Die deutsche Einheit ist bereits seit mehr als 30 Jahre wiederhergestellt, dennoch sind Einschätzungen der „Wiedervereinigung“ oder des „Beitritts“ nach wie vor gleichermaßen aktuell wie widersprüchlich, je nachdem in welchen Bereich des öffentlichen Lebens man blickt (z. B. Berth et al. 2020). Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass Aspekte des SED-Staats immer noch unzureichend be- und aufgearbeitet sind, werden derzeit allein 14 verschiedene Forschungsverbünde im Rahmen einer Ausschreibung des BMBF gefördert, die sich mit den unterschiedlichen Facetten der DDR auseinandersetzen (Strauß und Brähler 2019) und dabei auch diverse psychosoziale Themen berücksichtigen. Einer der Verbünde, mit dem Titel „Seelenarbeit im Sozialismus – Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie in der DDR“ (SiSaP; Strauß et al. 2022) befasst sich – neben psychologie- und psychiatriehistorischen Studien – explizit auch mit der Bedeutung der Psychotherapie in der DDR, deren Entwicklung, Funktion und ihrer ambivalenten Rolle im Gesundheitssystem und in der Gesellschaft des sozialistischen Teils Deutschlands.

Zum Thema Psychotherapie in der DDR ist seit 1990 bereits eine Fülle an Publikationen entstanden, die im SiSaP-Projekt bibliografisch gesammelt werden. Die Literatur lässt sich unterschiedlichen Disziplinen zuordnen (von der Psychotherapieforschung im eigentlichen Sinne bis hin zur Soziologie) und umfasst zudem teils sehr unterschiedliche Textarten (Autobiografien bis Dissertationen). Bei dem Versuch, die Fülle an Arbeiten bezüglich ihrer Autorenschaft zu gruppieren, bieten sich verschiedene Kategorisierungskriterien an (z. B. Herkunft der Autoren [BRD, DDR bzw. international], Generationen- oder Fachzugehörigkeit [z. B. praktizierende Psychotherapeuten, Psychotherapieforscher, Fachhistoriker, Soziologen]). Die Abgrenzung zu angrenzenden Themengebieten, speziell der Psychiatriegeschichte in der DDR, und Reflexionen zum DDR-Gesundheitssystem (Kumbier und Steinberg 2018; Kumbier 2020) oder zur Geschichte der kirchlichen Beratung in der DDR (Fischer 2014) ist z. T. recht schwierig und nach wie vor unzureichend untersucht, weswegen die Suche nach Verbindungen der Disziplinen bzw. Versorgungsfelder ein Ziel des aktuellen Projekts darstellt. Neben einer Aktualisierung der bibliografischen Datenbanken zur DDR-Psychotherapie und einer Reihe von detaillierten Literaturanalysen (Storch et al. 2020, 2022) hat das psychotherapiebezogene SiSap-Teilprojekt folgende weiteren Ziele: eine retrospektive Betrachtung der Aufarbeitung der DDR-Psychotherapiegeschichte und deren Transition in den Jahren nach dem Ende der DDR. Das Projekt bemüht sich um eine detailliertere historische Aufarbeitung einiger Entwicklungslinien der DDR-Psychotherapie (z. B. spezifischer Methoden wie der Hypnose oder der Gruppenpsychotherapie) mit dem Ziel, einer Geschichtsvergessenheit vorzubeugen (Strauß 2018). Inhaltlich versucht das Projekt, sich u. a. weiter der Frage zu nähern, ob und wie Psychotherapie unter Bedingungen der Unfreiheit möglich war, welches subversive Potenzial die Psychotherapie in der Medizin, Wissenschaft und im DDR-Staat möglicherweise hatte, und wie dort womöglich eine „Wende vor der Wende“ stattgefunden haben könnte.

Die vorliegende, zweigeteilte Übersichtsarbeit soll zunächst einen globalen Überblick zur Thematik der DDR-Psychotherapie und ihrer Aufarbeitung geben, indem sie eine strukturierende Differenzierung der vielfältigen Perspektiven in fünf grundsätzlich verschiedene (Forschungs‑)Zugänge auf das Thema vorschlägt und damit verbundene Potenziale zukünftiger Forschung zu einzelnen Teilbereichen darlegt.

In diesem ersten Teil der Übersicht wird zunächst – auch mit dem Ziel, die mit der DDR-Psychotherapie-Geschichte wenig vertrauten Leser:innen zu informieren – ein chronologisch-informationsorientierter (1) und disziplinhistorischer (2) Zugang zur Entwicklung der DDR-Psychotherapie eingenommen, der gleichzeitig an das Thema heranführen wird.

Davon abgegrenzt werden im zweiten Teil der Übersicht (Gallistl et al. 2022) Perspektiven aus einem gegenwartsbezogenen klinischen und fachpolitischen Zugang (3), einem Zugang der Vergangenheitsbewältigung (4) und schließlich Perspektiven aus einem sozialwissenschaftlichen Zugang (5) eingenommen. Einschränkend soll vorangestellt werden, dass eine solche Einteilung jenseits konkreter Forschungsfragen primär einer idealtypisierenden Veranschaulichung dient. Prinzipiell lassen sich viele Arbeiten, die wir einer Perspektive zuordnen, auch aus einer anderen Perspektive „neu“ lesen.

Chronologisch-informationsorientierter Zugang

In dem – im Rahmen des oben genannten Forschungsverbundes momentan laufenden – Forschungsprojekt zur „ambivalenten Rolle der Psychotherapie in der DDR“ geht es u. a. darum, die verschriftlichten Quellen und Beschreibungen zur 40-jährigen Psychotherapiegeschichte in der DDR (und der davorliegenden Zeit als SBZ) zusammenzutragen und auszuwerten. Hierzu existiert bereits eine Fülle einführender Übersichtsaufsätze (beispielsweise Maaz 2011; Leppert 2012a; Steinberg 27,28,a, b; bezogen auf einzelne Verfahren beispielsweise Seidler 1997; Hennig und Fikentscher 1993), deren gemeinsames Anliegen es ist, basale Daten und Details zur Psychotherapie in der DDR mitzuteilen. In diesem Beitrag soll es in erster Linie in Form einer kondensierten Übersicht darum gehen, wie die Psychotherapie im Osten nach dem Beitritt im Jahr 1990 bislang aufgearbeitet wurde. Dafür soll aus Gründen der Leserinformation zunächst aber eine Einführung zur Psychotherapie der DDR vor 1990 gegeben werden. Wir beziehen uns hierbei stark auf die Chroniken aus dem Standardwerk von Geyer (2011) Psychotherapie in Ostdeutschland – Geschichte und Geschichten 1945–1995. Der umfassende Herausgeberband, in dem hauptsächlich ehemalige Akteure der DDR-Psychotherapie zu Wort kommen, enthält neben allgemeinen Aspekten der Fachentwicklung auch Informationen zu detaillierten Entwicklungen einzelner Psychotherapiemethoden und -verfahren und autobiografische Anekdoten. Simon (2012) hat das Opus magnum rezensiert und auf das Kompendium als hervorragendes Nachschlagewerk verwiesen. Gleichzeitig machte die Autorin auch einen Loyalitätskonflikt deutlich, der zwischen der Würdigung der Leistungen der in der DDR aktiven Psychotherapeut:innen, allen voran von Geyer einerseits, der „kritischen Reflexion des Erlebten“ durch die Referentin andererseits, bestünde, wobei sie insbesondere die Frage nach der Haltung zum politischen System aufwirft. Geyer (2022) und Simon (2022) haben ihre unterschiedliche Geschichte und ihre unterschiedlichen Positionen kürzlich in einem aktuellen Tagungsband noch einmal aktualisiert verdeutlicht. Leppert (2012b) kritisierte an dem Werk die Fokussierung auf die „individuellen Facetten aus der Nische DDR-Psychotherapie“ ohne eine Einordnung in das „real existierende DDR-Gesundheitswesen“ (S. 281).

Psychotherapie in der DDR

Es ist naturgemäß unmöglich, die Komplexität einer 40-jährigen Psychotherapiegeschichte hier in Kürze zusammenzufassen, weswegen hier nur einige wenige Aspekte hervorgehoben werden sollen, in Verbindung mit einer tabellarischen Zusammenfassung einiger Meilensteine.

Bereits mit dem Ende des Krieges – so macht Geyer (2011) deutlich – erscheinen drei einflussreiche Persönlichkeiten am Horizont, die für die Fachpolitik und auch die inhaltlichen Entwicklungen in der Psychotherapie in der DDR von besonderer Bedeutung waren. Es handelte sich zum einen um Alexander Mette (1897–1985; Lehranalysand von Therese Benedek), der später in wichtige gesundheitspolitische Funktionen kam. Ein weiterer bedeutender Akteur ist Alfred Katzenstein (1915–2000), der während des Krieges amerikanischer Soldat war und erst 1954 in die DDR übersiedelte, dann aber für die Psychotherapie wichtig wurde. Schließlich ist Dietfried Müller-Hegemann (1910–1989) von großer Bedeutung, der nach seiner Rückkehr aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft 1948 in der DDR eine Partei- und Universitätskarriere machte, ehe er 1971 in den Westen Deutschlands übersiedelte.

Die Tab. 1 zeigt, beginnend mit dem Jahr 1945, dass sowohl einzelne Personen als auch einzelne inhaltliche Strömungen im Kontext der politischen Entwicklung des (späteren) DDR-Staates die 45-jährige Geschichte bestimmten. In der Anfangszeit war der Westberliner Psychoanalytiker Harald Schultz-Hencke von großer Bedeutung, auch deshalb, weil er bis 1945 Mitglied des „Göring-Instituts“ in Berlin gewesen war und danach 1945 das Institut für Psychopathologie und Psychotherapie (IPP) mitbegründete. Somit hatte er eine gewisse „Scharnierfunktion“ zur Psychotherapie im NS-Staat, die für die Entwicklung der Psychotherapie in Ost und West nach 1945 noch lange bedeutungsvoll war (Roelcke 2012).

Tab. 1 Einige Meilensteine zur Geschichte der Psychotherapie in der SBZ und der DDR. (In Anlehnung an Geyer (2011) und die von ihm differenzierten Entwicklungsphasen)

Wie die Tabelle ausweist, lehnte Schultz-Henke seinerseits das Angebot von Alexander Mette ab, am wiedergegründeten Institut in Westberlin zu dozieren. Kurz danach erhielt er selbst (1947) einen Ruf auf den Lehrstuhl für Psychotherapie in Greifswald, den er aber vermutlich aufgrund der örtlich ungünstigen Bedingungen und der schwierigen politischen Situation ebenfalls ablehnte. Schultz-Hencke stand 1949 auch im Zentrum eines Beschlusses der Deutschen Psychoanalytischen Gesellschaft (DPG), die eine gleichzeitige Tätigkeit in Ost- und Westdeutschland ablehnte, was ihn dazu bewog, eine Professur an der Medizinischen Fakultät der Humboldt-Universität nicht anzunehmen, sondern weiterhin das Westberliner Institut zu leiten.

Diese Ereignisse sind hier hervorgehoben, weil sie einerseits das Thema der „Zweigleisigkeit“ der Psychotherapieentwicklungen in Ost und West markieren, zum anderen – und dies wird auch in der weiteren Entwicklung eine Rolle spielen – die Thematik der Aus- bzw. Abgrenzung zwischen den beiden deutschen Staaten hervorheben.

Bereits vor der Gründung der DDR gab es Versuche, die Psychotherapie wieder zu institutionalisieren, was sich zum einen in der Gründung von Regionalgesellschaften für Neurologie und Psychiatrie widerspiegelte, zum anderen in der Gründung der Zeitschrift Psychiatrie, Neurologie und Medizinische Psychologie, die später das wichtigste Mitteilungsorgan auch der Gesellschaft für Ärztliche Psychotherapie (GÄP, ab 1989 Gesellschaft für Psychotherapie, Psychosomatik und Medizinische Psychologie, GPPMP) der DDR war (Teitge und Kumbier 2015). Die erste Beratungsstelle dieser Zeit war zunächst am Ostberliner Haus der Gesundheit angesiedelt. Mit dem Haus der Gesundheit wurde eine Versorgungseinrichtung mit dem Charakter einer Poliklinik etabliert, die auch in den folgenden Jahren von großer Bedeutung war.

Mit der Gründung der DDR am 07.10.1949 beginnt ein Jahrzehnt, das Geyer (2011) mit der Überschrift „Pawlow und die Folgen“ treffend beschreibt. Ursächlich hierfür ist die „Pawlow-Konferenz“ der Akademie der Wissenschaften der UdSSR in Moskau. Hier wurden die Weichen für eine „Theorie der Psychotherapie“ basierend auf der „kortico-viszeralen Pathologie“ geschaffen, mit der man sich auch gegen die angloamerikanische Psychosomatik abgrenzen wollte. Bei einer Pawlow-Tagung in Leipzig 1953 wurde die Psychoanalyse als „wissenschaftsfeindlich und antihuman“ angeprangert (Geyer 2011, S. 92). Aus der Pawlow’schen Lehre erwuchs die sog. Schlaftherapie, die in den Folgejahren in der DDR für eine begrenzte Zeit als ein Standardverfahren zur Behandlung psychischer Krankheiten angewandt wurde. Den größten Teil der Therapie nimmt ein medikamentös induzierter Schlaf ein, der sich während eines Zeitraums von 2 bis 6 Wochen über die allermeisten Stunden des Tages erstreckt und Patient:innen dazu bringen sollte, Ruhe und Erholung zu finden, Funktionsstörungen zu reduzieren und ihre Lebenseinstellungen zu modifizieren (Scholz und Steinberg 2011).

Wichtig für diese Zeit erscheint unter dem Aspekt der Möglichkeiten einer frühen Integration der Psychotherapie in Ost und West, dass die DGPT 1950 in Braunschweig den Beschluss fasste, dass „die in der Ostzone lebenden Mitglieder“ keine Aufforderung zum Beitritt in die Fachgesellschaft erhalten sollten (Bernhardt und Lockot 2000). Eine Klammer zwischen Ost und West stellte interessanterweise eine Zeit lang die Psychotherapiewoche in Lindau unter Leitung von Ernst Speer dar (der seinen Jenaer Lehrstuhl aufgrund seiner NSDAP-Mitgliedschaft zuvor verloren hatte; Mettauer 2010). Bis zum Mauerbau wurde die Lindauer Psychotherapiewoche regelmäßig von Psychotherapeut:innen aus der DDR (z. B. von Gerhard Klumbies; Strauß 2004) besucht.

Wesentliche und richtungweisende Aspekte zur Etablierung einer Psychotherapie in der DDR in den Jahren nach 1949 waren die Entwicklung eigenständiger Psychotherapiekonzepte (z. B. die „Rationale Psychotherapie“ durch Müller-Hegemann), die Weiterentwicklung bestehender (z. B. der Hypnose in Jena), aber auch neuer Ansätze (z. B. Psychotherapie in der inneren Medizin ebenfalls in Jena) und die zunehmende Gründung von psychotherapeutischen Abteilungen in Kliniken (beginnend mit der Universitätsklinik in Leipzig im Jahr 1953).

In den 1960er-Jahren war sicherlich bedeutsam, dass sich die akademische Psychologie der DDR neu organisierte. Die klinische Psychologie wurde in erster Linie in Leipzig repräsentiert, aber auch in Berlin, dem Institut, das Friedhart Klix leitete und an dem Johannes Helm und später Inge Frohburg die Gesprächspsychotherapie in der DDR (über enge Kontakte mit dem Hamburger Ehepaar Reinhard und Annemarie Tausch) etablieren konnten. Frohburg hat kürzlich noch einmal die Möglichkeiten des Lehrens und Lernens verschiedener Psychotherapiemethoden im Kontext der akademischen Psychologie und der Medizin beschrieben und kontrastiert und gezeigt, dass die Gesprächspsychotherapie und die Verhaltenstherapie stark am psychologischen Institut der HU Berlin und weniger in medizinischen Kliniken gelehrt wurden (Frohburg 2022). Die Arbeits- und Ingenieurspsychologie war in Berlin und Dresden lokalisiert, die pädagogische Psychologie in Leipzig und die Sozialpsychologie an der Universität Jena.

In den 1960er-Jahren entstand in der DDR-Psychotherapie mit der Einführung der Gruppenpsychotherapie durch Kurt Höck als eine zentrale psychotherapeutische Option eine weitere Neuerung. Höck entwickelte am Berliner Haus der Gesundheit die „Intendierte Dynamische Gruppenpsychotherapie“, die sich von hier aus in alle Bezirke der DDR ausbreiten sollte. Mit der Bildung von Selbsterfahrungskommunitäten für die Ausbildung in dieser Methode konnten sich Psychotherapeut:innen auch über die Grenzen zu anderen sozialistischen Ländern verständigen und mit ihnen arbeiten. Der von Annelise Heigl-Evers unternommene Versuch, einen gesamtdeutschen Arbeitskreis für Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik zu initiieren, gelang allerdings nicht, wobei dennoch von Anfang an und regelmäßig Kontakte zwischen ost- und westdeutschen Gruppenpsychotherapeuten bestanden (Bernhardt und Lockot 2000).

Geyer (2011) beschreibt in seiner Chronik der 1970er-Jahre einen ernsthaften Versuch der Abteilung Gesundheitspolitik des ZK der SED im Februar 1971, im Kontext einer Veranstaltung in Brandenburg unter dem Titel „Fragen der ideologischen Situation in den Fachgebieten Psychiatrie/Neurologie und Psychologie“ die Fächer zu ideologisieren und nach sowjetischem Vorbild zu gestalten. Nach dem Bericht von Geyer stieß dieser Vorstoß auf geschlossenen Widerstand der damaligen „Hochschullehrer und Chefärzte“, die „vorwiegend der SED angehörten“. Harro Wendt (Psychotherapeut an der Klinik Uchtspringe) wird mit dem Satz zitiert: „Psychotherapie in Ostdeutschland und Westdeutschland sei ja doch das Gleiche“.

Die 1970er-Jahre führten insofern zu einer gewissen Internationalisierung, als der 1971 gefasste Plan, die Psychotherapeut:innen der sozialistischen Länder in einer Arbeitsgruppe zu vereinigen, 1973 mit einem Symposium in Prag realisiert wurde. So kamen die ostdeutschen Psychotherapeut:innen in engeren Kontakt mit Kollegen der sozialistischen Länder, die dort bis zum Ende des Warschauer Pakts eine wesentliche Rolle spielten. Hierzu gehörten Leder in Warschau, Alexandrowicz in Krakau, Kabanov in St. Petersburg, Harmatta in Budapest oder Kratochwil in der CSSR.

Die GÄP konnte 1971 auch Mitglied in der von Carl Gustav Jung gegründeten International Federation for Medical Psychotherapy (IFP) werden.

Das Jahrzehnt könnte man rückblickend auch als eine Zeit der beginnenden Verfahrensvielfalt bewerten, wurden doch beispielsweise Arbeitsgruppen für Gesprächspsychotherapie und VerhaltenstherapieFootnote 1 in der GÄP gegründet sowie Diskussionen intensiviert, die sich mit der Frage beschäftigten, ob „die Zeit reif sei, psychoanalytisch orientierte Psychotherapieverfahren, die bereits angewendet werden, offiziell auch als solche zu bezeichnen“ (Geyer 2011, S. 252). Diese Diskussion wurde in den Folgejahren weitergeführt und resultierte 1982 in der Bildung einer Sektion „dynamische Einzeltherapie“ unter Beteiligung einiger maßgebender Psychotherapeuten (Wendt, Kerber, Kulawik, Maatz, Tögel und Tscharntke). Geyer (2011) berichtet, dass der Vorstand der GÄP bereits 1979 die Gründung einer entsprechenden Sektion mit den Arbeitsgemeinschaften Gesprächspsychotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Psychotherapie vorschlug. In einer späteren Sitzung wurde Letzteres dann in „persönlichkeitszentrierte Psychotherapie“ umbenannt, wobei der Vorschlag insgesamt letztlich nicht aufgegriffen wurde.

Eine Sektion soziotherapeutischer Methoden, die Musik‑, Bewegungs‑, Biblio- und gestaltungstherapeutische Verfahren umfassen sollte, wurde dagegen realisiert, wobei Geyer anmerkt, die Sektionsgründung sei „kein Erfolg“ (Geyer 2011, S. 255) geworden.

Geyer nennt die 1960er-Jahre in seinem Buch die Epoche der „beginnenden Institutionalisierung“, die 1970er-Jahre die Zeit der „Methodenentwicklung und des Aufbaus der stationären Versorgung“ und überschreibt die Chronik der 1980er-Jahre mit dem Titel „Wege der Emanzipation“.

Diese Emanzipation zeigt sich tatsächlich an unterschiedlichen Ereignissen – beginnend mit der Organisation des Weltkongresses für Psychologie in Leipzig (1980) – durch den die Psychologie der DDR deutlich aufgewertet wurde (Lück 2021). Es wurden weiterhin psychotherapeutische Techniken und Ansätze in das System integriert (beispielsweise das Katathym-Imaginative Bilderleben durch Heinz Hennig in Halle). Bemerkenswert ist sicher die 1981 erfolgte Einführung des „Fachpsychologen der Medizin“, der sowohl bezüglich der Weiterbildungsdauer als auch des Status mit den ärztlichen Psychotherapeut:innen absolut gleichberechtigt warFootnote 2. Im Vergleich zu Westdeutschland wurde ein Facharzt für Psychotherapie in der DDR schon viel früher eingeführt, 1978 als Zweitfacharzt und 1989 als Erstfacharzt. Mitte der 1980er-Jahre begannen zunehmende Kontakte zu westdeutschen Kollegen, zu denen u. a. Carl Nedelmann, Hans Kordy, Wolfgang Senf, Elmar Brähler, dann aber auch Horst Kächele und Helmuth Thomä zählten. Diese Kollegen hielten Vorträge, die teilweise auch in der DDR publiziert wurden (z. B. Brähler 3,4,a, b). Es wurde nun, nachdem die Psychoanalyse anfangs als unwissenschaftlich diffamiert wurde, offener über die Psychoanalyse diskutiert (Leppert 2012a). Im September 1987 fand das internationale Psychotherapie-Symposium in Erfurt statt, das Geyer u. a. veranstalteten und an dem bereits 250 westdeutsche bzw. Westberliner Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten teilnehmen konnten. Geyer sagt vermutlich zu Recht, dass bei diesem Symposium eine „vorgezogene Wiedervereinigung der Psychotherapeuten“ (S. 469) stattgefunden hätte, da auf der Basis der Begegnungen unmittelbar nach der Wende beispielsweise die Gründung von Ausbildungsinstituten ermöglicht worden sei. Zu diesem Zeitpunkt konnten sich ostdeutsche Psychotherapeut:innen schon rege an (internationalen) Tagungen in Westdeutschland beteiligen, so am 18th Meeting der Society für Psychotherapy Research in Ulm (1987) oder an der 17th European Conference for Psychosomatic Medicine in Marburg (1988).

1988 wurden Werner König und Michael Geyer nach Wien eingeladen und von Harald Leupold-Löwenthal im Freud-Museum begrüßt. Nach einem Vortrag über die Entwicklung der Psychotherapie in der DDR wurde den beiden mitgeteilt, dass die Haltung des Vorstands der International Psychoanalytic Association (IPA) selbst gegenüber einer provisorischen Mitgliedschaft einer ostdeutschen Vereinigung ablehnend sei.

Im Jahr der friedlichen Revolution erscheint erwähnenswert, dass angesichts der Interdisziplinarität der DDR-Psychotherapie, die immer durch einen hohen Anteil an Psycholog:innen gekennzeichnet war, über die Umbenennung der GÄP in eine Gesellschaft für Psychotherapie, Psychosomatik und Medizinische Psychologie (GPPMP) der DDR diskutiert wurde. Trotz einiger Widerstände (auch der Gesellschaft für Psychologie, die die medizinische Psychologie „für sich beanspruchte“) wurde dies beschlossen.

Im November 1989 fand – beginnend einen Tag vor dem Fall der Mauer – die Tagung des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM) in Gießen statt. Die Tagung stand verständlicherweise ganz im Zeichen der politischen Geschehnisse, aber auch der Planung einer engeren Zusammenarbeit zwischen Ost und West.

Bereits im Jahr 1990, also noch vor dem offiziellen Beitritt, wurden die Strukturen bezüglich der Psychotherapie aus der BRD übernommen. Während sich nahezu alle wissenschaftlichen Fachgesellschaften mit dem Beitritt auflösten, existierte die GPPMP noch Jahre über den Beitritt hinaus. Wie aus der Tabelle hervorgeht, hatte der Beitritt sehr rasch und sehr vehement einen Einfluss auf die Psychotherapie im Osten, von dem nachfolgend nur einige Facetten skizziert werden können.

Effekte der Vereinigung auf die Psychotherapie

„Die Wende und Nachwendezeit“ (so überschreibt Geyer den letzten großen Abschnitt in seinem Buch) ist durch den „Anschluss“ der Vertreter:innen der verschiedenen Psychotherapiemethoden an die westdeutschen Verbände gekennzeichnet. Bereits 1990 wurde in Leipzig mit dem Sächsischen Weiterbildungskreis das erste psychoanalytische Institut im Osten gegründet; weitere Institutsgründungen folgten in den kommenden Jahren, wobei die Institute erst nach der Jahrtausendwende vollständig in die analytische Dachgesellschaft der DGPT aufgenommen wurden.

Bezüglich der Versorgungsstrukturen wurde relativ rasch daran gearbeitet, die poliklinischen Institutionen abzuwickeln, was zu einer Niederlassungsschwemme auf dem Feld der Psychotherapie führte. Bekanntlich ist die Idee der Poliklinik Jahre später durch die Konzeption der medizinischen Versorgungszentren in das bundesdeutsche Gesundheitssystem zurückgekehrt.

Die im Osten offensichtlich relativ hoch gehaltene Gleichberechtigung von Ärzten und Psycholog:innen, die sich in dem erwähnten Fachpsychologen der Medizin reflektiert, konnte letztlich nicht konsequent weitergeführt werden, was sich z. B. daran zeigt, dass die AÄGP 1991 bei einer Diskussion über die potenzielle Fusion mit der GPPMP die Aufnahme von Psycholog:innen ablehnte.

Dass die „Wiedervereinigung der Psychotherapeuten“ nach wie vor ein relevantes Thema ist, zeigte eine Tagung zum 30. Jahrestag des Mauerfalls in Erfurt im Jahr 2019. Geyer und Geisthövel (2019) versuchten zu diesem Anlass, Thesen zu formulieren, die sich speziell auf die Gemeinsamkeiten und Kontinuitäten der ost- und westdeutschen Psychotherapie beziehen. Die Thesen konstatieren das gemeinsame Fundament der Disziplin „Psychotherapie“, wie sie zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg gewachsen und auch nach dem Zusammenbruch des Naziregimes erhalten geblieben sind, aber auch die gemeinsame Ausgangssituation der „geteilten Schuld“ an der Vertreibung jüdischer Psychotherapeut:innen im Dritten Reich und die Kollaboration von Psychotherapeut:innen (und Psychiater:innen) bei der Vernichtung „lebensunwerten Lebens“. Nach 1945, so eine These, hätte sich Psychotherapie rasch auf beiden Seiten in das jeweilige Sozialsystem integriert (Polikliniken im Osten, flächendeckende ambulante Versorgung nach Festlegung der Richtlinientherapie im Westen; östliche stationäre Abteilungen nach westlichem Vorbild allerdings mit mehr Behandlungskapazität). Aufgrund der gesellschaftlichen Unterschiede kam es zwar zu Unterschieden in den Versorgungs- und Bildungsstrukturen, Gemeinsamkeiten blieben dennoch über die Zeit der Wiedervereinigung enthalten, wie beispielsweise die Bedeutung der stationären Psychotherapie (die vermutlich weltweit in ihrem Umfang in Gesamtdeutschland einzigartig ist), die langjährige Dominanz der psychodynamischen Psychotherapie speziell in der ärztlichen Psychotherapie und Prinzipien einer gestuften psychotherapeutischen Versorgung. Geyer und Geisthövel (2019) sind sich einig, dass im Prinzip alle im Westen entstandenen Verfahren mehr oder weniger auch im Osten übernommen worden seien. Sicher gehört zu den gesellschaftlichen Spezifitäten, dass „die autoritäre Staatsgewalt und Staatsicherheit nahezu in alle Bereiche auch der Psychotherapie in der DDR eingedrungen“ waren und damit auch die Patient-Therapeut-Beziehung beeinflussten. Neben den inakzeptablen Formen der Kollaboration sehen die Autor:innen allerdings auch, dass der gesellschaftliche Nischencharakter der Psychotherapie „Schutzräume“ gewährt hätte, was dazu führte, dass – wie Geyer und Geisthövel meinen – „Psychotherapeuten eine aktive Rolle in jenem gesellschaftlichen Prozess gespielt [hätten], der zur politischen Wende und zum Zerfall der DDR-Diktatur geführt hat“. Die Orientierung an westlichen Entwicklungen in den letzten 10 Jahren der DDR (s. beispielsweise die oben genannten Tagungen) und ein „gesellschaftlicher Großtrend der Therapeutisierung“, der auch den Ostblock sehr geprägt hätte, hätten nach Meinung der Autor:innen dazu beigetragen, dass die Wiedervereinigung von Psychotherapeut:innen vergleichsweise einfach gewesen sei. Dies sollte aber nicht verschleiern – und dies war ein wiederkehrendes Thema der genannten Tagung im Jahr 2019 –, dass es im „Prozess der Annährung und Vereinigung durchaus auch verpasste Chancen“ gegeben hat und keineswegs nur „zusammengewachsen ist, was zusammengehört“.

Disziplinhistorischer Zugang

Ein disziplinhistorischer Zugang beleuchtet einzelne Aspekte der Diskussion zur Fachentwicklung der Psychotherapie in der DDR, wobei solche Perspektiven das Anliegen differenzierenden, einordnenden, vergleichenden Verstehens verfolgen.

Spezifische Themen und deren Darstellung

Ein Zugang zur Einordnung der bestehenden Literatur nach 1990 besteht darin, einzelne inhaltliche Aspekte im Längsschnitt zu beleuchten. Für den Bereich der Psychotherapie im Speziellen findet sich hier bisher keine eigenständige Arbeit, die sich auf ein spezifisches Thema, etwa eine Diagnosegruppe oder die systematische psychotherapeutische Methodenentwicklung richtet, wohl aber in angrenzenden Forschungsbereichen, die durchaus Überschneidungen aufweisen. Thormann et al. (2014) betrachteten beispielsweise den Bereich der psychiatrischen Depressionsforschung über den gesamten Verlauf der DDR-Zeit hinweg anhand einer systematischen themenbezogenen Sichtung der Zeitschriften Das Deutsche Gesundheitswesen (DDG) und Neurologie Psychiatrie und medizinische Psychologie (PNmP) sowie psychiatrischer Lehrbücher. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass das Feld der Depressionsforschung in der DDR-Psychiatrie sowohl westlichen Einflüssen als auch solchen aus den übrigen „Ostblockstaaten“ unterlag. Die Entwicklungen liefen in der DDR dabei weitgehend parallel zum Westen, ohne merklich hinterherzuhinken, wobei sich die DDR auch durch eigene innovative international rezipierte Beiträge auszeichnete, etwa von Karl Leonhard (1981) und Rudolf Lemke (z.B. Lemke und Rennert 1970).

In inhaltsanalytischen Untersuchungen der beiden erwähnten Zeitschriften wurde deutlich, dass beispielsweise die Thematik der Suizide trotz deren Verbreitung in der DDR eher „zensiert“ wurde, indem Statistiken nicht veröffentlicht wurden (Teitge et al. 2015).

Auch zeigten sich in den Publikationsschwerpunkten der Zeitschriften Bezüge zu den bereits beschriebenen „politischen“ Epochen. Wiegmann (2018) etwa zeigt bei der Analyse der Zeitschrift DDG, dass es zunächst um eine „Aufarbeitung [der NS-Zeit] und eine Neuausrichtung [auf die Lehre Pawlows]“ (inkl. Bezüge zum Pawlowismus) ging. In den 1960er-Jahren dominierte ein sozialpsychiatrischer Ansatz (auch bezogen auf die 1963 veröffentlichten Rodewischer Thesen; Kumbier 2018). Nach einer Stagnation in den 1970er-Jahren mit einer ersten Diskussion von Errungenschaften der BRD folgte in der 1980er-Jahren auch in der Fachzeitschrift eine Emanzipation von staatlichen Vorgaben.

Im eigenen Projekt werden Publikationen u. a. mit bibliometrischen Methoden, wie der Zitationsanalyse, untersucht. Mithilfe der Analyse von Zitationsbeziehungen können verdeckte wissenschaftliche Autor:innen-Communities und deren thematische Schwerpunkte innerhalb der psychotherapeutischen DDR-Fachliteratur aufgezeigt werden. Außerdem lassen sich über die Erhebung bibliometrischer Daten das Ost-West-Zitations- und Publikationsverhältnis der in der DDR-Literatur zitierten Arbeiten bestimmen. Storch et al. (2020) konnten – für den DDR-Zeitschriftenband Psychotherapie und Grenzgebiete – zeigen, dass „Ostblock“-Autor:innen tendenziell mehr „West“-Literatur zitierten und „Westblock“-Autor:innen durchaus bereits vor der Wiedervereinigung in der DDR publizierten. Eine vergleichende Analyse eines DDR- und eines BRD-Organs zeigte, dass psychotherapeutische Literatur der DDR in einer westdeutschen Fachzeitschrift kaum zitiert und überhaupt nicht inhaltlich tiefergehend in die wissenschaftliche Argumentation der BRD-Literatur eingebunden wurde (Storch et al. 2022).

Akteure, Institutionen, Verfahren

Ein häufiger Zugang fachgeschichtlicher Untersuchungen ist die detailliertere Beschäftigung mit einzelnen zentralen Akteuren, Institutionen und Verfahren. Diese Aspekte werden i. d. R. zusammenhängend betrachtet, wobei je nach Forschungsfrage unterschiedliche Schwerpunkte im Vordergrund stehen. Umfangreichere Arbeiten dieser Art stammen aus der Arbeitsgruppe um Holger Steinberg mit Bezug zu Dietfried Müller-Hegemann (z. B. Steinberg 2018). In Literaturarbeiten werden hier die Pawlow’sche Schlaftherapie in Leipzig (Scholz und Steinberg 2011) und Müller-Hegemanns theoretische Systematik der Depressionen (Schmidt und Steinberg 2016) dargestellt. Müller-Hegemanns politisch bedingte wechselhafte Berufsbiografie (in der eine charakteristische Vermischung von institutionellen, fachlichen und politischen Konflikten deutlich wird) wird dabei auch unter Hinzuziehung von Archivmaterial und Gesprächen mit Angehörigen genauer dargestellt (Steinberg und Weber 2011; Steinberg 2018). Weitere werkbiografische Zugänge finden sich zu Christa Kohlers Kommunikativer Psychotherapie (Steinmetz 2014) oder zu Karl Leonhards Individualtherapie (Malach 2009).

Während sich genannte Arbeiten auf Verfahren beziehen, die bereits zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung historischen Charakter hatten, verhält es sich mit fachhistorischen Arbeiten zur Intendierten Dynamischen Gruppenpsychotherapie um Kurt Höck und dem Haus der Gesundheit anders. Bei diesen Arbeiten ist es nicht einfach, die fachhistorische von einer aktuellen klinischen und fachpolitischen Perspektive zu unterscheiden. Entsprechend sollen diese Arbeiten unter letzterer Perspektive betrachtet werden (Gallistl et al. 2022).

Vorläufige Schlussfolgerungen

Über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung ist vieles, was die Psychotherapie in der DDR gekennzeichnet hat, schon in Vergessenheit geraten. Dank der umfangreichen Dokumentation zur Psychotherapie in Ostdeutschland zwischen 1945 und 1990 durch Geyer (2011) lassen sich die wichtigsten inhaltlichen, berufspolitischen, lokal-typischen und personenbezogenen Entwicklungen der Psychotherapie rekonstruieren, auch die Tatsache, dass die Psychotherapie sich anscheinend recht erfolgreich gegen staatliche Eingriffe hat erwehren können (s. oben). Einige der Schwerpunkte wurden hier noch einmal skizziert, wobei diese zeigen, dass es sowohl parallele (z. B. bezüglich der Gesprächstherapie, teilweise auch der Verhaltenstherapie) wie auch unabhängige (z. B. die IDG) Entwicklungen in der Psychotherapie der DDR gab, wobei Letztere naturgemäß historisch durchaus auf die Zeit vor der Existenz der DDR bezogen waren und die Entwicklungen in beiden Teilen Deutschlands eine gemeinsame historische Basis und damit auch Kontinuität aufweisen. Verschiedene Momente haben dazu geführt, dass eine frühe Integration oder „Eingleisigkeit“ der Psychotherapieentwicklung in Ost und West verhindert wurde, was möglicherweise mit dazu beitrug, dass die „imperialistische“ Übernahme der Psychotherapie durch die Regularien und Strukturen der BRD durchaus zu einer gewissen Verbitterung geführt haben mag, insbesondere da die Psychotherapeut:innen im Osten für sich innovative Entwicklungen und Errungenschaften reklamieren konnten (z. B. Facharzt, Fachpsychologe etc.), die nach dem Beitritt nur wenig gewürdigt wurden.

Eine wissenschaftshistorische Aufarbeitung fokussiert bislang auf eine inhaltsanalytische und quantitative Analyse von Publikationen und Publikationsorganen der DDR und Biografien einzelner einflussreicher Akteure der DDR-Psychotherapie, von denen einige – wie etwa Müller Hegemann, aber auch der (gemeinsam mit Klumbies) „Pionier“ der Ost-Psychosomatik Hellmuth Kleinsorge oder der in der DDR durchaus renommierte Gruppenpsychotherapeut Jürgen Ott – dem System den Rücken zukehrten. Ein Schwerpunkt des aktuellen Projekts ist es zudem, noch verfügbare Akteure der DDR-Psychotherapie lebensgeschichtlich i. S. von „oral history interviews“ zu interviewen (Kirschner et al. 2022, eingereicht). Wir gehen davon aus, dass in diesen Interviews neben der biografischen Verankerung der individuellen Laufbahnen als Psychotherapeut:in auch Aspekte deutlich werden, die in der bisherigen Reflexion der DDR-Psychotherapie aus klinischen und sozialwissenschaftlichen Perspektiven betrachtet wurden. Diese Aspekte werden im folgenden Teil II der Übersicht skizziert (Gallistl et al. 2022).