Reziprozität und Verschränkung von Psyche und Körperlichkeit – begrifflich gefasst als Embodiment – stellen eine fundamentale Eigenschaft mentaler Prozesse dar. Die Ausweitung des Embodiment-Konzepts auf den sozialen Kontext betrifft die Art und Weise, wie Personen kommunizieren, und damit auch die soziale und therapeutische Interaktion zwischen Klient und Behandler im Rahmen der Psychotherapie. Hier gewinnen folgende Fragen an Bedeutung: Gibt es zusätzlich zur verkörperten Psyche eine verkörperte Interaktion und Kommunikation? Wenn ja, was sind die daraus erwachsenden Implikationen für den Prozess der Psychotherapie?

Embodiment als Wechselwirkung von Kognition und Aktion

Die grundlegende Auffassung des Embodiment-Konzepts besteht darin, dass Körper und Psyche eng miteinander verschränkt sind. Was besagt das? – Zunächst, dass die Wirkungen von Körper und Psyche aufeinander nicht einseitig, sondern reziprok und wechselseitig erfolgen. In der Literatur zum Embodiment spricht man daher auch von der „Bidirektionalität“ dieser Wirkungen. Ein illustratives Beispiel ist Folgendes: Fühlt man sich traurig oder depressiv, zeigt sich das im körperlichen und nonverbalen Ausdruck – der Oberkörper nimmt etwa eine nach vorn gebeugte Haltung ein, und die Art des Gehens verändert sich charakteristisch (Adolph et al. 2021). Zu diesem gut bekannten Effekt des körpersprachlichen Ausdrucks gesellt sich jedoch ein Gegenstück: Wie Experimente zeigen, hat eine unauffällig durchgeführte Beeinflussung von Gangart und Haltung in Richtung eines traurigen Ausdrucks zur Folge, dass sich psychische Charakteristika von Traurigkeit einstellen (Michalak et al. 2009), gewissermaßen als psychischer Nachvollzug einer zunächst nur körperlichen Traurigkeit.

Bidirektionalität geht jedoch weiter als nur bis zur Unterscheidung zweier Richtungen der Wirkungen zwischen Körper und Psyche. Man geht davon aus, dass es sich um eine zirkuläre Interaktion handelt, die fortwährend aktiv ist, ohne dass wir uns ihrer bewusst sein müssen. Wenn man sich beispielsweise abstrakt und kognitiv mit einem Problem befasst, werden zugleich muskuläre und viszerale Systeme, die mit dieser psychischen Aktivität korrespondieren, im Körper in Bereitschaft versetzt und aktiviert. Dieser „ideomotorische Effekt“ war Psychologen bereits im 19. Jh. bekannt – gewissermaßen simuliert man unwillkürlich körperliche Aktionen und Bereitschaften, die zur gerade aktuellen kognitiven Aktivität passen würden, sollte eine motorische Reaktion notwendig werden. Die Embodiment-Theorie besagt also, dass es reine abstrakte Kognition allein nicht gibt (Tschacher und Dauwalder 1999); wir befinden uns unbewusst stets im ideomotorischen Simulationsmodus. In der gegenwärtigen psychologischen und neurowissenschaftlichen Diskussion wird dies mit den Begriffen der enaktiven Kognition (Varela et al. 1992) und der „active inference“ (Friston 2011) ausgedrückt. „Enaktiv“ besagt, dass wir uns aktiv und kontinuierlich mit unserer Umwelt auseinandersetzen (Abb. 1); für die Wahrnehmung bedeutet das, dass ein emergentes Bild der Welt entsteht, was nicht einer kognitiven Repräsentation im Sinne eines Abbildmechanismus entsprechen muss. „Aktive Inferenz“ bezieht sich auf die Art der Organismus-Umwelt-Kopplung, die dem zugrunde liegt: Bei jedem Verhalten stellen wir zunächst eine Inferenz her, also eine Vorhersage der erwarteten sensorischen Konsequenzen, die unser Verhalten erbringen sollte. Im weiteren Verlauf des Verhaltens steht jegliche Diskrepanz zwischen den erwarteten und den tatsächlich einlaufenden sensorischen Daten im Zentrum – Verhaltensziel ist die kontinuierliche Reduktion dieser Diskrepanzen. Wahrnehmung im Alltag beschränkt sich weitgehend auf die Wahrnehmung der Diskrepanzen, nicht der Welt an sich. Diese verschiedenen Aspekte des Embodiment werden im Begriff der 4E-Kognition zusammengefasst („embodied“, „enactive“, „embedded“ und „extended“; Newen et al. 2018).

Abb. 1
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Enaktive Wechselwirkung von Körper, Psyche und Umwelt

Weiterhin bedeutet Embodiment, dass zugleich die Psyche verkörpert und der Körper psychisch bedeutsam ist. In der deutschen Begrifflichkeit der Phänomenologie wurde daher auch die Unterscheidung zwischen Leib (dem semantisch aufgeladenen Körper) und Körper (dem materiellen Körper) eingeführt. Dabei ist Embodiment nicht mit populären Reduktionismen wie „Ich bin mein Gehirn“ oder „Denken ist nichts als neuronale Aktivität“ zu verwechseln, denn Embodiment geht von zwei verschiedenen Aspekten aus, dem mentalen und dem materiellen. Die philosophische Leib-Seele-Debatte, ob es sich dabei um ontologisch unterschiedliche Kategorien handelt (Descartes’ Dualismus) oder um epistemologisch unterschiedliche Aspekte einer Wirklichkeit (Duale-Aspekte-Theorie) ist hier angesprochen, aber nicht entschieden. Der Embodiment-Begriff besagt also allgemein, dass die Reziprozität und Verschränkung von Psyche und Körperlichkeit eine fundamentale Eigenschaft mentaler Prozesse darstellen.

Dieser Beitrag befasst sich aber mit Psychotherapie, also mit der sozialen Interaktion zwischen Personen, zwischen Klient und Therapeut. Folglich muss die Fragestellung erweitert und umformuliert werden: Gibt es zusätzlich zur verkörperten Psyche eine verkörperte Interaktion und Kommunikation? Was sind die daraus erwachsenden Implikationen für den Prozess der Psychotherapie?

Wechselwirkung von Psyche und Körper in der sozialen Interaktion

Die Ausweitung des Embodiment-Konzepts auf den sozialen Kontext betrifft die Art und Weise, wie Personen kommunizieren. Gibt es Kommunikation jenseits der Übermittlung von verbal kodierten Botschaften und Informationen?

Ja, natürlich. Das weite (oft populärpsychologische) Feld der Körpersprache geht davon aus, dass jede Person umfangreiche Informationen über ihre psychische, emotionale und soziale Befindlichkeit über sprachliche Kanäle hinaus mitteilt und zugleich solche Information von Interaktionspartnern empfängt. Mehrabian (1970) ist bekannt für die Einschätzung, dass sogar ein Großteil der emotionalen Kommunikationen nicht über den verbalen Kanal, sondern über Körpersprache und Stimmausdruck vermittelt wird. Diese und ähnliche Befunde hatten dennoch lange Zeit wenig Einfluss auf die akademische Psychotherapieforschung.

Die ökologische Psychologie und Sozialpsychologie sind Disziplinen, die als erste das Embodiment der sozialen Interaktion systematisch untersuchten. Ihnen folgte die soziale Neurowissenschaft. Bekannt wurden Zufallsbefunde: Bei Untersuchungen des motorischen Kortex von Affen zeigte sich, dass Motorneuronen, die aktiviert sein sollten, sobald ein Versuchstier ein Objekt ergreifen würde, auch dann aktiv wurden, wenn das Tier solches Ergreifen durch andere lediglich beobachtete (Rizzolatti et al. 2006). Diese „Spiegelneuronen“ hatten offensichtlich eine doppelte Funktion, da sie sowohl eigene Motorik kodierten als auch die Motorik anderer. Damit war offenbar ein neuronales Korrelat des sozialen Mitempfindens beschrieben.

Dem konnte man eine große Zahl von Phänomenen zuordnen, die auf soziale „Spiegelung“ und „Ansteckung“ hindeuten. Gemäß anekdotischen Befunden können gewisse emotionale Ausdrucksformen hochgradig ansteckend wirken: Wenn Menschen im sozialen Kontext auf emotionalen Ausdruck stoßen, reagieren sie automatisch in analoger Weise, bis hin zu einer Imitation des Ausdrucks der anderen Personen. Wenn ein Gruppenmitglied zu lachen (oder zu gähnen) beginnt, tendieren die anderen dazu nachzufolgen. Auch fand man im weiteren, gesellschaftlichen Kontext, dass suizidale Akte, über die prominent in Medien berichtet wurde, sich in einer Population ausbreiten können (der „Werther-Effekt“ nach Goethes Roman). Die oft explosive Verbreitung von Modeerscheinungen, von sprachlichen Jargons, körpersprachlichen Manierismen oder von Gerüchten zeigt dieselben Charakteristika. Diese unterschiedlichen Phänomene ereignen sich auf unterschiedlichen Zeitskalen (s. die Diskussion zum InSync-Modell im Abschn. „Bedeutung der Synchronie in der therapeutischen Interaktion“). Allgemein lässt sich festhalten, dass eine analoge Tendenz zur Angleichung des Verhaltens in sozialen und gesellschaftlichen Kontexten besteht, wobei Körper und Psyche von interagierenden Individuen sich spontan synchronisieren, in einer Weise, die sich dem bewussten Willen der so Synchronisierten oft entzieht (Abb. 2).

Abb. 2
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Wechselwirkung und Synchronisation von Person A und B im sozialen Kontext

In den vergangenen Jahren hat sich auf dieser Basis ein neues Feld der psychologischen Forschung entwickelt, das die Synchronie des Verhaltens explizit in den Mittelpunkt stellt. „Nonverbale Synchronie“ ist der zentrale Begriff inzwischen zahlreicher Publikationen, der die zeitliche Koordination zweier interagierender Personen bezeichnet. Synchronie wird dann als vorhanden angesehen, wenn das Verhalten positiv oder negativ korreliert ist und diese Korrelation überzufällig und damit signifikant ist. Auftreten und Ausmaß der nonverbalen Synchronie wurden in verschiedenen sozialen Settings untersucht, und unterschiedliche Variablen wurden berücksichtigt, um die Synchronien zu berechnen. Personen in Gesprächen synchronisieren sich etwa in der Regel hinsichtlich ihrer Körperbewegungen, was auf koordinierte Wechsel in Körperhaltung, Sitzpositionen, Gesten, Gesichtsausdruck und Kopfbewegungen zurückgeführt werden kann. Eine ökonomische Methode zur Bestimmung von Bewegung ist die Quantifizierung der Pixel, die sich in einer Videoaufzeichnung von Bild zu Bild ändern („motion energy analysis“, MEA; Ramseyer und Tschacher 2011). Hohe Bewegungssynchronie war in einer Studie an nichttherapeutischen Konversationen mit positivem Affekt der Beteiligten assoziiert (Tschacher et al. 2014b). Es ist ein Befund zahlreicher weiterer sozialpsychologischer Experimente der vergangenen beiden Jahrzehnte, dass körperlich-motorische Angleichung mit prosozialen Effekten einhergeht (Chartrand und Bargh 1999).

Die periphere Physiologie des autonomen Nervensystems von Individuen korrespondiert eng mit emotionalen und verhaltensvorbereitenden Tendenzen. Der sympathische Zweig des autonomen Nervensystems ist aktiv bei Kampf-Flucht-Situationen und bei Stressreaktionen, der parasympathische Zweig bei Entspannung und in Regenerationsphasen. Deshalb eröffnen physiologische Variablen interagierender Personen weitere Möglichkeiten, die soziale Kopplung als Synchronie zu untersuchen (Meier und Tschacher 2021).

Zunehmend erweist sich nonverbale Synchronie als ubiquitäres Phänomen, das die verkörperte Interaktion und Kommunikation kennzeichnet. Dies ist bereits für sich genommen interessant, da sich darin zeigt, dass sozialen Systemen eine Tendenz zur Musterbildung inhärent ist. Musterbildung findet sich allgemein in offenen komplexen Systemen, wie die Selbstorganisationswissenschaft bzw. Synergetik weiß (Haken 1990; Tschacher und Grawe 1996). Aus Sicht der Selbstorganisationstheorie ist soziale Interaktion ein systemisch-emergentes Geschehen: Durch Interaktion entsteht ein Mehrebenensystem, dessen Mikroebene die (vielen) Zustände und Eigenschaften der kommunizierenden Individuen umfasst; daraus formiert sich ein neues soziales System, also eine Makroebene. Die motivationalen Bedingungen, unter denen der Zusammenschluss zum Interaktionssystem erfolgt, entfalten eine antreibende Wirkung, woraus stabile interaktionelle Muster emergieren. Es folgt unmittelbar, dass die entstehenden Muster nicht solche sind, die individueller, linearer Kontrolle unterstehen würden. Das Selbstorganisationsszenario ist daher nicht vereinbar mit klassischen Sender-Empfänger-Theorien: Interaktion entsteht emergent im sich neu formierenden sozialen System. Kommunikation kann am besten als eine Form von Synchronie zwischen den Interaktanten, also als ein Phänomen der Selbstorganisation, verstanden werden (Storch und Tschacher 2016).

Was wirkt in der Psychotherapie?

Die Wirksamkeit von Psychotherapie insgesamt gilt als empirisch gesichert. Anders als noch zu Beginn der systematischen Psychotherapieforschung in den 1970er-Jahren ist dies heute eine allgemein geteilte Auffassung. Dagegen wird die Frage, wodurch diese Wirkung erzielt wird, kontrovers diskutiert. Die Kontroverse besteht in unterschiedlichen Interpretationen der heterogenen Ergebnisse der vergleichenden Psychotherapieforschung (Pfammatter und Tschacher 2012). Die eine Seite geht von unterschiedlicher Wirksamkeit der verschiedenen Psychotherapieverfahren und -techniken aus, weshalb zur Behandlung spezifischer psychischer Störungen nur spezifische, empirisch fundierte Verfahren eingesetzt werden sollten. Ein Beispiel für eine solche Technik ist die Reizexposition der behavioristischen Verhaltenstherapie, die als spezifisch wirksam für die Behandlung von Angst- und Zwangsstörungen gilt.

Auf der anderen Seite stehen die Befürworter des „Dodo-Bird-Verdikts“ der Psychotherapieforschung. Für sie steht fest, dass unterschiedliche Psychotherapiemethoden im Wesentlichen gleich wirksam sind. Verantwortlich dafür seien die allgemeinen Wirkfaktoren („common factors“), die jedem Psychotherapieprozess inhärent sind und in allen Therapieansätzen zum Tragen kommen (Wampold 2010). Tatsächlich erklären allgemeine Wirkfaktoren insgesamt einen erheblichen Anteil des Erfolgs von Psychotherapien, wenn umfangreiche Metaanalysen ausgewertet werden. Allgemeine Wirkfaktoren sind beispielsweise eine ausgeprägte therapeutische Allianz und die Aktivierung von Ressourcen des Klienten (Grawe 1998). Die Allianz besteht aus verschiedenen Komponenten, insbesondere Zielübereinstimmung (Therapeut und Klient haben gemeinsame Ziele), wechselseitiger Sympathie (positiver Affekt) und Empathie des Therapeuten (Meier et al. 2021). Klienten sympathisieren mit ihren Therapeuten, wenn sie sich verstanden fühlen, also wenn Therapeuten Akzeptanz und Empathie zeigen.

Es ist naheliegend, die Kontroversen der Psychotherapieforschung zu beheben, indem man beiden Seiten Recht gibt, da sowohl die Vertreter der spezifischen als auch der unspezifischen Wirkungsweise empirische Befunde anführen können. Das ist teilweise bereits geschehen. Castonguay und Beutler (2006) sowie Castonguay et al. (2019) etwa suchten nach Prinzipien therapeutischer Veränderung und betrachteten den Zusammenhang zwischen Therapieallianz und Therapietechniken. Auch rückten die Zusammenhänge von Techniken mit weiteren allgemeinen Wirkfaktoren in den Fokus (Tschacher et al. 2014a); unerwartet ergaben sich dabei mit den Wirkfaktoren negativ korrelierte Techniken. Gerade körperorientierte Therapietechniken wie progressive Muskelentspannung oder Biofeedback-Training wurden gar als die Umsetzung der untersuchten Wirkfaktoren behindernde Techniken eingestuft, im Widerspruch zur nachgewiesenen Wirksamkeit körperorientierter Therapietechniken und zur wachsenden Bedeutung des Aspekts von Embodiment in der Psychotherapie. Solche Befunde müssen als Indiz dafür gewertet werden, dass die bisher in der Literatur beschriebenen allgemeinen Wirkfaktoren nicht das ganze Spektrum therapeutischer Wirkprozesse abdecken. Körperliche Variablen sind weithin noch nicht in den etablierten Wirkfaktoren der Psychotherapieforschung angekommen.

Bedeutung der Synchronie in der therapeutischen Interaktion

Synchronie als zeitlich koordiniertes Verhalten von Interagierenden wird durch die Analyse der Kopplung von Zeitreihen, die das Verhalten repräsentieren, nachgewiesen. Insbesondere Variablen des motorischen Verhaltens und der Physiologie haben sich als geeignet für die entsprechenden Zeitreihenanalysen erwiesen, da sie hochfrequent erhoben werden können und somit die Synchronie auch auf einer Zeitskala von wenigen Sekunden berechnet werden kann – diese Zeitskala des „Jetzt“ ist von herausragender Bedeutung für Aufmerksamkeits- und Interaktionsprozesse (Tschacher et al. 2018). Ein weiterer methodologisch günstiger Umstand ist, dass diese Variablen, insbesondere verglichen mit Einschätzskalen, günstige Skalenniveaus besitzen und daher auch komplexe statistische Zeitreihenanalysen zulassen.

Nonverbale Synchronie auf der Basis der Motorik von Therapeuten und Klienten konnte in umfangreichen Stichproben nachgewiesen werden. In kognitiver Verhaltenstherapie synchronisierten sich Klienten mit sicherem Bindungsstil und höherer Selbstwirksamkeit stärker mit ihren Therapeuten als unsicher gebundene Klienten (Ramseyer und Tschacher 2011; Schoenherr et al. 2021), Synchronie ging mit engerer therapeutischer Allianz und positivem Therapieerfolg einher (Ramseyer und Tschacher 2011). Altmann et al. (2020) fanden ebenfalls Assoziationen zwischen Bewegungssynchronie und Therapieerfolg, wobei Synchronie in kognitiv-behavioralen Therapien häufiger gefunden wurde als in psychodynamischen Therapien. Für beide Therapieformen war höhere Synchronie im Therapieverlauf ein Prädiktor für geringere Ausprägung interpersoneller Probleme der Klienten bei Therapieende; in psychodynamischen Therapien zeigte sich ein höherer Zusammenhang zwischen Synchronie und der therapeutischen Allianz. Die Bewegungssynchronie in Mehrpersonen-Paartherapien mit zwei anwesenden Therapeuten war ebenfalls signifikant gegeben und ergab ein komplexes Bild an Zusammenhängen zwischen Allianz-Ratings und der Synchronie des Paares (Nyman-Salonen et al. 2021).

Eine zunehmende Zahl von Studien untersucht Psychotherapieprozesse über die physiologische Synchronie (Kleinbub et al. 2020). Die Datenerhebung kann auf Hautleitfähigkeit und somit die sympathische Aktivierung fokussieren (Karvonen et al. 2016; Marci und Orr 2006), deren Synchronie im Zusammenhang mit dem therapeutisch zentralen Wirkfaktor Allianz und der Empathie des Therapeuten stand. Tschacher und Meier (2020) erhoben Herzrate, Herzratenvariabilität und Atmung in einer Fallreihe von Psychotherapiestunden und fanden signifikante Atmungssynchronie und antiphasische (negativ korrelierte) Synchronie der Herzratenvariabilität sowie Hinweise auf Zusammenhänge mit der Einschätzung der Beziehungsqualität, der Befindlichkeit und der in der Stunde erzielten Fortschritte. Bei romantischen Paaren fand man ebenfalls antiphasische Synchronie der Herzratenvariabilität wie auch Synchronie der Herzraten der Partner, was mit Einschätzungen der Beziehungsqualität korreliert war (Coutinho et al. 2021).

In einer Übersicht zur Literatur verschiedener Synchronien, die dem Therapieprozess unterliegen, wurde das InSync-Modell (Abb. 3) formuliert (Koole und Tschacher 2016). Es unterscheidet 3 Zeitskalen von Synchronie: Im Zentrum (tonische Zeitskala) steht die therapeutische Allianz mit interpersonal geteiltem Erleben („I-sharing“; Pinel et al. 2015) als affektiv-empathischer Verbindung, in der sich eine gemeinsame Sprache von Therapeut und Klient entwickelt. Hierzu tragen hochdynamische („phasische“) Prozesse bei, die auf enaktiven sensomotorischen Koppelungen beruhen (Abb. 2). Diese Koppelungen schlagen sich in motorischer, physiologischer und zentralnervöser Synchronie nieder. Aus der phasischen und tonischen Zeitskala der Synchronie geht die Koordination der Emotionsregulation hervor, die den Prozess im weiteren Therapieverlauf auf einer chronischen Zeitskala bestimmt.

Abb. 3
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InSync-Modell der interpersonalen Synchronie in Psychotherapie. (Nach Koole und Tschacher 2016)

Das InSync-Modell basiert also auf dem bereits eingeführten Embodiment-Konzept. Ebene 1 ist die mit körperlichen Variablen gut beobachtbare Ebene der motorischen und physiologischen Synchronien in Psychotherapie, die in den vergangenen beiden Jahrzehnten dokumentiert werden konnten. Die phasische Zeitskala erstreckt sich von Millisekunden, die dem Hyperscanning-Ansatz bei zentralnervösen Ableitungen prinzipiell zugänglich sind, bis zum Bereich weniger Sekunden. Die psychologische Ebene 2 bezieht sich auf Kognition, Sprache und bewusstes Erleben auf der Zeitskala von einigen Sekunden, dem psychologischen Jetzt. Hierzu wurden bereits Studien zur linguistischen und prosodischen Synchronie durchgeführt (Borelli et al. 2019; Imel et al. 2014). Die Daten, die zu Ebene 2 zur Verfügung stehen, basieren aber auf Selbstauskunft und Fragebogen bzw. Stundenbogen. Ebene 3 betrifft den Therapieverlauf über die Sitzungen hinweg. Im Zentrum der chronischen Zeitskala, die Wochen und Monate umfasst, stehen die längerfristige Emotionsregulation und die Veränderung von Wirkfaktoren der Psychotherapie. Datenquellen sind Messmittel, die den Therapieverlauf abbilden, wie etwa Wochenerfahrungsbogen (Meier et al. 2021) sowie Fragebogen zum Therapie-Outcome. Auch auf dieser Ebene sind Synchronieberechnungen durchgeführt worden: In einer frühen Studie überprüften Tschacher und Grawe (1996), ob sich in Stundenbogen dokumentierte Aussagen von Therapeuten und Klienten im Zuge der Therapien einander angleichen, wie es der Hypothese einer fortschreitenden Synchronisation im Therapieverlauf entspräche. In der Tat ergab sich ein entsprechender „Ordnungseffekt“, der zudem positiv mit dem Outcome der jeweiligen Therapien korrelierte.

Diskussion und offene Fragen

Die Verkörperung psychischer Systeme, entsprechend dem seit mehreren Jahren in der Psychologie diskutierten Embodiment-Ansatz, steht im Zentrum der hier entwickelten Theorie zum Psychotherapieprozess. Eine klassische Vorstellung von Kognition als reiner Informationsverarbeitung greift gemäß diesem Ansatz zu kurz.

Die in der Therapie interagierenden Personen gehen eine Allianz ein, um Therapieziele zu erreichen. Die Güte dieser Allianz ist der meistuntersuchte und vermutlich wichtigste therapeutische Wirkfaktor. Abstrakt gesagt, bezeichnet Allianz die Koordination psychischer und affektiver Prozesse von Therapeuten und Klienten. Allianz liegt konkret in verschiedenen Komponenten wie Empathie, Zielübereinstimmung, Wertschätzung, Beziehung und Zusammenarbeit vor (Meier et al. 2021), also in Form vielfältiger kognitiv-affektiver Prozesse, denen aber gemeinsam ist, dass sie in Wechselwirkung mit körperlichen Prozessen stehen, also verkörpert (embodied) sind. Der Embodiment-Ansatz eröffnet einen völlig neuen Blick auf den Kern des therapeutischen Veränderungsprozesses, die therapeutische Allianz, die nun durch hochfrequent und objektiv messbare körperliche Variablen als nonverbale Synchronie neu operationalisiert werden kann. Nonverbale Synchronie umfasst verschiedene Ebenen und Formen: die Synchronie des motorischen Verhaltens (der Körpersprache und Bewegung), die der verschiedenen physiologischen Variablen und die Synchronie der gekoppelten zentralnervösen Variablen (Hyperscanning).

Wie können Versuchsdesigns zur Analyse von Synchronie gestaltet werden? Wesentlich ist zuerst, dass Zeitreihendaten in einem möglichst naturalistischen Kontext zu erheben sind, dies über einen Zeitraum hinweg, der den interessierenden Ebenen und damit Zeitskalen von Abb. 3 entspricht. Für einen Blick auf die therapeutische Allianz wird die typische Beobachtungsperiode eine Therapiesitzung oder ein Ausschnitt daraus sein. Am einfachsten zugänglich sind Zeitreihen des motorischen Verhaltens, die videoanalytisch mithilfe von „Motion-capture“-Verfahren (z. B. mit MEA oder OpenPose) generiert werden können. Auch psychophysiologische Erhebungen sind zunehmend ökonomisch und nichtinvasiv möglich, etwa durch tragbare Geräte, die auch im Freizeitsport verwendet werden. Zentralnervöse Messungen können durch Near-Infrared Spectroscopy (NIRS) oder portable EEG-Ableitung erfolgen, wobei hier aber weiterhin mit erheblichem technischen Aufwand und Anfälligkeit für Bewegungsartefakte zu rechnen ist. Allgemein ist für die statistischen Analysen zu beachten, dass bei der Synchronieforschung stets mit hierarchischen Datensätzen gerechnet werden muss: Die ermittelte Synchronie bezieht sich auf ein soziales System, aber man wird die Synchronie in Beziehung mit subjektiven Einschätzungen, die sich meist auf die Einzelperson beziehen, setzen wollen. Die statistischen Regressionen müssen also für Mehrebenenanalysen angepasst sein.

Es steht eine große Zahl von Algorithmen zur Verfügung, mit denen Synchronie quantifiziert werden kann, und ihre jeweiligen Ergebnisse können deutlich voneinander abweichen (Schönherr et al. 2019; Tschacher und Meier 2020). Es existieren, grob gesagt, 3 Gruppen von algorithmischen Ansätzen, wobei die am häufigsten eingesetzte Methode auf Kreuzkorrelationen beruht (z. B. Surrogatsynchronie, SUSY; Tschacher und Haken 2019). Auch innerhalb der korrelationsbasierten Ansätze erbringen globale (etwa SUSY) oder lokale Methoden („peak picking“) unterschiedliche Schätzungen für die Synchronie eines Datensatzes. Synchronie kann ebenfalls mithilfe von frequenzanalytischen Methoden ermittelt werden, etwa auf Basis der Fourier-Transformation (Fujiwara und Daibo 2018). Schließlich wurden im psychotherapeutischen Zusammenhang auch rekurrenzanalytische Methoden verwendet (Orsucci et al. 2006). Neben diesen 3 Klassen von Algorithmen, die (mit absteigender Häufigkeit) bereits zur Berechnung therapeutischer Synchronien eingesetzt wurden, kommen noch umfangreiche Bibliotheken weiterer Methoden in Frage, die in naturwissenschaftlichen Disziplinen zur Schätzung paarweiser Interaktionen angewendet wurden (Cliff et al. 2022).

Obwohl das Forschungsfeld insgesamt von einer prosozialen Bedeutung von Synchronie ausgeht, muss einschränkend gesagt werden, dass auch uneinheitliche Befunde in Bezug auf Psychotherapie berichtet wurden. Manche Studien ergaben einen Zusammenhang von besonders hohen Synchroniewerten mit Nichtbesserung (Paulick et al. 2018), was eine umgekehrt U‑förmige Beziehung zwischen Synchronie und Therapieerfolg nahelegte. Die möglichen nichtlinearen Zusammenhänge wurden bislang zu wenig untersucht. Die Vielfalt der Methoden stellt gegenwärtig ebenfalls eine Limitierung der Forschung dar. Ein Problem der Validität der Synchronieberechnung ist etwa, dass sogar innerhalb einer Algorithmenklasse unterschiedliche Resultate in Abhängigkeit von der Parameterwahl entstehen. Hierzu sind in Zukunft weitere Sensitivitätsanalysen erforderlich. Künftige Aufgaben für die Weiterentwicklung der Synchronieforschung und ihrer Methodologie sind die Validierung der Algorithmen sowie die Selektion der validesten und reliabelsten Verfahren.

Eine absehbare Weiterentwicklung betrifft die Erweiterung auf multivariate Zeitreihen. Die überwiegende Mehrheit der Algorithmen und Studien geht vom dyadischen Interaktionssystem Therapeut und Klient aus. Synchronisierung ist aber ein relevantes Phänomen auch in multivariaten Prozessen: Gruppentherapie, Familientherapie, Psychotherapie mit mehreren zugleich gemessenen Variablen. Der Algorithmus der multivariaten Surrogatsynchronie (mv-SUSY), der mit empirischen und Simulationsdaten geprüft wurde, ist eine solche Entwicklung (Meier und Tschacher 2021). In Tests erwies sich dieser Algorithmus bei der Detektion von Synchronie in simulierten Datensätzen als valide und mit dyadischen Methoden als konvergent valide.

Fazit für die Praxis

  • Der Embodiment-Ansatz in der Psychologie bekräftigt die Auffassung, dass über die reinen (und oft schulbezogenen) Therapietechniken hinaus der therapeutischen Allianz, als allgemeinem Wirkfaktor, große Bedeutung für den Therapieerfolg zukommt. Der Zusammenhang zwischen Allianz und gelingender Therapie ist kaum eine Überraschung für praktizierende Therapeuten, aber die empirische Unterstützung kommt aus einer unerwarteten Richtung: aus der Erforschung der rein körperlichen Synchronisierung und Koordination zwischen Therapeuten und Klienten.

  • Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der Therapieprozess nicht nur kognitions- und emotionsfokussiert betrachtet werden sollte, sondern das Augenmerk auch auf den Körper und den Körperausdruck gerichtet sein muss.

  • In gewisser Weise sind alle Therapieverfahren, auch mit kognitivem und psychodynamischem Hintergrund, in der Praxis „Körperpsychotherapien“. Es ist an der Zeit, dem Embodiment-Aspekt bei der Weiterentwicklung von Interventionen aller Therapieansätze gerecht zu werden.