Zusammenfassung
Patienten mit artifiziellen Störungen täuschen körperliche oder seelische Symptome vor, aggravieren sie oder fügen sie sich selbst zu, um Ärzten gegenüber Krankheiten zu präsentieren. Die Tatsache der Täuschung ist den Patienten bewusst. Ihnen sind aber nicht unbedingt die zugrunde liegenden Motive klar, die eine angestrebte Übernahme der Krankenrolle und ein Krankheitsverhalten mit hohem selbstinduziertem und iatrogenem Schädigungsrisiko bestimmen. Die Diagnose artifizieller Störungen ist konzeptuell und klassifikatorisch umstritten. Sowohl eine kategoriale Abgrenzung von als auch ein klinisches Kontinuum zwischen somatoformen/dissoziativen Störungen und Simulation werden diskutiert. Die Häufigkeit artifizieller Störungen ist epidemiologisch schwierig zu bestimmen; von einer hohen Dunkelziffer muss ausgegangen werden. In der Ätiopathogenese spielen zumindest bei einer Subgruppe von Patienten frühe traumatisierende Erfahrungen eine wichtige Rolle. Der Verlauf ist durch eine hohe Chronizität ausgezeichnet. Es finden sich aber auch episodische Verlaufsvarianten.
Abstract
Patients with factitious disorders intentionally fabricate, exaggerate or feign physical and/or psychiatric symptoms for various open and covert psychological reasons. There are many issues regarding the diagnostic state and classification of factitious disorders. Both the categorical differentiation of and clinical continuum ranging from somatoform/dissociative disorders to malingering are being controversially debated. Epidemiological studies on the frequency of factitious disorder meet basic methodological difficulties. Reported rates of prevalence and incidence in the professional literature most probably have to be considered underestimations. Illness deception and self-harm as core features of the abnormal illness behaviour in factitious disorder may refer to various highly adverse and traumatic experiences during early development in a subgroup of patients. Chronic courses of illness prevail; however, there are also episodic variants.
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Lernziele
Nach der Lektüre dieses Weiterbildungsbeitrags …
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verstehen Sie, warum Patienten mit artifiziellen Störungen für somatisch-medizinische Ärzte, aber auch auf für Psychiater, Psychosomatiker und Psychotherapeuten eine diagnostische und therapeutische Herausforderung darstellen,
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sind Sie über die große phänomenologische Heterogenität dieser Störungen informiert,
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kennen Sie Epidemiologie, multifaktorielle Ätiopathogenese, Verlauf und Komorbiditäten artifizieller Störungen,
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können Sie die Probleme und Besonderheiten im diagnostischen Prozess einschätzen,
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sind Sie vertraut mit dem grundlegenden therapeutischen Umgang mit Artefaktpatienten sowie den hiermit verbundenen ethischen und medizinisch-rechtlichen Problemstellungen.
Problemstellung und prototypische klinische Situation
Der Zutritt zum modernen medizinischen Versorgungssystem wird über komplexe medizinisch-ethische, aber auch sozialrechtliche Normen geregelt. Der individuellen Arzt-Patienten-Beziehung wird hierüber eine speziell geschützte Position eingeräumt. Die Übernahme einer Krankenrolle geht für den Patienten mit einer Reihe von Vergünstigungen einher, z. B. mit Krankschreibung, Freistellung von Rollenpflichten, Lohnfortzahlung etc. Grundlegende Vorannahme des normativen Kontextes von Erkrankung, Heilung und Gesundung ist zunächst das Verständnis von „Krankheit“ als einem schicksalhaft auftretenden „pathischen“ Geschehen. Körperliche oder seelische Beeinträchtigungen dürfen also nicht mutwillig oder absichtlich selbstverursacht sein. Sie dürfen auch nicht vorgetäuscht werden. Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist prinzipiell offen, ehrlich und vertrauensvoll zu gestalten. Es findet in der ärztlichen Schweigepflicht seinen besonderen Ausdruck.
Mit der Übernahme der Krankenrolle bemüht sich der Patient, den Anordnungen des Arztes getreu zu folgen, den Gesundungsprozess nicht zu verzögern, um bald wieder die erkrankungsbedingt suspendierten sozialen Rollenerwartungen erfüllen zu können. Er darf die Vorzüge der Krankenrolle auch nicht um ihrer selbst willen anstreben. Der Arzt wiederum ist verpflichtet, die im Einzelfall notwendigen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen nach bestem Wissen entsprechend den aktuellen Heilstandards und nach seinem persönlichen Gewissen einzusetzen. Er muss hierbei das persönliche Wohl und die Vermeidung einer Schädigung des Patienten als Maxime seines ärztlichen Handelns befolgen.
Gegen diesen normativen Kontext der medizinischen Versorgung scheint eine Gruppe von Patienten besonders gravierend zu verstoßen und mit ihrem speziellen Krankheitsverhalten auch die kontaktierten Ärzte auf heikle Weise in große Konflikte zu verwickeln. Es handelt sich um Patienten, die Krankheitssymptome, körperliche Beschwerden und Behinderungen willentlich vortäuschen, übertreiben oder bei sich selbst induzieren, um so Kontakt mit Ärzten und medizinischen Einrichtungen herzustellen und hierüber eine Krankenrolle einzunehmen. Patienten mit artifiziellen Störungen stellen eine bedeutsame Herausforderung für jedes Gesundheitssystem dar.
Patienten mit artifiziellen Störungen gelingt es, in allen medizinischen Disziplinen die wichtigsten Krankheiten gleichsam mimikryartig nachzuahmen, selbst jene, die ein raffiniertes medizinisches Detailwissen voraussetzen. In aller Regel sind sie bereit, auch invasive diagnostische Prozeduren zu durchlaufen. Sie willigen in zahlreiche medikamentöse und operative Therapien ein, die sie äußerlich geduldig über sich ergehen lassen. Gleichzeitig verhindern sie aber eine nach dem Stand der ärztlichen Heilkunst zu erwartende Besserung der Beschwerden und Symptome, indem sie die durchgeführten medizinischen Behandlungen heimlich durch selbstschädigende Manipulationen hintertreiben. Ihre Angaben zur Krankheitsanamnese sind meist widersprüchlich, ihre affektive Einstellung zum Krankheitsverlauf ist oft auffällig indifferent. Für Ärzte und Pflegeteam werden diese Patienten so zu einem irritierenden medizinischen Rätsel. Oft werden große Energien und Ressourcen eingesetzt, um dem unklaren Krankheitsprozess doch noch auf die Spur zu kommen. Über kurz oder lang verändert sich eine anfänglich scheinbar harmonische Arzt-Patienten-Beziehung in eine hoch konflikthafte Auseinandersetzung.
Werden diese Patienten schließlich in ihrer Täuschung und heimlichen Selbstschädigung erkannt, führt dies auf Station zu Verwirrung und Ratlosigkeit, zu Ärger, Wut und Vorwurfshaltung. Selbst eindeutige Beweise für ein Manipulationsverhalten werden von den Patienten meist empört zurückgewiesen. Vermittelnde Angebote einer psychiatrischen Konsultation angesichts des offenkundigen abnormen Krankheitsverhaltens werden mehrheitlich abgelehnt und häufig durch Selbstentlassung beantwortet. In einer nachträglichen Recherche und Rekonstruktion imponiert nicht selten ein jahrelanger Krankheitsverlauf mit zahllosen Arztkontakten, mit vielfachen Aufenthalten in anderen Krankenhäusern, mit multiplen, oft invasiven diagnostischen Untersuchungen und Operationen. Mit diesem zuweilen exzessiven medizinischen Inanspruchnahmeverhalten sind enorme sozioökonomische Kosten verbunden. Eine bedeutsame Rate an bleibenden Behinderungen infolge eigener heimlicher Selbstschädigungen, aber auch infolge der durchgeführten ärztlichen Interventionen stellt sich als eine zusätzliche Herausforderung dar.
Wenngleich artifizielle Störungen sich im medizinischen Versorgungssystem überwiegend über körperliche Symptombilder präsentieren, so können auch psychologische Störungen vorgetäuscht werden. Am häufigsten hierunter sind fingierte psychotische Symptome, berichtete ängstliche oder depressive Verstimmungen nach vorgeblichen Verlusterlebnissen oder posttraumatische Symptome nach fälschlich behaupteten Traumatisierungen.
Spezialfälle artifizieller Störungen betreffen vorgetäuschte Krankheitszustände, bei denen Eltern, vor allem Mütter bei ihren Kindern Krankheitssymptome durch gezielte Manipulationen induzieren, mit ihren erkrankten Kindern medizinische Einrichtungen aufsuchen, die Ärzte jedoch über die wahren Gründe der kindlichen Gesundheitsprobleme täuschen („Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom“: „Münchhausen by proxy“). Seltene Fälle mit ganz analog selbstfabrizierten Krankheitsbildern in Partnerbeziehungen Erwachsener sind ebenfalls bekannt geworden („Münchhausen by adult proxy“). Ferner existieren auch Berichte über Personen, die sich mit vorgetäuschten Erkrankungen in speziellen Foren des Internets bewegen.
Fallvignette zur Veranschaulichung der klinischen Herausforderung
Eine 28-jährige Frau erscheint in der Notaufnahme eines universitären Klinikums wegen wiederholter Anfälle mit Bewusstlosigkeit. In dieser Ambulanz kommt es ebenfalls zu einem solchen Anfall. Der neurologische Konsiliarius findet das Anfallsmuster hoch dramatisch, kann es aber keiner definierten Epilepsieform zuordnen. Neurologischer Status, Notfall-CCT (kraniale Computertomographie) und EEG (elektrenzephalographie) sind unauffällig. Es finden sich auch keine erklärenden anderen Krankheitszeichen in der internistischen Untersuchung samt EKG (Elektrokardiographie), Routinelabor und Toxikologie. Der Neurologe äußert den Verdacht auf „psychogene Anfälle“, nimmt die Patientin aber zur weiteren Beobachtung auf Station. Hier klagt die Patientin über Symptome eines Hörsturzes. In der HNO (Hals-Nasen-Ohren)-ärztlich durchgeführten Audiometrie fällt eine Aggravationstendenz der Hörminderung auf. Wie nebenbei schildert die Patientin, sie sei bereits in ihrem 14. Lebensjahr an einem Melanom operiert worden. In den folgenden Jahren hätten sich hierauf chronische Schmerzen entwickelt. Diese seien mittlerweile nur mehr unter Valoron beherrschbar. Bei einer der letzten dermatologisch-radiologischen Kontrollen sei der Verdacht auf eine generalisierende Metastasierung geäußert worden. Wegen des übermäßigen Verlangens nach Opiaten wird ein psychiatrisches Konsil angefordert. Hiervon erfährt die Patienten und entlässt sich gegen ärztlichen Rat.
Die Patientin wird ärztlicherseits in den nächsten 6 Monaten nicht gesehen. Es lässt sich nachträglich jedoch rekonstruieren, dass sie weiterhin täglich im Klinikum ist. Den zahlreichen Besuchern teilt sie mit, sie müsse sich einer Chemotherapie und Bestrahlung im Klinikum unterziehen. Ihre Besucher empfängt sie in der Patientenstraße, in Bademantel bekleidet, stets an einer intravenösen Leitung mit Infusionsflasche am mobilen Ständer. Ihr Kopf ist kahl. Sie ist sehr blass und scheint in schlechtem Allgemeinzustand zu sein. Mehrere Besucher erinnern sich, dass es während dieser Monate nicht möglich gewesen sei, jemals einen Arzt zu sprechen oder näher zu erfahren, wo die onkologische Therapie eigentlich durchgeführt werde.
Im darauf folgenden Sommer taucht die Patientin in einem zweiten Klinikum am anderen Stadtende auf. Wieder erscheint sie in der Notaufnahme unter dramatischen Umständen. Wegen eines vermuteten „Atemstillstands“ wird sie auf Intensivstation aufgenommen. Sie wird vorübergehend intubiert. Die Ärzte sind verwundert, dass Herz-Kreislauf-Monitoring, Thoraxröntgen und Laryngoskopie zunächst unauffällig sind. In den Folgetagen kommt es wiederholt zu Anzeichen einer dramatischen Atemwegsobstruktion. Die Patientin gibt an, seit früher Kindheit an einer schlimmen Pollenallergie zu leiden. Bei einer Wiederholung der Laryngoskopie wird eine Schwellung des Larynx entdeckt, zusätzlich stellen sich unklare Blutungen im Halsbereich dar. Ärztlicherseits wird eine Tracheotomie diskutiert. Es erfolgt eine medikamentöse Behandlung mit Kortikosteroiden, β‑Mimetika und Antihistaminika, jedoch ohne Erfolg. Blutgasanalyse und Sauerstoffsättigung sind weitgehend unauffällig. Bei einer ersten Fremdanamnese geben sowohl der Ehemann als auch die Mutter an, sie seien verzweifelt über den schlechten Gesundheitszustand der Patientin.
In weiterer Folge erreichen zwei ungewöhnliche Informationen die Station, welche zur weiteren Verwirrung der Gesamtsituation beitragen. Völlig überraschend meldet sich eine Bekannte der Patientin beim Pflegeteam. Sie teilt mit, dass sie die Patientin vor zwei Jahren auf einer onkologischen Station in einer anderen Großstadt kennen gelernt habe. Die Patientin sei damals wegen eines Melanoms chemotherapeutisch behandelt worden. Die Freundin gibt sich überrascht, dass die Patientin noch lebe, da sie damals angeblich schon im Finalstadium ihrer schweren Krankheit gewesen sei. Von einem früheren Melanom ist den Kollegen auf Station nichts bekannt. Ein Kollege tauscht sich mit einem anderen Kollegen aus der Kinderklinik über den ärztlichen Alltag aus. Sie erzählen einander von schwierigen Patienten. Der Kollege aus der Kinderklinik weiß zu berichten, dass im zurückliegenden Monat eine 28-jährige Mutter fast täglich mit ihrer 7‑jährigen Tochter unter jeweils dramatischen Atemwegsbeschwerden in der Notfallambulanz der Kinderklinik aufgetreten sei und das Ambulanzteam schier zur Verzweiflung gebracht habe. Das Mädchen sei schließlich stationär aufgenommen worden. Die somatischen Beschwerden hätten sich auf Station rasch gebessert. Nach Besuchen der Mutter bei ihrer Tochter habe sich deren Zustand aber jeweils dramatisch verschlechtert. Abgesehen von einer diskreten Larynxschwellung und unklaren Blutspuren seien stets nur Normbefunde erhoben worden. Als die Ärzte der Mutter vorsichtig ihren Verdacht äußern, dass die symptomatischen Krisen der Tochter mit den Besuchen zusammenhängen könnten, verschwinden Mutter und Tochter aus dem Krankenhaus ohne nähere Angaben. In dem gemeinsam geweckten Interesse der beiden Ärzte wird bei einer Überprüfung der Patientendaten schnell klar, dass die Patientin der einen Klinik wie auch die junge Patientin der anderen Klinik denselben Namen führen und auch unter der gleichen Adresse gemeldet sind.
Auf Station eskalieren die somatischen Beschwerden der Patientin. Wegen schwerer Atembeschwerden drängt sie erneut auf eine Tracheotomie, um endlich von ihrer Angst, ersticken zu können, erlöst zu werden. Der Stationsarzt führt ein zweites Gespräch mit Ehemann und Mutter der Patientin. Er teilt seinen dringenden Verdacht mit, dass die Patienten ihre körperlichen Symptome eventuell bei sich selbst induziere und sehr wahrscheinlich auch ihre kleine Tochter in ihr Krankheitsverhalten miteinbeziehe. Unter dem Druck der Situation gestehen Mutter und Ehemann, dass sie hierüber Bescheid wüssten, aber dem Verhalten der Patientin hilflos ausgeliefert seien. Sie seien von ihr emotional erpresst worden, wenn sie den Ärzten irgendetwas mitteilten, würde sie sich mit der Tochter suizidieren. Die Ärzte konfrontieren die Patientin auf Station. Es kommt in Folge zu einem schweren Erregungszustand der Patientin. Sie kratzt sich wegen eines unerträglichen Juckreizes Beine und Arme wund, verletzt sich im Gesicht und Mundbereich und „erbricht“ Blut. Sie wird suizidal.
Der emotionale Ausnahmezustand ist auf Station nicht mehr beherrschbar. Wegen akuter Suizidalität wird die Patientin in das psychiatrische Bezirkskrankenhaus eingewiesen. Hier bleibt sie eine Nacht. Sie erklärt den Ärzten vor Ort, alles sei ein grobes Missverständnis gewesen. Sie wird anderntags wieder entlassen.
Am Abend desselben Tages wird sie über den Notarzt wegen Verdachts auf „Atemstillstand“ in die Notaufnahme des ersten Klinikums eingeliefert. Die somatischen Befunde sind hier erneut unauffällig. Die Ärzte teilen ihr am nächsten Morgen mit, dass ein Gespräch mit dem Konsiliarpsychiater für sie vielleicht von Nutzen sein könne. Der Konsiliarpsychiater trifft kurz später in der Notaufnahme ein, findet aber ein leeres Bett vor. Die Patientin hat sich in einem vom Ärzte- und Pflegeteam unbemerkten Augenblick selbst entlassen.
Konzeptentwicklung der artifiziellen Störung
Die Konzeptualisierung einer artifiziellen Störung ist relativ neuzeitlichen Ursprungs [1]. Als eigene diagnostische Kategorie taucht sie erst mit dem DSM-III (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders III, 1980 ) auf. Krankheitsvortäuschungen allgemein sind innerhalb der Medizin aber schon seit langem beschrieben worden. So gehen frühe Berichte bis auf das 18. Jahrhundert zurück. Sie betrafen Fälle von Soldaten und Seeleuten, die durch Manipulieren ihres Gesundheitszustands militärische Einsätze oder gefährliche Engagements auf See zu vermeiden trachteten. Diese Fälle würden in einem heutigen Verständnis vorrangig als Simulationen gewertet werden. Das Thema war in weiterer Folge integraler Bestandteil der großen Hysterie-Diskussion des ausgehenden 19. Jahrhunderts der Pariser Neurologie um J. M. Charcot und P. Janet. Es erfuhr dann seine über viele Jahrzehnte prägende Ausrichtung in der psychodynamischen Fassung der hysterischen Störungen durch S. Freud. Zahlreichen funktionellen körperlichen und psychologischen Symptombildern wurde im sogenannten Konversionsmodell eine dominante unbewusste Motivation zugrunde gelegt. Als solche fanden diese „hysterischen“ Störungen eine feste Position in den nachfolgenden Klassifikationssystemen anerkannter psychiatrischer Störungen. Sie erfuhren so auch eine sozialrechtliche Legitimation, hierüber eine Krankenrolle einzunehmen. Die Dimension eines hiermit verbundenen „sekundären Krankheitsgewinns“ wurde in dieser Konzeptualisierung zwar schon erörtert, war aber motivpsychologisch einer primären unbewussten Konfliktdynamik nachgeordnet. Hiervon kategorial abgegrenzt blieben weiterhin körperliche und psychologische Symptomproduktionen, die als bewusste intentionale Simulationen primär auf das Erreichen sozialer Vorteile und Gewinne aus der Krankenrolle gerichtet waren.
Diese konzeptuelle Auftrennung nach unbewusst-nichtintentional vs. bewusst-intentional blieb auch in der erstmaligen Einführung der diagnostischen Gruppe der „somatoformen Störungen“ einerseits, der benachbarten neuen Störungsgruppe der „artifiziellen Störungen“ andererseits durch das DSM-III bestimmend. Die prinzipielle diagnostische Abgrenzung beider Störungsgruppen beruhte auf einer theoretischen Vorannahme: Bei somatoformen Störungen sei die Symptomproduktion nichtintentional, ohne dass genau dieses Kriterium bei einer klinischen Diagnose explizit verifiziert werden musste. Bei artifiziellen Störungen erfolge die Symptomproduktion hingegen intentional, ohne dass wiederum eine nähere Motivanalyse der angestrebten Übernahme der Krankenrolle gefordert war. Die grundlegenden diagnostischen Kriterien für das Vorliegen einer artifiziellen Störung lauteten:
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eine intentionale Produktion oder Vortäuschung körperlicher und/oder psychologischer Symptome (Kriterium A),
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als Hauptmotivation die Übernahme der Krankenrolle (Kriterium B)
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sowie als Abgrenzung gegenüber der Simulation fehlende äußere Anreize aus der Übernahme der Krankenrolle, die das gezeigte Krankheitsverhalten plausibel motivisch erklären (Kriterium C).
In den Revisionen von DSM-III bis DSM-IV-TR behielt die Störungsgruppe der artifiziellen Störungen eine konzeptuelle Zwischenposition auf einem gedachten Kontinuum bei, das am einen Ende von den somatoformen/dissoziativen Störungen, am anderen Ende von Fällen einer Simulation ohne definierte Anerkennung als psychiatrischer Krankheit oder Störung begrenzt war (Abb. 1). Die ICD-10 (International Classification of Diseases 10) folgte im Wesentlichen dieser diagnostisch-klassifikatorischen Sichtweise.
Der diagnostische Status sowohl der somatoformen als auch der artifiziellen Störungen wurde in den zurückliegenden Jahren einer intensiven konzeptuellen Kritik unterzogen [2, 3]. Eine nach den DSM-Kriterien geforderte Unterscheidung von nichtintentionaler vs. intentionaler Symptomproduktion bzw. von unbewusster Konfliktdynamik oder belastender äußerer Lebenssituation vs. unklarer innerer Motivlage in der angestrebten Krankenrolle erweist sich in einem klinischen Kontext so gut wie nie durchführbar und bedingt einen starken diagnostischen Bias in Richtung somatoformer Störungen. Turner [4] formulierte für die artifiziellen Störungen einen diagnostischen Alternativvorschlag. Er betonte eine Kombination von Täuschung/Lüge/biographischer Fälschung einerseits und inhärenter Selbstschädigungstendenz im Krankheitsverhalten andererseits als wesentliche diagnostische Merkmale artifizieller Störungen. Ungeklärt blieb bei diesem konzeptuellen Vorschlag aber, in welcher Weise „Lüge“ als ein psychopathologisches Phänomen gewertet werden kann. Zudem verwischen sich in der diagnostischen Gewichtung einer „pathologischen Lüge“ die Grenzen zur Simulation bedeutsam. Auch die Abgrenzung einer prominenten Selbstschädigung im artifiziellen Krankheitsverhalten gegenüber den vielfältigen anderen Formen offener selbstschädigender Verhaltensformen gelingt nicht leicht, insbesondere gegenüber jenen, die auch bei schwerwiegenden somatoformen Störungen beobachtet werden [5].
Krahn et al. [6] plädierten angesichts sehr ähnlicher Krankheitsverläufe von artifiziellen Störungen und komplexen somatoformen Störungen, vor allem der Somatisierungsstörung, für eine stimmigere Subsumierung der artifiziellen Störungen als eigenständigen Subtyps unter die Gruppe der somatoformen Störungen. Auch wenn Patienten mit artifiziellen Störungen sich ihrer primären inneren Motive häufig nicht bewusst seien, gehe es ihnen in ihren bewussten Symptominduktionen und verfälschten Krankheitsanamnesen primär darum, gegenüber Ärzten ein dominantes Selbstkonzept, nämlich krank zu sein, darzustellen.
Bass und Halligan [7] vollzogen eine noch radikalere Kritik am diagnostischen Status sowohl der artifiziellen Störungen als auch der Simulationen. Sie betonten in beiden Fällen nicht primäre pathologische, sondern vielmehr ubiquitäre, mehr oder weniger sozial adaptive Verhaltensformen der Täuschung, die nicht den Status einer medizinischen Diagnose beanspruchen könnten. Krankheitstäuschungen seien zunächst in den Dimensionen freier Wille, Intentionalität, Entscheidung und Verantwortlichkeit empirisch zu untersuchen. Erst in einem sekundären Analyseschritt könne eine mögliche psychopathologische Wertigkeit dieser Verhaltensweisen bestimmt werden (Abb. 2).
Das DSM-5 führt die artifiziellen Störungen weiter als psychiatrische Diagnose auf, ordnet sie aber nun der Gruppe der somatischen Belastungsstörung und verwandter Störungen zu. Es nennt folgende diagnostische Kriterien:
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eine Fälschung körperlicher oder psychologischer Symptome und Beschwerden oder eine Selbstverletzung oder Induktion einer Krankheit im Rahmen der identifizierten Täuschung,
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eine Selbstdarstellung als krank, behindert oder verletzt gegenüber anderen,
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ein evidentes Täuschungsverhalten auch bei fehlenden offenkundigen externen Vorteilen.
Es unterscheidet ein artifizielles Verhalten sich selbst gegenüber von einem artifiziellen Verhalten gegenüber anderen (früher: Münchhausen-Stellvertreter-Syndrome: Münchhausen-by-proxy-Syndrom oder Münchhausen-by-adult-proxy-Syndrom). Es ist derzeit noch unklar, welcher diagnostischen Konzeptualisierung die künftige Revision von ICD-11 folgen wird.
Epidemiologische Befunde
Die skizzierten diagnostischen Unsicherheiten, insbesondere die absichtliche Täuschung, die einer artifiziellen Störung definitionsgemäß innewohnt, erschweren grundlegende epidemiologische Studien zu Prävalenz oder Inzidenz enorm. Orientierende Angaben zur Häufigkeit und zu soziodemographischen Grunddaten von Patienten mit artifiziellen Störungen stammen meist aus Jahresübersichten psychiatrisch-psychosomatischer Konsiliardienste oder aus Analysen von Einzelfallkasuistiken. Seltener werden sie auch aus systematischen Recherchen innerhalb eines definierten medizinischen Arbeitsgebietes (z. B. immunologische Charakterisierung unklarer Fieberzustände, chemische Analyse von Nierensteinen) abgeleitet, in dem prinzipiell schon die Möglichkeit einer artifiziellen Verursachung somatischer Zustände diagnostisch erwogen wird. Eine weitere empirische Strategie besteht in der direkten Umfrage unter ärztlichen Kolleginnen und Kollegen in einem Versorgungsgebiet nach eventuellen Kontakten mit Artefaktpatienten während eines bestimmten Zeitraums. Berichtete Häufigkeiten hängen also von zahlreichen Faktoren ab:
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dem medizinischen Untersuchungs- und Behandlungssetting,
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dem besonderen Patienten-Sample,
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dem Verdachtsindex auf das Vorliegen einer artifiziellen Verursachung,
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der verwendeten diagnostischen Methodik,
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dem konsiliarpsychiatrischen Überweisungsmodus.
Schätzungen gehen von einer Einjahresprävalenz artifizieller Störungen mit vorwiegend körperlichen Symptomen zwischen 0,5 % und 2 % bei Patienten in somatisch-medizinischen Versorgungskontexten aus [8, 9, 10, 11]. Diese Häufigkeitsziffern bilden aber allenfalls die klinisch dramatischeren Fälle orientierend ab. Es muss eine bedeutsame Unterschätzung des gesamten Ausmaßes von Krankheitstäuschungen im Gesundheitssystem unterstellt werden [12].
Im Unterschied zu artifiziellen Störungen mit vorwiegend körperlichen Symptomen liegen zu artifiziellen Störungen mit psychologischen Symptomen nach wie vor nur sehr wenige Untersuchungen vor [13]. Diese psychologischen Zustandsbilder wie Fälle von fiktiven Psychosen, abnormen Trauerreaktionen oder PTSD („posttraumatic stress disorder“) werden üblicherweise ausschließlich auf der Basis subjektiver Berichte der Patienten ohne weitere objektive Befunde diagnostiziert. Sie werden daher leicht nicht erkannt. Auch wenn einige klinische Studien zum Thema publiziert worden sind, lässt sich hieraus keine verlässliche Prävalenzschätzung ableiten [3].
Meadow [14] schrieb erstmals über Fälle, bei denen Mütter bei ihren Kindern Krankheitssymptome induzieren und sie häufig unter Notfallbedingungen Ärzten vorstellen. Er bezeichnete dieses klinische Zustandsbild „Münchhausen by proxy“. Seither ist dieses Phänomen zu einer zentralen Herausforderung im pädiatrischen Versorgungsalltag geworden. Häufigkeitsschätzungen hängen sehr stark von der Definition der Einschlusskriterien ab. Zugrunde gelegte strenge Kriterien kamen zu einer Häufigkeit von ca. 0,5 auf 100.000 Kinder unter 16 Jahren, von 2–8 auf 100.000 Kinder unter dem 1. Lebensjahr. Wahrscheinlich ist aber von einer deutlich höheren Inzidenz auszugehen [15].
Soziodemographische Analysen unterscheiden im Wesentlichen zwei Patientengruppen [3]:
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Patienten mit vorgetäuschten Erkrankungen im Sinne einer heimlichen Selbstmisshandlung weisen häufiger einen episodischen Krankheitsverlauf auf. Sie sind mehrheitlich weiblich und im jungen Erwachsenenalter. Sie zeigen einen günstigeren psychosozialen Adaptationsgrad und stammen bevorzugt aus medizinischen und pflegerischen Berufsgruppen.
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Patienten mit chronischen Krankheitsverläufen sind sehr viel häufiger Männer im mittleren Lebensalter. Sie sind meist unverheiratet, in aller Regel ihrer Familie entfremdet und leben meist sozial isoliert. Sie kennzeichnet eine früher als „Münchhausen-Syndrom“ zusammengefasste Merkmalskombination von falscher Identität, wechselnden biographischen Angaben, Pseudologia phantastica sowie Krankenhauswandern als Anzeichen einer sozialen Entwurzelung. Diese spezielle Patientengruppe macht in Übersichtsarbeiten ca. 10 % der Artefaktpatienten aus.
Patienten mit artifiziellen Störungen sind in allen medizinischen Versorgungskontexten bekannt. Nicht überall findet sich aber dieselbe geschlechtsdifferenzielle Verteilung, wie oben aufgeführt. In neurologischen Behandlungssettings scheint jene in anderen medizinischen Disziplinen überwiegende Mehrheit von Frauen mit heimlichen Selbstmisshandlungen gegenüber männlichen Patienten nicht vorzuliegen [16]. Auch im kardiologischen Bereich, bei HIV- oder mit sexuellen Dysfunktionen assoziierten artifiziellen Störungen scheinen männliche Patienten zu überwiegen. Bemerkenswert ist, dass artifizielle Zustandsbilder in der Dermatologie von Patienten mit einem deutlich höheren Durchschnittsalter präsentiert werden [17].
Manifestationen artifizieller Störungen sind mittlerweile auch im Internet bekannt geworden [18]. Feldman [19] publizierte erstmals über Fälle eines irritierenden artifiziellen Verhaltens, bei denen einzelne Web-User sich in Selbsthilfeforen einklinkten und durch die manipulative Schilderung von eigenen tödlichen Erkrankungen, wiederkehrenden fatalen Krisen und wundersamen Heilungen nicht nur die große Sympathie, sondern auch eine bedeutsame psychologische und finanzielle Unterstützung bei zahlreichen Forenmitglieder erschlichen und nach Aufdecken des Artefakts große Verunsicherung in der Webgemeinde verursachten. Mitteilungen über ein „Münchhausen by proxy“ im Internet folgten konsequent. Eine nähere epidemiologische und soziodemographische Charakterisierung dieses neuen Personenkreises ist noch nicht möglich.
Ätiopathogenetische Modelle
Bereits Asher [20] wunderte sich in seiner klassischen Arbeit über die dunklen Motive im Handeln von Artefaktpatienten. Trotz subtiler Detailbeschreibungen von Einzelfällen, die einen spannenden Einblick in die Innenwelt dieser Patienten bieten [21, 22], bleiben zur Ätiopathogenese artifizieller Störungen viele Fragen weiterhin offen. Der Hauptgrund hierfür ist, dass sich diese Patientengruppe störungsinhärent einer systematischen Erforschung entzieht. Derzeit vorliegende Erklärungsansätze können daher nicht so ohne Weiteres auf die sehr heterogene Gesamtgruppe von Artefaktpatienten bezogen werden.
Wichtige ätiopathogenetische Modellvorstellungen sind psychodynamisch und traumapsychologisch ausgerichtet [23]. Zentrale psychodynamische Themen drehen sich um Abhängigkeit, Masochismus, narzisstischen Triumph und vor allem um maladaptive Bewältigung traumatischer Erfahrungen. In der Tat finden sich in der frühen Entwicklungsgeschichte gehäuft Angaben über elterliche Grausamkeiten mit traumatisierendem körperlichem und sexuellem Missbrauch, über emotionale Vernachlässigungen, Trennungs- und Verlusterlebnisse, prägende Erfahrungen mit schwerwiegenden eigenen Erkrankungen oder der naher Familienangehörigen, über Heimunterbringungen usw., die mit einer massiven Störung des Körperselbst, der Selbstwertregulierung und der zwischenmenschlichen Beziehungsfähigkeit einhergingen. Sie stellen die entwicklungspsychologische Basis für ein später abnormes Krankheitsverhalten dar [24, 25]. Motivationale Überlegungen orientieren sich vorteilhaft an den beiden grundlegenden psychopathologischen Dimensionen der „Selbstbeschädigung“ einerseits sowie der „Täuschung und Manipulation“ andererseits.
Die frühe Entwicklung des Körperselbst bei Patienten mit artifiziellen Störungen ist häufig von körperlicher und sexueller Gewalt zum einen, von Krankheit und Behinderung zum anderen geprägt. In dieser Entwicklung wird der Körper allenfalls als objektiviertes Objekt kennengelernt. Verinnerlichte negative primäre Beziehungserfahrungen können zu einer verzerrten Wahrnehmung des eigenen Körpers und zu negativen Einstellungen und Gefühlen ihm gegenüber führen. Hiermit assoziiert sind eine mangelhaft modulierte selbstgerichtete Aggressivität, eine gestörte Einstimmung in körperliche Bedürfnisse, eine verringerte Selbstfürsorge, eine verzerrte Wahrnehmung von Schmerz und Lust, eine Dissoziationsneigung sowie ein symbolisierter Hass gegen den eigenen Körper [26].
Diese Körperselbststörungen lassen sich vorteilhaft innerhalb eines traumapsychologischen Modells betrachten. Typisches dynamisches Kennzeichen schwerwiegender traumatischer Erfahrungen in interpersonalen Beziehungen ist u. a. die Neigung zur Wiederholung im weiteren Entwicklungsverlauf [27]. Betroffene Individuen sind hierbei typischerweise bestrebt, wieder aktiv handeln zu können, die Kontrolle über eine zuvor unbeherrschbare Situation zurückzugewinnen. Die traumatischen Wiederholungen vollziehen sich oft zunächst in selbstschädigenden Handlungsweisen dem eigenen Körper gegenüber, nicht selten im Zustand eines dissoziativ veränderten Bewusstseins [23]. Diese autodestruktiven Körperhandlungen erfüllen eine Reihe wichtiger psychodynamischer und psychobiologischer Funktionen. Sie tragen dazu bei, eine unerträgliche innere Spannung zu beherrschen, Gefühle von Einsamkeit und innerer Leere zu kontrollieren, diese durch eine masochistische Lusterfahrung in eine euphorisierende Gestimmtheit überzuführen. Sie können ein Gedankendrängen beenden, sich zu verselbstständigen drohende Suizidimpulse kontrollieren und quälende Zustände von Depersonalisation unterbinden. Gerade bei habituellen artifiziellen Schädigungen ist auch ein fast suchtartiger Charakter zu beachten, der auf eine entscheidende, aber letztlich noch wenig verstandene neurobiologische Basis hinweist.
Ein Großteil der kindlichen Fantasie- und Affektentwicklung vollzieht sich im sprachlichen Medium von Erzählungen und Geschichten. Sie helfen, die subjektive Erfahrungswelt des Kindes kohärent zu organisieren und sie mit einer sukzessiv sich weitenden sozialen Welt abzustimmen. Der Prozess der Konstruktion und Vermittlung einer persönlichen und einer sozialen Realität funktioniert aber nur innerhalb zuverlässiger Beziehungen mit Erwachsenen, primär in der Bindung mit den Eltern. Geschichten werden hier zu miteinander teilbaren Augenblicken von Gemeinsamkeit. Dieser Prozess der Aneignung subjektiver und sozialer Realität kann durch frühe emotionale Deprivation und familiäre Konfliktträchtigkeit schwer entgleisen. Aus einem Leben mit Geschichten kann ein Leben in Geschichten werden, die dann zum vorwiegenden Bezugsrahmen einer persönlichen Orientierung, Sicherheit und Selbstwerterhaltung werden. Was als habituelles Lügen und Täuschen imponieren mag, ist für den Erzähler ein narzisstischer Anker, der selbst von gravierenden Tatsachen einer äußeren Realität nicht korrigiert werden darf [28, 29]. Geschichten dieser Art helfen auch eine traumatische Realität zu transformieren, indem sie wichtige Aspekte dieser ausklammern und durch Wunschelemente ersetzen. Je erschütternder Traumatisierungen für ein heranwachsendes Kind gewesen sind, desto geringer sind die Chancen, zu einer kohärenten Synthese seiner Lebensgeschichte zu gelangen.
Viele Patienten mit artifiziellen Störungen stammen aus Familien, in denen physische Gewalt oder inzestuöser Übergriff vorlagen. Eine tragfähige Verarbeitung dieser familiären Realität ist dann unmöglich, wenn dieser Ausschnitt der familiären Interaktionen zum Bestandteil eines Familienmythos geworden ist. Über diesen aufrichtig zu sprechen, würde einen grundlegenden Verstoß gegen die familiäre Loyalität bedeuten und auch das familiäre Bindungssystem gefährden [22].
Neben dominanten psychodynamischen Motiven des Täuschens und Lügens müssen allerdings auch mögliche organische Faktoren mitbedacht werden [30]. Einige Befunde weisen darauf hin, dass zumindest bei einer Subgruppe von Münchhausen-Patienten bei normalem verbalem Intelligenzprofil auffällige neuropsychologische Defizite in der konzeptuellen Organisation, Verarbeitung und Beurteilung komplexerer Informationen vorliegen. Häufig kann bei diesen Patienten eine frühe soziale, vor allem schulische Entwicklung rekonstruiert werden, die zahlreiche kognitive Defizite und Lernschwierigkeiten verrät [31].
In einer klinischen Perspektive ist bei Patienten mit artifiziellen Störungen ein breites Spektrum von Störgraden anzunehmen. An dessen einem Pol sind passagere Reaktionen in emotional belastenden Krisen z. B. in typischen Entwicklungssituationen während der Adoleszenz oder neurotische Konfliktlösungen angesiedelt, an dessen anderem Pol gruppieren sich schwere narzisstische, Borderline- und antisoziale Persönlichkeitsstörungen. Jene letzteren Patienten mit strukturellen Defiziten vermitteln am eindrucksvollsten einen Einblick in die zugrunde liegende intrapsychische und interpersonale Dynamik einer artifiziellen Störung [23].
Der frühe Entwicklungskontext von Patienten mit schwerwiegenden artifiziellen Störungen verrät zahlreiche schwerwiegende Beeinträchtigungen. Ein hoher Prozentsatz von Persönlichkeitsstörungen überrascht nicht. In pathogenetischer Hinsicht kann man bei einem Teil der Patienten zunächst den klinischen Eindruck gewinnen, dass ihre körperlichen Selbstschädigungen und interpersonalen Täuschungsmanöver sozusagen integrale Ausformungen ihrer Persönlichkeitsstörung darstellen, im Einzelfall den besonderen Schweregrad der aktuellen persönlichen und sozialen Dekompensation ausdrücken. Und doch lassen sich auf einer syndromalen Ebene auch einige distinkte Entwicklungsstränge mit mehrjährigen Karrieren somatoformer und dissoziativer Störungen, Suchterkrankungen, offener Selbstschädigungen oder Essstörungen rekonstruieren, bevor die artifiziellen Syndrome auftreten.
Der aktuelle Auslösekontext ist begreiflicherweise sehr schwierig zu eruieren. Mehrere bedeutsame Stressoren können in detaillierten klinischen Untersuchungen exploriert werden, wie z. B. langfristig unlösbare familiendynamische Konflikte, Verlusterlebnisse naher Angehöriger oder Gefährdung einer symbiotischen Partnerbeziehung, schwerwiegende Kränkungen im Körperselbst, ein interpersonales Hilfesuchverhalten bei familiärer Dauerbelastung oder eine existenzielle Abwehr einer drohenden sozialen Desintegration ([24]; Abb. 3).
Empirische Befunde zum Münchhausen-by-proxy-Phänomen zeigen, dass mehrheitlich die Mütter als Täterinnen identifiziert werden konnten, zu einem wesentlich kleineren Prozentsatz auch die Väter, gelegentlich auch pflegerisches Personal. Bei den Müttern lagen sehr häufig ebenfalls somatoforme und/oder artifizielle Störungen vor. Eine hohe Rate an koexistenten Persönlichkeitsstörungen vor allem aus dem B‑Cluster wurde bei ihnen beschrieben. Die Mütter waren häufig in Gesundheitsberufen tätig und verfügten über medizinisches Detailwissen. Es ließen sich insgesamt starke Argumente für eine intergenerationelle Übermittlung des abnormen Krankheitsverhaltens in diesen identifizierten Fällen finden [15, 29].
Klinische Phänomenologie
Patienten mit artifiziellen Störungen können die unterschiedlichsten klinischen Zustandsbilder präsentieren. Tab. 1 gibt einen orientierenden Überblick über artifizielle Störungen mit vorwiegend körperlichen Symptomen entsprechend der einzelnen Organsysteme und der hierbei bevorzugt eingesetzten „Methoden“ der Selbstmanipulation (adaptiert nach [23]).
Diese oberflächlichen Beschreibungen verbergen im klinischen Versorgungsalltag aber eine Reihe unterschiedlichster Täuschungs- und Selbstschädigungsgrade. So kann z. B. hinter einem „artifiziellen Fieber“ im einen Fall lediglich die relativ harmlose Manipulation eines Fieberthermometers stecken, im anderen Fall aber die Injektion einer Kotsuspension in den zentralen Venenkatheder mit tödlich verlaufender Sepsis vorliegen. Einige Patienten täuschen bestimmte Krankheitssymptome vor, ohne selbst an ihrem Körper ernsthaft zu manipulieren. Andere wiederum induzieren schwerste lebensbedrohliche Krankheitsbilder oder aber interferieren bei einer vorliegenden somatischen Krankheit höchst negativ mit der dringend indizierten Therapie.
Ein rezentes systematisches Review über 455 Fälle von in der wissenschaftlichen Literatur dokumentierten artifiziellen Störungen betonte, dass eine selbstschädigende Induktion von Krankheitszuständen und Behinderungen eine bloße Vortäuschung zahlenmäßig klar überwiegt, also entgegen der üblichen Einschätzung im medizinischen Versorgungssystem eher als „Regelfall“ anzusehen ist [17].
Artifizielle Störungen mit vorrangig psychologischen Symptomen sind ebenfalls keineswegs selten. Berichte über posttraumatische Belastungsstörungen nach vorgeschützten Vergewaltigungen oder anderen fiktiven Traumatisierungen, pathologische Trauerreaktionen nach angeblichem Verlust von Angehörigen oder Partnern, somatoforme Schmerzstörungen, dissoziative Identitätsstörungen, Delire, Amnesien, psychotische Zustandsbilder oder aggressive Zwangsimpulse existieren in der Literatur. Zum Thema existieren allerdings deutlich weniger Forschungsergebnisse [3].
Bei artifiziellen Störungen mit psychologischen Symptomen muss insgesamt eine noch größere klinische Nähe zur Simulation als bei artifiziellen Störungen auf somatisch-medizinischem Gebiet vermutet werden. In vielen Fällen ist keine sichere Abgrenzung möglich. Als Faustregel für eine psychiatrisch-diagnostische Klärung könnte gelten, dass die Wahrscheinlichkeit einer intendierten Aggravation oder Vortäuschung im Sinne einer Simulation hoch einzuschätzen ist, wo auch immer neben der klinischen Symptomatik auch ein forensisch-juristischer Kontext vorliegt [7]. Es kann so gut wie jedes psychische Syndrom vorgetäuscht werden [32]. Eine gewisse klinische Prominenz erreichen Patienten mit folgenden Syndromen:
Artifizielle Psychose.
Fälle von dramatischen psychotischen Zustandsbildern mit Halluzinationen und Wahnideen, die unter Einfluss starker psychosozialer Stressoren auftreten, bevorzugt Patienten mit auffällig histrionischen und suggestiblen Persönlichkeitszügen betreffen, und die sich nach stationärer Aufnahme in einer psychiatrischen Klinik meist rasch bessern, wurden in der Vergangenheit häufig unter dem Konzept einer „hysterischen Psychose“ beschrieben [33]. Von Anfang an wurde auch eine zumindest partielle willentliche Steuerung dieser psychotischen Symptome diskutiert [34]. Subjektive Vorstellungen über psychotische Zustandsbilder, eine Identifikation mit der Krankenrolle eines psychotischen Patienten, eine sozial erlernte Copingstrategie, in akuten Stresssituationen um Fürsorge nachzusuchen, ein Mechanismus zur legitimen Regression wurden als mögliche psychodynamische Motive des pathologischen Krankheitsverhaltens erörtert [35, 36].
Artifizielle posttraumatische Belastungsstörung.
Die enorme Beachtung, die das PTSD-Konzept mittlerweile auch in der breiten Öffentlichkeit erlangt hat, macht verständlich, dass die Vortäuschung oder Aggravation von PTSD-Symptomen ein relevantes Krankheitsverhalten formen können. Erneut sind die zugrunde liegenden Motive höchst vielfältig [37]: finanzielle Kompensationen jedweder Form, Minderung der persönlichen Verantwortlichkeit bei Straftaten, eine das Gesicht wahrende Strategie, interpersonelle Hilfe in persönlichen Lebenskrisen zu erlangen, medizinische und/oder psychotherapeutische Unterstützung zu erhalten, im Rahmen einer Abhängigkeit psychotrope Substanzen wie Benzodiazepine oder Opiate verschrieben zu bekommen, sich unangenehmen Rollenpflichten des Erwachsenenlebens zu entziehen etc. Außerhalb von psychiatrischen Kliniken und medizinischen Notfallambulanzen kommt den vorgetäuschten oder aggravierten posttraumatischen Stresssymptomen v. a. in militärischen Kontexten eine zunehmende Bedeutung für die ärztliche und psychologische Betreuung zu. Sie stellen hier auch eine große Herausforderung für die Begutachtung von vorgegebenen dauerhaften Folgezuständen nach Traumata im Dienst dar [38].
Ein versorgungsrelevanter Unterschied zwischen Patienten mit psychologischen artifiziellen Störungen gegenüber Artefaktpatienten mit vorrangig körperlicher Symptomatik ist hervorzuheben. Letztere Patientengruppe strebt vielfältige somatisch-medizinische Hilfen an, lehnt aber meist jegliche psychiatrische Kontaktaufnahme strikt ab. Erstere Patientengruppe sucht hingegen gezielt psychiatrische Institutionen auf. In einer Gesamteinschätzung ähneln Patienten mit psychologischen artifiziellen Störungen in ihrem allgemeinen Profil stark den „Münchhausen-Patienten“ klassischer Prägung: wenige Besucher während des stationären Aufenthalts, häufig überraschende oder ungeplante Selbstentlassungen, Krankenhauswandern, Gesetzesverstöße, Beziehungslosigkeit, soziale Entwurzelung, gravierende Persönlichkeitsstörung, Pseudologia phantastica [39, 40].
Verlauf und Prognose
In retrospektiven konsiliarpsychiatrischen Übersichten wird bei Patienten mit artifiziellen Störungen und vorrangig körperlicher Symptomatik ein überwiegend chronischer Verlauf beschrieben. Die Schwere einer zugrunde liegenden Persönlichkeitsstörung und eine assoziierte psychopathologische und somatische Komorbidität nehmen verständlicher Weise einen wichtigen Einfluss auf Ausprägungsgrad und Persistenz. Bei einer Subgruppe wird aber auch auf einen episodischen Verlaufstypus hingewiesen [24, 41]. Verlauf und Prognose werden offensichtlich durch die Anzahl der aufgenommenen Arztkontakte, vor allem durch ein wiederkehrendes diagnostisches Nichterkennen der artifiziellen Natur der präsentierten Symptome mitbestimmt. Eine erschreckend hohe Rate an bleibenden Behinderungen infolge selbstinduzierter Schädigungen oder iatrogener Interventionen trägt bedeutsam zu einer ungünstigeren Prognose bei [42].
Die Qualität der Nachbetreuung nach Stellung der korrekten Diagnose einer artifiziellen Störung ist ebenfalls von großer Relevanz [43], wobei die hohe Rate an Ablehnung jeglicher therapeutischer oder sozial-rehabilitativer Maßnahmen durch die Patienten ein prinzipielles Hindernis definiert [12, 24].
Es existieren nur sehr sporadische Follow-up-Daten zum weiteren Verlauf nach Indexaufdeckung. Über ein erhöhtes Suizidrisiko, eine gelegentliche psychotische Dekompensation oder ein Versterben nach artifiziell induzierten somatischen Krisen wurde berichtet [44, 45]. Exorbitant hohe sozioökonomische Kosten sind bei chronischen Krankheitsverläufen eigenständig zu beachten [46].
Empirische Daten zu Verlauf und Prognose von Patienten mit psychologischen artifiziellen Störungen sind rar. Die wenigen Berichte beziehen sich auf Patienten mit artifiziellen Psychosen. In vielen Fällen stellt sich im Langzeitverlauf trotz häufiger akuter psychotischer Symptommanifestationen und jeweils rascher klinischer Besserung während einer stationären Behandlung keineswegs ein günstiges Outcome dar [47]. Die psychosozialen Behinderungsgrade sind regelhaft hoch [36, 48]. In einer nosologischen Perspektive gibt es keine empirischen Belege, einen eigenständigen diagnostischen Status dieser psychotischen Syndrome „hysterischer“ oder artifizieller Genese anzunehmen [49].
Diagnostisches Vorgehen im klinischen Kontext
Die in den Klassifikationssystemen von ICD-10 und DSM-5 formulierten diagnostischen Kriterien einer artifiziellen Störung beinhalten trotz einer unterschiedlichen nosologischen Gruppierung im Wesentlichen sehr ähnliche Kriterien:
-
Vortäuschung, Aggravation und/oder absichtsvolles Hervorrufen körperlicher und/oder psychischer Krankheitssymptome,
-
primäres Bestreben zur Übernahme der Krankenrolle,
-
fehlende verstehbare äußere Motive.
Die speziell beim Münchhausen-Syndrom klinisch herausgestellten symptomatologischen Besonderheiten von Pseudologia phantastica, Tendenz zu exzessivem Reisen bei mangelnder sozialer Verwurzelung sowie Selbstentlassungen gegen ärztlichen Rat sind nicht explizit formulierte diagnostische Kriterien. Sie werden aber klinisch weiterhin zur Charakterisierung v. a. bei einer chronischen artifiziellen Störung mit häufig assoziierter Sozialpathologie verwendet. Die besonderen Charakteristika einer artifiziellen Störung machen es verständlich, dass die Diagnose in den seltensten Fällen schon im ärztlichen Erstkontakt positiv gestellt werden kann.
Feldman et al. [50] bieten für den Kliniker eine wertvolle Übersicht über Indikatoren einer möglichen oder wahrscheinlichen artifiziellen Störung (Tab. 2).
Keiner der in Tab. 2 dargestellten Einzelaspekte ist je für sich beweisend, bestärkt jedoch in der Zusammenschau mehrerer Auffälligkeiten einen Verdacht. Der Verdacht erhärtet sich typischerweise dann, wenn ein Patient zufällig beobachtet wird, wie er an sich selbst manipuliert, wenn Paraphernalien wie z. B. Blutabnahmebesteck oder Medikamente in den persönlichen Besitzgegenständen eines Patienten gefunden werden, wenn Laborbefunde erhoben werden, die den Verdacht einer Selbstmanipulation nahelegen, oder wenn keine bekannte Krankheit die erhobenen Befunde erklären kann und eine artifizielle Störung als Ausschlussdiagnose gestellt werden muss. Moderne labordiagnostische Techniken können zuweilen eine wertvolle Unterstützung in der Klärung verdächtiger Befunde sein (Übersicht: [51]).
Artifizielle körperliche und/oder psychologische Störungen sind stets in einem breiteren psychopathologischen und somatischen Kontext zu beurteilen [3]. Es besteht eine signifikante Assoziation mit v. a. narzisstischen und Borderline-Persönlichkeitsstörungen; bei den selteneren Münchhausen-Syndromen finden sich auch gehäuft antisoziale Persönlichkeitsstörungen. An psychiatrischen Komorbiditäten imponieren insbesondere Angst- oder depressive, Ess-, Sexual-, Abhängigkeits-, somatoforme und dissoziative Störungen. Die psychiatrische Anamnese von Artefaktpatienten mit vorrangiger körperlicher Symptomatik weist einen hohen Prozentsatz an somatoformen und dissoziativen Störungen auf. Die nicht selten belegbaren Übergangsreihen – von z. B. Konversionsbildung über somatoformes Schmerzsyndrom und schließlich artifizieller Selbstschädigung – lassen eine dimensionale Betrachtungsweise als angebrachter erscheinen als eine kategorial-exklusive Darstellung [6, 24]. Trotz diagnostisch-konzeptueller Unterscheidung ist der klinische Übergang zwischen artifiziellen Störungen und Simulationen ebenfalls als fließend anzunehmen [7, 12]. Artifizielle Störungen können aber auch mit genuinen somatischen Krankheiten einhergehen. Diese stellen nicht selten das modellhafte Medium für heimlich-selbstschädigende und interpersonal-manipulative Handlungen dar [52]. Diese häufig vorliegende psychiatrische und somatische Komorbidität fließt entscheidend in den klinischen Schweregrad bei einer artifiziellen Störung ein. Unterschiedliche Schweregrade sind möglichst präzise zu erfassen (Abb. 4).
Auch in einem pädiatrischen Kontext können einige klinische Indikatoren benannt werden, die eine dringende Abklärung eines Münchhausen-by proxy-Syndroms nahelegen ([15], Tab. 3).
Erste Screeninginstrumente, die auf ein möglichst frühes Erfassen von medizinischen Missbrauchsfällen in pädiatrischen Kontexten zielen, befinden sich klinischer Erprobung [54].
Klinisches Management und weiterführende Therapien
Vor jeglicher therapeutischer Überlegung gilt es, bei einem Patienten mit begründetem oder bestätigtem Verdacht auf ein artifizielles Verhalten ein grundlegendes Verständnis jener Beziehungsmuster zu erzielen, die sich typischerweise zwischen dem Patienten einerseits und den Ärzten und dem Pflegeteam andererseits während eines stationären Aufenthalts ergeben.
Arzt-Patient-Interaktionsdynamik
Eine artifizielle Störung auf medizinischem Terrain ist vorrangig eine Täuschung über und eine Schädigung am eigenen Körper. In beide Aspekte wird der Arzt unbemerkt miteinbezogen, zunächst häufig als ein idealisierter Heiler. Von ihm erhofft sich der Patient auch eine Genesung seiner frühen Wunden. Typischerweise versteht der Arzt die zugrunde liegende Dynamik aber nicht. Er läuft vielmehr Gefahr, in projektiver Identifikation gebunden zu werden und als kontrollierendes, eindringendes und zuweilen auch schädigendes Objekt frühere Traumata in einer pathologischen Arzt-Patienten-Beziehung zu wiederholen. Die zahlreichen invasiven diagnostischen Maßnahmen, die häufigen mit unklarer Indikation durchgeführten Operationen und Reoperationen in der medizinischen „Karriere“ eines Artefaktpatienten weisen in diese Richtungen. Sie stellen die meist nicht reflektierte Basis für eine hohe Rate an iatrogenen Schädigungen und bleibenden Behinderungen dar.
Klinisch besteht der Eindruck, dass die von einem Patienten inszenierten Täuschungen oft die Funktion besitzen, stellvertretend den Arzt jene selbst erfahrenen Unwahrheiten und Lügen mit den korrelierten Hass- und Verachtungsgefühlen spüren zu lassen, selbst dabei die narzisstische Gratifikation des Düpierens zu erleben. Die Täuschungsmanöver können auch als Selbstschutz verstanden werden. Sie vermitteln aber gleichzeitig auch einen Auftrag an den Arzt, eine eventuell verborgene traumatische Realität zu erkennen. Der Arzt fühlt sich meist nur zu einem „detektivischen“ Fahnden aktiviert, die rätselhafte Erkrankung des Patienten doch noch zu ergründen.
Realisiert der Arzt schließlich den Betrug des Patienten, sieht er sich regelhaft mit heftigen aggressiven Emotionen gegen diesen konfrontiert, die meist zu einem Abbruch der therapeutischen Beziehung führen. Es wird dann zu einer entscheidenden Aufgabe des Konsiliarpsychiaters, in dieser spannungsgeladenen Situation, die von einem konfliktreichen Übertragungs-Gegenübertragungs-Geschehen bestimmt wird, vermittelnd zu intervenieren. Er muss die spezielle Interaktionsdynamik des Patienten mit artifizieller Störung sowohl dem Arzt als auch dem Stationsteam verständlich machen [3].
Prinzipiell ist in weiterer Folge zwischen einem Management in der akuten Krisensituation einerseits und weiterführenden Therapiemaßnahmen andererseits zu unterscheiden. Eine große Hürde in der Bewertung möglicher Strategien ist in der klinischen Tatsache zu sehen, dass die überwiegende Mehrheit der Patienten mit artifiziellen Störungen eines mittleren bis hohen Schweregrads in der Regel psychiatrische Hilfen strikt ablehnt. Und es ist unklar, ob die kleine Subgruppe, die schließlich doch für Behandlungsangebote motiviert werden kann, sich eventuell durch entscheidende Charakteristika von der großen Restgruppe unterscheidet.
Akutes Krisenmanagement
Es liegt ein umfangreiches kasuistisches Erfahrungswissen über den Umgang mit Artefaktpatienten in der konkreten klinischen Situation vor. Empfehlungen zur allgemeinen Gestaltung der Arzt-Patienten-Beziehung hinsichtlich Kontaktaufnahme, Konfrontation oder Nichtkonfrontation sowie Motivation zu weiterführenden Therapiemaßnahmen sind möglich. Sie gründen derzeit aber noch wesentlich auf Expertenmeinung [55]. Allgemein vorteilhaft erweist sich ein interdisziplinäres Vorgehen mit einem stützenden Vertreter des Pflegeteams, dem behandelnden Arzt und dem hinzugeholten Konsiliarpsychiater [7].
Konfrontation.
Eine unmittelbare Konfrontation des Patienten mit seinen täuschenden und/oder selbstschädigenden Verhaltensweisen führt bei einer heftigen Leugnungshaltung fast regelhaft zur Ablehnung jeglicher weiterführender Therapieangebote. Ohne strafenden oder vorwurfsvollen Unterton und einer Betrachtung des artifiziellen Verhaltens in einer allgemeinen „psychosomatischen“ oder stressbezogenen Perspektive kann eine Konfrontation allerdings auch eine wichtige erste Motivationshilfe für ein psychotherapeutisches Behandlungsangebot darstellen [26]. Hierüber ist vermutlich aber nur eine Teilgruppe von Artefaktpatienten therapeutisch zu erreichen.
Nichtkonfrontative Techniken.
Nichtkonfrontative Techniken können in leichteren Fällen einer artifiziellen Störung Vorteile gegenüber einer Konfrontation aufweisen, da sie dem Patienten helfen, sein Gesicht zu wahren [56]. Ein solches Vorgehen ist aber dann nicht möglich, wenn der Patient sich durch sein Handeln unmittelbar vital gefährdet. Der Konsiliarpsychiater ist dann aufgerufen, dem Patienten klar mitzuteilen, diese Gefährdung aktiv zu dessen Schutze auch verhindern zu wollen. Dies schließt u. U. auch Maßnahmen wie die Einweisung in eine psychiatrische Klinik nach dem Unterbringungsgesetz mit ein.
Weiterführende Therapien
Hinsichtlich weiterführender Therapien herrscht in der Literatur ein heterogenes Meinungsbild vor. Es schwankt zwischen therapeutischem Nihilismus und vorsichtigem Optimismus. An psychotherapeutischen Verfahren werden sowohl psychodynamische als auch kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze diskutiert.
Plassmann [57] publizierte ermutigende Resultate einer psychodynamischen Behandlung von 24 Patienten mit artifiziellen Störungen. Sein stationär-psychosomatisches Behandlungssetting orientierte sich an den Richtlinien einer psychodynamisch konzipierten Borderline-Therapie. In einem ersten Behandlungsabschnitt geht es wesentlich um die Errichtung eines stabilen Arbeitsbündnisses in der Therapie. Als vorrangiges Ziel soll eine hinreichende Kontrolle der selbstschädigenden Verhaltensweisen vermittelt werden. Wiederkehrendes autodestruktives Handeln kann heimlich, also mit einem interpersonalen Täuschungscharakter erfolgen, oder aber auch offen ausagiert werden und eine zugrunde liegende unkontrollierbare Affektdynamik unmittelbar anzeigen. In beiden Fällen sind begleitende dissoziative Zustände sorgfältig zu erkennen. Eine regelmäßige Supervision des Behandlungsverlaufs zur Reflexion und Bearbeitung interaktioneller Spaltungstendenzen im multiprofessionellen Team ist unabdingbare Voraussetzung zur Aufrechterhaltung eines konstruktiven therapeutischen Bündnisses mit dem Patienten. In einem sich anschließenden Behandlungsabschnitt rücken spezielle Konfliktthemen und typische Abwehrstile, aber auch traumatische Erfahrungen stärker in den Mittelpunkt der therapeutischen Arbeit. Oft ist eine langfristige Psychotherapie notwendig, um eine ausreichende symptomatische Stabilisierung und strukturelle Verbesserung in der Organisation der Persönlichkeit erreichen zu können. Diese beinhaltet im Sinne einer Intervalltherapie auch mehrfache stationäre Wiederaufnahmen bei Rückfällen in das alte selbstdestruktive Krankheitsverhalten, bis eine tragfähige Basis für die Fortführung der Psychotherapie unter ambulanten Bedingungen erneut möglich wird [23].
Es liegen einzelne instruktive Erfahrungsberichte auch zur kognitiven Verhaltenstherapie vor, die sich an den grundlegenden Richtlinien für somatoforme Störungen orientierten [2, 3].
Unter allgemeinen EbM (evidenzbasierte Medizin) -Gesichtspunkten kann derzeit für die Gesamtgruppe der Patienten mit artifiziellen Störungen aber noch kein Evidenzlevel für weiterführende Psychotherapien angegeben werden, da systematische Behandlungsstudien an repräsentativen Patientensamples fehlen. Das gilt auch für jegliche psychopharmakologische Ansätze.
Medikamentöse Interventionen scheinen im Einzelfall nur dann hilfreich zu sein, wenn eine klinisch bedeutsame psychiatrische Komorbidität, z. B. eine depressive Störung vorliegt und evtl. auch pathogenetisch zur artifiziellen Störung beiträgt. Die Aussichten eines medikamentösen Ansatzes hängen aber entscheidend von der Güte und Stabilität der erzielbaren therapeutischen Arbeitsbeziehung sowie dem Vermögen ab, die bewusste und unbewusste Bedeutungsdimension von Medikamenten für die Therapie zu verstehen.
Grundlegende juristische und ethische Fragen
Eine beträchtliche Subgruppe von Patienten mit artifiziellen Störungen kann trotz intensiver ärztlicher Bemühung nicht zu psychiatrischen oder psychotherapeutischen Ansätzen motiviert werden. Es ist eine offen zu diskutierende Frage, wie mit diesen Patienten zu verfahren ist. Trotz eines erheblichen selbstinduzierten und iatrogenen Morbiditätsrisikos und einer auch künftig zu erwartenden weiteren Beanspruchung vielfältiger medizinischer Ressourcen münden ärztliche Antworten bei diesen Patienten nicht selten in Ratlosigkeit ein und kapitulieren vor schwierigen ethischen Problemen. Besteht bei einem Patienten der konkrete Verdacht auf das Vorliegen einer artifiziellen Störung, so ist zur Absicherung der ärztlichen Behandlung stets anzuraten, den Klinikdirektor hierüber zu informieren, sich vom zuständigen Justitiar des Krankenhauses oder der Universität beraten zu lassen und weiterführende Schritte dann im Team zu besprechen [7].
Ärztliche Schweigepflicht.
Ein Dilemma der ärztlichen Schweigepflicht stellt sich in der Mitteilung der dringenden Verdachtsdiagnose oder der gesicherten Diagnose einer artifiziellen Störung an den einweisenden Arzt oder an einen um Rat fragenden ärztlichen Kollegen eines auswärtigen Krankenhauses, in das sich ein Patient nach Selbstentlassung umgehend wieder mit ähnlicher Symptomatik hat aufnehmen lassen. Auch aufklärende Gespräche mit verunsicherten Angehörigen gestalten sich enorm schwierig, wenn typischerweise keine explizite Entbindung von der Schweigepflicht durch den Patienten vorliegt. In einem klinisch-pragmatischen Vorgehen sollte mit großer Sorgfalt und klarer Begründung der individuelle Behandlungsverlauf dokumentiert sein. Eine gesicherte Diagnose einer artifiziellen Störung ist definitiv zu stellen und diese auch an die Krankenkasse weiterzureichen. Soweit vorhanden, ist die Diagnose auch an den Hausarzt mit einem detaillierten Arztbrief zuverlässig zu übermitteln.
In Fällen einer prinzipiell hohen Selbstgefährdung, die sich aus dem bisherigen Krankheitsverlauf und einer kurz zuvor gemachten eigenen Behandlungserfahrung mit dem Patienten ableiten lässt, ist es vertretbar, auch einem anderen involvierten, aber noch ratlosen ärztlichen Kollegen hierüber Auskunft zu geben. Dieses Vorgehen kann durch die medizinisch-ethischen Prinzipien von Benefizienz und Nonmalefizienz begründet werden. Dies ist im Einzelfall bei dem artifiziellen Verhalten inhärenter Suizidalität unter Umständen sogar juristisch gefordert. Allerdings kann hierdurch nicht verhindert werden, dass der Patient u. U. seinerseits gegen eine solche gebotene Haltung und derart konkretes Handeln des Arztes mit juristischen Mitteln klagt.
Rechte der Privatsphäre.
Nicht selten werden Rechte der Privatsphäre erheblich verletzt, wenn bei aufkommendem Verdacht die persönlichen Besitzgegenstände eines Patienten ohne dessen Wissen und Einverständnis nach verräterischen Utensilien untersucht werden. Ein solches Vorgehen ist medizinisch-ethisch nicht vertretbar und juristisch auch problematisch. Analoges gilt für jegliche nicht deklarierte und richterlich nicht genehmigte Videoüberwachungen z. B. bei Verdacht auf ein Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom.
Haftbarkeit und Strafbarkeit.
Schwierig ist auch die juristische Bewertung einer eventuellen Haftbarkeit für entstandene Kosten, u. U. einer Strafbarkeit für den Missbrauch sozialer und/oder medizinischer Ressourcen im Zuge der artifiziellen Störung. Es liegt im europäischen Bereich bisher kein Fall vor, dass ein Patient mit artifizieller Störung wegen der oft immensen Behandlungskosten durch eine Krankenkasse in Regress genommen worden wäre. Solche Fälle sind jedoch in den USA bekannt geworden [58].
Selbstgefährdung und Fremdgefährdung.
In juristischer Hinsicht unproblematischer erscheint die klinische Situation bei vorliegender unmittelbarer Selbstgefährdung eines Artefaktpatienten oder aber bei Fremdgefährdung, z. B. bei einem Münchhausen-by-proxy-Syndrom. Sie kann in einem Fall über das Unterbringungsgesetz [59], im anderen Fall aber über eine polizeiliche Anzeige einer Kindesmisshandlung und nachfolgende richterliche Entscheidung bewerkstelligt werden. Weiterführende zivilrechtliche Fragen, etwa bei der Klärung des Sorgerechts für Kinder, deren Eltern eines Münchhausen-by-proxy-Verhaltens überführt worden sind, sind allerdings hochkomplexer Natur [15].
Fazit für die Praxis
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Für den klinischen Umgang mit Patienten mit artifiziellen Störungen ist grundlegend, dass der behandelnde Arzt oft unwillentlich auf verhängnisvolle Weise in das täuschende Krankheitsverhalten der Patienten zu dessen realer Schädigung miteinbezogen werden kann.
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Therapeutische Ansätze erfassen meist nur eine Teilgruppe der Patienten.
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Ein umfangreiches kasuistisches Erfahrungswissen erlaubt Empfehlungen zur allgemeinen Gestaltung der Arzt-Patienten-Beziehung, zur Konfrontation oder Nichtkonfrontation sowie zur Motivation für weiterführende Therapiemaßnahmen. Störungsorientierten psychotherapeutischen und psychopharmakologischen Ansätzen fehlt aber noch eine empirische Evidenzbasierung.
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Patienten mit artifiziellen Störungen entziehen sich sehr häufig jeglichen therapeutischen oder rehabilitativen Angeboten.
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Grundlegende ethische und juristische Fragen sind zu beachten.
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Open access funding provided by Medical University of Graz.
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Interessenkonflikt
H.-P. Kapfhammer gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
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Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der Zeitschrift Der Nervenarzt 2017, 88:549–570. https://doi.org/10.1007/s00115-017-0337-8. Die Teilnahme an der zertifizierten Fortbildung ist nur einmal möglich.
CME-Fragebogen
CME-Fragebogen
Von wem wurde die Bezeichnung „Münchhausen-Syndrom“ erstmals in die wissenschaftliche Literatur eingeführt?
Sigmund Freud
Jean Martin Charcot
Richard Asher
Paul Briquet
Karl Jaspers
Der diagnostische Status der artifiziellen Störung muss konzeptuell in erster Linie abgegrenzt werden gegenüber:
Substanzbezogener Störung
Simulation
Essstörung
Major Depression
Angststörung
Welches klinische Merkmal kennzeichnet am ehesten die Subgruppe von Patienten mit chronischen artifiziellen Störungen („Münchhausensyndrom“)?
Depression
Therapieresistenz
Pseudologia phantastica
Dissoziative Amnesie
Stimmenhören
Die geschätzte Prävalenz artifizieller Störungen in medizinischen Versorgungseinrichtungen wird angegeben mit:
0,5–2 %
5 %
8 %
10 %
15 %
Unter „Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom“ versteht man(,) …
wenn Ärzte bei sich selbst artifizielle Krankheitssymptome induzieren.
wenn Ärzte nach Aufdeckung eines artifiziellen Verhaltens den Patienten an die Polizei überstellen.
wenn Mütter bei ihren Kindern Krankheitssymptome fabrizieren und Ärzte hierüber täuschen.
jegliche Formen von kindlichem Missbrauch.
wenn Kinder sich ständig in eine unrealistische Phantasiewelt zurückziehen.
Psychologisches Motiv einer Selbstschädigung bei einer artifiziellen Störung kann sein?
Ausdruck einer psychotischen Depression
Induktion einer dissoziativen Amnesie
Abwehr von Schamgefühlen
Induktion euphorisierender Gefühle
Coping-Strategie gegenüber persistierendem Stimmenhören
Welche Komorbiditäten finden sich bei Patienten mit artifiziellen Störungen nicht gehäuft?
Depressive Störungen
Angststörungen
Genuine somatische Erkrankungen
Bipolar affektive Störungen
Somatoforme Störungen
Welche Motive/Ursachen der Pseudologia phantastica bei Münchhausen-Patienten wurden empirisch nicht aufgezeigt?
Zerebrale Dysfunktionen
Selbstwerterhöhung
Bewältigung kindlicher Missbrauchserfahrungen
Hirntumoren
Frühe emotionale Deprivation
Nach der Aufdeckung eines artifiziellen Krankheitsverhaltens auf Station ist ein vorteilhaftes ärztliches Vorgehen:
Sofortige Anzeige bei der Polizei wegen betrügerischer Inanspruchnahme medizinischer Ressourcen
Unmittelbare Konfrontation des Patienten zur Beendigung des pathologischen Krankheitsverhaltens
Präventive Einweisung nach dem Unterbringungsgesetz
Mitgabe von Adressen für Langzeitpsychotherapie
Bei Münchhausen-by-proxy-Fällen und ernster Gefährdung eines Kindes durch die Mutter Anzeige wegen Kindsmisshandlung
Günstige Vorgehensweise zur Vermeidung ethischer/juristischer Probleme bei Patienten mit artifiziellen Störungen:
Abschließen einer spezifischen Haftpflichtversicherung
Untersuchung der persönlichen Gegenstände nach verräterischen Utensilien für artifizielles Verhalten
Mitteilung einer schonenden Diagnose (z.B. Anpassungsstörung) an den einweisenden Arzt oder die Krankenkasse, um eine günstigere Adhärenz des Patienten zu erreichen
Einschalten der Rechtsabteilung, Information des Ärztlichen Direktors und gemeinsame Entscheidungen
Prophylaktische Anzeige des Patienten bei der Polizei zur Vermeidung haftungsrechtlicher Probleme
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Kapfhammer, HP. Artifizielle Störungen. Psychotherapeut 63, 153–174 (2018). https://doi.org/10.1007/s00278-018-0276-2
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