Fehldiagnosen sind bei der körperdysmorphen Störung (KDS) aufgrund der beträchtlichen Symptomüberschneidungen mit anderen Störungsbildern, u. a. den Essstörungen, keine Seltenheit. Der Beitrag diskutiert das Konstrukt der aussehensbezogenen Zurückweisungssensitivität („appearance-based rejection sensitivity“, ARS) als mögliches differenzialdiagnostisches Merkmal zwischen KDS und Essstörungen (ESS).

Grundlagen

Die KDS tritt mit einer Prävalenzrate von 1,7–2,9 % in der Allgemeinbevölkerung recht häufig auf, trotzdem erhält nur ein geringer Teil der Betroffenen eine angemessene Behandlung (Veale et al. 2016). Ein Grund dafür ist die erhebliche Symptomüberschneidung der KDS mit diversen anderen Störungen, was die eindeutige Diagnosestellung massiv erschwert und nicht selten eine falsche Diagnose resp. Therapie nach sich zieht (Grant und Phillips 2004).

Trotz deutlicher Parallelen zu den ESS, allen voran dem Kernmerkmal einer allgemeinen Störung des Körperbilds, wurde der Vergleich von KDS und ESS bisher eher stiefmütterlich behandelt (Hartmann et al. 2013a). Differenzialdiagnostisch richten sich die aussehensbezogenen Sorgen bei der KDS in der Regel auf ein spezifisches Körperteil, während bei ESS das Gewicht und der Körper als Ganzes abgewertet werden (Hrabosky et al. 2009). Doch auch KDS-Patienten berichten von übermäßiger Beschäftigung mit Körpergewicht und -form (Phillips und Diaz 1997). Gleichzeitig klagen Essstörungspatienten über Sorgen hinsichtlich gewichtsunabhängiger Aspekte des eigenen Körpers, wie dem Aussehen von Bauch oder Nase (Grant et al. 2002). Die Kernsymptomatik der aussehensbezogenen Sorgen bzw. deren Inhalt sind folglich kein Garant für die korrekte Unterscheidung der beiden Störungen.

Erste Hinweise auf potenzielle Differenzierungsmerkmale zwischen KDS und ESS gehen aus den wenigen Studien hervor, die die beiden Störungen bereits hinsichtlich einzelner Aspekte miteinander verglichen haben. Diese belegen für die KDS in fast allen Untersuchungsvariablen eine stärkere Psychopathologie als für ESS, was sich u. a. in einer ausgeprägteren Körperbildstörung manifestiert (Hrabosky et al. 2009). So wiesen Personen mit KDS im Vergleich zu ESS eine signifikant stärkere aussehensbezogene Selbstabwertung (Hartmann et al. 2015), eine stärkere Manipulation und Kontrolle des Aussehens sowie eine ausgeprägtere aussehensbezogene Hoffnungslosigkeit auf (Kollei et al. 2012). Weitere Unterschiede bestanden in der stärkeren Überbewertung des äußeren Erscheinungsbildes (Hartmann et al. 2015) sowie einer geringeren Krankheitseinsicht bei KDS als bei ESS (Hartmann et al. 2013b). Die gefundenen Unterschiede äußern sich auch auf interaktioneller Ebene. Eine Studie von Rosen und Ramirez (1998) zeigte bei Personen mit KDS im Vergleich zu ESS eine stärkere Vermeidung von Aktivitäten aufgrund von aussehensbezogener Gehemmtheit. Weitere Studien fanden bei KDS eine signifikant stärkere psychosoziale Beeinträchtigung als bei ESS (Hrabosky et al. 2009; Kollei et al. 2012).

In der Tat sind eine hohe Ausprägung sozialer Angst und die damit einhergehende Vermeidung sozialer Situationen ein Kernmerkmal der KDS (Fang und Hofmann 2010), was sich in Zuständen tage- bist monatelanger selbstgewählter Isolation, selbst gegenüber nahestehenden Personen, ausdrückt. Ein möglicher Grund, der für die massiven zwischenmenschlichen Probleme diskutiert wird, ist die Befürchtung, aufgrund der vermeintlichen Entstellung von anderen Personen als hässlich angesehen und abgelehnt zu werden (Fang und Hofmann 2010), ein Konstrukt, das Park (2007) als ARS beschrieb. In der Konsequenz werden soziale Interaktionen und Situationen von Betroffenen weitestgehend vermieden (Park 2007). Erste Befunde an subklinischen und auch klinischen Stichproben bestätigen deutliche Zusammenhänge zwischen ARS und körperdysmorphen Symptomen, Körperbildstörungen sowie dem Interesse an kosmetisch-chirurgischen Behandlungen (Calogero et al. 2010; Kelly et al. 2014; Schmidt und Martin 2017). Mediatoranalysen geben sogar Hinweise auf eine vermittelnde Funktion der ARS zwischen aussehensbezogenen Hänseleien bzw. sozialer Angst und der Stärke der KDS-Symptomatik bei Schülern (Densham et al. 2017).

Auch für ESS konnten Zusammenhänge mit der ARS nachgewiesen werden (Schmidt und Martin 2017; Park 2007). Darüber hinaus mediierte in einer Studie von Linardon et al. (2017) die ARS den Zusammenhang zwischen sozialer Angst und gezügeltem Essverhalten, Essanfällen sowie zwanghaftem Sporttreiben, nicht aber selbst induziertem Erbrechen. Aufgrund der stärkeren Psychopathologie von KDS hinsichtlich sozialphobischer Symptome (Hrabosky et al. 2009; Kollei et al. 2012; Rosen und Ramirez 1998) sowie weiterer Korrelate der ARS, wie der Körperbildstörung (Hrabosky et al. 2009), ist jedoch davon auszugehen, dass die ARS bei vorliegender KDS deutlich stärker ausgeprägt ist als bei vorliegender ESS und sich somit als differenzierendes Merkmal zwischen den beiden Störungen eignet. Ein direkter Vergleich von KDS und ESS in Bezug auf ARS wurde bisher noch nicht durchgeführt.

Ziel der Arbeit

Das Ziel der vorliegenden Forschungsarbeit ist, die Psychopathologie beider Störungsbilder hinsichtlich der ARS zu vergleichen. Daraus ergeben sich die im Folgenden ausgeführten Hypothesen.

Hypothese 1.

Es wird erwartet, dass sowohl Probanden mit positivem KDS-Screening (KDS-POS), subdiagnoseunspezifischem positivem ESS-Screening (ESS-POS) sowie komorbid positivem ESS- und KDS-Screening im Vergleich zu einer Kontrollgruppe mit negativem KDS-/ESS-Screening ein höheres Ausmaß an ARS aufzeigen. Für Probanden mit KDS-POS werden jedoch signifikant höhere Werte als für Probanden mit ESS-POS erwartet. Da eine komorbid vorliegende KDS- und ESS-Symptomatik mit erheblicher Symptomverschlechterung einhergeht, u. a. auch von Korrelaten der ARS wie der Körperbildstörung (Ruffolo et al. 2006), wird erwartet, dass diese Probanden die höchsten ARS-Werte erzielen.

Hypothese 2.

Weiterhin wird vermutet, dass das Vorliegen von KDS-POS eine größere Varianzaufklärung an der ARS bewirkt als das Vorliegen von ESS-POS, auch dann, wenn für den Einfluss des Geschlechts, des Body-Mass-Index (BMI, kg/m2) sowie sozialphobischer Symptome kontrolliert wird. Die Aufnahme sozialphobischer Symptome als zusätzliche Kovariate geht darauf zurück, dass insbesondere die KDS, aber auch die ESS, z. T. komorbid mit der sozialen Phobie vorliegt (Coles et al. 2006; Kaye et al. 2004). Es soll ausgeschlossen werden, dass die gefundene Varianzaufklärung an der ARS lediglich auf den gemeinsamen Zusammenhang mit der sozialen Angst zurückzuführen ist. Die Aufnahme des BMI ist dadurch begründet, dass aufgrund des in der westlichen Gesellschaft vorliegenden schlanken Schönheitsideals ein Stigma gegenüber übergewichtigen Menschen vorherrscht (Pudel und Ellrott 2005). Deshalb ist zu erwarten, dass übergewichtige Menschen in interpersonellen Situationen bereits tatsächliche Erfahrungen mit aussehensbezogener Ablehnung durchlebt haben. Da diese Erfahrungen mit der ARS im Zusammenhang stehen (Park et al. 2009), soll auch für den BMI kontrolliert werden. Schließlich wird für das Geschlecht kontrolliert, da Frauen aufgrund ihrer Sozialisationserfahrungen (z. B. soziale Botschaften eines Zusammenhangs zwischen weiblicher Schönheit und sozialer Belohnung) grundsätzlich eine größere ARS aufweisen als Männer (Park et al. 2009).

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Stichprobe

Die Rekrutierung der Versuchsteilnehmer erfolgte im Rahmen eines Projekts zur Klassifikation der KDS über Presseberichte verschiedener deutscher Universitäten sowie Werbung in sozialen Medien und auf Flyern. Die Studie wurde ohne sichtbare Ausschlusskriterien beworben. Tatsächliche Einschlusskriterien waren das Alter (>18 Jahre), eine eindeutige Zuordnung als männlich oder weiblich (das binäre Geschlecht wurde als Kovariate in die Regressionsanalyse aufgenommen) sowie die Versicherung, dass deutsch fließend gelesen und geschrieben werden kann. Von den 743 Personen, die die Studienteilnahme abschlossen, mussten 7 nachträglich ausgeschlossen werden, da 2 das Mindestalter nicht erfüllten und 5 sich als divers identifizierten. Eine Person wurde aufgrund einer unrealistischen Größenangabe aus den Berechnungen, die den BMI als Variable aufnahmen, ausgeschlossen. Die finale Stichprobe bestand somit aus 736 Personen (bzw. 735 bei Analysen unter Einschluss des BMI).

Fragebogen und diagnostische Instrumente

Der Eating Disorder Examination Questionnaire (EDE‑Q; Hilbert et al. 2007) erhebt Essstörungssymptome der letzten 28 Tage auf den 4 Subskalen Figursorgen, Gewichtssorgen, essensbezogene Sorgen sowie gezügeltes Essverhalten mit insgesamt 22 Items (0: kein Tag bis 6: jeden Tag). Zur Bestimmung der Essstörungspathologie wurde in der vorliegenden Studie der Gesamtwert dieser Skalen genutzt. Sechs weitere Items erfassen diagnostisch relevante Kernverhaltensweisen (z. B. Essanfälle, vorsätzliches Erbrechen), wurden in der aktuellen Studie jedoch aus Platzgründen nicht verwendet. Die interne Konsistenz der Skala war mit α = 0,96 sehr gut.

Die Appearance-based Rejection Sensitivity Scale (Appearance-RS Scale; Schmidt und Martin 2017) misst Zurückweisungssorgen bzw. -erwartungen aufgrund des eigenen Aussehens anhand der Einschätzung von 15 Situationsbeschreibungen. Diese werden hinsichtlich der Sorge vor einer aussehensbezogenen Zurückweisung bzw. der selbst eingeschätzten Wahrscheinlichkeit für eine solche Zurückweisung bewertet (1: sehr unbesorgt bzw. sehr unwahrscheinlich bis 6: sehr besorgt bzw. sehr wahrscheinlich). Die interne Konsistenz der Skala war sehr gut (α = 0,95).

Die Liebowitz Social Anxiety Scale (LSAS; Stangier et al. 2005) misst Angst und Vermeidungsverhalten in 24 sozialen Leistungs- und Interaktionssituationen (ohne expliziten Aussehensbezug), die hinsichtlich des Ausmaßes an Angst und Vermeidung während der letzten Woche bewertet werden (0: keine Angst bis 3: schwere Angst und 0: nie vermieden bis 3: gewöhnlich vermeiden). Die interne Konsistenz in der vorliegenden Stichprobe erzielte einen sehr guten Wert von α = 0,96.

Darüber hinaus wurden die diagnostischen Kriterien A–D der KDS nach DSM‑5 in Form von 6 Fragen zur Selbsteinschätzung erhoben, die von den Teilnehmern mit Ja oder Nein zu beantworten waren (DSM-5-Screening; Möllmann et al. 2017).

Durchführung der anonymisierten Onlineumfrage

Die Fragebogen wurden mit der Umfrage-Software Unipark (Fa. QuestBack GmbH, Köln) programmiert. Die Teilnehmer wurden zu Beginn der Onlinebefragung über Ziel, Dauer, Privatsphäre- und Vertraulichkeitsregelungen sowie die Möglichkeit einer Teilnahmeentschädigung (Verlosung von Onlinegutscheinen im Wert von je 20 € oder Anrechnung als Studienleistung) aufgeklärt und stimmten den Studienbedingungen zu. Die Kontaktdaten der Teilnehmer, die eine Entschädigung wünschten, wurden in einer separaten Umfrage erhoben, um die Anonymität der Umfrage zu gewährleisten. Die Studie wurde von der Ethikkommission („blinded for review“) genehmigt.

Statistische Analyse

Vor der Datenanalyse wurden die Versuchsteilnehmer zunächst aufgrund ihres Gesamtwerts auf dem EDE‑Q sowie ihres Antwortmusters im DSM-5-Screening in 4 Gruppen eingeteilt: negatives KDS- und ESS-Screening (keine Symptome, KS; n = 501), ausschließlich positives ESS-Screening (ESS-POS; n = 167), ausschließlich positives KDS-Screening (KDS-POS; n = 47) sowie komorbid positives KDS- und ESS-Screening (Komorbid; n = 21). Den Berechnungen von Mond et al. (2004) an einer studentischen Stichprobe folgend wurde ein Wert von c = 2,3 auf dem EDE‑Q als „Cut-off“-Wert für die Einschätzung des ESS-Screenings als positiv oder negativ definiert. Die Einteilung der Probanden hinsichtlich körperdysmorpher Symptome orientierte sich an den Vorgaben des DSM‑5. Hiernach wurden Personen, die die Frage 1 (übermäßige Beschäftigung mit dem Aussehen), Frage 2 (wiederholende Handlungen) oder 3 (mentale Handlungen) sowie Frage 4 (Leiden) oder 5 (Beeinträchtigung) bejahten und Frage 6 (Hauptsorge Körpergewicht) verneinten in die Gruppe KDS-POS eingeteilt.

Die folgenden Analysen wurden mithilfe des Statistikprogramms IBM SPSS Statistics (Version 25; IBM; Armonk, USA) durchgeführt. Für den Vergleich der 4 Gruppen in Bezug auf das Alter und den BMI wurden einfaktorielle Varianzanalysen mit Games-Howell-korrigierten Post-hoc-Tests durchgeführt. Für den Vergleich hinsichtlich des Geschlechts wurde ein Pearson χ2-Test (exakte Testung) berechnet. Zum Vergleich der Untersuchungsgruppen hinsichtlich der ARS (Hypothese 1) wurde ebenfalls eine einfaktorielle „analysis of variance“ (ANOVA) berechnet. Im Fall von Heteroskedastizität wurden die robustere Welch-ANOVA und der Games-Howell Post-hoc-Test interpretiert.

Zur Testung der zweiten Hypothese wurde eine multiple lineare Regressionsanalysen mit robustem „bootstrapping“ berechnet. Das erste Regressionsmodell bestand aus den gewichteten effektkodierten Variablen KDS-POS, ESS-POS sowie KS. Letztere diente lediglich als Baseline der Kodierung. Das zweite Regressionsmodell enthielt zusätzlich die Kovariaten BMI, Geschlecht und LSAS-Gesamtwert. Für alle Analysen wurde das Signifikanzniveau auf p < 0,05 festgesetzt. Nach Cohen (1988) wurden die Effektstärken wie folgt interpretiert: χ2-Test: Cramer’s V (klein: V = 0,1; mittel: V = 0,3; groß: V = 0,5); Varianzanalysen: partielles η2 (klein: η2 = 0,01; mittel: η2 = 0,06; groß: η2 = 0,15); Post-hoc-Tests: Cohen’s d (klein: d = 0,2; mittel: d = 0,5; groß: d = 0,8); aufgeklärte Varianz der hierarchischen Regression: R2 (klein: R2 = 0,02; mittel: R2 = 0,13; groß: R2 = 0,26).

Ergebnisse

Analyse der demografischen Daten und Fragebogendaten

Die 4 Untersuchungsgruppen unterschieden sich nicht in Bezug auf das Alter, wohl aber hinsichtlich des BMI, mit einem signifikant höheren BMI bei ESS-POS als in den 3 anderen Gruppen. Auch in Bezug auf die Geschlechterverteilung konnten signifikante Unterschiede zwischen den Gruppen detektiert werden, die auf einen signifikant größeren Anteil an Frauen bei ESS-POS und Komorbid im Vergleich zu KS, nicht aber KDS-POS, zurückzuführen sind. Gruppenunterschiede fanden sich ebenfalls im Gesamtwert des EDE‑Q. Hier erreichte die Gruppe Komorbid die höchsten Werte, gefolgt von ESS-POS. Beide Gruppen erzielten signifikant höhere Werte als KDS-POS, welche wiederum signifikant höhere Werte erzielte als KS. Auch hinsichtlich des LSAS-Gesamtwerts unterschieden sich die Gruppen teilweise. Komorbid, ESS-POS und KDS-POS erzielten ähnlich hohe Werte, alle drei Gruppen unterschieden sich jedoch signifikant von KS, die die niedrigsten Werte auf dem LSAS erzielte (Tab. 1).

Tab. 1 Gruppenvergleich in Bezug auf Alter, Body-Mass-Index, Geschlecht und Fragebogendaten

Gruppenunterschiede

Die einfaktorielle ANOVA bestätigte einen signifikanten Gruppenunterschied in der ARS. Der paarweise Post-hoc-Gruppenvergleich wurde ebenfalls für alle Vergleiche signifikant, mit Ausnahme des Vergleichs zwischen ESS-POS und Komorbid. Die Gruppe Komorbid erzielte den höchsten ARS-Gesamtwert aber ähnlich hohe Werte wie ESS-POS. Beide Gruppen erzielten signifikant höhere Werte als die Gruppe KDS-POS, die wiederum signifikant höhere Werte erzielte als KS. Die Effektstärken der signifikanten Vergleiche waren überwiegend im hohen Bereich zu verzeichnen (0,64 [KDS-POS vs. ESS-POS] ≤ d ≤ 1,83 [KS vs. Komorbid]; Tab. 1).

Varianzaufklärung unter Einschluss der Kovariaten

Das erste Regressionsmodell ohne Einschluss der Kovariaten klärte insgesamt 35,7 % der Varianz an der ARS auf. Hier gingen 1,12 % exklusiv auf den effektkodierten Kontrast zwischen der KDS-POS-Gruppe und dem gewichtetem Gesamtmittelwert der Stichprobe zurück, sowie 32,03 % exklusiv auf den effektkodierten Kontrast zwischen Letzterem und der ESS-POS-Gruppe (Tab. 2). Das zweite Regressionsmodell unter Einschluss der Kovariaten klärte insgesamt 46,7 % der Varianz an der ARS auf. Davon gingen 0,55 % exklusiv auf den Kontrast zwischen der KDS-POS-Gruppe und dem gewichtetem Gesamtmittelwert der Stichprobe zurück, sowie 14,40 % exklusiv auf den Kontrast zwischen Letzterem und der ESS-POS-Gruppe. Die standardisierten Regressionskoeffizienten zeigten, dass beide Kodierungsvariablen einen signifikanten Effekt auf die ARS hatten, auch wenn der Effekt aller anderen Variablen konstant gehalten wurde (Tab. 2). Der BMI und das Geschlecht hatten in diesem Fall keinen signifikanten Effekt mehr auf die ARS, wohl aber der LSAS-Gesamtwert (Tab. 2).

Tab. 2 Varianzaufklärung an der aussehensbezogenen Zurückweisungssensitivität

Diskussion

Interpretation der Ergebnisse

Mit dem Ziel, zur Verbesserung der Differenzialdiagnostik zwischen KDS und ESS beizutragen, wurden in der vorliegenden Studie die beiden Störungsbilder hinsichtlich des potenziell differenzierenden Merkmals ARS verglichen.

Hypothesenkonform zeigte sich eine signifikant stärkere Ausprägung der ARS in den Gruppen mit deutlicher körperdysmorpher oder Essstörungssymptomatik bzw. mit komorbider Symptomatik als in der Gruppe ohne dergleichen Symptome. Das Ergebnis unterstreicht die Bedeutung der ARS als Marker aussehensbezogener Psychopathologie. Auch die Gruppen KDS-POS und ESS-POS unterschieden sich signifikant, was jedoch nicht auf eine stärkere Ausprägung der ARS bei KDS-POS, sondern, im Gegenteil, auf eine signifikant stärkere Ausprägung bei ESS-POS zurückzuführen ist.

Eine mögliche Erklärung für die unerwarteten Ergebnisse ergibt sich aus den äußerst niedrigen Werten der KDS-POS-Gruppe bezüglich der ARS. Der Mittelwert war mit 10,46 noch niedriger als der Normwert, den Park (2007) für eine studentische Zufallsstichprobe diskutiert hat (M = 11,9). Auch im Vergleich zu Studien, die das spezifische Ausmaß der ARS bei KDS erhoben haben, sind die gefundenen Werte eher unterdurchschnittlich (Kelly et al. 2014; Calogero et al. 2010; Schmidt und Martin 2017). Jedoch schwankten die Ergebnisse mit Mittelwerten zwischen 12,75 (Calogero et al. 2010) und 22,15 (Kelly et al. 2014) erheblich. Ein Grund dafür könnte die unterschiedliche Stichprobencharakteristik bzw. -erhebung der Studien sein. So rekrutierten Kelly et al. (2014) Probanden mit jahrelanger, per semistrukturiertem Interview abgesicherter KDS-Diagnose, während die vorliegende Stichprobe, genau wie jene bei Calogero et al. (2010) sowie Schmidt und Martin (2017), nicht klinisch war und auf der Grundlage eines Fragebogens mit Selbstauskunft klassifiziert wurde. Es ist daher davon auszugehen, dass die Stichprobe bei Kelly et al. (2014) eine schwerere Psychopathologie, und damit ARS, aufwies als die Teilnehmer der vorliegende Studie. Die Verwendung unterschiedlicher Erhebungsinstrumente könnte außerdem die starken Schwankungen in den Studienergebnissen erklären.

Weiterhin ist anzumerken, dass bei fast allen Studien, die den Zusammenhang zwischen KDS und ARS analysierten, das Vorliegen starker komorbider ESS-Symptome kein Ausschlusskriterium für die Studienteilnahme war (z. B. Kelly et al. 2014; Calogero et al. 2010), während die vorliegende Studie durch das Aufnehmen einer zusätzlichen komorbiden Gruppe dafür kontrollierte. Wie eingangs erwähnt, geht das komorbide Vorliegen von körperdysmorphen und Essstörungssymptomen jedoch mit einer erheblichen Symptomverschlechterung einher, u. a. von Korrelaten der ARS wie der Körperbildstörung (Ruffolo et al. 2006). So finden sich hypothesenkonform auch in der vorliegenden Studie in der komorbiden Gruppe die höchsten Werte bezüglich der ARS. Dies würde also die niedrigeren ARS-Werte in der KDS-POS-Gruppe im Vergleich zur einschlägigen Literatur ebenfalls erklären.

Darüber hinaus sind die hohen ARS-Werte der ESS-POS-Gruppe zu diskutieren. Obwohl auf der Grundlage der vorliegenden, um die diagnostischen Items gekürzten Fassung des EDE‑Q keine differenzierte ESS-Diagnose gestellt werden kann, sprechen die leicht erhöhten BMI-Werte dieser Gruppe dafür, dass die betroffenen Probanden eher dem Spektrum der Bulimia nervosa (BN) bzw. der Binge-Eating-Störung (BES) zuzuordnen wären. Die Vorbefunde, auf denen die Hypothesen der vorliegenden Studie fußten, basierten allerdings oft auf Vergleichen zwischen einer körperdysmorphen und einer anorektischen Stichprobe (z. B. Hartmann et al. 2013b, 2015). Gleichzeitig wurden einige der zitierten Vergleiche zwischen KDS und ESS nur für Anorexia nervosa (AN), nicht aber BN signifikant (Kollei et al. 2012; Hrabosky et al. 2009). Die BES wurde in Vergleichsstudien mit der KDS bisher gänzlich vernachlässigt. Vor diesem Hintergrund wären die anfänglich getätigten Annahmen der Studie über das Abschneiden der ESS-POS-Gruppe bezüglich der ARS ebenfalls neu zu bewerten. Diverse Korrelate der ARS (Körperunzufriedenheit und subjektive Attraktivitätsbewertung [Barry et al. 2003] sowie Scham und soziale Angst [Grabhorn et al. 2006]) liegen bei BN signifikant schwerer vor als bei AN. Auch BES und ARS weisen deutliche Überschneidungen in der Ätiologie (z. B. Mobbing-Erfahrungen [Striegel-Moore et al. 2002]) und der Psychopathologie (z. B. Überbewertung von Figur und Gewicht [Lewer et al. 2017]) auf. Es wäre daher plausibel, dass diese Faktoren das hypothesenkonträre Ergebnis ebenfalls beeinflusst haben könnten.

Auch im Rahmen der Regressionsanalyse klärte ESS-POS entgegen den Erwartungen über sozialängstliche Symptome, Geschlecht und BMI hinaus mehr Varianz an der ARS auf als KDS-POS. Möglicherweise geht dies darauf zurück, dass die KDS-Psychopathologie in der vorliegenden Studie nicht dimensional, sondern kategorial erhoben wurde, weshalb leichte bis mittelschwere körperdysmorphe Symptome nicht erfasst wurden. Es ist daher möglich, dass bei einem Teil der Probanden in der ESS-POS-Gruppe körperdysmorphe Symptome vorlagen, die die Kriterien des KDS-Screenings nicht hinreichend erfüllten, jedoch zu einer Symptomverschlechterung, auch in Bezug auf die ARS, in dieser Gruppe beitrugen. Darüber hinaus weisen einige Items des EDE‑Q ähnliche Formulierungen wie die Appearance‑RS Scale auf (z. B. Item 28: Unbehagen beim Entkleiden vor anderen), was ebenfalls einen Teil des starken Zusammenhangs zwischen ESS-POS und ARS in der vorliegenden Studie erklären könnte.

Limitationen und weiterer Forschungsbedarf

Die Stichprobengrößen zwischen den einzelnen Gruppen unterschieden sich immens, was die Voraussetzung der Varianzhomogenität bei der ANOVA beeinflussen kann (Field 2013). Dem wurde jedoch mit der Interpretation des Games-Howell-Post-hoc-Test begegnet (Field 2013). Weiterhin können die Ergebnisse nicht auf klinische Gruppen mit gesicherten ESS- und KDS-Diagnosen übertragen werden, da die Psychopathologie lediglich über Fragebogen mithilfe der Selbstauskunft erhoben wurde. Vor allem in der KDS-POS-Gruppe könnte dies, wie beschrieben, das hypothesenkonträre Ergebnis beeinflusst haben. Da ein Großteil der zitierten Studienergebnisse über den Zusammenhang von KDS und ARS ebenfalls auf Fragebogendaten beruht, kann das Erhebungsinstrument jedoch nicht als alleinige Ursache der hypothesenkonträren Ergebnisse herangezogen werden. Darüber hinaus unterschieden sich die Instrumente dahingehend, dass für die Bewertung körperdysmorpher Symptome ein relativ rigides „Forced-choice“-Instrument eingesetzt wurde, für das einzelne diagnostische Kriterien nach DSM‑5 erfüllt sein müssen, während die Essstörungssymptomatik über den EDE-Q-Gesamtwert mithilfe eines dimensionalen Antwortschemas ermittelt wurde. Somit ist davon auszugehen, dass sich die Instrumente in ihrer Liberalität stark unterscheiden. Es ist jedoch anzumerken, dass die ARS trotz konservativerer Klassifizierung in der KDS-POS-Gruppe weniger ausgeprägt war als bei ESS-POS.

Aus den genannten Gründen ist eine Folgestudie, die die Fragestellung anhand von 2 gesicherten klinischen Stichproben überprüft, wünschenswert. Außerdem bietet sich eine wiederholte Untersuchung unter Berücksichtigung der verschiedenen Essstörungsunterformen an, um eine Spezifizierung der Hypothesen für jede Untergruppe zu gewährleisten. Aufgrund des hypothesenkonträren Ergebnisses kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass andere Konstrukte zur Verbesserung der Differenzialdiagnostik zwischen KDS und ESS ggf. geeigneter sind als die ARS. Möglicherweise spielt neben der wahrgenommenen Ablehnung durch andere auch der Abgleich mit dem eigenen Idealbild bei KDS eine entscheidende Rolle, der bei der KDS und ESS vergleichend untersucht werden könnte.

Fazit für die Praxis

  • Aufgrund der hypothesenkonträren Ergebnisse konnte die aussehensbezogene Zurückweisungssensitivität („appearance-based rejection sensitivity“, ARS) nicht als störungsdifferenzierendes Merkmal zwischen körperdysmorpher Störung (KDS) und Essstörung (ESS) identifiziert werden.

  • Sie kann jedoch als Marker aussehensbezogener Psychopathologie herangezogen werden.

  • Sehr hohe Werte in der ARS sollten als Hinweis auf eine weitere komorbid vorliegende Körperbildstörung interpretiert und entsprechend diagnostisch abgesichert werden.

  • Mögliche Folgeinterventionen sind die gezielte Bearbeitung der verzerrten Kognitionen und negativen Emotionen im Zusammenhang mit der ARS, beispielsweise über entsprechende Verhaltensexperimente.

  • Die aus der ARS resultierende Vermeidung sozialer Interaktionen sollte bei beiden Störungsbildern in Form von Expositionsübungen aufgegriffen werden.