Für depressive Störungen und Patienten in stationärer Psychotherapie konnte konsistent gezeigt werden, dass sich Kindheitstraumatisierungen ungünstig auf das Therapieergebnis auswirken. Depressive Erkrankungen stellen die häufigste komorbide Störung bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) dar. Daher könnte es klinisch-therapeutisch auch bei Patienten mit einer BPS sehr relevant sein, dass Traumatisierungen in Kindheit und Jugend mit einem früheren Beginn depressiver Symptomatik, einer höheren Wahrscheinlichkeit für Rezidive bzw. einem chronischen Verlauf und Therapieresistenz assoziiert sind. In der vorliegenden explorativen naturalistischen Psychotherapiestudie wurde daher der differenzielle Einfluss verschiedener Kindheitstraumatisierungen bei BPS-Patienten untersucht.

Hintergrund

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) stellt bei ambulanten und stationären Patienten in psychotherapeutischen Settings die am häufigsten vorkommende Persönlichkeitsstörung dar (Euler et al. 2018). Gegenwärtige ätiopathogenetische Vorstellungen gehen von einem komplexen biopsychosozialen Vulnerabilität-Stress-Modell aus, in dem (epi-)genetische und psychosoziale Risikofaktoren interagieren, insbesondere in sensiblen Entwicklungsphasen (Leichsenring et al. 2011; Chanen und Kaess 2012). Zu den am besten untersuchten psychosozialen Risikofaktoren der BPS gehören Traumatisierungen in Kindheit und Jugend, insbesondere sexueller, körperlicher und emotionaler Missbrauch als aktive Formen der Kindesmisshandlung sowie körperliche und emotionale Vernachlässigung als passive Formen (Stepp et al. 2016; Steele et al. 2019; Cattane et al. 2017; Ball und Links 2009). Noch vor 2 Jahrzehnten wurde in Übersichtsarbeiten der Zusammenhang von biografisch frühem Stress und der BPS sehr skeptisch beurteilt (Paris 1998) und in Metaanalysen eine geringe Assoziation mit sexuellem Missbrauch in der Kindheit errechnet (Fossati et al. 1999). Mittlerweile zeigen Längsschnittstudien (Battle et al. 2004; Zanarini et al. 2006) sowie systematische Übersichten und Metasynthesen übereinstimmend, dass Kindheitstraumatisierungen eine prominente Rolle in der Ätiopathogenese der BPS spielen (Stepp et al. 2016; Steele et al. 2019; Ball und Links 2009).

Missbrauch und Vernachlässigung stellen jedoch nicht nur generelle Risikofaktoren für die BPS dar, sondern wirken sich auch ungünstig auf die Symptomschwere und das Ausmaß an Komorbidität aus (McFetridge et al. 2015; Quenneville et al. 2020; Martín-Blanco et al. 2014). Gerade Impulsivität und Schwierigkeiten in der Emotionsregulation als Kernmerkmale der BPS scheinen besonders eng mit Erfahrungen von emotionalen Misshandlungsformen in Kindheit und Jugend assoziiert zu sein (Quenneville et al. 2020; Krause-Utz et al. 2019; Martín-Blanco et al. 2014). Allerdings bestätigen nicht alle Studien einen Zusammenhang zwischen Kindheitstraumatisierungen und Ausmaß der BPS-Symptomatik (Bungert et al. 2015).

Trotz der umfangreichen Literatur zur Rolle von biografisch frühem Stress bei der BPS gibt es kaum Studien zu seiner Relevanz für die Behandlung (McFetridge et al. 2015; Euler et al. 2019). Dies ist umso erstaunlicher, als dass gerade für depressive Störungen und Patienten in stationärer Psychotherapie konsistent gezeigt werden konnte, dass sich Kindheitstraumatisierungen ungünstig auf das Therapieergebnis auswirken (Nanni et al. 2012; Schilling et al. 2015; Spitzer et al. 2019a). Depressive Erkrankungen stellen die häufigste komorbide Störung bei der BPS dar (Leichsenring et al. 2011). Daher könnte es klinisch-therapeutisch auch bei Patienten mit einer BPS sehr relevant sein, dass Traumatisierungen in Kindheit und Jugend mit einem früheren Beginn der depressiven Symptomatik, einer höheren Wahrscheinlichkeit für Rezidive bzw. einem chronischen Verlauf und Therapieresistenz assoziiert sind. Dies gilt unabhängig davon, ob psychopharmakologisch oder psychotherapeutisch behandelt wird (Nanni et al. 2012; Nelson et al. 2017).

Die wenigen Studien zu dieser Thematik bei der BPS erbrachten inkonsistente Ergebnisse: McFetridge et al. (2015) führten eine Untersuchung von Patientinnen (n = 159) mit schwerer BPS, die stationär mithilfe der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) behandelt wurden, durch. Diejenigen mit sexuellem Missbrauch in der Kindheit wiesen einen größeren Rückgang ihrer psychischen Belastung und dissoziativer Symptome auf als jene ohne Erfahrungen von sexuellem Missbrauch in der Kindheit. Euler et al. (2019) fanden bei 333 überwiegend weiblichen BPS-Patienten (93 % Frauen) in ambulanter intensiver DBT über 4 Wochen, dass körperliche Vernachlässigung mit einem geringeren, emotionale Vernachlässigung hingegen mit einem stärkeren Rückgang depressiver Symptome einherging. Sexueller Missbrauch hatte keinen Einfluss auf den Rückgang der depressiven Symptome.

Angesichts der widersprüchlichen und keineswegs konklusiven Befundlage, v. a. bezüglich der differenziellen Effekte einzelner Misshandlungsformen (Cecil et al. 2017), beschäftigt sich die vorliegende explorative Studie mit folgenden 2 Fragen:

  • Bestehen differenzielle Zusammenhänge zwischen Kindheitstraumatisierungen und Schwere der allgemeinen sowie BPS-spezifischen Symptomatik?

  • Beeinflussen Erfahrungen von Missbrauch und Vernachlässigung in Kindheit und Jugend das Behandlungsergebnis stationärer evidenzbasierter Psychotherapie der BPS?

Frauen und Männer wurden in den Analysen getrennt betrachtet, weil Frauen sowohl in der Allgemeinbevölkerung als auch in Patientenstichproben mehr Kindheitstraumatisierungen berichten als Männer (Häuser et al. 2011; Wingenfeld et al. 2010). Zudem weisen Patientinnen mit einer PBS zu Behandlungsbeginn eine höhere Symptomlast auf als Patienten (Spitzer et al. 2019b), und es gibt Hinweise, dass sich Misshandlungen, v. a. körperlicher Missbrauch, langfristig unterschiedlich auf die Geschlechter auswirken (Thompson et al. 2004; Godbout et al. 2019).

Material und Methode

Studiendesign und Stichprobe

Bei dieser naturalistischen Psychotherapiestudie handelt es sich um eine nichtexperimentelle, beobachtende klinische Studie einer definierten Patientenkohorte unter stationärer Psychotherapie ohne Kontrollgruppe mit sekundärer Datenanalyse. Die Daten wurden an der Schön Klinik Bad Bramstedt im Schwerpunktbereich Persönlichkeitsstörungen erhoben; der Schwerpunktbereich wurde vom Dachverband Dialektisch Behaviorale Therapie e. V. (DDBT e. V.) 2008 zertifiziert. Das Therapiekonzept besteht aus ein- bis 2‑mal Einzeltherapie/Woche und regelmäßigen Gruppentherapien: DBT-Basisgruppe, Fertigkeitsgruppe (mit den Schwerpunkten Interaktion, Stresstoleranz und Emotionsregulation), Achtsamkeitstraining, Bewegungstherapie und Übungsgruppe. Zusätzlich sind störungsspezifische Gruppen für unterschiedliche Achse-I-Komorbiditäten, Ergo- und Kunsttherapie sowie weitere bewegungstherapeutische Angebote indiziert. In dem 11-monatigen Untersuchungszeitraum wurden alle Patienten, die folgende Kriterien erfüllten, in die Studie eingeschlossen:

  • gesicherte Diagnose einer BPS anhand des strukturierten Klinischen Interviews für DSM-IV, Achse-II-Störungen (SKID-II),

  • Patientenalter ≥18 Jahre,

  • keine hirnorganische oder schizophrene Störung,

  • Ausschluss unzureichender Sprachkenntnisse, geringer Intelligenz oder schwerer formaler Denkstörungen, die ein Bearbeiten der Fragebogen nicht ermöglichen,

  • angemessen ausgefüllte Borderline-Symptom-Liste (BSL) bei Aufnahme und Entlassung als zentrales Ergebnismaß,

  • angemessen ausgefüllter Childhood Trauma Questionnaire (CTQ) als Grundlage möglicher Kindheitstraumatisierungen,

  • mindestens 6 Wochen Behandlungsdauer und reguläres Therapieende, um den Einfluss des Aufnahmewerts auf den Entlassungswert zu analysieren.

Mithilfe der folgenden Selbstbeurteilungsverfahren wurden die Daten der Patienten innerhalb der ersten 3 Tage nach Aufnahme und in den 3 Tagen vor Entlassung erfasst.

Instrumente

Childhood Trauma Questionnaire

Der CTQ ist ein international sehr verbreitetes Instrument, das retrospektiv Misshandlungen in Kindheit und Jugend erfasst (Bernstein und Fink 1998). Anhand von 28 Items, die auf einer 5‑stufigen Likert-Skala von „gar nicht“ (1) bis „sehr häufig“ (5) zu beantworten sind, werden das Ausmaß sexuellen (SM), körperlichen (KM) und emotionalen Missbrauchs (EM) sowie körperliche (KV) und emotionale Vernachlässigung (EV) dargestellt. In der erwachsenen Allgemeinbevölkerung sowie verschiedenen klinischen Stichproben ist die deutsche Version des CTQ ausgiebig auf ihre teststatistischen Kennwerte hin untersucht worden, die den Parametern des amerikanischen Originals sehr ähnelten (Wingenfeld et al. 2010; Klinitzke et al. 2012). Hinsichtlich der internen Konsistenz ergaben sich hohe Werte (McDonalds ω = 0,89).

Beck-Depressions-Inventar II

Der Beck-Depressions-Inventar II (BDI-II) dient der Erfassung depressiver Symptome und Störungen. Anhand von 21 Items werden auf einer 4‑stufigen Skala Häufigkeit und Ausprägung depressiver Erlebens- und Verhaltenssymptome erfasst und den Punktwerten 0 bis 3 zugeordnet. Die Ergebnisse werden zu einer Gesamtskala aufsummiert und ergeben den Gesamt-Score, bei dem höhere Werte eine stärkere depressive Stimmung angeben. Der BDI-II wurde psychometrisch umfangreich untersucht und weist teststatistisch befriedigende bis hohe Werte für die interne Konsistenz (Cronbachs α zwischen 0,74 und 0,94, im Schnitt >0,85) auf, die Test-Retest-Reliabilität betrug r = 0,78 (Hautzinger et al. 2006). Für die untersuchte Stichprobe ergab sich eine interne Konsistenz von McDonalds ω = 0,88.

Gesundheitsfragebogen für Patienten

Der modular aufgebaute Gesundheitsfragebogen für Patienten (Patient Health Questionnaire, PHQ-D) dient der Erkennung und Diagnostik der häufigsten psychischen Störungen. Es wurden die Module zur Abbildung depressiver Symptome (PHQ-9), somatoformer Beschwerden (PHQ-15) und Ängstlichkeit (GAD-7) eingesetzt. Diese 3 zentralen Module sind international anerkannte Verfahren, werden häufig in Klinik und Forschung genutzt und sind umfassend psychometrisch mit guten Ergebnissen überprüft (Löwe et al. 2002).

Borderline-Symptom-Liste

Die BSL ermittelt das Vorliegen typischer BPS-Symptome (Bohus et al. 2001). Von den 95 Items gehen 83 in die Subskalen Selbstwahrnehmung, Affektregulation, Autoaggression, Dysphorie, soziale Isolation, Intrusionen und Feindseligkeit ein. Die übrigen 12 Items gehen in den Gesamtwert (BSL-Gesamt) ein. Auf einer 5‑stufigen Likert-Skala von „überhaupt nicht“ (0) bis „sehr stark“ (4) werden die Items hinsichtlich der vergangenen Woche bewertet. Für die BSL liegen umfassende psychometrische Untersuchungen vor: Bezüglich der Reliabilität ergaben sich für die interne Konsistenz Werte für Cronbachs α zwischen 0,80 (Feindseligkeit) und 0,94 (Autoaggression) sowie für den Gesamtwert von α = 0,97; die Retest-Reliabilität für die Gesamtskala betrug nach einer Woche r = 0,84 (Bohus et al. 2001, 2007; Kröger et al. 2013). Die untersuchte Stichprobe zeigte eine interne Konsistenz von McDonalds ω = 0,97.

Kurzform des Fragebogens zum Gesundheitszustand

Die Kurzform des Fragebogens zum Gesundheitszustand (12-Item Short Form Survey, SF-12), ein internationales Standardinstrument in den Gesundheitswissenschaften, erfasst krankheitsübergreifend gesundheitsbezogene Lebensqualität. Aus den 12 Items der Kurzversion werden die Subskalen körperliche und psychosoziale Gesundheit gebildet. Die deutsche Version wurde mit guten Ergebnissen teststatistisch überprüft (Bullinger und Kirchberger 1998). Als Beurteilungszeitraum wurden für die vorliegende Studie die letzten 4 Wochen festgelegt.

Statistische Auswertung

Die statistische Auswertung erfolgte mit dem Computerprogramm SPSS (Statistical Package for the Social Sciences, Version 24). Je nach Datenstruktur wurden für die Vergleiche zwischen Männern und Frauen der χ2-Test oder Varianzanalysen (ANOVA) durchgeführt. Um den differenziellen Einfluss einzelner Formen von Kindheitstraumatisierungen auf die Symptomschwere bei Aufnahme zu prüfen, wurden für alle Ergebnismaße lineare Regressionen berechnet: Als unabhängige Variablen wurden alle CTQ-Subskalen gleichzeitig nach der Einschlussmethode berücksichtigt, als abhängige Variablen gingen die Aufnahmewerte des BDI, die PHQ-Module, die BSL, einschließlich Subskalen, und der SF-12 jeweils einzeln in die Gleichung ein. Die Analyse des Einflusses von Kindheitstraumatisierungen auf das Behandlungsergebnis erfolgte in 2 Schritten: Für die Entlassungswerte aller genannten Ergebnismaße wurden einzelne Regressionen mit den korrespondierenden Aufnahmewerten als unabhängige Variable berechnet und die Residuen dieser Gleichung gespeichert. Diese Residuen sind ein Maß für die Abweichungen des Entlassungswerts von der vorhergesagten Besserung, wobei positive (inverse) Residuen eine überdurchschnittliche und negative (inverse) Residuen eine unterdurchschnittliche Veränderung anzeigen, und berücksichtigen die Symptomschwere zu Behandlungsbeginn. In dem zweiten Schritt wurden diese Residuen der jeweiligen Ergebnismaße als abhängige Variable sowie die Verweildauer und alle CTQ-Subskalen gleichzeitig nach der Einschlussmethode als unabhängige Variablen in Regressionsanalysen berücksichtigt. Die Analysen wurden für Frauen und Männer getrennt durchgeführt. Als Signifikanzniveau wurde ein p < 0,05 gefordert; als Konfidenzintervall galt 0,95 %.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 482 Patienten mit einem durchschnittlichen Alter von 31,8 Jahren (Standardabweichung [SD] ± 9,8 Jahre; Bereich 18 bis 60 Jahre) in die Studie eingeschlossen, von denen n = 396 Frauen (82,2 %) und n = 86 Männer (17,8 %) waren. Damit wurden insgesamt 50,1 % der Grundgesamtheit in die Analysen aufgenommen. Die Frauen waren durchschnittlich 31,5 Jahre (SD ± 9,7 Jahre) und die Männer 33,4 Jahre (SD ± 9,8 Jahre) alt. Hinsichtlich weiterer soziodemografischer Charakteristika ergaben sich keine signifikanten Geschlechtsunterschiede (Tab. 1). Nicht alle Patienten machten Angaben zur Wohnsituation, sodass sich die Daten nicht auf n = 482 ergänzten. Da alle für die in dieser Untersuchung geforderten Angaben vollständig vorlagen, ergaben sich für die Analysen keine „missings“.

Tab. 1 Soziodemografische und klinische Charakteristika der Untersuchungsstichprobe (n = 482) im Geschlechtervergleich

Aus Tab. 2 geht hervor, dass Frauen sich zu Behandlungsbeginn bezüglich depressiver und somatoformer Beschwerden signifikant stärker belastet einschätzten als Männer. Auch ihre BPS-spezifische Symptomatik in den Subskalen Selbstwahrnehmung, Affektregulation, Autoaggression und Depression sowie im Gesamtwert war ausgeprägter als die der Männer. Das Ausmaß von selbst berichtetem sexuellem und emotionalem Missbrauch war bei Frauen höher als bei Männern; keine Geschlechtsunterschiede fanden sich für körperlichen Missbrauch oder körperliche resp. emotionale Vernachlässigung.

Tab. 2 Vergleich von Psychopathologie (BDI-II, PHQ), Borderline-Symptomatik (BSL), gesundheitsbezogener Lebensqualität (SF-12) sowie Kindheitstraumata (CTQ) zu Behandlungsbeginn zwischen Frauen und Männern

In Tab. 3 wird gezeigt, dass die einzelnen Formen von Kindheitstraumatisierungen bei den Patientinnen zwar ganz überwiegend signifikant, aber numerisch eher gering zur Varianzaufklärung der Symptomschwere von Psychopathologie (BDI-II, PHQ), Borderline-Symptomatik (BSL) und gesundheitsbezogener Lebensqualität (SF-12) beitrugen (zwischen 2,5 % und 6,8 %). Bei den Patienten trugen die Skalen des CTQ nur vereinzelt signifikant zur Varianzaufklärung bei (PHQ‑9, PHQ-15, Intrusion der BSL sowie körperliche Gesundheit des SF-12). In der Teilstichprobe der Frauen mit BPS hatten weder sexueller noch körperlicher Missbrauch noch emotionale oder körperliche Vernachlässigung einen relevanten Einfluss auf die Symptomschwere; hingegen war emotionaler Missbrauch mit fast allen Dimensionen der Psychopathologie und Borderline-Symptomatik assoziiert (bis auf die Skala Autoaggression der BSL und dem SF-12). Die Effektstärken der Ergebnisse für die Frauen lagen im kleinen bis mittleren Bereich zwischen f = 0,16 und f = 0,27. Bei Männern bestand ein Zusammenhang von EV mit Depressivität und Ängstlichkeit (erfasst mit dem PHQ) sowie der körperlichen gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Für die Männer lagen die Effektstärken im kleinen bis starken Bereich zwischen f = 0,17 und f = 0,54, wobei die höchsten Effektstärken für die Skalen PHQ‑9, PHQ-15 und körperliche Gesundheit des SF-12 vorlagen.

Tab. 3 Einfluss von Kindheitstraumatisierungen (CTQ) auf Psychopathologie (BDI-II, PHQ), Borderline-Symptomatik (BSL) und gesundheitsbezogene Lebensqualität (SF-12) bei Aufnahme in der Gruppe der Frauen (n = 396) und Männer (n = 86)

Die mittlere Behandlungsdauer der Gesamtstichprobe betrug 61,5 Tage (SD ± 21,2 Tage), wobei Frauen 62,0 Tage (SD ± 21,1 Tage) und Männer 59,5 Tage (SD ± 21,7 Tage) behandelt wurden, ohne dass der Unterschied signifikant war (F = 0,959, p = 0,328). Es zeigten sich jedoch Behandlungsdauern zwischen wenigen Tagen und mehreren Wochen. Um einen möglichen Einfluss der Behandlungsdauer zu berücksichtigen, wurde diese bei den folgenden Analysen aufgenommen. Die differenziellen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Traumatisierungstypen und dem Behandlungsergebnis auf symptomatischer Ebene für die Bereiche Depressivität, Somatisierung, Ängstlichkeit, BPS-spezifische Symptomatik und gesundheitsbezogene Lebensqualität wurden differenziert nach Geschlechtern untersucht. Die Varianzaufklärungen waren niedrig bis moderat, aber nicht signifikant. Nur bei den Männern zeigte sich die Tendenz, dass emotionale Vernachlässigung ein Prädiktor für Somatisierung (PHQ) in vermuteter Richtung ist, d. h., je stärker emotionale Vernachlässigung in der Kindheit bei Aufnahme berichtet wurde, desto schlechter war das Therapieergebnis. Dennoch zeigte sich insgesamt, dass Kindheitstraumatisierungen weder bei Frauen noch bei Männern substanziellen Einfluss auf das Behandlungsergebnis hatten: Bei keinem Ergebnismaß trug der CTQ signifikant zur Varianzaufklärung bei (Daten nicht präsentiert).

Diskussion

Interpretation der Ergebnisse und Literaturvergleich

Die vorgestellten Ergebnisse ergänzen die bisher insgesamt überschaubare Studienlage zum Zusammenhang zwischen Kindheitstraumatisierungen und Symptomschwere sowie Behandlungsergebnis bei Patienten mit einer BPS (McFetridge et al. 2015; Euler et al. 2019; Fossati et al. 1999). Wie in anderen Untersuchungen mit BPS-Patienten sowie diagnostisch heterogenen Stichproben stationärer Psychotherapiepatienten (Spitzer et al. 2019a, 2019b) zeigten Patientinnen signifikant höhere Symptombelastungen bei Aufnahme in den Bereichen Depressivität, somatoforme Beschwerden, Selbstwahrnehmung, Affektregulation und Autoaggression. Während bei Patienten in stationärer Psychotherapie Kindheitstraumatisierungen bei Frauen bis zu 12 % und bei Männern bis zu 16 % der Varianz von Psychopathologie aufklären (Spitzer et al. 2019a), betrug die maximale Varianzaufklärung bei Frauen in dieser Studie 6,8 % für den Zusammenhang von Kindheitstraumatisierungen und Intrusionen. Bei Männern betrug die maximale Varianzaufklärung 22,5 % für den Zusammenhang von Kindheitstraumatisierungen und körperlicher Gesundheit sowie 17,3 % in Bezug auf Depressivität. Gleichwohl zeigte sich übereinstimmend mit der Literatur (Krause-Utz et al. 2019; Quenneville et al. 2020; Martín-Blanco et al. 2014; McFetridge et al. 2015), dass gerade emotionaler Missbrauch mit der Schwere der Autoaggression, Affektregulation und Psychopathologie von Frauen mit BPS assoziiert ist, während dies für andere Misshandlungsformen nicht zutrifft. Bei Männern fand sich dieser Zusammenhang nicht. Dieser Befund unterstreicht die Relevanz einer geschlechtsdifferenziellen Analyse der Auswirkungen von Kindheitstraumatisierungen (Thompson et al. 2004; Godbout et al. 2019; Spitzer et al. 2019a; 2019b).

Sowohl bei Patienten mit depressiven Störungen als auch bei diagnostisch heterogenen Patienten in stationärer Psychotherapie wirken sich Kindheitstraumatisierungen nachteilig auf das Behandlungsergebnis aus, wie von diversen Studien und Metaanalysen nahegelegt wird (Schilling et al. 2015; Nanni et al. 2012; Nelson et al. 2017). In der vorliegenden Studie zeigte sich dieser Effekt bei BPS-Patienten nicht, und eine andere Untersuchung fand gar, dass Patientinnen mit einer schweren BPS und einer Vorgeschichte sexuellen Missbrauchs einen größeren Rückgang ihrer Psychopathologie unter stationärer DBT aufwiesen als diejenigen ohne sexuellen Missbrauch in ihrer Anamnese (McFetridge et al. 2015). Kritisch ist jedoch anzumerken, dass in dieser Studie lediglich sexueller Missbrauch als Kindheitstrauma analysiert wurde, was nach aktuellen Standards als obsolet gilt, weil aversive Erfahrungen in Kindheit und Jugend nicht isoliert vorkommen und daher auch gemeinsam betrachtet werden müssen, um den Effekt einer einzelnen Traumatisierungsform nicht zu überschätzen (Cecil et al. 2017). Korrespondierend mit diesen Überlegungen zeichnete die Arbeitsgruppe um Euler et al. (2019) ein differenzierteres Bild: Während körperliche Vernachlässigung in Verbindung mit einer geringeren, emotionalen Vernachlässigung mit einem stärkeren Rückgang der depressiven Symptome einherging, hatte sexueller Missbrauch keinen Einfluss auf den Rückgang der depressiven Symptomatik bei 333 BPS-Patienten in ambulanter intensiver DBT über 4 Wochen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die bisherige Befundlage keine klaren Schlüsse über mögliche Auswirkungen von Kindheitstraumatisierungen auf das Behandlungsergebnis bei Patienten mit BPS erlaubt. Daher sind weitere Untersuchungen zu dieser Thematik erforderlich, die neben der DBT auch andere evidenzbasierten Therapien für die BPS (Euler et al. 2018) ebenso wie ambulante und teilstationäre Behandlungssettings berücksichtigen sollten.

Limitationen der Studie

Trotz einiger methodischer Stärken der vorliegenden Studie wie z. B. die bisher größte Fallzahl (n = 482) zu diesen Fragestellungen, die geschlechtsdifferenzielle Analyse und die Anwendung etablierter Instrumente sind auch einige kritische Aspekte zu diskutieren. So stellt die ausschließliche Fokussierung auf selbstberichtete Ergebnismaße eine methodische Schwäche dar. Auch die fehlende Berücksichtigung komorbider psychischer Störungen könnte möglicherweise zu einer Verzerrung der Befunde geführt haben, insbesondere weil geschlechtsdifferenzielle Komorbiditätsmuster bei der BPS bekannt sind (Tomko et al. 2014; Silberschmidt et al. 2015): Verschiedene Studien zeigen bei klinischen und nichtklinischen Populationen übereinstimmend, dass komorbide Essstörungen bei Frauen signifikant häufiger sind als bei Männern mit einer BPS, bei denen wiederum substanzbezogene Störungen deutlich häufiger vorkommen (Übersicht: Sansone und Sansone 2011). Da nur Patienten in die Analyse eingeschlossen wurden, die die stationäre DBT nach einer mindestens 6‑wöchigen Behandlung beendet haben, erlauben die vorgestellten Daten keine Aussagen darüber, ob Kindheitstraumatisierungen mit dem Phänomen des Therapieabbruchs im Zusammenhang stehen. Dazu berichten andere Studien, dass emotionaler Missbrauch eine wichtige Rolle spielen könnte (Euler et al. 2019).

Resümee

Jenseits dieser methodenkritischen Überlegungen bleibt festzuhalten, dass die vorliegenden Ergebnisse mit vielfältigen anderen Befunden dahingehend übereinstimmen, dass v. a. emotionaler Missbrauch die Schwere der Psychopathologie kodeterminiert (Übersichten bei Cecil et al. 2017; Nelson et al. 2017). Ein Zusammenhang von Kindheitstraumatisierungen und dem Behandlungsergebnis nach stationärer DBT konnte hingegen nicht gefunden werden.

Fazit für die Praxis

  • Während Kindheitstraumatisierungen in der Ätiopathogenese der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) eine prominente Rolle innerhalb der psychosozialen Risikofaktoren spielen, sind sie für die Ausprägung der allgemeinen und BPS-spezifischen Symptomatik weniger bedeutsam.

  • Lediglich bei Patientinnen war emotionaler Missbrauch mit der Intensität der Symptomatik assoziiert.

  • Weder Missbrauch noch Vernachlässigung wirkten sich auf das symptombezogene Behandlungsergebnis nach stationärer Dialektisch-Behavioraler Therapie (DBT) aus.