahrungen generell als Thema in die Ausbildung von Fachkräften aufzunehmen und auch Mitarbeiter:innen in Institutionen, wie z. B. Behörden oder Gerichten, im traumasensiblen Umgang mit Betroffenen zu schulen.

Diskussion

Ziel der Untersuchung war es, Erfahrungen von psychosozialen Fachkräften in der Behandlung von Menschen mit DDR-Heimerfahrungen genauer auf evtl. Herausforderungen, Zugangshürden und Wissensbedarfe hin zu untersuchen, um Verbesserungsansätze für die häufig thematisierten Barrieren zu psychosozialer und psychotherapeutischer Unterstützung von Menschen mit DDR-Heimerfahrungen abzuleiten. Die eingangs erläuterten Schwierigkeiten, die von Menschen mit DDR-Heimerfahrungen beschrieben wurden und Anlass für diese Untersuchung waren, wurden ebenfalls von den Fachkräften, die bereits Erfahrungen in der Behandlung mit Betroffenen hatten, als Schwierigkeiten beschrieben. Misstrauen, Ängste und Scham seitens der Betroffenen können nach Angaben der befragten Fachkräfte dem therapeutischen Beziehungsaufbau im Wege stehen und fordern Geduld und Behutsamkeit im Behandlungsprozess. Zu verstehen, dass diese Gefühle bei Betroffenen aufgrund (oft langjährig verschwiegener) Erfahrungen von institutioneller Gewalt entstanden sind und auch eine Art Schutzfunktion haben, kann v. a. dann gelingen, wenn es ausreichend Wissen zum Aufwachsen in DDR-Heimen und der Komplexität von Traumafolgestörungen aufseiten der Behandler:innen gibt. Beide Felder haben sich in den letzten Jahrzehnten enorm weiterentwickelt. So ist das Wissen darüber, was Kindern und Jugendlichen in Heimen und Jugendwerkhöfen der DDR widerfahren konnte, maßgeblich durch die Forderungen der Betroffenen nach gesellschaftlicher Aufarbeitung und die daraufhin folgenden politischen Initiativen generiert worden. Auch das Wissen zu und die Anerkennung von Traumafolgestörungen in den Diagnostiksystemen Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, 5.Aufl. (DSM-5) und ICD-11 hat sich, z. B. mit der Aufnahme der Diagnose „komplexe posttraumatische Belastungsstörung“ in die ICD-11, stark erweitert und kann zur Verbesserung der therapeutischen Angebote für Betroffene führen (Jongedijk et al. 2023, zur Geschichte der Psychotraumatologie; Gysi 2022). Individuelle und gesellschaftliche Aufarbeitungsprozesse gehen in einer Beratung oder Therapie Hand in Hand, insofern, dass Menschen mit DDR-Heimerfahrungen Therapeut:innen und Berater:innen auch als „Vertreter“ der Gesellschaft wahrnehmen und oftmals hohe Erwartungen an sie haben, ihre Leid- und Unrechtserfahrungen anzuerkennen. Wichtig bleibt hierbei zu erwähnen, dass nicht alle Menschen, die in DDR-Kinderheimen oder Jugendwerkhöfen aufgewachsen sind, negative Erfahrungen machen mussten und ein Heimaufenthalt nicht zwangsläufig eine Rolle in einer Therapie oder Beratung spielen muss. Es bleibt laut der befragten Fachkräfte eine Aufgabe, flächendeckend niedrigschwellige Behandlungsangebote zu etablieren, welche sich in flexiblen, bestenfalls multiprofessionellen Settings an die individuellen und oft vielfältigen Bedürfnisse von Betroffenen anpassen können. Es kann hilfreich sein, therapeutische Angebote mit weiteren psychosozialen Angeboten, wie z. B. (professionell angeleiteten) Selbsthilfegruppen zu kombinieren. Psychoedukation zu Langzeitfolgen von Traumatisierungen im institutionellen Kontext kann hilfreich für Betroffene und ihre Angehörigen sein und sollte in den Behandlungsprozess integriert werden. Es wurde weiterhin angeregt, Heimerfahrungen generell als Thema in die Ausbildung v. a. von Psychotherapeut:innen aufzunehmen.

Limitationen und zukünftige Forschungsfragen

Die Teilnehmer:innen der Studie wiesen mit durchschnittlichen 18,4 Jahren (SD ± 10,4 Jahre) relativ viel Berufserfahrung auf. Es haben sich hauptsächlich Menschen beteiligt, die bereits Erfahrungen in der Beratung/Behandlung von Menschen mit DDR-Heimerfahrungen hatten (78,8 %, n = 441). Dennoch kann die Studie nicht als repräsentativ für alle, die bereits mit Betroffenen gearbeitet haben, gelten, schon allein, weil sie vorranging nach den problematischen Seiten der Thematik (Zugangshürden, Behandlungsherausforderungen) fragt. Der Großteil der Teilnehmer:innen waren psychologische Psychotherapeut:innen (75,3 %, n = 332). Die Erfahrungen anderer Berufsgruppen, v. a. von Sozialarbeiter:innen und ärztlichen Psychotherapeut:innen sowie Psychiater:innen sollten zukünftig ausgewogener integriert werden. Auch haben überwiegend Fachkräfte teilgenommen, die im ambulanten Setting arbeiten (83,7 %, n = 368). Es bleibt also zukünftig noch offen, spezifischer auf Barrieren und Behandlungshürden in stationären oder teilstationären Kontexten einzugehen. Das Betrachtungsspektrum sollte um positive Erfahrungen aus der Beratung und Therapie von Menschen mit DDR-Heimerfahrungen erweitert werden, um Empfehlungen für die Praxis ableiten zu können.

Fazit für die Praxis

  • Misstrauen, Ängste und Scham erschweren Menschen, die in Kinderheimen und Jugendwerkhöfen der DDR Misshandlung, Missbrauch und Vernachlässigung erlebt haben, oft den Zugang zu psychosozialer Unterstützung und psychotherapeutischer Versorgung.

  • Mangelndes Wissen über den historischen Kontext sowie über Diagnostik und Behandlung von Traumafolgestörungen erschweren Fachkräften das Verständnis und die Therapie/Beratung von Betroffenen.

  • Spezifische Weiterbildungen sollten Wissen zum DDR-Heimsystem, zu Akteneinsicht und Rehabilitierungsprozessen sowie Kompetenzen im Umgang mit Betroffenen von institutioneller Gewalt vermitteln.