Psychische Erkrankungen von Eltern können sich über den Familienalltag und das Erziehungsverhalten nachteilig auf die Kinder auswirken (Lenz 2017). Psychisch kranke Eltern benötigen daher neben der Behandlung ihrer Erkrankung häufig auch Unterstützung bei der Ausübung ihrer Elternrolle (Pillhofer et al. 2016). Hier setzen die Angebote der Frühen Hilfen an und können die psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung der Eltern professionenübergreifend ergänzen. Damit Eltern passgenaue familienunterstützende Hilfen erhalten, wird weiteres, vertiefendes Wissen darüber benötigt, wie die Elternschaft subjektiv erlebt wird, und wie genau sich eine psychische Erkrankung auf die Ausübung der Elternrolle auswirken kann.

Einleitung

In einer repräsentativen Erhebung des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH) berichteten 15,7 % der Eltern von 0‑ bis 3‑jährigen Kindern schwächere und 4,4 % stärker ausgeprägte Symptome einer psychischen Erkrankung (Eickhorst et al. 2017). Gerade in den ersten 3 Lebensjahren können sich psychische Erkrankungen der Eltern nachteilig auf den Entwicklungsverlauf ihrer Kinder auswirken. Beim Säugling und beim Kleinkind ist das Gehirn aufgrund seiner erhöhten Plastizität besonders anfällig (Petermann et al. 2008; Lenz 2017). Da junge Kinder in besonderem Maß auf ihre Bezugspersonen und deren angemessene Reaktion auf ihre Bedürfnisse angewiesen sind, kann sich eine elterliche psychische Erkrankung in dieser frühen Lebensphase insbesondere über Interaktion und Kommunikation („parenting“) auf das Kind „übertragen“ (Reck et al. 2008). Die Beziehungsaufnahme kann erschwert, die elterliche Feinfühligkeit als „Schlüsselvariable“ für die Entwicklung einer sicheren Bindung (Grossmann und Grossmann 2006) reduziert sowie das Erkennen und angemessene Beantworten kindlicher Bedürfnisse gestört sein (Ramsauer et al. 2011; Ziegenhain und Deneke 2014). Zu den spezifischen Risiken für Säuglinge und Kleinkinder zählen frühkindliche Regulationsstörungen und hochunsichere Bindungsbeziehungen. Verhaltensauffälligkeiten, Abweichungen in der sozioemotionalen und kognitiven Entwicklung, Bindungsstörungen sowie psychische Störungen können die Folge sein (Hipwell und Kumar 1996; Laucht et al. 2002; Lenz 2017).

Eine psychische Symptomatik in jungen Familien ist daher auch ein zentrales Thema der Frühen Hilfen, die mit ihren Angeboten werdende Mütter und Familien mit Kindern im Alter von 0 bis 3 Jahren unterstützen (Infobox 1). Gesundheitsfachkräfte der Frühen Hilfen berichten, dass sie in jeder vierten betreuten Familie Anzeichen einer psychischen Erkrankung bei der Hauptbezugsperson wahrgenommen haben (Renner und Scharmanski 2018).

Infobox 1 Frühe Hilfen

  • Frühe Hilfen haben das Ziel, jedem Kind eine gesunde Entwicklung und ein geschütztes Aufwachsen zu ermöglichen. Sie unterstützen insbesondere Eltern in Belastungslagen

  • Zu den Angeboten Früher Hilfen zählen Gesundheitsfachkräfte, die Familien längerfristig zu Hause unterstützen

  • Damit die Frühen Hilfen Familien mit Unterstützungsbedarf erreichen können, ist es wichtig, familiäre Belastungen frühzeitig zu erkennen und passgenaue Hilfen zu vermitteln

  • Zentral hierfür sind die Zusammenarbeit und systematische Vernetzung verschiedener Sozialleistungssysteme, v. a. des Gesundheitssystems und der Kinder- und Jugendhilfe

  • Seit 2012 werden die Frühen Hilfen erst mit der Bundesinitiative, inzwischen durch die Bundesstiftung Frühe Hilfen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) in Deutschland flächendeckend umgesetzt (Paul et al. 2018)

Eine der zentralen Aufgaben der Fachkräfte in den Frühen Hilfen ist die Unterstützung bei der Entwicklung von Elternkompetenzen, wie der feinfühligen Wahrnehmung kindlicher Signale, um so zum Aufbau einer entwicklungsförderlichen Eltern-Kind-Bindung beizutragen (NZFH 2013, 2014) – ein wichtiger Schutzfaktor in Familien mit psychischen Erkrankungen (Lenz 2014).

Damit das Bewusstsein für die spezifischen Herausforderungen, die für Eltern mit psychischer Symptomatik in der Ausübung ihrer Elternrolle entstehen können, weiter geschärft wird, soll der Frage nachgegangen werden, wie sich diese im Erleben der Betroffenen selbst darstellen. Dazu wurden in der vorliegenden Arbeit Tiefeninterviews und Selbstbeurteilungen von psychisch belasteten Müttern ausgewertet. Um die Aussagekraft dieser Ergebnisse besser einschätzen zu können, wurde die Perspektive der Mütter mit der Perspektive von Kinderärztinnen und -ärzten, die im Rahmen von Früherkennungsuntersuchungen auch Kontakt zu psychisch erkrankten Eltern haben, verglichen. Durch diesen Perspektivenwechsel können die Aussagen der Mütter dahingehend abgesichert werden, dass sie nicht (nur) Ausdruck einer möglicherweise durch die psychische Erkrankung bedingten negativen Selbstsicht bzw. „Selbststigmatisierung“ der Mütter (Knuf 2005) sind.

Die Studien, die den Auswertungen zugrunde liegen, wurden aus Mitteln der Bundesstiftung Frühe Hilfen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert.

Datengrundlage und Methoden

Erreichbarkeitsstudie: Datenbasis, Methode, Instrumente

Die in diesem Beitrag berichteten Ergebnisse zur Perspektive der Mütter stammen aus der „Erreichbarkeitsstudie“ des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH; Datenerhebung: 2018). Befragt wurden 123 Mütter mit Kindern im Alter von 0 bis 3 Jahren, wobei der Schwerpunkt auf psychosozial belasteten Müttern lag (van Staa und Renner 2020). Die Stichprobe dieser qualitativen Studie erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität.

Die Erhebung fand in einem kombinierten Design statt: Die Mütter wurden im Rahmen von ca. 1,5-stündigen, explorativen Tiefeninterviews im häuslichen Umfeld zu ihrem Familienalltag und den damit verbundenen Herausforderungen befragt. Zusätzlich füllten die Mütter einen standardisierten Fragebogen aus.

Definition der Substichprobe „Mütter mit Anzeichen für eine psychische Erkrankung“

Anzeichen für eine psychische Erkrankung der Mutter wurden erhoben, indem dichotom (ja/nein) gefragt wurde, ob sie jemals wegen einer psychischen Erkrankung in Behandlung war und, wenn ja, wie sehr sie sich aktuell durch diese Erkrankung beeinträchtigt fühlt (4-stufige Skala von „gar nicht“ bis „deutlich“).

Zusätzlich wurde eine aktuelle depressive Symptomatik der Mutter erfasst. Hierfür wurde der Zwei-Fragen-Test eingesetzt (Patient-Health-Questionnaire 2; Löwe et al. 2002; Spitzer et al. 1999), der aus 2 Items besteht und sich auf den Zeitraum „letzter Monat“ bezieht. Ein Item misst Niedergeschlagenheit und Bedrücktheit, ein weiteres reduzierte Freude an Dingen, die sonst gern getan werden. Die Abfrage der Items erfolgte hier dichotom (ja/nein; r = 0,70, p < 0,001). In der Praxis wird dieser Test als Screeninginstrument eingesetzt: Wird beiden Items zugestimmt, ist dies in der Anamnese einer depressiven Erkrankung der Ausgangspunkt einer formalen Diagnostik (Rudolf et al. 2006).

Eine Mutter wurde in die Teilgruppe „Mütter mit Anzeichen für eine psychische Erkrankung“ eingestuft, wenn sie beiden Items zur depressiven Symptomatik zugestimmt hat (n = 33) oder wenn sie angegeben hat, sich aktuell deutlich oder etwas durch eine diagnostizierte psychische Erkrankung beeinträchtigt zu fühlen (n = 14). Insgesamt umfasst die Teilgruppe 38 Mütter.

Erhebung von elterlichen Belastungen

Für die Erhebung von elterlichen Belastungen wurden 6 Items des Eltern-Belastungs-Inventars (EBI; Abidin 1995; Tröster 2010) eingesetzt. Diese lassen sich 3 Subskalen zuordnen: elterlicher Kompetenz, elterlicher Bindung und persönlicher Einschränkung. Die Items werden auf einer 4‑stufigen Skala beantwortet und können zu einem Gesamtwert für elterliche Belastungen addiert werden. Ein höherer Wert spricht für stärker ausgeprägte elterliche Belastungen. Die interne Reliabilität (Cronbachs α) beträgt 0,79.

Erhebung von ungünstigen Einstellungen zum Kind

Ungünstige Einstellungen zum Kind wurden mit 2 Items aus dem Fragebogen „Einstellungen von Müttern zu Kindern im Kleinstkindalter“ (EMKK) erfasst (r = 0,42, p < 0,001), die auf derselben 4‑Punkte-Skala bewertet wurden wie die Items des EBI. Zusätzlich wurde ein Item aus der EMKK-Subskala Überforderung/Gewaltneigung eingesetzt (Codreanu und Engfer 1984).

ZuFa-Monitoring Pädiatrie: Datenbasis, Methode, Instrumente

Der Forschungszyklus „Zusammen für Familien (ZuFa-Monitoring): Gesundheit und Frühe Hilfen“ des NZFH hat das Ziel, die Kooperation von Akteuren des Gesundheitswesens und den Frühen Hilfen systematisch zu beobachten (Renner et al. 2018).

Das Studiendesign kombiniert quantitative und qualitative Methoden der Datenerhebung. Die hier berichteten Ergebnisse basieren auf Daten aus der Teilstudie „ZuFa Pädiatrie“ (Datenerhebung 2017). Befragt wurde eine bundesweit repräsentative Stichprobe von 815 niedergelassenen Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzten (van Staa und Renner 2019).

Definition der Substichprobe „Eltern mit Anzeichen für eine psychische Erkrankung“

Der Großteil der befragten Kinderärztinnen und -ärzte (97,1 %) hatte in den letzten 12 Monaten im Rahmen einer frühen U‑Untersuchung Kontakt zu psychosozial belasteten Familien. An eine dieser Familien sollten sich die Befragten erinnern und angeben, welche konkreten Belastungen sie beobachtet haben. Dabei denken 39,4 % der Befragten an eine Familie, bei der sie (auch) Anzeichen für eine psychische Erkrankung bei Mutter und/oder Vater wahrgenommen haben. Anhand dieser Variable werden die Fallfamilien für die weiteren Analysen eingeteilt, in Fallfamilien mit und ohne Anzeichen für eine psychische Erkrankung eines Elternteils.

Ergebnisse

Perspektive von Müttern mit Anzeichen einer psychischen Erkrankung

Belastungen im Zusammenhang mit der Elternrolle

Die folgenden Ergebnisse basieren auf statistischen Auswertungen der Daten der Erreichbarkeitsstudie, die mithilfe der standardisierten Fragebogen erhoben wurden, und auf inhaltsanalytischen Auswertungen der qualitativen Interviewdaten.

Mütter mit Anzeichen für eine psychische Erkrankung erzielen einen signifikant höheren Gesamtwert für Belastungen im Zusammenhang mit der Elternrolle (Summen-Score der 6 abgefragten Items des EBI) als Mütter ohne solche Anzeichen. Die mittlere Differenz beträgt 3,14 Punkte (95 %-Konfidenzintervall [95 %-KI] 1,78–4,51, t(118) = 4,55, p < 0,001). Dabei zeigen sich in allen 3 Subdimensionen höhere Belastungen: Die Mütter sind unsicherer in der Ausübung ihrer Elternrolle; sie empfinden Anforderungen, wie das Erkennen kindlicher Bedürfnisse, als schwieriger und fühlen sich durch die Mutterschaft stärker persönlich eingeschränkt als die Vergleichsgruppe (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Belastungen im Zusammenhang mit der Elternrolle von Müttern mit und ohne Anzeichen für eine psychische Erkrankung. Werte 3 und 4 auf einer 4‑Punkte-Skala von 1 „trifft überhaupt nicht zu“ bis 4 „trifft vollkommen zu“. Angaben in Prozent. Es werden nur Tests für signifikante Unterschiede angegeben. χ2 Tests, *p ≤ 0,05, **p ≤ 0,01, ***p ≤ 0,001

Die nach dem Prinzip der nondirektiven Exploration geführten Interviews wurden mit der sozialwissenschaftlichen Methode der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet. Alle Interviews wurden mithilfe einer Software zur Analyse qualitativer Daten (eXplidata) transkribiert und codiert, wobei die Codes den zentralen Themenbereichen der Untersuchung entsprachen (Möller-Slawinski 2019). Anschließend wurden die Aussagen der Mütter mit „Anzeichen einer psychischen Erkrankung“ (s. Abschn. „Erreichbarkeitsstudie: Datenbasis, Methode, Instrumente“) nach verbindenden Sinneinheiten interpretiert. Die im Folgenden wiedergegebenen Originalzitate stehen jeweils exemplarisch für die erhobenen zentralen Befunde. Insgesamt bestätigen die qualitativen Interviews die quantitativen Ergebnisse und vertiefen darüber hinaus den Einblick in die Sorgen und Nöte der Mütter. In den Gesprächen werden die Anforderungen thematisiert, die mit dem Muttersein einhergehen und zu Überforderung führen können:

Aber es ist auch sehr, sehr anstrengend und schwierig, und an manchen Tagen ein Drahtseilakt. Wenn man selber merkt: Ich bin … auch psychisch an einem Punkt, ich bräuchte wirklich mal einen Tag Auszeit für mich und Hilfe … mehr Hilfe, als sonst. [# 13]

Man weint sehr viel …, weil man manchmal so an seine Grenzen kommt, an sein Limit und sagt, ich habe keinen Bock mehr. [# 46]

Dass die Mütter Schwierigkeiten haben können, die Bedürfnisse ihres Kindes zu verstehen, wird exemplarisch in folgender Aussage deutlich:

Mein Gedanke ist, ich weiß nicht, was mit ihm los ist, weil ich hab ihm ja Essen gegeben und das und das und das und dann schreit er, schreit er, schreit er … Ergo kommt auch eine Grenze, ich weiß nicht, was los ist. [# 2]

Thematisiert wird auch die Verantwortung, die mit der Versorgung und Erziehung eines Kindes einhergeht und die teilweise als belastend und einengend empfunden wird. Man müsse „jede Sekunde abrufbereit sein“ [# 14] und „oft über seine Bedürfnisse hinweggucken“ [# 87], man sei „nur wie so ein Hamster im Laufrad“ [# 102].

Anfängliche Schwierigkeiten im Aufbau der Mutter-Kind-Bindung werden zwar nur vereinzelt angesprochen, können für die Mütter aber sehr belastend sein:

Wie kann ich gut in Kontakt zu meinem Kind kommen? … Ich war einfach total überfordert mit diesem … Jetzt ist da auf einmal ein Mensch. Und ich hatte einfach nur Angst, dass ich dem weh tue. Also ich konnte das gar nicht fassen irgendwie: Wie soll ich mit diesem Menschen jetzt gut umgehen? [# 49]

Und dann … ich konnte halt keine … also ich hab halt nicht diese Mutterliebe empfunden … Und ich habe mir auch gesagt: Das kommt jetzt, das kommt. Aber es kam halt dann irgendwie nicht. [# 47]

Wie eine weitere Mutter berichtet, können sich die Gefühle bis hin zu einer „Schuldzuweisung“ und Ablehnung des Kindes steigern:

Ich war nur am Weinen, ich wollte alles zurückdrehen. Irgendwie habe ich sie angeguckt, dann habe ich ihr die Schuld gegeben irgendwie damals, habe ich immer gesagt, du bist schuld daran. Habe ich immer gesagt, warum musstest du kommen? [# 108]

Ungünstige Einstellungen zum Kind

Mütter mit psychischer Symptomatik bilden häufiger eine ungünstigere Einstellung zum Kind aus als die Vergleichsgruppe. So wird eher die Meinung vertreten, dass man „Kinder leicht verwöhnt, wenn man ständig auf ihre Launen und Stimmungen eingeht“ (57,9 % vs. 38,3 %, χ2(1, n = 119) = 4,03, p ≤ 0,05). Und jede zweite Mutter mit Anzeichen einer psychischen Erkrankung denkt, dass ihr Kind „manchmal nur schreit, um zu ärgern“ (50 %), während dies nur auf gut jede vierte Mutter ohne diese Anzeichen zutrifft (28,4 %, χ2(1, n = 119) = 5,29, p ≤ 0,05). Eine Mutter, die anfängliche Schwierigkeiten mit der Nähe zu ihrem Kind hatte, berichtet in diesem Zusammenhang von ambivalenten Gefühlen:

Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass er so mir die Schuld gibt, halt auch dafür … Ich wusste auch, dass er nicht weint, um mich zu ärgern. Aber trotzdem war es halt irgendwie jetzt oft schon so, dass ich dachte, er zahlt es mir quasi heim … Dass ich am Anfang nicht so … ja, offen auf ihn zugehen konnte. [# 47]

Begrenzte Geduld, Reizbarkeit, Ärger und Wut

In den Gesprächen wird deutlich, dass es Müttern mit psychischer Symptomatik schwerfallen kann, geduldig mit ihrem Kind umzugehen:

Wenn ich merke, dass ich mich schlechter fühle, auch mental wieder. Also dass es mit der Psyche wieder nicht so gut ist … Dann bin ich natürlich auch leicht reizbar. Und dann bin ich natürlich auch nicht so geduldig mit der Kleinen … [# 13]

Das Item zur Messung von Überforderung/Gewaltneigung: „Wenn ich außer mir bin, fasse ich mein Kind manchmal härter an, als ich es eigentlich richtig finde“, ist bei Müttern mit psychischer Symptomatik nur leicht erhöht (18,4 %). Der Unterschied zur Vergleichsgruppe (12,3 %) ist nicht signifikant. Die Erzählungen der Mütter lassen jedoch erkennen, dass Grenzsituationen im Umgang mit dem Kind entstehen und sich Gefühle der Überforderung bis hin zu Wut und Aggression steigern können:

Also manchmal ist es so, dass ich einfach schreie. Also ich bin gar nicht geduldig … Und ich habe Angst, dass ich mit meinem Kind sowas mache. Ich versuche, es besser zu machen. Aber das ist manchmal schwierig. [# 51]

Und ich habe auch gemerkt, meine Stimmung ist auch abhängig an ihr. Wie gesagt, wenn ich bin aggressiv, kann ich auch aggressiv, laut mit ihr sein. Oder sie nervt mich, keine Ahnung. [# 20]

Dieses Jammern, dieses … Ich bin genervt, wütend. Ich denke, oh, verdammt, hör doch einfach auf … Manchmal denke ich immer, geh doch mal endlich in den Kindergarten, einen halben Tag bist du weg. [# 108]

Kam auch schon mal vor, dass ich das Kind einfach ins Bett geschmissen habe, also nicht von der Höhe von zwei Metern, das habe ich nicht gemacht, aber so, ich musste mich echt festhalten. [# 11]

Die Ergebnisse und die Aussagen geben deutliche Hinweise darauf, dass Mütter mit Anzeichen einer psychischen Erkrankung sich in vielen Alltagssituationen mit ihrem Kind eingeengt und überfordert fühlen und emotional schwierige Momente entstehen können, in denen auch negative Auswirkungen auf das Kind vorstellbar sind. Nach dieser „Innensicht“ der Mütter auf sich selbst soll nun die „Außenperspektive“ von Kinderärztinnen und -ärzten dargestellt werden.

Perspektive von niedergelassenen Kinderärztinnen und -ärzten

Im Folgenden wird dargestellt, welche Auffälligkeiten die Kinderärztinnen und -ärzte in „Fallfamilien“ wahrnehmen, in denen mindestens ein Elternteil (neben möglichen anderen Belastungen auch) Anzeichen für eine psychische Erkrankung zeigt. Diese Familien werden mit belasteten Familien ohne psychische Auffälligkeit verglichen. Die Signifikanzüberprüfung erfolgt mithilfe des χ2-Tests.

Wahrgenommene Auffälligkeiten

Schwierigkeiten bzw. Einschränkungen in der Eltern-Kind-Interaktion und Bindung (mangelnde aktive Zuwendung zum Kind, mangelnde Wahrnehmung der kindlichen Bedürfnisse) treffen aus kinderärztlicher Sicht signifikant häufiger auf Familien mit psychischer Symptomatik zu. Zudem wirken diese Eltern auf die Befragten häufiger „interessenlos, niedergeschlagen, antriebslos – insbesondere hinsichtlich des Kindes“ (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Auffälligkeiten von psychosozial belasteten Fallfamilien mit und ohne Anzeichen für eine psychische Erkrankung eines Elternteils. Anteil „trifft zu“, Angaben in Prozent. Es werden nur Tests für signifikante Unterschiede angegeben. χ2 Tests, *p ≤ 0,05, **p ≤ 0,01, ***p ≤ 0,001

Dasselbe gilt auch für Auffälligkeiten, die mit einer negativen Emotionalität und entsprechenden Verhaltensweisen einhergehen. Zwar werden diese Beobachtungen von den Ärztinnen und Ärzten insgesamt seltener berichtet, jedoch signifikant häufiger bei Familien mit psychischer Symptomatik: Diese Eltern fühlen sich aus Medizinersicht häufiger von ihrem Kind abgelehnt oder zeigen ein abwertendes und feindseliges Verhalten gegenüber ihrem Kind. Gleiches gilt für Auffälligkeiten im Bereich der Affektkontrolle (unberechenbares, emotional instabiles Verhalten, mangelnde Selbstregulation und Impulsivität; Abb. 2).

Interessant ist auch, dass eine Reihe von Auffälligkeiten in Familien mit Anzeichen einer psychischen Erkrankung im Vergleich zu belasteten Familien ohne solche Anzeichen nicht erhöht ist. So treffen aus ärztlicher Sicht zwar Überforderungen, etwa beim Umgang mit dem Kind, sowie kindbezogene Auffälligkeiten wie exzessives Schreien in besonders starkem Maße auf belastete Familien zu, jedoch nicht speziell auf Familien mit psychischer Symptomatik. Psychisch auffällige Eltern zeigen somit erst mal dieselben Einschränkungen in der Ausübung der Elternrolle wie andere belastete Eltern auch (Abb. 2). Darüber hinaus treffen auf einen Teil dieser Familien aus kinderärztlicher Sicht noch spezifische Einschränkungen zu, die in eine ähnliche Richtung weisen wie die Selbstberichte psychisch belasteter Mütter.

Diskussion

Die vorgestellten Ergebnisse zur Innenwahrnehmung von Müttern sowie Außenwahrnehmung von Kinderärztinnen und -ärzten verdeutlichen, dass psychische Erkrankungen das Erleben der Elternrolle und das Erziehungsverhalten beeinträchtigen können.

Aufgrund des nichtrepräsentativen Forschungsansatzes können aus der „Erreichbarkeitsstudie“ keine repräsentativen Aussagen für Mütter mit psychischer Symptomatik abgeleitet werden. Zudem basiert die Erreichbarkeitsstudie auf Selbstberichten der Eltern, die infolge einer durch die psychische Erkrankung bedingten negativen Selbstsicht auf die eigene Elternrolle verzerrt bzw. „überzeichnet“ sein können (Knuf 2005). Die Übereinstimmung mit den ärztlichen Wahrnehmungen spricht jedoch dafür, dass die berichteten Einschränkungen tatsächlich vorliegen.

Eine weitere Limitation besteht darin, dass überwiegend weder bei den befragten Müttern noch bei den Familien, über die in ZuFa Päd berichtet wird, diagnostizierte psychische Erkrankungen vorliegen. In beiden Stichproben werden lediglich Anzeichen einer möglichen psychischen Erkrankung erhoben.

Die berichteten Herausforderungen und Einschränkungen bezüglich der Ausübung der Elternrolle können generell auch auf andere (belastete) Eltern zutreffen, wie auch die erhobenen Daten zeigen. Bei (zusätzlicher) psychischer Symptomatik sind diese Einschränkungen jedoch deutlich stärker ausgeprägt. Betroffene Eltern sind noch wesentlich anfälliger für Stress (Kölch und Schmid 2008) bzw. verfügen über eine verminderte Fähigkeit zur Stressbewältigung, womit die Wahrscheinlichkeit einer elterlichen Überforderung bis hin zur Dekompensation steigt (Pillhofer et al. 2016; Lenz 2017). Ein möglichst frühzeitiges Erkennen und Unterstützen dieser Familien ist auch deshalb umso wichtiger, da eine Art „Teufelskreis“ entstehen kann: Die Kinder entwickeln häufig selbst Verhaltensauffälligkeiten, woraus sich wiederum besondere Herausforderungen für die in ihrer Erziehungs- und Beziehungskompetenz oftmals eingeschränkten Eltern ergeben (Stadelmann et al. 2010).

Wie die Daten aus der Ärzte- und Mütterbefragung übereinstimmend belegen, kann in diesen Familien speziell der feinfühlige und geduldige Umgang mit dem Kind vermindert sein. Bindungsbezogene Interventionen zur Förderung der elterlichen Beziehungs- und Erziehungskompetenzen sind daher besonders wirksam und nachhaltig (Lenz 2017). Damit Eltern z. B. von den Frühen Hilfen darin unterstützt werden können, trotz psychischer Symptomatik für ihre Kinder entwicklungsförderliche und feinfühlige Bezugspersonen zu sein, ist die Weitervermittlung der Familien in passgenaue Angebote von zentraler Bedeutung.

Hier kommt der ambulanten und stationären Psychiatrie und Psychotherapie eine wichtige Schlüsselfunktion in den Netzwerken Frühe Hilfen zu, die zukünftig weiter gestärkt werden sollte (Franz et al. 2012). Bedarf an familienunterstützenden Angeboten kann erkannt und thematisiert werden; psychisch erkrankte Eltern können zur Hilfeannahme motiviert und in passende Angebote Früher Hilfen weitervermittelt werden. Umgekehrt tritt eine psychische Symptomatik bei Müttern häufig rund um die Geburt eines Kindes erstmalig oder verstärkt auf (Riecher-Rössler 1997) oder wird in der kinderärztlichen Praxis, in den Frühen Hilfen oder anderen elternunterstützenden Angeboten erstmals wahrgenommen, die dann den Weg zu Angeboten der Psychiatrie und Psychotherapie ebnen können. Hierzu sollten die Fachkräfte befähigt werden, spezifischen psychotherapeutischen oder psychiatrischen Unterstützungsbedarf zu erkennen und einzuordnen.

Im Eckpunktepapier „Kinder von Eltern mit psychischen Erkrankungen im Kontext der Frühen Hilfen“, das das NZFH zusammen mit Expertinnen und Experten aus Fachpraxis und Wissenschaft entwickelt hat, heißt es zusammenfassend: Familien mit psychisch kranken Eltern benötigen „häufig mehrere aufeinander abgestimmte Hilfen und Leistungen, und zwar insbesondere aus der Leistungspalette der Kinder- und Jugendhilfe und aus der des Gesundheitssystems“ (Pillhofer et al. 2016). Damit diese Hilfen aus den verschiedenen Unterstützungssystemen bei den Familien ankommen, wird im Eckpunktepapier gefordert, „die fallübergreifende Kooperation und Vernetzung weitergehend strukturell zu verankern und damit dazu beizutragen, dass ‚Vernetzung als Haltung‘ in den Systemen etabliert wird“.

Hierzu soll abschließend nochmal eine Teilnehmerin der Studie zu Wort kommen:

Ich habe manchmal das Gefühl, dass die Sachen zu wenig miteinander vernetzt sind. Also mein Therapeut ist halt Therapeut. Der weiß dann über die psychischen Hintergründe Bescheid. Aber der hat halt keine Ahnung, was quasi im Zusammenhang mit Psyche und Muttersein, was es da für Möglichkeiten geben könnte … Dass irgendwie die verschiedenen Hilfsorganisationen oder Anlaufstellen besser übereinander Bescheid wissen und besser aneinander verweisen können. [# 49]

Fazit für die Praxis

  • Mit der Elternschaft können für psychisch erkrankte Menschen spezifische Herausforderungen entstehen.

  • Die Entwicklung von Elternkompetenzen, insbesondere im Bereich der Wahrnehmung und feinfühligen Reaktion auf kindliche Bedürfnisse, kann beeinträchtigt sein.

  • Hier können die Frühe Hilfen passgenaue Hilfen anbieten oder vermitteln.

  • Damit psychisch erkrankte Eltern noch besser in diese familienunterstützenden Hilfen finden und andersherum psychisch erkrankte Eltern ohne bisherige Anbindung an psychotherapeutische Unterstützung entsprechende Hilfen erhalten, sollten Frühe Hilfen sowie ambulante und stationäre Psychotherapie und Psychiatrie abgestimmt und vernetzt zusammenarbeiten.