Anamnese

Eine Frau Mitte 30 Jahre alt, gemäß polizeilichen Ermittlungen im 7. Monat schwanger, wurde vor 2018 Opfer eines Tötungsdeliktes. Der Leichnam wurde nach der Tat von dem Täter in ein dicht bewachsenes Gebiet an einem Waldrand verbracht und im Freien in Bauchlage abgelegt. Das postmortale Intervall bis zum Auffinden des Leichnams betrug 6 Tage. Innerhalb dieser Liegezeit befanden sich die Tagestemperaturen im Bereich von etwa 30 °C, und die Nachttemperaturen sanken kaum unter 20 °C. Die Luftfeuchtigkeit war durchgehend hoch, bedingt durch häufige Wärmegewitter. Zum Auffindezeitpunkt waren der Schädel und die Halswirbelsäule bei ausgedehntem Madenfraß bereits vollständig skelettiert; der Brustkorb war von kranial her eröffnet.

Sektionsbefunde

Bei der Obduktion zeigte sich, dass die Halsorgane nicht mehr und von den Brustorganen nur noch Reste vorhanden waren. Das Zwerchfell wies beidseits Fraßdefekte auf; Maden waren bis in die Bauchhöhle vorgedrungen. Der Uterus war mehrfach eröffnet, Reste der Plazenta fanden sich im linken Oberbauch. Ein weiblicher Fetus war unter Verlagerung von Anteilen des maternalen Zwerchfells nach kranial in der rechten Brusthöhle zum Liegen gekommen. In diese Richtung zeigten die kindlichen Füße und der Steiß. Der fetale Kopf wies in Richtung mütterliches Becken. Die Nabelschnur war fragmentiert, am Fetus nur ein geringer Rest verblieben. Das fetale Neurokranium war durch Madenfraß völlig destruiert; die Schädelknochenschuppen waren ohne Verbund; Hirngewebe war nicht mehr abzugrenzen, allenfalls noch Reste der Dura. Die Gesichtsweichteile waren in Resten vorhanden. Rumpf und obere Extremitäten zeigten eine weitgehend intakte Dermis, waren jedoch stark fäulnisverändert. Die unteren Extremitäten wiesen bereits frei liegende Weichteile auf (Abb. 1). Krankhafte Veränderungen oder Verletzungen waren bei der Sektion des Fetus nicht darzustellen.

Abb. 1
figure 1

Während der Obduktion geborgener Fetus. Von der Nabelschnur ist nur ein geringer Rest erkennbar. Der Inhalt des Neurokraniums ist durch Madenfraß nahezu vollständig zerstört. Neben allgemeiner Fäulnis und Autolyse sind Gewebsdefekte v. a. an den unteren Extremitäten zu sehen

Das bei der Obduktion erhobene Gewicht des Fetus betrug 405 g. Die Scheitel-Steiß-Länge wurde mit 26 cm und die Scheitel-Fersen-Länge mit 37 cm nach Anlegen der Hirnschädelknochen gemessen. Der Kopfumfang war nicht mehr rekonstruierbar. Die rechte Tibia lag frei und war 4,4 cm lang.

Verlauf

Der Mutterpass lag zum Zeitpunkt der Obduktion nicht vor. Im Einklang mit den zu dieser Zeit gültigen Fassungen des § 31 PStV und des Hessischen Friedhofs- und Bestattungsgesetzes (FBG HE) wurde aufgrund des Unterschreitens der Gewichtsgrenze von 500 g von einer Fehlgeburt ausgegangen. Die Sektion des toten Fetus wurde formal nicht als separate Leichenöffnung geführt, sondern im Sektionsprotokoll der gerichtlichen Leichenöffnung des Leichnams der Mutter dokumentiert. Die Bestattung des Fetus erfolgte gemeinsam mit dem Leichnam seiner Mutter.

Diskussion

Die beschriebene Konstellation warf in Bezug auf den Umgang mit dem toten Fetus seinerzeit viele Fragen auf. Die Ausgangsfrage war, ob es sich bei einer aus dem Leichnam der Mutter im Rahmen einer Obduktion geborgenen toten Leibesfrucht um einen Leichnam handelt oder nicht. Daran schloss sich an, ob eine eigenständige Leichenschau mit Ausstellung eines Leichenschauscheins notwendig war. Zudem war der Frage nachzugehen, ob die Sektion der Leibesfrucht als eigenständige Leichenöffnung anzusehen war; als gerichtliche Leichenöffnung wäre diese dann möglicherweise separat anzuordnen bzw. bedürfte eines eigenständigen richterlichen Beschlusses. Weiterhin wurde thematisiert, ob die Bergung im Rahmen einer Obduktion, im Speziellen einer gerichtlichen Leichenöffnung, einer Geburt gleichkommen kann.

Es wurde damals entschieden, gemäß den gültigen Fassungen des § 31 PStV und des Hessischen Friedhofs- und Bestattungsgesetzes (FBG HE), aufgrund des Unterschreitens der Gewichtsgrenze von 500 g von einer Fehlgeburt auszugehen, mit allen rechtlichen Konsequenzen: Der Fetus wurde nicht als (eigenständiger) Leichnam behandelt. Seine Obduktion wurde im Sektionsprotokoll seiner Mutter dokumentiert. Es erfolgte keine separate Bestattung.

Am 01.11.2018, nach dem gegenständlichen Fall, trat eine Änderung des § 31 PStV in Kraft (Infobox 1), aus der erhebliche Auswirkungen auf die Differenzierung von Tot- und Fehlgeburt abzuleiten sind [6]. Zuvor war für eine tote Leibesfrucht, die keine Zeichen des Gelebthabens außerhalb des Mutterleibs aufwies, das einzige Kriterium das Geburtsgewicht: Unter 500 g handelte es sich um eine Fehlgeburt und dagegen ab 500 g um eine Totgeburt [7, 9]. Mit dem aktuellen § 31 PStV kam als alternatives Kriterium für die Totgeburt das Erreichen der 24. Schwangerschaftswoche (SSW) für eine tote Leibesfrucht, die keine Zeichen des Gelebthabens außerhalb des Mutterleibs aufweist und unter 500 g wiegt, hinzu.

Diese Definition der Totgeburt wurde bislang nur in den „Bestattungsgesetzen“ von Bremen und dem Saarland sowie mit Abweichungen in Hessen (Geburt nach der 24. SSW) übernommen. Dennoch gibt es Argumente für eine bundesweite Anwendung des Alternativkriteriums Erreichen der 24. SSW und eine eigenständig daraus begründbare Leichenschaupflicht nach dem Personenstandsrecht [6].

Ziele der Gesetzesänderung waren eine europäische Harmonisierung und das Gewährleisten mutterschutzrechtlicher Ansprüche bei Totgeburten ab der 24. SSW mit einem Gewicht unter 500 g [2]. Im Gesetzeswortlaut ist nicht definiert, ob es sich bei der 24. SSW um jene p. c. (post conceptionem) oder p. m. (post menstruationem) handelt. Um den Schutzanspruch entsprechend bestmöglich sicherzustellen, ist von einer einheitlichen Anwendung der ständigen mutterschutzrechtlichen Rechtsprechung zur Berechnung der Schwangerschaftswochen auszugehen, wonach von dem ärztlich festgestellten mutmaßlichen Tag der Entbindung um 280 Tage zurückgerechnet wird [1, 8].

Unabhängig von den Differenzen zwischen den Bestattungsgesetzen der Länder und der Personenstandsverordnung lässt sich im Umgang von Standesämtern mit Totgeburten in der Praxis eine erhebliche Heterogenität feststellen [3].

Seinerzeit, anlässlich des vorgestellten Falls, wurde diskutiert, dass sowohl nach der allgemeinen Erfahrung als auch auf Grundlage publizierter Daten zu (Längen‑)Maßen von Ungeborenen in Abhängigkeit vom Schwangerschaftsalter [4, 5] davon auszugehen wäre, dass das zum Sektionszeitpunkt fäulnis- und tierfraßbedingt reduzierte Gewicht des Fetus zum Zeitpunkt des Todes deutlich über 500 g gelegen haben müsste: Allein der Verlust des Hirngewebes (Abb. 1) würde erhebliche Anteile der notwendigen Differenz begründen.

Nach dem heutigen Stand wäre auf den dargestellten Fall das Alternativkriterium Erreichen der 24. SSW anwendbar. Ein Mutterpass lag zum Obduktionszeitpunkt nicht vor. Allerdings wäre zu hinterfragen, ob ein Mutterpass ein rechtsverbindliches Dokument darstellt. Abhilfe könnte ein ärztliches Attest oder ein fachärztliches Gutachten des betreuenden Gynäkologen schaffen.

Andererseits wären die bei der Sektion erhobenen weiteren somatischen Maße des Fetus bewertbar. Eine Scheitel-Steiß-Länge von 26 cm wäre der 26. SSW [4] und eine Scheitel-Fersen-Länge mit 37 cm der 29. SSW zuzuordnen [5]. Die Länge der rechten Tibia von 4,4 cm wäre nach Fazekas und Kósa [5] mit einem Alter von 7–7½ Lunarmonaten (29. SSW) in Einklang zu bringen, nach Cunningham et al. [4] sogar mit 30 Wochen. Es würde sich um eine rechtsmedizinische Expertise anhand der Sektionsbefunde handeln.

Die hypothetische Anwendung der aktuellen Version des § 31 PStV auf den aus dieser Sicht historischen Fall zeigt den Einsatz des Kriteriums Erreichen der 24. SSW für eine tote Leibesfrucht, die keine Zeichen des Gelebthabens außerhalb des Mutterleibs aufweist und unter 500 g wiegt. Dabei wird das Problem deutlich, dass festzulegen ist, wie das Erreichen der 24. SSW valide festzustellen ist. Es stellt sich die Frage, ob der Mutterpass ausreicht oder eine ergänzende fachärztliche Stellungnahme, ggf. basierend auf den Untersuchungen in der Schwangerschaft und mit einem Sicherheitsab- oder -zuschlag, zu fordern ist. Daraus könnte sich eine Spanne ergeben, die ein Schwangerschaftsalter vor und nach Erreichen der 24. SSW miteinbezieht. Sollte dies der Fall sein, müsste geregelt werden, ob es dann (für die Eltern) eine Wahlmöglichkeit (Totgeburt oder Fehlgeburt) gäbe, oder ob (und vielleicht unter welchen Umständen, beispielsweise Frage nach einer eigenständigen gerichtlichen Leichenöffnung des Fetus) von dem Mindest- oder Höchstalter dieses Intervalls ausgegangen werden muss. Um dem Schutzzweck der Gesetzesänderung zu entsprechen, wäre die Anwendung des Höchstalters am ehesten geboten. Dieser Schutzzweck ist im Fall des Todes der Mutter jedoch nicht mehr relevant.

Alternativ wäre zu diskutieren, ob die Feststellung des Schwangerschaftsalters einer toten Leibesfrucht, die keine Zeichen des Gelebthabens außerhalb des Mutterleibs aufweist, nicht primär als Aufgabe der Rechtsmedizin anzusehen ist [6]. Wenn es sich um die Leiche einer unbekannten Frau handelt oder im Rahmen einer gerichtlichen Leichenöffnung die Schwangerschaft einen Überraschungsbefund darstellt, ist die Rechtsmedizin zwangsläufig involviert.

Infobox § 31 PStV, in geänderter Form am 01.11.2018 in Kraft getreten

§ 31 PStV – Lebendgeburt, Totgeburt, Fehlgeburt

(1) Eine Lebendgeburt liegt vor, wenn bei einem Kind nach der Scheidung vom Mutterleib entweder das Herz geschlagen oder die Nabelschnur pulsiert oder die natürliche Lungenatmung eingesetzt hat.

(2) 1Hat sich keines der in Absatz 1 genannten Merkmale des Lebens gezeigt, gilt die Leibesfrucht als ein tot geborenes Kind im Sinne des § 21 Absatz 2 des Gesetzes, wenn

1. das Gewicht des Kindes mindestens 500 g beträgt oder

2. das Gewicht des Kindes unter 500 g beträgt, aber die 24. Schwangerschaftswoche erreicht wurde,

im Übrigen als Fehlgeburt. 2Eine Fehlgeburt wird nicht im Personenstandsregister beurkundet. 3Sie kann von einer Person, der bei Lebendgeburt die Personensorge zugestanden hätte, dem Standesamt, in dessen Zuständigkeitsbereich die Fehlgeburt erfolgte, angezeigt werden. 4In diesem Fall erteilt das Standesamt dem Anzeigenden auf Wunsch eine Bescheinigung mit einem Formular nach dem Muster der Anlage 11.

(3) Eine Fehlgeburt ist abweichend von Absatz 2 Satz 2 als ein tot geborenes Kind zu beurkunden, wenn sie Teil einer Mehrlingsgeburt ist, bei der mindestens ein Kind nach Absatz 1 oder 2 zu beurkunden ist; § 21 Absatz 2 des Gesetzes gilt entsprechend.

Fazit für die Praxis

  • Ein bei einer Obduktion geborgener Fetus ist als Totgeburt oder Fehlgeburt zu klassifizieren.

  • Nur die Totgeburt ist als Leiche zu behandeln.

  • Vor dem 01.11.2018 konnte als einziges Kriterium für die Totgeburt das Gewicht von 500 g herangezogen werden.

  • Mit dem aktuellen § 31 PStV kam als alternatives Kriterium das „Erreichen der 24. Schwangerschaftswoche“ hinzu.

  • Im Rahmen der Obduktion eines Fetus kann das Schwangerschaftsalter mithilfe somatischer Parameter bestimmt werden.