Die videobasierte Psychotherapie (VBT) ist ein zunehmend verbreitetes Verfahren, dessen Wirksamkeit heute als gut belegt angesehen werden kann. Allerdings gehen mit dem videobasierten Setting Veränderungen einher, die sich auf die therapeutische Beziehung und die nonverbale Interaktion auswirken. Dies ist bislang noch unzureichend untersucht, ist aber für Therapeuten, die die VBT ggf. praktizieren wollen, von Relevanz.

Hintergrund

Bedingt durch die Kontaktbeschränkungen, die mit der COVID-19-Pandemie in den beiden vergangenen Jahren verbunden waren, hat die Behandlung im videobasierten Setting in der Psychotherapie an Bedeutung gewonnen (Beck-Hiestermann et al. 2021). Videobasierte Psychotherapie meint Anwendungsformen der Psychotherapie, die in der englischen Literatur als „videoconferencing psychotherapy“ (VCP) bezeichnet werden. Es besteht ein direkter, technisch vermittelter bidirektionaler Gesprächskontakt zwischen Therapeut*in und Patient*in über eine räumliche Distanz, in dem optische und akustische Signale ausgetauscht werden (Frittgen und Haltaufderheide 2022).

Allein 2021 erschienen 4 systematische Reviews zur Wirksamkeit der VBT, die die Aktualität des Themas illustrieren (de Boer et al. 2021; Howard et al. 2021; Matsumoto et al. 2021; Thomas et al. 2021). Eine Vielzahl von Studien weist darauf hin, dass die Therapieergebnisse der VBT sich von denen der „Face-to-Face“ durchgeführten Behandlungen nur wenig unterscheiden (de Boer et al. 2021; Fernández-Álvarez und Fernández-Álvarez 2021; Howard et al. 2021; Thomas et al. 2021; Backhaus et al. 2012). Insbesondere kognitiv-behaviorale Interventionen bei Angststörungen, Depression und posttraumatischer Belastungsstörung erwiesen sich im videobasierten Setting als wirksam (Fernández-Álvarez und Fernández-Álvarez 2021), während Interventionen bei schweren und komplexen psychischen Störungen bisher noch unzureichend evaluiert sind (Thomas et al. 2021). Für die therapeutische Beziehung zeigten sich dagegen etwas widersprüchlichere Befunde. Während zunächst Belege dafür gefunden wurden, dass die therapeutische Beziehung bei der Videotherapie ebenfalls gleich gut bewertet wird wie in der Face-to-Face-Therapie (Jenkins-Guarnieri et al. 2015), zeigten Norwood et al. (2018) in 2 Metaanalysen, dass die therapeutische Beziehung in der VBT bei gleich gutem Therapieerfolg als geringfügig schlechter erlebt wurde.

Trotz der insgesamt recht eindeutigen Belege für die Wirksamkeit videobasierter psychotherapeutischer Behandlungen machen Interviews deutlich, dass die VBT von Therapeut*innen und Patient*innen als durchlässiger und weniger berechenbar erlebt wird (Leukhardt et al. 2021). Die unvermeidliche Unterbrechung der räumlichen Kohärenz in der videobasierten Interaktion führt zu tiefgreifenden Veränderungen der Kommunikation (Frittgen und Haltaufderheide 2022). Da Studien mit Face-to-face-Therapien ergaben, dass Prozesse der nonverbalen Interaktion, z. B. die Synchronisation von Körperbewegungen zwischen Therapeut*in und Patient*in, mit der Qualität der therapeutischen Beziehung und dem Therapieerfolg zusammenhängen (Ramseyer und Tschacher 2011), ist zu vermuten, dass der Verlust der physischen Kopräsenz in der VBT ebenfalls eine wichtige Rolle spielt.

Ziele der Arbeit

Im Folgenden wird zunächst ein systematischer Überblick über empirische Studien zur Qualität der therapeutischen Beziehung in der VBT gegeben. Bereits existierende systematische Reviews zu diesem Thema (Backhaus et al. 2012; Jenkins-Guarnieri et al. 2015; Norwood et al. 2018; Simpson 2009; Thomas et al. 2021) fassten Studien mit verschiedenen Studiendesigns, unterschiedlichen Maßen zur Operationalisierung der Qualität der therapeutischen Beziehung und teils sehr unterschiedlicher Aussagekraft zusammen. Die vorliegende Übersicht beschränkt sich daher auf empirische Studien, die eine Face-to-Face-Kontrollgruppe und eine Stichprobenmindestgröße von 20 Personen aufweisen, und in denen die therapeutische Beziehung als therapeutische Allianz operationalisiert erfasst wurde. Die therapeutische Allianz wird mithilfe des Working Alliance Inventory (WAI), eines validierten Fragebogens zur Selbstauskunft, gemessen und bildet die zielgerichtete Zusammenarbeit von Patient*in und Therapeut*in über die 3 Dimensionen Bindung, Prozess und Ziele ab (Bordin 1979; Horvath und Greenberg 1989). Er wird unabhängig von der Therapiemethode angewendet und ist aufgrund seiner Ökonomie und der guten psychometrischen Qualität ein etabliertes Messinstrument (Munder et al. 2010).

Im zweiten Teil des Beitrags findet sich eine Zusammenfassung der qualitativen Studien zur nonverbalen Interaktion in der VBT. Es wurde eine explorative Literatursuche durchgeführt, die den aktuellen Stand der Forschung illustriert.

Methode

Ein- und Ausschlusskriterien

Die vorliegende Arbeit wurde entsprechend den Kriterien der „Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-analyses“ (PRISMA; Liberati et al. 2009) durchgeführt.

Eingeschlossen wurden Studien, die

  • in englischer Sprache publiziert wurden,

  • psychotherapeutische Behandlungen (mindestens 12 Sitzungen) von Patienten ab 18 Jahren im individuellen Setting untersuchten,

  • eine Face-to-Face-Kontrollgruppe beinhalteten,

  • eine Stichprobenmindestgröße von 20 Personen umfassten,

  • die Qualität der therapeutischen Allianz mithilfe des WAI oder seiner überarbeiteten Kurzform (The Working Alliance Inventory-Short Revised, WAI-SR) erfasst hatten (Bordin 1979; Horvath und Greenberg 1989).

Ausgeschlossen wurden

  • über Video vermittelte Onlinetherapieprogramme zum Selbststudium, die keine direkte Therapeut-Klient-Interaktion beinhalteten,

  • telefonische Interventionen, bei denen kein optischer Kontakt bestand,

  • Einzelfallstudien oder Studien mit Fallserien.

Suchstrategie und Studienauswahl

Um die Befunde zur Qualität der therapeutischen Allianz in der VBT zu sichten, wurden die Datenbanken MEDLINE, APA PsycArticles, APA PsycInfo und PSYNDEX im April 2022 für den Zeitraum 1997–2022 mit den Suchbegriffen videoconferenc* psychotherapy AND therapeutic relationship OR therapeutic alliance OR working alliance durchsucht. Die Suche und Datenextraktion wurden von der Erstautorin folgendermaßen durchgeführt: Es wurden zunächst die Abstracts und Überschriften der gefundenen Treffer gelesen und Arbeiten, die nicht auf die zuvor genannten Kriterien passten, aussortiert. Die übrig gebliebenen Arbeiten wurden gelesen, über die Referenzen wurden weitere Studien eingeschlossen, und Studien, die nicht die Inklusionskriterien erfüllten, wurden aussortiert.

Da zur nonverbalen Interaktion in der VBT kaum empirische Untersuchungen vorliegen, wurde auf eine systematische Literatursuche verzichtet. Die wenigen einschlägigen Studien werden im zweiten Teil des Abschn. „Ergebnisse“ beschreibend zusammengefasst.

Ergebnisse

Das Flussdiagramm zur Studienauswahl zeigt Abb. 1. Insgesamt wurden 93 Arbeiten mit der gewählten Suchstrategie gefunden. Von diesen blieben nach dem Titel- und Abstract-Screening 5 Studien übrig, die sich zur Volltextdurchsicht eigneten. Über die Referenzen wurden 3 weitere Studien eingeschlossen. Nach sorgfältiger Durchsicht mussten 3 Studien aussortiert werden, da sie die Einschlusskriterien nicht erfüllten.

Abb. 1
figure 1

Flussdiagramm zur Studienauswahl. FF „Face-to-Face“

Therapeutische Allianz

Es wurden 5 Studien für die Auswertung identifiziert (Ertelt et al. 2011; Germain et al. 2010; Morland et al. 2015; Stubbings et al. 2013; Watts et al. 2020; die Tabelle mit der Studieninformation ist auf Anfrage bei der Erstautorin erhältlich). In den Studien wurden Patient*innen mit den Diagnosen affektive Störung, generalisierte Angststörung, posttraumatische Belastungsstörung und Bulimia nervosa behandelt. In 4 der Studien erfolgte eine randomisierte Zuweisung. Es wurden die Selbstauskünfte von Therapeut*innen und Patient*innen erhoben, in der Studie von Germain et al. (2010) wurde lediglich die Patient*innenperspektive berücksichtigt. Außer in der Studie von Stubbings et al. (2013) wurde die Arbeitsbeziehung zu mindestens 3 Zeitpunkten in der Behandlung erhoben. Bei den durchgeführten Behandlungen handelte es sich um kognitiv-behaviorale Therapien im Umfang von 12 bis 25 Sitzungen.

In 3 der Studien wurden keine signifikanten Unterschiede in Abhängigkeit vom Setting gefunden (Germain et al. 2010; Morland et al. 2015; Stubbings et al. 2013), während 2 Studien über signifikante Effekte in gegenläufiger Richtung berichten, nämlich zum einen eine höhere therapeutische Allianz in Face-to-face-Therapien (Ertelt et al. 2011) und zum anderen eine höhere therapeutische Allianz in VBT (Watts et al. 2020).

Germain et al. (2010) erhoben die therapeutische Allianz der Patient*innen ihrer Studie an 5 Zeitpunkten. Die Patient*innen litten unter einer posttraumatischen Belastungsstörung, weshalb die Exposition in sensu und in vivo mit einem Trauma Teil der Behandlung war sowie die therapeutische Allianz vor und nach der Exposition ermittelt wurde. Die Ergebnisse zeigten, dass VBT die Entwicklung der therapeutischen Allianz nicht negativ beeinflusste. Es fanden sich keine Unterschiede in der therapeutischen Allianz zwischen VBT und Face-to-Face-Therapie, weder für die Patient*innen noch für Therapeut*innen. Die therapeutische Allianz verbesserte sich in beiden Settings über die Zeit signifikant, nahm also in VBT und Face-to-Face eine vergleichbare Entwicklung.

Stubbings et al. (2013) fanden in ihrer Studie, dass Depressionssymptome, Angst und Stress reduziert wurden und die Lebensqualität der Patient*innen unabhängig vom Setting zunahm. Die Qualität der therapeutischen Beziehung wurde nur einmalig im Anschluss an die Behandlung erhoben. Die Settings unterschieden sich nicht, weder aus der Perspektive der Patient*innen noch aus der Perspektive der Therapeut*innen. Auch diese Autor*innen kamen zu dem Schluss, dass die VBT kein Hindernis für die Entwicklung der therapeutischen Allianz darstellt.

Morland et al. (2015) untersuchten in ihrer Studie Frauen, die traumatisiert waren und an einer PTBS litten. Auch sie fanden eine Reduktion in der Symptomatik. Die von Patientinnen berichtete therapeutische Allianz war in der VBT-Sitzung 2 niedriger als in Face-to-Face, doch verschwand dieser Unterschied mit voranschreitender Behandlung. Auch bei Therapeut*innen war die therapeutische Allianz in der VBT der in Face-to-Face nicht unterlegen.

Ertelt et al. (2011) konnten in ihrer Stichprobe keine Unterschiede in der therapeutischen Allianz zwischen VBT und Face-to-Face aus der Perspektive der Patient*innen nachweisen, doch schätzten Therapeut*innen die therapeutische Allianz in Face to face signifikant höher ein als in der VBT. Die therapeutische Allianz stieg auf allen Skalen über die Zeit der Behandlung für Patient*innen und Therapeut*innen an. Die Autor*innen schlussfolgerten, dass Patient*innen keine Präferenz für das eine oder andere Setting hätten, während Therapeut*innen möglicherweise noch zusätzliches Training bräuchten, um sich im medialen Setting sicherer zu fühlen.

Watts et al. (2020), die während der Pandemie eine Studie mit großer Stichprobenzahl durchgeführt hatten, untersuchten VBT bei generalisierter Angststörung. Sie erhoben die Qualität der therapeutischen Allianz nach jeder 2. Sitzung, damit Schwankungen über den gesamten Therapieverlauf abgebildet werden. Das Ergebnis ihrer Studie wich insofern von vorherigen Studien ab, dass Patient*innen die therapeutische Allianz in der VBT sogar besser bewerten als in der Face-to-Face-Therapie. Bei den Therapeut*innen war dieser Unterschied zwischen den Settings nicht zu verzeichnen. Die Autor*innen vermuten, dass ein Zusammenhang mit der Patientengruppe bestehen könnte; diese könnte die videobasierte Therapie als weniger konfrontierend und als kontrollierbarer empfunden haben.

Nonverbale Interaktion

Eine Reihe qualitativer Arbeiten untersuchte das Thema der nonverbalen Interaktion in der VBT. Untersuchungen basieren z. B. auf Interviews, in denen Therapeut*innen und Patient*innen nach einer VBT Auskunft zu ihren subjektiven individuellen Erfahrungen geben. Andere Arbeiten befassen sich vor dem Hintergrund theoretischer Überlegungen mit der Interaktionssituation in der VBT. Für beide Arten von Publikationen werden die Erkenntnisse über die VBT im Vergleich zur Präsenztherapie diskutiert; Zusammenhänge zu Aspekten der Beziehungsgestaltung in der VBT kommen ebenfalls zur Sprache.

García et al. (2022) untersuchten im Rahmen einer phänomenologischen Analyse der Erfahrungen zur verkörperten Interaktion („embodied interaction“) in der VBT die interaktive Herstellung von Bedeutung in der Therapie. Es wurden halbstrukturierte Interviews mit 2 Patienten und 4 Therapeut*innen, die die Therapie in Face to face begannen und dann in das videobasierte Setting wechselten, durchgeführt. Die Teilnehmer*innen schilderten einen Verlust des interaktiven Flusses und der Spontaneität in der VBT. Therapeut*innen beobachteten bei sich selbst eine gesteigerte verbale und nonverbale Aktivität. Einige Teilnehmer*innen führten den Verlust des Flusses in der Interaktion auf die zeitlichen Latenzen in der Videoübermittlung zurück. Als weitere Besonderheit wurden Unterschiede des Umgangs mit dem Schweigen in den beiden Settings genannt. Insbesondere die Therapeut*innen hoben die Bedeutung des Schweigens für den therapeutischen Prozess hervor und betonten, dass Schweigepausen in der VBT schwer auszuhalten und zu bearbeiten seien. Die Teilnehmer*innen stellten kritisch fest, dass der Computermonitor nur das Gesicht abbildet und der gesamte übrige Körper ausgeschlossen sei, was zur Fehlinterpretation von Gesten und bedeutungsvollen Körperbewegungen führen könne. Dies gelte auch für den Verlust des Blickkontakts. Die Wahrnehmung des eigenen Bildes auf dem Monitor werde, sofern dies Teil des Settings war, als potenziell störend erlebt, weil dadurch die Aufmerksamkeit von der therapeutischen Interaktion abgezogen und die Körperselbstwahrnehmung verringert wird. Die Qualität der therapeutischen Beziehung war nach Einschätzung der Studienteilnehmer*innen in der VBT nicht wesentlich schlechter, dennoch hoben Teilnehmer*innen die Wichtigkeit hervor, dass eine therapeutische Allianz zuvor im Face-to-face-Kontakt bereits etabliert worden war. Positiv wirke sich aus, dass die Beziehung in der VBT weniger asymmetrisch und die Auftrennung der Rollen weniger scharf sei, weil beide Interaktanten in ihrer eigenen Umgebung blieben und sich in einer ähnlichen Situation befänden.

Leukhardt et al. (2021) führten halbstrukturierte Interviews mit 14 Therapeut*innen mit psychodynamischer Ausrichtung und 9 Patient*innen durch, um zu untersuchen, wie der Wechsel von Face-to-face-Therapie zur VBT während der COVID-19-Pandemie im Hinblick auf die therapeutische Beziehung und den therapeutischen Prozess erlebt wurde. Therapeut*innen gaben an, dass das VBT-Setting sich vom Face-to-face-Setting am deutlichsten hinsichtlich der begrenzten Möglichkeit, auf nonverbaler Ebene zu kommunizieren, unterscheide. Im Vergleich zu Face to face werde der Kontakt in der VBT als weniger persönlich empfunden. Auch Patient*innen erleben im VBT-Setting eine größere Distanz in der Beziehung zum*r Therapeut*in. Er*sie sei weniger greifbar und werde als weniger real empfunden. Die eingeschränkte oder fehlende Wahrnehmung von Körpersprache, Mimik und Olfaktorik wurde als Mangel erlebt.

Frittgen und Haltaufderheide (2022) arbeiteten in ihrer phänomenologischen Analyse der videobasierten Interaktion die technologiebedingten Veränderungen der menschlichen Wahrnehmung und deren Folgen für die Beziehungsgestaltung in den 4 Modalitäten des Sehens, des Hörens, der Berührung und körperlichen Nähe sowie des Geruchs heraus. Sie heben die Bedeutung des Blickkontakts für die Emotionswahrnehmung und die Beziehungsgestaltung hervor. Die Unmöglichkeit, im Video einen Blickkontakt herzustellen, sei für dieses Setting charakteristisch. In Bezug auf das Hören würden Verzerrungen des Tons sowie zeitliche Latenzen bei der Übermittlung eine wichtige Rolle spielen. Die Erfahrung der körperlichen Nähe werde durch die relativ fixierte Position bei der Videoübertragung verändert. Dadurch, dass die Kamera bei der Videoaufnahme zumeist tiefer steht, erscheine das Bild des Gegenübers aus einer Perspektive von unten. Gesten der Anteilnahme wie das Reichen eines Taschentuches, wenn ein*e Patient*in weine, seien nicht möglich. Ferner blieben alle Informationen, die mit dem Geruch der anderen Person zu tun hätten – Parfüm, Alkohol, Körperhygiene oder das Schwitzen bei Anspannung oder Angst –, in der Videoübertragung außen vor. Schließlich sei der Verlust einer gemeinsamen Räumlichkeit ein relevanter Faktor, sowie die in der VBT inhärente Information über die beiden Räume, von denen aus kommuniziert werde. Die Tatsache, dass Patient*innen bei der VBT in ihrem eigenen Raum blieben, würde von diesen selbst überwiegend positiv empfunden und sei Teil einer „Enthierarchisierung“ der Beziehung.

Diskussion

Die VBT ist ein zunehmend verbreitetes Verfahren, dessen Wirksamkeit heute als gut belegt angesehen werden kann. Doch sind die mit dem videobasierten Setting einhergehenden Veränderungen und deren Auswirkungen auf die therapeutische Beziehung und die nonverbale Interaktion noch unzureichend untersucht.

Therapeutische Allianz

Das durchgeführte Review zeigt, dass die im videobasierten Setting erreichbare Qualität der therapeutischen Beziehung ausreichend gut ist und sich in vielen quantitativen Studien der Beziehungsqualität im Face-to-Face-Kontakt als gleichwertig zeigt. Drei der untersuchten kontrollierten Studien fanden, dass sich die therapeutische Allianz zwischen den beiden Settings nicht unterscheidet (Germain et al. 2010; Morland et al. 2015; Stubbings et al. 2013). In einer weiteren Studie schätzten die Patient*innen die Qualität der therapeutischen Beziehung im VBT-Setting sogar höher ein als in Präsenz (Watts et al. 2020). Abweichend davon wird in der Studie von Ertelt et al. (2011) aus der Perspektive der Therapeut*innen über eine negativere Einschätzung der Qualität der therapeutischen Beziehung im VBT-Setting als in Präsenz berichtet. Die diskrepante Bewertung der VBT bei Therapeut*innen und Patient*innen ist ein Befund, der weiter untersucht werden sollte. Die Ergebnisse der vorliegenden Übersichtsarbeit stehen zusammenfassend weitgehend in Übereinstimmung mit den bereits zuvor durchgeführten Reviews (Backhaus et al. 2012; Jenkins-Guarnieri et al. 2015; Norwood et al. 2018; Simpson 2009; Thomas et al. 2021).

Im Hinblick auf die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit ist einschränkend festzuhalten, dass für die untersuchten Studien kein „risk of bias assessment“ durchgeführt worden ist, also keine Aussage über das Risiko einer Über- oder Unterschätzung von Interventionseffekten getroffen werden kann. Eine weitere Einschränkung ist, dass die Suche und Studienauswahl durch eine, nicht durch zwei Forscher*innen erfolgt sind. Es ist außerdem denkbar, dass das WAI als Fragebogeninstrument zur Erfassung der Qualität der therapeutischen Beziehung in der VBT unzureichend ist. Eventuell braucht es noch weitere Erhebungsmethoden, um die Unterschiede in der therapeutischen Beziehung zwischen VBT und Face-to-Face-Therapie vollständig abbilden zu können.

Hinsichtlich der Generalisierbarkeit der Ergebnisse ist einschränkend festzuhalten, dass es sich bei den evaluierten Behandlungen in den ausgewerteten Studien ausschließlich um kognitiv-behaviorale Interventionen handelte. Es ist denkbar, dass sich die Unterschiede des Settings zwischen VBT und Präsenz bei anderen therapeutischen Methoden – etwa der psychodynamischen Psychotherapie, in der Beziehungs- und Interaktionsprozesse mehr im Mittelpunkt stehen – stärker zeigen. Zu dieser Frage liegen nach Kenntnis der Autoren bisher jedoch keine empirischen Untersuchungen vor.

Nonverbale Interaktion

Die qualitativen Studien zur nonverbalen Interaktion in der VBT zeigen, dass die Bewertung der beiden Settings genauer differenziert werden muss. Themen wie die Einschränkungen des Blickkontakts, die Gegenseitigkeit der Interaktion im Sprecherwechsel, die Veränderungen in der Wahrnehmung von Körper und Gestik sowie der durch technisch bedingte Übertragungsverzögerungen gestörte Fluss der Interaktion bilden den Kern der Kritik (Frittgen und Haltaufderheide 2022; Gumz et al. 2021). Es scheint, dass Therapeut*innen im Video-Setting größere Anstrengungen unternehmen müssen, um den Rapport mit ihren Patient*innen herzustellen und aufrechtzuerhalten. Dies erfordert ein höheres Maß an Aktivität (García et al. 2022).

Ein anderes Thema betrifft das Schweigen in der Psychotherapie. Psychotherapeut*innen betrachten Schweigepausen als essenzielle Momente des therapeutischen Prozesses, in denen kognitive und emotionale Verarbeitungs- und Integrationsprozesse stattfinden können (Buchholz 2018). Schweigen ist aber nach Einschätzung der Therapeut*innen in der VBT schwerer auszuhalten und zu bearbeiten. Es ist zu vermuten, dass die gesteigerte verbale Aktivität aufseiten der Therapeut*innen, aber auch der Patient*innen eine Folge davon ist. Möglicherweise tritt in der VBT die Sprache an jene Stellen im Gespräch, an denen in der Face-to-Face-Therapie sonst Schweigen entstehen würde. Da letztlich die Therapeut*innen für das Gelingen des therapeutischen Prozesses unter den erschwerten (und häufig auch ungewohnten) Bedingungen der VBT verantwortlich sind, ist es nachvollziehbar, dass sie diesem Setting zurückhaltender gegenüberstehen als die Patient*innen (Beck-Hiestermann et al. 2021).

Ausblick

Die VBT stellt unabhängig von der Bewertung ihres klinischen Nutzens und ihrer Anwendbarkeit bei unterschiedlichen Störungsbildern für die Forschung zur therapeutischen Beziehung und zu nonverbalen Aspekten des psychotherapeutischen Prozesses ein interessantes neues Forschungsparadigma dar. Der Entzug der leiblichen Präsenz geht für beide Interaktionspartner mit dem Verlust von sensorischer und perzeptiver Information einher. Die Literatur zu den Therapieergebnissen und zur Beziehung zeigt, dass die VBT trotzdem therapeutisch ähnlich wirkungsvoll ist. Die qualitativen Untersuchungen deuten aber darauf hin, dass sich die therapeutische Interaktion in der VBT verändert. Die Untersuchung dieser Veränderungen könnte Aufschluss über Wirkmechanismen der Psychotherapie auf Prozessebene geben. Einen Weg, um die Interaktionsprozesse in den beiden Settings genauer zu untersuchen, bieten Methoden zur Quantifizierung des nonverbalen Verhaltens und der Bewegungssynchronie (Ramseyer und Tschacher 2011). Durch eine Mikroanalyse der Prozesse der Interaktion wird man in Zukunft der Frage, worin sich die Beziehungsgestaltung in den beiden Settings im Einzelnen unterscheidet, näher kommen können.

Fazit für die Praxis

  • Die videobasierte Psychotherapie (VBT) zeigt sich als gute und wirkungsvolle Alternative zur Face-to-Face-Therapie.

  • Die Literatur weist daraufhin, dass die VBT von Patient*innen und Therapeut*innen etwas unterschiedlich wahrgenommen und bewertet wird, wobei Patient*innen tendenziell positivere Einstellungen gegenüber der VBT haben.

  • Es gibt deutliche Hinweise auf Unterschiede in der nonverbalen Interaktion in VBT im Vergleich zur Face-to-face-Therapie; diese sind aber in ihrer Wirkung auf die therapeutische Beziehung und auf den Therapieprozess noch nicht im Einzelnen verstanden.