Körperliche Aktivität spielt eine bedeutende Rolle bei der Prävention und Therapie psychischer Erkrankungen. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass ein großer Teil der Menschen mit psychischen Erkrankungen die Empfehlungen bezüglich körperlicher Aktivität nicht erfüllt. Psychiater/ärztliche Psychotherapeuten spielen eine Schlüsselrolle dabei, ihre Patienten über positive Auswirkungen körperlicher Aktivität aufzuklären und körperliche Aktivität zu empfehlen. Diese Studie untersucht das Empfehlungsverhalten von Psychiatern/ärztlicher Psychotherapeuten sowie Einflussfaktoren darauf.

Hintergrund

Körperliche Aktivität kann eine wichtige Rolle in der Prävention und Therapie von psychischen Erkrankungen spielen (Ströhle 2019). Menschen, die regelmäßig körperlich aktiv sind, zeigen geringere Inzidenzen bezüglich zahlreicher psychischer Erkrankungen (Ströhle et al. 2007); insbesondere für die Depression wurde in einer neuen Metaanalyse robuste Evidenz nachgewiesen (Schuch et al. 2018). Neben der Prävention ist körperliche Aktivität auch bei der Behandlung psychischer Erkrankungen, wie Depression, Angststörungen und Schizophrenie, wirksam (Ashdown-Franks et al. 2019; Zschucke et al. 2013; Petzold et al. in press). Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt als gesundheitsförderliches Ausmaß körperlicher Aktivität für Erwachsene mindestens 150 min moderate oder 75 min intensive körperliche Aktivität in Einheiten von jeweils 10 min sowie zusätzliches Krafttraining an mindestens 2 Tagen. Trotz der zahlreichen positiven Effekte erfüllt nur etwa ein Drittel der Menschen mit psychischen Erkrankungen die Empfehlungen bezüglich gesundheitsförderlicher Aktivität, zudem belegen bisherige Studien mit psychischen erkrankten Menschen ein geringeres Ausmaß körperlicher Aktivität als in der Allgemeinbevölkerung (Kruisdijk et al. 2017; Petzold et al. 2017; Schuch et al. 2017).

Wie Menschen mit psychischen Erkrankungen darin unterstützt werden können, ihr Aktivitätsniveau zu steigern, stellt daher eine der wichtigsten Forschungsfragen im Bereich körperlicher Aktivität und psychischer Gesundheit dar (Vancampfort et al. 2016). Ein Großteil der existierenden Studien konzentriert sich auf Einzel- oder Gruppeninterventionen (Czosnek et al. 2018). Neben spezifischeren Interventionen spielt die allgemeine Beratung hinsichtlich körperlicher Aktivität durch die behandelnden Gesundheitsfachkräfte eine wichtige Rolle bezüglich der Förderung körperlicher Aktivität bei Menschen mit psychischen Erkrankungen. Bei der Förderung bzw. Beratung können Psychiater/ärztliche Psychotherapeuten auf wissenschaftlich fundierte Empfehlungen zurückgreifen (z. B. Haseler et al. 2019; American College of Sports Medicine 2019). In diesen wird meist zunächst zum Ansprechen der Patienten, zu nachfolgenden Erfassungen des Aktivitätsniveaus sowie der individuellen Patientenperspektive und zur Entwicklung einer individuellen Aktivitätsempfehlung geraten (Abb. 1).

Abb. 1
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Schema zur Empfehlung körperlicher Aktivität (Modifiziert nach: Haseler et al. 2019; American College of Sports Medicine 2019)

Empfehlungen und Ermutigungen hinsichtlich körperlicher Aktivität durch andere Menschen können dabei helfen, das eigene Aktivitätsniveau zu steigern. Zum Beispiel konnte in einer Studie von Bull und Jamrozik (1998) gezeigt werden, dass die ärztliche Beratung bezüglich körperlicher Aktivität inaktiven Patienten helfen kann, ihr Aktivitätsniveau zu steigern. In diesem Zusammenhang spielt die Vorbildfunktion der Behandler eine wichtige Rolle (Lobelo und Quevedo 2016). In einer Studie von Hash et al. (2003) wurde deutlich, dass Patienten dem Rat ihrer Ärzte mehr vertrauen, wenn diese das empfohlene Gesundheitsverhalten selbst ausüben. Zudem zeigte sich, dass Ärzte, denen ihr eigenes Gesundheitsverhalten wichtig ist, ihren Patienten mehr Empfehlungen zum Gesundheitsverhalten, wie z. B. zur körperliche Aktivität, erteilen (Binns et al. 2007).

Aufgrund der guten Wirksamkeit körperlicher Aktivität im Bereich der psychischen Gesundheit scheint es wichtig, dass Psychiater/ärztliche Psychotherapeuten ihre Patienten über die Vorteile körperlicher Aktivität aufklären. Eine aktuelle Übersichtsarbeit belegt, dass bei Gesundheitsfachkräften, die mit psychisch erkrankten Menschen arbeiten, zahlreiche Barrieren bezüglich der Empfehlung körperlicher Aktivität existieren (Glowacki et al. 2018). Als eines der häufigsten Hindernisse wurde die unzureichende Ausbildung der Gesundheitsfachkräfte hinsichtlich der Empfehlung körperlicher Aktivität identifiziert. Des Weiteren war ein Großteil der Gesundheitsfachkräfte überzeugt, dass die Betroffenen es nicht schaffen würden, die bei der Aufnahme körperlicher Aktivität bestehenden Schwierigkeiten zu überwinden. Die meisten Studien in diesem Bereich konzentrierten sich auf Pflegekräfte, die mit psychischen erkrankten Menschen arbeiten, und nur eine geringe Zahl von Studien untersuchte auch Psychiater/ärztliche Psychotherapeuten. Keine der Studien fokussierte explizit die letztere Gruppe (Glowacki et al. 2018). Bisherige Studienergebnisse verdeutlichen, dass neben anderen Faktoren insbesondere das eigene Aktivitätsverhalten der Behandler mit deren Empfehlungsverhalten assoziiert ist (Behandler, die aktiver sind, empfehlen häufiger körperliche Aktivität; Glowacki et al. 2018). Unabhängig von psychischen Erkrankungen wurde sich zudem festgestellt, dass die Selbstkonkordanz der Motivation, körperlich aktiv zu sein, eine wichtige Rolle bei der Aufnahme und Aufrechterhaltung körperlicher Aktivität spielt (Smith et al. 2007). Die Theorie der Selbstkonkordanz beschreibt zahlreiche Motive für menschliches Handeln, die auf einem Kontinuum der relativen Autonomie angeordnet werden (Ryan und Deci 2008). Die Selbstkonkordanz der Motivation drückt aus, inwiefern eine Intention die persönlichen Interessen und Werte eines Menschen widerspiegelt (Seelig und Fuchs 2006). Es werden folgende Formen unterschieden: intrinsische („Ich mache Sport, weil es mir Spaß macht“), identifizierte („… weil es mir gut tut“), extrinsische („… weil ich sonst Probleme mit anderen Leuten bekomme“) und introjizierte („… weil ich dann ein schlechtes Gewissen habe“) Selbstkonkordanz der Motivation (Seelig und Fuchs 2006). Menschen, die intrinsisch motiviert sind, schaffen es mit höherer Wahrscheinlichkeit, ihr Niveau körperlicher Aktivität zu halten, als Menschen, die extrinsisch motiviert sind (Seelig und Fuchs 2006). Aus dem Konzept der Selbstkonkordanz können zudem wichtige Ansatzpunkte für die Beratung von Menschen hinsichtlich ihrer körperlichen Aktivität abgeleitet werden. So postuliert die Theorie die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse der Autonomie, Kompetenz und Verbundenheit, die bei der Gestaltung psychologischer Interventionen berücksichtigt werden sollten, und beschreibt, wie ein autonomiefördernder Motivationsstil sich positiv auf die Effekte von Gesundheitsinterventionen auswirken kann (Ryan und Deci 2008). Gemäß dem Wissen der Autoren des vorliegenden Beitrags wurde der Einfluss der Selbstkonkordanz auf das Empfehlungsverhalten körperlicher Aktivität bisher nicht wissenschaftlich untersucht.

Ziel der Arbeit

Das Empfehlungsverhalten bezüglich körperlicher Aktivität von Psychiatern/ärztlichen Psychotherapeuten in Deutschland sowie der Einfluss des eignen Aktivitätsverhaltens und der Selbstkonkordanz der Motivation, körperlich aktiv zu sein, sollten untersucht werden. Die Hypothese war, dass sowohl das eigene Aktivitätsverhalten als auch die Selbstkonkordanz positiv mit dem Empfehlungsverhalten korrelieren.

Material und Methode

Stichprobe und Durchführung

Alle Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie in Deutschland wurden per E‑Mail angeschrieben und gebeten, ihren Kollegen den Onlinefragebogen über die E‑Mail-Verteiler weiterzuleiten. Eine Erinnerung-E-Mail wurde 3 Wochen nach der initialen E‑Mail gesendet. Die Teilnehmer wurden gebeten, einen Onlinefragebogen auszufüllen. Sechs Lehrstuhlinhaber antworteten und sendeten den Fragebogen über Verteiler an insgesamt etwa 300 Psychiater/ärztliche Psychotherapeuten. Die Teilnahme war freiwillig, und es erfolgte keine finanzielle Vergütung.

Untersuchungsverfahren

Der Fragebogen umfasste die Angabe zu soziodemografischen Daten (Alter, Geschlecht und Beschäftigungsstatus) der Teilnehmer. Zudem wurden körperliche Aktivität und die subjektive Einschätzung der Bedeutsamkeit körperlicher Aktivität mithilfe von Fragen aus dem Global Physical Activity Questionnaire (Bull et al. 2009) untersucht. Die subjektive Bedeutsamkeit wurde mit der Frage „Wie wichtig ist körperliche Aktivität für Sie in Ihrem Alltag?“ gemessen. Die möglichen Antworten reichten von 1 (nicht wichtig) bis 4 (sehr wichtig). Das Aktivitätsniveau wurde erfasst, indem nach dem Ausmaß körperlicher Aktivität pro Woche gefragt wurde. Beispielsweise lauteten die Fragen: „An wie vielen Tagen betreiben Sie moderat-intensiv Sport, Fitness oder Freizeitaktivitäten?“ und „Wie viel Zeit verbringen Sie an einem typischen Tag mit moderat-intensivem Sport, Fitness oder Freizeitaktivitäten?“ Um die Intensität verschiedener Aktivitätsarten zu vergleichen, wurde das metabolische Äquivalent der Aktivitäten („metabolic equivalent of task“, MET) in Anlehnung an frühere Studien berechnet (Garber et al. 2011). Die Selbstkonkordanz der Motivation, körperlich aktiv zu sein, wurde mithilfe der Skala zur Messung der Sport- und Bewegungsbezogenen Selbstkonkordanz (Seelig und Fuchs 2006) erfasst. Zudem wurde das Empfehlungsverhalten der Psychiater/ärztlichen Psychotherapeuten mit der Frage: „Wie oft empfehlen Sie Ihren Patienten körperliche Aktivität?“ ermittelt. Mögliche Antworten auf einer Skala reichten von 1 („keinem meiner Patienten“) bis 4 („allen meinen Patienten“).

Datenanalyse

Der Anteil fehlender Werte variierte zwischen 0 und 3,3 %, wobei der Mittelwert 2,0 % betrug. Die Ersetzung fehlender Werte erfolgte mithilfe der „multiple imputation“. Diese wurde auf Itembasis durchgeführt. Alle Analysen wurden mit SPSS Statistics 24 anhand der imputierten Datensätze (n = 151) berechnet. Die berichteten Ergebnisse sind gemittelte Werte eines Sets von 5 Imputationen. Deskriptive Statistiken wurden zur Analyse der sozidemografischen Variablen und der Analyse des Aktivitätsniveaus der Teilnehmer angewendet. Um Zusammenhänge zwischen den erhobenen Variablen herzustellen, wurden Pearson- und Spearman-Korrelationen berechnet. Das α‑Level wurde auf 0,05 festgesetzt (zweiseitig). Aufgrund des eher explorativ-orientierenden Charakters der Studie wurde keine Bonferroni-Korrektur der Signifikanzwerte vorgenommen.

Ergebnisse

Stichprobe

Insgesamt beantworteten 151 Personen den Fragebogen. Die Antwortrate betrug damit etwa 50 %. Das durchschnittliche Alter der Teilnehmer betrug 32,5 Jahre (Standardabweichung [SD] ± 5,6 Jahre). Von den Teilnehmern waren 47,0 % (n = 71) weiblich, 52,4 % (n = 79) männlich, und 0,7 % (n = 1) machten keine Angaben hinsichtlich des Geschlechts. Es waren 53,0 % (n = 80) Assistenzärzte/in Psychotherapieweiterbildung, 33,1 % (n = 50) waren Fachärzte für Psychiatrie/ärztliche Psychotherapeuten, 8,6 % (n = 13) waren Klinikdirektoren, und 5,3 % (n = 8) teilten mit, in einer anderen Position zu arbeiten.

Deskriptive Ergebnisse

Die meisten Teilnehmer gaben an, dass körperliche Aktivität ihnen wichtig (48,3 %, n = 73) oder sehr wichtig 16,6 % (n = 19) ist. Etwa ein Drittel der Teilnehmer hielt körperliche Aktivität für weniger wichtig (33,1 %, n = 50) oder nicht wichtig (5,3 %, n = 8). Die Mehrheit der Psychiater/ärztlichen Psychotherapeuten erklärte, körperliche Aktivität einigen ihrer Patienten zu empfehlen (54,3 %, n = 82), etwa ein Drittel sogar allen Patienten (33,8 %, n = 51). Körperliche Aktivität nur wenigen Patienten zu empfehlen, gaben 11,3 % (n=17) an; keiner der Teilnehmer berichtete, körperliche Aktivität keinem seiner Patienten zu empfehlen (Abb. 2).

Abb. 2
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Empfehlungsverhalten (a) und eigenes Aktivitätsniveau (b) der Psychiater/ärztlichen Psychotherapeuten

Die Teilnehmer erklärten, durchschnittlich 223,2 min moderate bis intensive körperliche Aktivität („moderate-to-vigorous physical activity“, MVPA) pro Woche zu betreiben (SD ± 96,5 min). Der Mittelwert der intensiven Aktivität pro Woche betrug 79,9 min (SD ± 96,5 min), der Mittelwert der moderaten Aktivität pro Woche 143,31 min (SD ± 129,9 min). Dies entspricht einem mittleren Verbrauch von 1212,0 MET/Woche. Etwa zwei Drittel der Teilnehmer (63,6 %, n = 96) erreichten die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation und betrieben mindestens 150 min moderate bis intensive körperlicher Aktivität/Woche (Abb. 1). Etwa die Hälfte der Teilnehmer war mindestens 5‑mal/Woche 30 min moderat bis intensiv körperlich aktiv (47,7 %, n = 72).

Zusammenhänge mit dem Empfehlungsverhalten

Die Interkorrelationen zwischen Empfehlungsverhalten, körperlicher Aktivität, subjektiver Bedeutsamkeit körperlicher Aktivität und Selbstkonkordanz sind in Tab. 1 aufgeführt.

Tab. 1 Korrelationen (nach Spearman) der erhobenen Variablen

Es fanden sich signifikante positive Korrelationen zwischen dem Empfehlungsverhalten, der subjektiven Bedeutsamkeit körperlicher Aktivität und der Selbstkonkordanz, nicht jedoch mit dem Ausmaß körperlicher Aktivität, das die Psychiater/ärztlichen Psychotherapeuten selbst betrieben. Bezüglich der einzelnen Subskalen der Selbstkonkordanz ergaben sich positive Korrelationen der intrinsischen und identifizierten, nicht jedoch introjizierten oder extrinsischem Motivation mit dem Empfehlungsverhalten. Zudem zeigten sich signifikante Korrelationen zwischen der subjektiven Bedeutsamkeit körperlicher Aktivität und dem eigenen Aktivitätsverhalten sowie der Selbstkonkordanz der Motivation. Neben dem Empfehlungsverhalten und der subjektiven Bedeutsamkeit körperlicher Aktivität war auch die Selbstkonkordanz positiv mit dem Aktivitätsniveau korreliert.

Diskussion

Interpretation der Studienergebnisse

Die vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass die Mehrheit der Psychiater/ärztlichen Psychotherapeuten angibt, einigen ihrer Patienten körperliche Aktivität zu empfehlen. Ein gutes Drittel empfiehlt sie sogar allen Patienten. Nur eine kleine Gruppe von Psychiatern/ärztlichen Psychotherapeuten teilt mit, nur wenigen Patienten körperliche Aktivitäten zu empfehlen. In Anbetracht der zahlreichen positiven Effekte auf die psychische Gesundheit und bezogen auf die Tatsache, dass niemand angab, keine körperliche Aktivität zu empfehlen, ist dieses Ergebnis ermutigend. Dennoch existiert eine Gruppe von Psychiatern/ärztlichen Psychotherapeuten, die nur wenigen Patienten körperliche Aktivität empfiehlt. Vor dem Hintergrund der wachsenden Evidenz dafür, dass körperliche Aktivität bei der Behandlung von nahezu allen psychischen Erkrankungen hilfreich sein kann (Ströhle 2019), ist die Empfehlung zu körperlicher Aktivität bei einem sehr großen Teil der Patienten wertvoll. Die Psychiater/ärztliche Psychotherapeuten betreiben insgesamt ein ähnliches Ausmaß an körperlicher Aktivität wie die Allgemeinbevölkerung (Bertheussen et al. 2011). Bezüglich des Empfehlungsverhaltens wurde keine Korrelation mit dem eigenen Aktivitätsniveau festgestellt. Dieses Ergebnis weicht von den Erkenntnissen früherer Studien ab (Glowacki et al. 2018) und widerspricht der oben genannten Hypothese. Eine mögliche Erklärung für die Zusammenhänge zwischen körperlicher Aktivität und dem Empfehlungsverhalten in früheren Studien könnte der Einfluss der Motivation auf beide dieser Faktoren sein, sodass dieser gemeinsame Einflussfaktor zu einer Korrelation der Variablen führt. Zur detaillierteren Untersuchung der Zusammenhänge zwischen diesen Variablen scheinen weitere Studien notwendig, wobei auch eine ausführlichere Erfassung körperlicher Aktivität empfohlen wird. Die Vorbildfunktion von Ärzten wurde zuvor in 2 Studien (Frank et al. 2013 und Hash et al. 2003) untersucht. Beide Studien kamen zu dem Ergebnis, dass Ärzte umso häufiger körperliche Aktivität empfehlen, je mehr sie selbst körperlich aktiv sind. Eine weitere Studie von Stanton et al. (2015) konnte jedoch, ebenso wie die vorliegende, keinen Zusammenhang feststellen. Im Kontrast zu der Studie von Hash et al. (2003) untersuchten die vorliegende Studie und die Studie von Stanton et al. (2015) keine Zusammenhänge mit der Akzeptanz der Empfehlungen durch die Patienten. Zudem fand keine Prüfung, inwiefern die Patienten den Empfehlungen tatsächlich Folge leisten, statt. Eine ausführlichere Erfassung der Perspektive der Patienten und der Adhärenz bezüglich der Empfehlungen könnte zu einer differenzierteren Darstellung und einem tieferen Verständnis der Thematik führen.

Hingegen wurde in der vorliegenden Studie eine positive Korrelation zwischen intrinsischer Motivation, körperlich aktiv zu sein, und dem Empfehlungsverhalten gefunden, was der oben genannten Hypothese entsprach. Dieses Ergebnis kann darauf hindeuten, dass die Selbstkonkordanz der Motivation, körperlich aktiv zu sein, eine größere Rolle spielt als das Ausmaß der selbst betriebenen körperlichen Aktivität. Für ein weitergehendes Verständnis der Zusammenhänge sind jedoch weitere Studien, insbesondere in Form einer differenzierteren Erfassung des Empfehlungsverhaltens in Kombination mit dem eigenen Aktivitätsniveau und der Selbstkonkordanz notwendig, bei denen das Zusammenspiel dieser Variablen beispielsweise mithilfe von Pfadanalysen untersucht wird.

Teilnehmer, die zwar häufig körperlich aktiv, gleichzeitig jedoch extrinsisch motiviert waren, empfahlen weniger häufig körperliche Aktivität als Teilnehmer, die zwar weniger körperlich aktiv, dafür jedoch intrinsisch motiviert waren. Basierend auf diesen Ergebnissen sollten zukünftige Studien die Rolle der Selbstkonkordanz bezüglich körperlicher Aktivität als wichtigen Einflussfaktor weiteruntersuchen, und die Art der Motivation sollte als wichtiger vermittelnder Faktor bzw. Barriere betrachtet werden. Eine Schlussfolgerung aus den vorliegenden Ergebnissen könnte daher sein, dass Interventionen, die das Empfehlungsverhalten körperlicher Aktivität bei Psychiatern/ärztlichen Psychotherapeuten fördern sollen, sich insbesondere auf die Selbstkonkordanz der Motivation, körperlich aktiv zu sein, konzentrieren sollten. Diesem Konzept folgend könnten Psychiatern/ärztlichen Psychotherapeuten verschiedene Arten körperlicher Aktivität nähergebracht werden. Der Ansatz, den Fokus dabei auf Spiel, Spaß und Wohlbefinden zu legen (was die intrinsische Motivation fördert), könnte sich als vielversprechender erweisen als die reine Information über die potenziellen Vorteile körperlicher Aktivität (was die extrinsische Motivation verstärken könnte). Gleichzeitig handelt es sich bei der Selbstkonkordanz der Motivation um ein Kontinuum, wobei als Startpunkt zunächst extrinsische Motivationen hilfreich sein können, um in Aktion zu kommen, woraufhin über Prozesse u. a. der Introjektion die Selbstkonkordanz der Motivation erhöht werden kann. Wie erwartet, bestehen positive Korrelationen zwischen der Selbstkonkordanz der Motivation, körperlich aktiv zu sein, und dem Aktivitätsniveau sowie der subjektiven Bewertung der Bedeutsamkeit körperlicher Aktivität. Vorangegangene Studien konnten zeigen, dass eine intrinsische Motivation der wichtigste Faktor ist, um körperliche Aktivität aufrechtzuerhalten (Lippke und Vögele 2006). Intrinsisch motiviert zu sein, könnte dazu führen, dass körperlicher Aktivität eine größere subjektive Bedeutsamkeit beigemessen und mehr körperliche Aktivität betrieben wird. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit den Erkenntnissen von Koestner et al. (2002), dass Menschen, die ein Ziel aufgrund ihrer persönlichen Interessen erreichen wollen, eher erfolgreich sind. Außer den in dieser Untersuchung fokussierten motivationalen Faktoren, die insbesondere bei der Intentionsbildung bedeutsam sind, spielen auch volitionale Faktoren hinsichtlich der Aufnahme und Aufrechterhaltung körperlicher Aktivität eine wichtige Rolle. Diese fokussieren Prozesse der Selbstregulation und Selbststeuerung, die bei der Umsetzung der gebildeten Intentionen in tatsächliche Handlungen relevant sind (Fuchs 2013). Abgesehen von der reinen Empfehlung scheinen aus dieser Perspektive insbesondere die durch Psychiater/ärztliche Psychotherapeuten idealerweise zu vermittelnden Strategien der konkreten Handlungsplanung und des Barrieremanagements von Interesse. Eine Erfassung der Vermittlung derartiger Strategien wird daher für zukünftige Studien dringend empfohlen.

Stärken der Studie

Die vorliegende Studie ist nach Wissen der Autoren die erste Studie, die das Empfehlungsverhalten körperlicher Aktivität bei Psychiatern/ärztlichen Psychotherapeuten untersucht und die weltweit erste Studie, die Zusammenhänge mit der Selbstkonkordanz herstellt. Die Stichprobe aus 151 Psychiatern/ärztlichen Psychotherapeuten ist begrenzt, im Vergleich zu vorherigen Studien jedoch relativ groß. Zudem ist die Zielpopulation klarer spezifiziert als in Studien, in denen zahlreiche unterschiedliche Berufsgruppen gemeinsam untersucht wurden (Glowacki et al. 2018).

Limitationen der Studie

Dennoch sind folgende wichtige Limitationen zu beachten. Erstens ist es möglich, dass Psychiater/ärztliche Psychotherapeuten, die körperlich aktiver oder an dem Thema besonders interessiert sind, mit höherer Wahrscheinlichkeit gewillt waren, den Fragebogen auszufüllen. Dies könnte zu einem Stichprobenfehler mit einer Überschätzung des Empfehlungsverhaltens geführt haben. Bezüglich der Repräsentativität der Stichprobe wurden die Alters- und die Geschlechtsverteilung mit den Daten der Bundesärztekammer verglichen. In der Stichprobe der vorliegenden Untersuchung lag eine Geschlechtsverteilung vor (47,00 % Frauen; 52,70 % Männer), die sich leicht von der aller Psychiater/ärztlichen Psychotherapeuten in Deutschland (53,53 % Frauen; 46,47 % Männer) unterschied. Der größte Anteil der Teilnehmer gab an, unter 34 Jahre alt zu sein, wohingegen der größte Anteil der Psychiater/ärztlichen Psychotherapeuten der offiziellen Statistik nach zwischen 50 und 59 Jahren alt ist. Das jüngere Alter der an der vorliegenden Studie Teilnehmenden könnte durch die Verwendung des Onlinefragebogens erklärt werden. Jüngere Generationen könnten häufiger auf Mailing-Listen vertreten sein und eine höhere Affinität zu Onlinediensten haben, sodass ältere, insbesondere niedergelassene Psychiater/ärztliche Psychotherapeuten nur unzureichend erreicht worden sein könnten. Daher könnte die Repräsentativität dieser Studie auf eher junge Psychiater/ärztliche Psychotherapeuten in stationären Settings beschränkt sein.

Zudem wurde das Empfehlungsverhalten lediglich mithilfe einer einzigen Frage erfasst, um den Fragebogen kurz zu halten. So wurde das genaue Ausmaß, das die Psychiater/ärztlichen Psychotherapeuten empfehlen, z. B. hinsichtlich der Häufigkeit, der Intensität und der Art körperlicher Aktivität, nicht ermittelt. Auch bezüglich des Anteils der Patienten, denen die Psychiater/ärztlichen Psychotherapeuten körperliche Aktivität empfehlen, fand lediglich eine grobe Differenzierung statt („keine“, „wenige“, „einige“, „alle“). Für zukünftige Studien wäre diesbezüglich eine differenziertere Einschätzung, z. B. über Prozentwerte, wünschenswert. Eine ausführlichere Untersuchung des Empfehlungsverhaltens, beispielsweise mithilfe des zwischenzeitlich entwickelten „Exercise in Mental Illness Questionnaire“ (Stanton et al. 2014) wird für zukünftige Studien dringend empfohlen. Eine weitere Limitation stellt die Erfassung lediglich durch Selbstberichte dar. Der Einsatz objektiver Messverfahren, z. B. von Akzelerometern, könnte die Zuverlässigkeit der Ergebnisse steigern. Zudem wurde ein sehr kurzes Messverfahren zur Erfassung körperlicher Aktivität angewendet. Für zukünftige Studien empfiehlt sich die Nutzung ausführlicherer Fragebogen, beispielsweise des neu entwickelten Simple Physical Activity Questionnaire (SIMPAQ) (Rosenbaum et al. 2020). Weiterhin wurde nicht untersucht, inwiefern die Psychiater/ärztlichen Psychotherapeuten körperliche Aktivität wie angegeben tatsächlich empfahlen, oder ob die Patienten den Empfehlungen Folge leisteten. Rückmeldungen von Patienten einzuholen, könnte diese Limitationen reduzieren. Diese und die zuvor genannten Einschränkungen sollten bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden.

Ausblick

Die vorliegende Studie ist die erste wissenschaftliche Untersuchung, die das Empfehlungsverhalten körperlicher Aktivität bei Psychiatern/ärztlichen Psychotherapeuten in Deutschland untersucht. Sie zeigt, dass die Mehrheit der Psychiater/ärztlichen Psychotherapeuten körperliche Aktivität einigen ihrer Patienten empfiehlt, wenngleich dies nur bei knapp einem Drittel für alle Patienten der Fall ist. Die Studie liefert zudem Hinweise, dass die intrinsische Motivation eine wichtige Rolle gleichermaßen für die Empfehlung als auch für das eigene Aktivitätsniveau der Psychiater/ärztlichen Psychotherapeuten, spielt. Intrinsisch zu körperlicher Aktivität motiviert zu sein, führt eher dazu, dass auch Patienten körperliche Aktivität empfohlen wird.

Bei der Entwicklung von Interventionsprogrammen bzw. Weiterbildungsveranstaltungen zur Empfehlung körperlicher Aktivität für Psychiater/ärztliche Psychotherapeuten sollten motivationale Faktoren Berücksichtigung finden. Dabei sollte nicht nur die reine Informationsvermittlung im Vordergrund stehen, sondern auch die Selbstkonkordanz der eigenen Motivation adressiert werden, was neben motivationalen Interventionen durch sportliche Selbsterfahrung denkbar wäre.

Fazit für die Praxis

  • Körperliche Aktivität ist eine wirksame Therapie bei zahlreichen psychischen Erkrankungen.

  • Psychiater/ärztliche Psychotherapeuten sollten ihre Patienten hinsichtlich körperlicher Aktivität beraten.

  • Eine große Mehrheit der Psychiater/ärztlichen Psychotherapeuten gibt an, ihren Patienten körperliche Aktivität zu empfehlen, wenngleich dies lediglich bei etwa einem Drittel für alle Patienten zutrifft.

  • Psychiater/ärztliche Psychotherapeuten, die bezüglich ihrer körperlichen Aktivität intrinsisch motiviert sind, empfehlen diese ggf. eher.

  • Das eigene Aktivitätsniveau hatte keinen Einfluss auf das Empfehlungsverhalten.