Die körperdysmorphe Störung (KDS) geht oft mit einer geringen bis fehlenden Störungseinsicht einher. Folglich begeben sich viele Betroffene nicht in psychologische oder psychiatrische Behandlungen, sondern beanspruchen nichtpsychologische Behandlungen wie ästhetisch-plastische Verfahren. Im vorliegenden Beitrag wird die Einsicht bei der KDS mit der Einsicht bei der Zwangsstörung (ZS) und sozialen Angststörung (SAS) verglichen.

Grundlagen

Die KDS zeichnet sich durch übermäßige Beschäftigung mit wahrgenommenen Makeln im eigenen Aussehen aus, deren Einschätzung andere Menschen nicht in diesem Ausmaß oder gar nicht teilen (American Psychiatric Association [APA] 2013). Betroffene sorgen sich meistens um einen oder mehrere Aspekte des Gesichts- oder Kopfbereichs (z. B. Größe der Nase, Haut oder Haare); es können jedoch auch andere Körperregionen, wie z. B. der allgemeine Körperbau oder der Intimbereich, im Fokus stehen. Als Bewältigungsversuch werden repetitive Handlungen ausgeführt, z. B. Pflegerituale, Rückversicherungen, Vergleichen des eigenen Aussehens mit dem anderer (z. B. bei Treffen, über soziale Medien oder in Filmen) und das Überprüfen des eigenen Aussehens auf Fotos oder in reflektierenden Oberflächen (z. B. Spiegel, Schaufenster). Die Beschäftigung mit dem Aussehen ist mit deutlichem Leiden oder Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Lebensbereichen (APA 2013) sowie erhöhter Suizidalität (Angelakis et al. 2016) verbunden.

Die KDS ist mit einer Punktprävalenz von 1,9 % bei Erwachsenen und 2,2 % bei Jugendlichen eine vergleichsweise häufige Erkrankung (Veale et al. 2016). Dennoch werden nur wenige Betroffene entsprechend diagnostiziert und erhalten eine adäquate psychotherapeutische oder psychopharmakologische Behandlung (Buhlmann 2011; Marques et al. 2010). Stattdessen werden häufig medizinische oder kosmetische Behandlungen in Anspruch genommen. Tatsächlich berichten bis zu 76,4 % der Betroffenen, sich zunächst an nichtpsychologische bzw. nichtpsychiatrische Behandler zu wenden (Phillips et al. 2001). Während die KDS-Prävalenz auf 5,8 % in ambulanten und 7,4 % in stationären psychotherapeutischen bzw. psychiatrischen Behandlungsangeboten geschätzt wird, beträgt sie 13,2 % bei Patienten in der plastischen Chirurgie und 11,3 % bei Patienten in Hautarztpraxen (Veale et al. 2016). Kosmetische Maßnahmen zur Veränderung der wahrgenommenen Makel führen jedoch in der Regel nicht zur Verbesserung, sondern oftmals sogar zur Verschlechterung der Symptomatik (Bowyer et al. 2016).

Die Gründe für die niedrigen Erkennungsraten und das mangelnde Hilfesuchverhalten sind vielschichtig. Einerseits stellt die KDS noch immer ein in den Medien unterrepräsentiertes und somit relativ unbekanntes Störungsbild dar. Folglich wissen viele Betroffene nicht, dass sie eine diagnostizier- und behandelbare psychische Störung haben, und berichten nicht von ihren Beschwerden. Hinzu kommt starke Scham bezüglich ihrer Sorgen, die eine Thematisierung zusätzlich erschwert. Darüber hinaus geht die KDS oftmals mit geringer bis fehlender Störungseinsicht einher, d. h., viele Betroffene sind mehr oder weniger davon überzeugt, dass der im Aussehen wahrgenommene Makel tatsächlich physisch vorliegt (Phillips 2004) und ihnen demnach auch nur mit medizinischen oder kosmetischen Behandlungen geholfen werden kann (Buhlmann 2011).

Da die fehlende Störungseinsicht ein derart hervorstechendes Symptom der KDS ist, wurde sie seit der Aufnahme der KDS in die dritte revidierte Version des Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen (DSM-III‑R; APA 1987) als wahnhafte Störung mit körperbezogenem Wahn berücksichtigt und zusätzlich zur KDS vergeben. Mittlerweile zeigt eine breite Befundlage, dass sich wahnhafte und nicht wahnhafte Betroffene hinsichtlich der meisten demografischen und klinischen Merkmale nicht unterscheiden (Phillips et al. 2014). Zudem wird im Rahmen klinischer Beobachtungen angenommen, dass die Einsicht im Störungsverlauf entlang eines Kontinuums variiert (Phillips 2004). Seit dem jüngst eingeführten Spezifizierungskriterium zur Einsicht im DSM‑5 (APA 2013) sollte die Diagnose einer wahnhaften Störung bei körperdysmorphen Überzeugungen daher nicht mehr gestellt, sondern der Grad der Einsicht bei Vergabe der KDS als „gut oder angemessen“, „wenig“ oder „fehlend/mit wahnhaften Überzeugungen“ bestimmt werden. Berichtet ein Patient demnach beispielsweise, vollständig und starr davon überzeugt zu sein, körperlich entstellt zu sein, weist darüber hinaus jedoch keine psychotischen Merkmale auf, spricht dies für eine Störung mit fehlender Einsicht. Ein ähnliches Vorgehen ist für die ausstehende 11. Version der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme geplant (ICD-11; World Health Organization 2018).

Auch bei Menschen mit ZS können störungsspezifische Überzeugungen einen rigiden Charakter annehmen (APA 2013). Die wenigen bisher vorliegenden Vergleichsstudien bezüglich der Einsicht zwischen KDS und ZS zeigen, dass bei Menschen mit KDS eine vergleichsweise schlechtere Einsicht besteht. Phillips et al. (2012) zeigten, dass von 211 Personen mit ZS 2,4 % als wahnhaft und 28,9 % mit exzellenter Einsicht eingeordnet werden konnten, während bei 68 Personen mit KDS das gegenläufige Muster vorlag, d. h. bei 2,9 % der Betroffenen die Einsicht exzellent und bei 32 % fehlend war. In einer Studie von Toh et al. (2017) wiesen Patienten mit KDS (n = 27) und einer psychotischen Störung (n = 20) eine signifikant niedrigere Einsicht auf als Patienten mit ZS (n = 19) und eine nichtklinische Vergleichsgruppe (n = 42). Insgesamt illustrieren die Studien hinsichtlich der Störungseinsicht deutliche Unterschiede zwischen der KDS und ZS, trotz deren gemeinsamer diagnostischer Einordnung unter den Zwangsspektrumstörungen.

Einsicht erscheint auch innerhalb der von SAS Betroffenen besonders interessant, v. a., da im DSM‑5 die Einsicht in die Übermäßigkeit der Angst kein diagnostisches Kriterium der SAS mehr darstellt (APA 2013). Auch im klinischen Bild überschneidet sich die SAS mit eben den Störungen, die durch unterschiedliche Einsichtsgrade gekennzeichnet sind. So zeigen KDS und SAS Gemeinsamkeiten bezüglich des Störungsverlaufs sowie der Tendenz der Betroffenen, sozialen Situationen und Bewertungsängsten durch Sicherheitsverhaltensweisen zu begegnen oder zu vermeiden (Grocholewski et al. 2013). Die SAS überlappt mit der ZS bezüglich ausgeprägter Angst vor jeweils störungsspezifischen Stimuli; beide Störungen insgesamt sind hochkomorbid (Abramowitz und Deacon 2005). In der einzigen den Autoren des vorliegenden Beitrags bekannten Studie, in der die Einsicht der Teilnehmenden bei vorliegender SAS systematisch untersucht wurde, zeigte sich im Mittel eine nur ausreichende Einsicht in die sozialängstlichen Grundüberzeugungen (Vigne et al. 2014). Trotz der phänomenologischen Nähe dieser Störungen existiert darüber hinaus keine Studie, die dieses Merkmal vergleichend bei KDS, SAS und ZS betrachtet.

Die störungsübergreifende Untersuchung der Einsicht erscheint für die Behandlungsrationale der genannten Störungen relevant. Ihr Grad wird sowohl bei Menschen mit KDS (Greenberg et al. 2019; Phillips et al. 2002) als auch mit ZS (Catapano et al. 2010) und SAS (Vigne et al. 2014) als Prädiktor für ein geringeres Ansprechen auf psychotherapeutische und psychopharmakologische Behandlung diskutiert. Unabhängig von der vorliegenden Störung sind Behandler bei Patienten mit geringer Einsicht vor Behandlungsbeginn und während des Therapieprozesses gefordert, den Überzeugungen adäquat therapeutisch zu begegnen.

Ziel der Arbeit

Die vorliegende Studie hat zum Ziel, erstmals den Grad der Störungseinsicht und ihrer relevanten Dimensionen, z. B. Überzeugungsstärke und Beziehungsideen, zwischen KDS, ZS und SAS zu vergleichen. Es wird angenommen, dass Betroffene mit KDS eine signifikant geringere Einsicht aufweisen als Betroffene mit ZS und SAS. Die Ergebnisse bieten wichtige Implikationen für die klinische Einschätzung der störungsspezifischen Überzeugungen und deren Behandlung.

Material und Methode

Stichprobe

Rekrutierung der Teilnehmer

Die Rekrutierung erfolgte über öffentliche Aushänge im Großraum Berlin. Das Projekt erhielt ein positives Votum der lokalen Ethikkommission. Allgemeine Ausschlusskriterien waren eine frühere oder aktuelle psychotische Störung sowie eine frühere oder aktuelle Diagnose der jeweils anderen primären Störungen. Alle Diagnosen psychischer Störungen wurden durch das Strukturierte Klinische Interview für DSM-IV (SKID; Wittchen et al. 1997) erfasst.

Teilnehmende mit körperdysmorpher Störung

Die KDS-Gruppe bestand aus 36 Personen mit einer aktuellen KDS-Diagnose. Die Symptomschwere der KDS wurde mithilfe der Modifikation der Yale Brown Obsessive-Compulsive Scale für KDS (BDD-YBOCS; Stangier et al. 2000), einem aus 12 Items bestehenden Fremdbeurteilungsinstrument in Bezug auf die letzte Woche, erfasst. Die interne Konsistenz innerhalb der vorliegenden Gruppe war gut (Cronbachs α = 0,77). Die BDD-YBOCS wies auf eine moderat bis schwer ausgeprägte Symptomatik hin (Tab. 1). Neben der KDS als primäre Diagnose (basierend auf der aktuellen Symptomschwere) lagen folgende aktuelle Komorbiditäten vor: Major Depression (n = 15), spezifische Phobie (n = 12), Dysthymie (n = 4), Alkoholabhängigkeit (n = 3), posttraumatische Belastungsstörung (n = 3), Alkoholmissbrauch (n = 2), Abhängigkeit von anderen Substanzen (n = 2) und hypochondrische Störung, Störung mit Essanfällen, Panikstörung ohne Agoraphobie, Panikstörung mit Agoraphobie, Bipolar-I-Störung (jeweils n = 1).

Tab. 1 Demografische und klinische Merkmale der Stichproben

Teilnehmende mit Zwangsstörung

Die ZS-Gruppe bestand aus 38 Personen mit der aktuellen Diagnose einer ZS. Der Symptomschweregrad der ZS wurde mithilfe der Yale Brown Obsessive-Compulsive Scale (YBOCS; Hand und Büttner-Westphal 1991) erfasst. Die YBOCS ist ein halbstrukturiertes Fremdbeurteilungsinstrument, das die Symptomschwere der ZS innerhalb der letzten Woche mithilfe von 10 Items erfasst. Die interne Konsistenz innerhalb der vorliegenden Gruppe war sehr gut (α = 0,89). Die YBOCS-Interviews ergaben eine moderate bis extreme Symptomschwere (Tab. 1). Neben der primären ZS lagen als aktuelle Komorbiditäten vor: Major Depression (n = 9), spezifische Phobie (n = 5), Panikstörung ohne Agoraphobie (n = 2) sowie Dysthymie, Alkoholmissbrauch, hypochondrische Störung, nicht näher bezeichnete Essstörung und Tourette-Syndrom (jeweils n = 1).

Teilnehmende mit sozialer Angststörung

Die SAS-Gruppe bestand aus 36 Personen mit einer aktuellen SAS-Diagnose. Die sozialängstlichen Symptome wurden mithilfe der Liebowitz Social Anxiety Scale (LSAS; Stangier und Heidenreich 2004) in Bezug auf die letzte Woche erfasst. Die LSAS besteht aus 24 Items, die jeweils eine soziale Situation beschreiben, die vom Probanden im Selbstbericht bezüglich Angst und Vermeidung bewertet wird und deren Angaben zu einem Gesamtwert addiert werden. Die interne Konsistenz war in der vorliegenden SAS Gruppe exzellent (α = 0,94). Die LSAS wies auf eine mittel bis schwer ausgeprägte Symptomatik hin (Tab. 1). Neben der primären SAS lagen aktuelle Komorbiditäten vor: spezifische Phobie (n = 11), Alkoholmissbrauch (n = 5), Major Depression (n = 4), Dysthymie (n = 4), Alkoholabhängigkeit (n = 4), Abhängigkeit von anderen Substanzen (n = 2), Panikstörung ohne Agoraphobie (n = 2), Panikstörung mit Agoraphobie und posttraumatische Belastungsstörung (jeweils n = 1).

Erhebungsinstrumente

Depressivität

Das Beck Depressionsinventar-II (BDI-II) erfasst die Schwere der depressiven Symptomatik innerhalb der letzten 2 Wochen (Hautzinger et al. 2006). Höhere Werte weisen auf eine höhere Symptomschwere hin (Spanne des Gesamtwerts 0–63). Die interne Konsistenz war hoch (α = 0,89).

Einsicht

Die Störungseinsicht wurde mithilfe der Brown Assessment of Beliefs Scale (BABS; Buhlmann 2014) erfasst. Dieses teilstrukturierte Interview wurde entwickelt, um die Einsicht in die jeweils zugrunde liegende Überzeugung oder Annahme bei verschiedenen Störungsbildern zu quantifizieren (Eisen et al. 1998). Dafür wird eine möglichst spezifische Grundüberzeugung ausgewählt, z. B. „Ich sehe hässlich aus“ bei vorliegender KDS, „Ich wirke peinlich“ bei vorliegender SAS oder „Ich muss den Herd kontrollieren, bis ich vollkommen sicher bin, sonst brennt die Wohnung ab“ bei vorliegender ZS. Für die letzte Woche werden folgende Dimensionen in Bezug auf die Grundüberzeugung beurteilt: 1) Überzeugung bzw. Sicherheit hinsichtlich der Richtigkeit, 2) Einschätzung der Wahrnehmung der Meinung anderer Personen, 3) Erklärung ggf. abweichender Auffassungen, 4) Fixiertheit der eigenen Überzeugung bzw. Zögern bei Hinterfragen, 5) Versuche, die eigene Überzeugung zu widerlegen, 6) Anerkennen einer psychologischen oder psychiatrischen Ursache der Überzeugung (benannt als Einsicht im engeren Sinne). Ein siebtes Item erfasst Beziehungsideen, geht jedoch nicht in die Gesamtbeurteilung oder den Summenwert ein. Die Dimensionen werden jeweils anhand einer Likert-Skala von 0 bis 4 mit unterschiedlichen Ankern pro Item eingeschätzt, z. B. Item 1 Wert 0 „vollkommen sicher, dass Überzeugungen falsch sind (0 % Sicherheit)“. Der Summenwert der Items wird als globales Maß der Einsicht gewertet; höhere Werte zeigen geringere Einsicht an. Die BABS ermöglicht eine Einteilung des Einsichtsgrades anhand des Gesamtwerts in 4 Kategorien (Phillips et al. 2012): Gesamtwert 0–3: exzellente Einsicht; Gesamtwert 4–7: gute Einsicht; Gesamtwert 8–12: ausreichende Einsicht; Gesamtwert 13–17 oder ≥18 und Überzeugung (Item 1) Wert ≤3: schlechte Einsicht; Gesamtwert ≥18 und Überzeugung (Item 1) Wert = 4: fehlende Einsicht/wahnhaft. Die interne Konsistenz in der vorliegenden Stichprobe war exzellent (α = 0,90).

Studienablauf

Die vorliegende Studie war Teil eines umfangreicheren, durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Forschungsvorhabens zur KDS, das an 3 Untersuchungstagen stattfand (Buhlmann et al. 2015). Am ersten Tag wurden, nach umfangreicher Studieninformation und Einholung der schriftlichen Einverständniserklärung, die Interviews durchgeführt und Fragebogen ausgefüllt. Nach Beendigung der Studie wurden die Teilnehmer über die Studienziele und -hypothesen aufgeklärt und erhielten eine finanzielle Entschädigung von 8 €/h.

Statistische Auswertung

Die statistische Auswertung erfolgte mithilfe von IBM SPSS Statistics (Version 24). Gruppenvergleiche in Bezug auf Alter, Störungsbeginn, Depressivität sowie einzelne Items und Summenwert der Einsicht wurden mithilfe einfaktorieller Varianzanalysen mit Bonferroni-korrigierten Post-hoc-Tests durchgeführt. Bei nichtvorliegender Varianzhomogenität wurde die Teststatistik nach Welch korrigiert. Die Gruppenunterschiede in kategorialen Variablen wurden mithilfe des Pearson χ2-Tests oder, im Fall von n < 5 in einzelnen Kategorien, dem Exakten Test nach Fisher berechnet. Es wurden jeweils entsprechende Effektstärken berechnet (Cramers V, partielles η2).

Ergebnisse

Demografische und klinische Merkmale

Die Gruppen unterschieden sich nicht hinsichtlich demografischer Merkmale, der Depressivität oder des Alters bei Störungsbeginn (Tab. 1). Personen mit KDS und SAS befanden sich zum Durchführungszeitpunkt signifikant weniger häufig in ambulanter Psychotherapie. Dies traf für KDS auch für den Anteil der Personen mit früheren Therapien zu.

Einsicht im Störungsvergleich

Im mittleren Gesamtwert äußerten die Personen mit KDS eine schlechte, die Personen mit SAS eine ausreichende und die Personen mit ZS eine gute Störungseinsicht (Tab. 2). Obwohl der Gesamtwert in der KDS-Gruppe numerisch höher war, war er nicht signifikant von dem Gesamtwert in der SAS Gruppe verschieden. Die mittlere Einsicht zeigte sich jedoch sowohl bei vorliegender KDS als auch vorliegender SAS signifikant höher als bei ZS.

Tab. 2 Gruppenvergleiche hinsichtlich der Dimensionen und Kategorien der Einsicht

Hinsichtlich der einzelnen Dimensionen ergaben sich im Gruppenvergleich durchweg höhere Werte bei Teilnehmenden mit KDS als bei denen mit ZS. Im Vergleich von KDS und SAS lagen hingegen gleich hoch ausgeprägte Werte hinsichtlich aller Dimensionen außer bei Fixiertheit vor. Auch im Vergleich von SAS und ZS wies die SA-Gruppe durchweg höhere Werte als die ZS-Gruppe in fast allen Dimensionen auf; nur hinsichtlich der Fixiertheit und Einsicht in eine psychologische/psychiatrische Ursache lagen gleichermaßen niedrige Werte vor. Die Effektstärken der Gruppenvergleiche waren für alle Dimensionen als groß einzuschätzen, mit Ausnahme einer mittleren Effektstärke hinsichtlich der Einsicht in eine psychologische/psychiatrische Ursache.

Auch bezüglich der kategorialen Einschätzung des Einsichtsgrades lagen zwischen den Gruppen signifikant unterschiedliche Verteilungen mit großer Effektstärke vor: Die Einsicht der meisten Personen mit KDS und SAS konnte als schlecht oder fehlend, in der ZS-Gruppe jedoch als exzellent eingeordnet werden. In jeder Gruppe waren alle Kategorien belegt.

Diskussion

Interpretation der Ergebnisse

Die vorliegende Studie untersuchte die störungsspezifische Einsicht bei vorliegender KDS im Vergleich zu zwei klinischen Gruppen, spezifisch SAS und ZS. Es ergab sich ein differenziertes Gesamtbild. Die KDS- und SAS-Gruppen zeigten erhöhte Gesamt- und Einzelwerte in der BABS – d. h. sowohl global als auch hinsichtlich der einzelnen Facetten – weniger Einsicht im Vergleich zu der ZS-Gruppe. Personen mit KDS und SAS unterschieden sich bezüglich dieser Werte großteilig nicht signifikant. Eine Ausnahme bildete die Fixiertheit, in der die KDS-Gruppe höhere Werte als die SAS- und ZS-Gruppen aufwies. Bei Teilnehmenden mit SAS und ZS hingegen war diese, ebenso wie die Annahme einer psychologischen Ursache, gleich ausgeprägt, d. h., SAS- und ZS-Betroffene waren gleichsam empfänglich dafür, die eigene Überzeugung anzuzweifeln und eine psychologische Ursache anzuerkennen. In der KDS- und der SAS-Gruppe ergaben sich in der kategorialen Auswertung ähnliche Ergebnismuster im Sinne einer mehrheitlich schlechten bis fehlenden Einsicht. Hingegen war die Einsicht der Teilnehmenden bei vorliegender ZS in mehr als der Hälfte der Fälle exzellent, und jeweils nur vereinzelt als schlecht oder fehlend einzuschätzen.

Diese Ergebnisse lassen sich in den bestehenden empirischen und theoretischen Zusammenhang einordnen. Der Befund einer dimensional und kategorial schlechteren Einsicht bei Betroffenen mit einer KDS, in Kontrast zu einem gegenläufigen Muster bei Betroffenen mit einer ZS, bestätigt die Ergebnisse bisheriger Studien (Phillips et al. 2012; Toh et al. 2017). Im Vergleich zu ZS- scheint die Einsicht bei KDS-Betroffenen demnach deutlich häufiger schlecht ausgeprägt zu sein. Sowohl Personen mit KDS als auch Personen mit SAS erscheinen hingegen gleichermaßen stark von ihren eigenen Annahmen und deren Wahrheitsgehalt überzeugt. Es wurde zuvor erwartet, dass die Einsicht bei KDS-Betroffenen deutlich schlechter als bei der SAS-Betroffenen sein würde, was sich nicht bestätigte. Das Ergebnis könnte durch die gemeinsam zugrunde liegende Bewertungsangst bedingt sein, die sich bei vorliegender KDS auf das Aussehen und bei vorliegender SAS auf das Verhalten oder Angstsymptome bezieht (APA 2013). Da diese Grundüberzeugungen vom Urteil anderer Personen abhängen, können sie bei KDS und SAS nur schwer hinsichtlich ihrer Gültigkeit geprüft werden. Bei Betroffenen mit einer ZS hingegen sind die befürchteten Konsequenzen leichter durch beispielsweise Wissen oder Beobachtung widerlegbar (z. B. ausgeschalteter Herd durch einmaliges Betätigen eines Schalters). Die geringere Einsicht in eine psychologische Ursache, die bei KDS vorlag, könnte für Personen mit KDS durch den eindeutigen körperlichen Bezug und die mit der KDS einhergehenden verzerrten Wahrnehmung erschwert sein (im Sinne von „Ich sehe es, also ist es so“; Kollei und Martin 2010).

Insgesamt ist auffällig, dass die Gesamtwerte der BABS in diesen Stichproben niedriger ausfallen als in vergleichbaren Untersuchungen, insbesondere für KDS- und ZS-Betroffene, für die in anderen Studien die Gesamtwerte über 16 bei vorliegender KDS beziehungsweise über 7 bei vorliegender ZS betrugen (Eisen et al. 1998; Phillips et al. 2012; Toh et al. 2017). Gleichzeitig weicht der durchschnittliche Schweregrad der Störung in den hier untersuchten klinischen Gruppen nicht von denen in anderen Studien ab. Die Unterschiede lassen sich damit potenziell durch die Stichprobengewinnung und die damit gegebenen Merkmale (z. B. freie Rekrutierung vs. Behandlungseinrichtung) sowie ggf. die Durchführung des BABS-Interviews erklären (z. B. Auswahl der Grundüberzeugung).

Limitationen der Studie

Insbesondere die Stichprobengröße ist potenziell zu gering, um tatsächliche kleine Effekte in Unterschieden zwischen KDS und SAS festzustellen. Somit besteht die Möglichkeit, dass sich diese beiden Störungen bezüglich ihrer Einsichtsmuster noch differenzierter unterscheiden. Zukünftige Untersuchungen sollten die Befunde daher in größeren Stichproben replizieren. Eine weitere Limitation besteht darin, dass sich in der vorliegenden Stichprobe zum Erhebungszeitpunkt signifikant mehr Personen in der ZS- vs. SA- und KDS-Gruppe in psychotherapeutischer Behandlung befanden. Insbesondere in psychotherapeutischen Behandlungen werden Patienten, z. B. im Rahmen kognitiver Umstrukturierung, dazu angeleitet, eigene Befürchtungen zu hinterfragen und durch realistischere Annahmen zu ersetzen. Die festgestellte bessere Einsicht in der ZS-Gruppe könnte hierdurch verzerrt sein. Obgleich ein Spektrum an Personen mit unterschiedlichem Behandlungsstatus die Repräsentativität erhöht, sollten zukünftige Studien diesen Faktor über Vergleiche in größeren Stichproben beleuchten.

Implikationen für den psychotherapeutischen Umgang mit der Störungseinsicht

In allen 3 Störungsgruppen gab es Personen, deren Überzeugung durch fehlende Einsicht gekennzeichnet war. Behandler sollten dies entsprechend als Variante der zugrunde liegenden Störungen diagnostisch einordnen; auf die Vergabe einer wahnhaften Störung wird ohne Vorliegen anderer psychotischer Symptome verzichtet. Die Einsicht sollte im Sinne eines transdiagnostisch relevanten Faktors in die Behandlung der Störungen einbezogen werden, um die Therapieeffektivität zu fördern. Alle einzelnen Facetten der Einsicht stellen Ansätze für das therapeutische Arbeiten dar. Bislang sind uns keine Untersuchungen darüber bekannt, welche einzelnen Facetten besonders entscheidend für den Behandlungserfolg sind. In der Praxis sollten daher alle Facetten, z. B. mithilfe der BABS, erhoben und je nach individueller Relevanz bearbeitet werden. Eine besondere Bedeutung kommt sicherlich der Einsicht in eine psychologische oder psychiatrische Ursache (Item 6) zu. Fehlt diese, erscheinen bereits das Aufsuchen eines Psychotherapeuten oder Psychiaters nicht naheliegend sowie Ambivalenz und Widerstand in der Behandlung nachvollziehbar. Es muss dann auf eine Verschiebung der Problemdefinition beim Patienten hingearbeitet werden. Hinsichtlich der KDS bedeutet dies, das wahrgenommene „Aussehensproblem“ als „Wahrnehmungs- oder Körperbildproblem“ zu definieren. Betroffene sollten ab dem Erstgespräch mithilfe motivierender Gesprächsführung darin gefördert werden, sich für eine Psychotherapie und ggf. gegen kosmetische Behandlungen entscheiden zu können. Zudem sollte in der kognitiven Umstrukturierung bei Patienten mit KDS selbst bei einem leicht sichtbaren Makel nicht über das Vorhandensein oder Ausmaß des Makels diskutiert, sondern dessen Wichtigkeit hinterfragt werden. Dieses Vorgehen erscheint analog zu der üblichen Disputation der Bedeutung von sichtbaren körperlichen Angstsymptomen bei SAS-Patienten oder der Toleranz von Unsicherheit bei ZS-Patienten. Da eine geringe Einsicht in die störungsspezifischen Grundüberzeugungen bei der KDS besonders relevant erscheint, aber auch bei anderen psychischen Störungen wie ZS und SAS auftritt, sollten sich Behandler ermutigt fühlen, bekannte transdiagnostische Strategien in der Psychotherapie anzuwenden.

Fazit für die Praxis

  • Störungseinsicht ist ein transdiagnostisch relevantes Merkmal von Psychopathologie.

  • Geringe Störungseinsicht zeichnet sich durch starke Überzeugungen aus; mithilfe der Brown Assessment of Beliefs Scale können unterschiedliche Facetten erfasst werden.

  • Sowohl Personen mit einer körperdysmorphen Störung (KDS), einer sozialen Angststörung (SAS) als auch einer Zwangsstörung (ZS) können unterschiedliche Grade der Einsicht aufweisen (exzellent, gut, ausreichend, schlecht, fehlend).

  • Bei Betroffenen mit einer KDS oder SAS scheint meist eine schlechte Einsicht vorzuliegen.

  • Wenn notwendig, sollte bei Betroffenen mit KDS die Problemdefinition von einem Problem wegen des Aussehens zu einem Problem der Wahrnehmung oder des Körperbilds verschoben werden.

  • Da Personen mit einer KDS gegenüber einer Psychotherapie ambivalent eingestellt sind, sollte vom Erstgespräch an die motivierende Gesprächsführung genutzt werden.

  • Ambivalenz und Widerstand können Zeichen geringer Einsicht sein; ihnen sollte mit entsprechenden transdiagnostischen Interventionen begegnet werden.