Einleitung

In den vergangenen Jahren haben sich an den meisten deutschsprachigen rechtsmedizinischen Instituten sog. Gewaltopferambulanzen etabliert, die verletzten Kindern und Erwachsenen die Möglichkeit einer niedrigschwelligen und gerichtsverwertbaren Befunddokumentation bieten. Klinisch-rechtsmedizinische Untersuchungen nach § 81 der Strafprozessordnung (StPO) dagegen sind seit jeher fester Bestandteil der rechtsmedizinischen Routinearbeit. Dabei werden nicht nur verletzte Personen entsprechend § 81c StPO, sondern auch Tatverdächtige gemäß § 81a StPO rechtsmedizinisch begutachtet. Es gilt, die körperliche Untersuchung zur Feststellung von Tatsachen durchzuführen, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Die festgestellten Befunde an Tatverdächtigen können dabei wichtige Hinweise für die Rekonstruktion der Geschehensabläufe liefern und die Angaben der geschädigten Person – sofern erhebbar – als auch des TatverdächtigenFootnote 1 bekräftigen oder aber widerlegen.

Während dem Themenkomplex zur Untersuchung von Tatverdächtigen in einem einschlägigen Lehrbuch der klinischen Rechtsmedizin bereits ein eigenes Kapitel gewidmet wurde [1], sind wissenschaftliche Beiträge zu charakteristischen Befunden an tatverdächtigen Personen bislang nur vereinzelt veröffentlicht worden; dabei lag der wesentliche Fokus auf Befunden nach scharfen Gewalteinwirkungen [2,3,4,5,6,7,8]. Nach einem Beitrag über Untersuchungen von Tatverdächtigen im Allgemeinen, der im Rahmen einer medizinischen Dissertation veröffentlicht wurde [2, 8], soll nun im Speziellen auf körperliche Befunde an Beschuldigten, denen ein Kapitaldelikt vorgeworfen wurde, eingegangen werden.

In Deutschland umfassen vorsätzliche Tötungsdelikte bzw. Straftaten gegen das Leben als Erfolgsdelikte Mord (§ 211 des Strafgesetzbuches (StGB)), Totschlag (§ 212 StGB) sowie Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB).

Material und Methoden

Zwischen 2002 und 2022 wurden am Institut für Rechtsmedizin (IREM) der Universitätsmedizin Rostock (UMR) insgesamt 1516 klinisch-forensische Untersuchungen durchgeführt, die überwiegend durch die Staatsanwaltschaften Rostock und Schwerin beauftragt wurden. Unter den Untersuchten fanden sich in diesem Zeitraum 67 Personen (4,4 %), die zum Untersuchungszeitpunkt tatverdächtig waren, ein vorsätzliches Tötungsdelikt begangen zu haben. Es wurde vonseiten der Autoren keine weitere juristische Einordnung der Delikte vorgenommen und ausschließlich Untersuchungsergebnisse zu Tatverdächtigen eingeschlossen, zu denen zum Untersuchungszeitpunkt ein hinreichender Tatverdacht bestand.

Die schriftlichen Gutachten zu den Untersuchungen wurden anhand zahlreicher Kriterien zu den Verdächtigen selbst als auch den Tatgeschehen analysiert (Tab. 1). Als Informationsquellen dienten die Fotodokumentation, die in 54 Fällen (81 %) durch die untersuchenden Rechtsmediziner zu den Befunden an den Tatverdächtigen angefertigt wurde, sowie die zu allen Fällen (100 %) schriftlich vorliegenden oder mündlich übermittelten polizeilichen Ermittlungsergebnisse (Strafanzeigen, Leichenschauberichte, Ermittlungsberichte). Darüber hinaus wurden die Ergebnisse der Leichenschauen, die in 54 Fällen (87 %) am Fundort durchgeführt wurden, sowie die entsprechenden Obduktionsgutachten zu den getöteten Opfern, die in allen 62 Fällen (100 %) erstellt wurden, berücksichtigt. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Korrelation der verschiedenen Gewaltformen mit bestimmten Verletzungsmustern gelegt.

Tab. 1 Analysekriterien

Ergebnisse

Charakteristika der Tatverdächtigen

Im Untersuchungszeitraum wurden am IREM der UMR insgesamt 94 vorsätzliche Tötungsdelikte bearbeitet, wobei die jährliche Anzahl über den betrachteten Zeitraum erheblich schwankte (Abb. 1). Insgesamt wurde 67 Personen untersucht, die verdächtig waren, an insgesamt 62 Tötungsdelikten beteiligt gewesen zu sein. Dabei waren insgesamt 4 Personen verdächtig, jeweils 2 Personen getötet zu haben. Ein anderer Tatverdächtiger wurde der vorsätzlichen Tötung von 3 Personen beschuldigt. In 6 Fällen wurden insgesamt 15 Personen verdächtigt, die Tötungsdelikte gemeinschaftlich begangen zu haben. Die übrigen Tathandlungen mit jeweils einem getöteten Opfer wurden von allein handelnden Personen begangen.

Abb. 1
figure 1

Übersicht über die am Institut für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin Rostock bearbeiteten vorsätzlichen Tötungsdelikte und untersuchten Tatverdächtigen. (Mod. nach Bundeskriminalamt [9] und Landespolizei Mecklenburg-Vorpommern [10])

Der Großteil der Verdächtigen (61 Personen, 91 %) war männlich und überwiegend deutscher Staatsangehöriger (51 Personen, 84 %). Die übrigen untersuchten Männer waren in jeweils 3 Fällen ukrainisch und russisch, weitere beschuldigte Männer waren jeweils ägyptisch, vietnamesisch, litauisch und aserbaidschanisch. Es wurden weiterhin insgesamt 6 (9 %) weibliche Tatverdächtige mit ausschließlich deutscher Staatsangehörigkeit begutachtet.

Die Tatverdächtigen waren vorwiegend im jüngeren Erwachsenenalter, während sich die Getöteten eher im höheren Erwachsenenalter befanden (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Altersverteilung der untersuchten Tatverdächtigen und Getöteten

Angaben zur Beziehung zwischen der tatverdächtigen Person und dem Opfer lagen in 55 Fällen (82 %) vor: Am häufigsten bestand eine Bekanntschaft zwischen den beteiligten Personen (Mitbewohner, Nachbarn, Arbeitskollegen, Pflegedienstmitarbeitende, Prostituierte), gefolgt von (ehemaligen) (Ehe‑)Partnern sowie weiteren Familienangehörigen (Eltern, Pflegeeltern, Großeltern, Geschwister, neugeborene Kinder). Bekanntschaften aus dem Alkoholikermilieu sowie Zufallsopfer waren gleichhäufig vertreten. In dem vorliegenden Untersuchungskollektiv sind jeweils 31 männliche und weibliche Personen getötet geworden, wobei Mädchen und Frauen bei den Beziehungstaten und Tötungen in sexualisiertem Kontext deutlich überrepräsentiert waren.

Es ereigneten sich 57 (92 %) Delikte im eigenen oder im gemeinsamen Wohnraum bzw. dem des späteren Opfers. Die übrigen Taten wurden im öffentlichem Raum, wie beispielsweise auf der Straße oder in Waldstücken, ausgeübt.

In 44 Fällen (66 %) lagen zum Zeitpunkt der rechtsmedizinischen Untersuchung keine Informationen über eine mögliche Substanzbeeinflussung der Tatverdächtigen vor. In 18 Fällen (27 %) wurden die Tatverdächtigen als stark oder erheblich alkoholisiert beschrieben, wurde Atemalkoholgeruch wahrgenommen, oder Atemalkoholkonzentrationen zwischen 0,2 und 3,5 ‰ wurden gemessen. In jeweils 2 Fällen (jeweils 3 %) wurde eine Beeinflussung durch Beruhigungsmittel oder Cannabisprodukte bekannt.

Angaben zu Vorerkrankungen lagen in 20 Fällen (30 %) vor, 10 weitere Tatverdächtige (15 %) verneinten, vorerkrankt gewesen zu sein. Führend waren bei den Erkrankungen Alkohol- und/oder Betäubungsmittelabhängigkeiten, gefolgt von psychiatrischen Erkrankungen (paranoide Schizophrenien, Paraphilien, Depressionen). Internistische Grunderkrankungen wurden nur vereinzelt erwähnt. In mehr als der Hälfte der Fälle (37 Fälle, 55 %) ließen sich den zur Verfügung stehenden Informationen keine Angaben über Vorerkrankungen entnehmen.

Die Untersuchungen wurden in Zeiträumen zwischen 90 min und 7 Jahren nach den Tötungen durchgeführt. Die überwiegende Mehrheit – 51 (76 %) der Beschuldigten – wurde jedoch innerhalb der ersten 24 h nach der Tat rechtsmedizinisch untersucht. Nahezu die Hälfte der Untersuchungen (31 Untersuchungen, 47 %) fand im Zentralgewahrsam der zuständigen Kriminalpolizeiinspektionen Rostock bzw. Schwerin statt, gefolgt von den Räumlichkeiten der Polizeireviere (23 Untersuchungen, 35 %), wo die Tatverdächtigen in dortigen ärztlichen Untersuchungsräumen, Gewahrsamszellen oder in Büroräumen in Augenschein genommen wurden. In Einzelfällen wurden die Untersuchungen auch in Krankenhäusern oder Justizvollzugsanstalten durchgeführt.

Charakteristika der Taten und der Befunde

Von den 67 Untersuchten wiesen 53 Personen (79 %) Befunde auf, die als Folgen der Tatbegehung interpretiert worden sind und die im Folgenden konkreter eingeordnet werden sollen.

Bei den Tathandlungen war die Anwendung von scharfer Gewalt führend, gefolgt von der kombinierten Anwendung scharfer und stumpfer Gewalt (Abb. 3). Dabei wurden in 52 Fällen (78 %) Messer unterschiedlicher Art, wie z. B. Küchen‑, Brot‑, Butterfly‑, Jagd- oder Fleischermesser, verwendet, wobei detaillierte Angaben wie die Klingenlänge oder Art des Schliffes zum Sektionszeitpunkt nur vereinzelt bekannt waren. In Einzelfällen wurden andere scharfe Gegenstände, wie z. B. (Garten)Scheren, Scherben, eine Fleischgabel oder eine Machete eingesetzt. Insgesamt wiesen 3 Personen (4 %), die alle verdächtig waren, jemanden mittels eines scharfen Gegenstandes getötet zu haben, selbstbeibringungstypische Verletzungen auf.

Abb. 3
figure 3

Angewandte Gewaltformen

Von den 48 Personen, die verdächtig waren, eine andere Person u. a. mittels scharfer Gewalt getötet zu haben, wiesen 20 Personen (41 %) Verletzungen auf, die auf das Hantieren mit einem scharfen Gegenstand zurückzuführen waren. Bei den rechtsmedizinischen Untersuchungen fielen insbesondere glattrandige, überwiegend oberflächliche Hautdefekte an den Händen auf (Abb. 4 und 5a–c), die durch den Umgang mit einem scharfen Werkzeug entstanden sein konnten. Dabei wurden insbesondere Verletzungen an den Streckseiten der Finger festgestellt. Es wurden jedoch auch in je einem Fall oberflächliche, glattrandige Verletzungen im Gesicht, auf der behaarten Kopfhaut, an den Armen und den Füßen beobachtet.

Abb. 4
figure 4

Verletzungsverteilung an den Händen

Abb. 5
figure 5

a Glattrandige Hautdefekte an Daumenballen und ulnarer Kante der rechten Hand, Tatwerkzeug: Küchenmesser. b Glattrandige Hautdurchtrennung an der Kleinfingerbeugeseite der linken Hand, Tatwerkzeug: Jagdmesser. c Glattrandige Hautdurchtrennungen an Daumen- und Kleinfingerballen der rechten Hand, Tatwerkzeug: Gartenschere

Von den 30 Personen, die verdächtig waren, eine andere Person u. a. mittels stumpfer Gewalteinwirkung getötet zu haben, wiesen 23 Befunde (77 %) auf, die im Rahmen einer körperlichen Auseinandersetzung mit der getöteten Person entstanden sein konnten (Abb. 6a,b). Dabei waren diese Verletzungen jedoch wesentlich uncharakteristischer als die der Gruppe Tatverdächtiger, die scharfe Gewalt angewandt haben sollen: Die Personen wiesen überwiegend oberflächliche Schürfungen und Hautverfärbungen insbesondere an Kopf, Armen, Hüften, Knien und Unterschenkelstreckseiten auf. Die verletzten Körperregionen sind in Abb. 7 dargestellt.

Abb. 6
figure 6

a Rötung mit oberflächlichen Hautdefekten wie nach Faustschlag gegen die linke Jochbeinregion; im Rahmen eines Streits sei es zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen dem Tatverdächtigen und dem Opfer gekommen. b Rot-gelbliches Monokelhämatom links sowie Verfärbung der linken Schläfen- und Jochbeinregion mit Schürfung und Quetsch-Riss-Wunde, Untersuchung 4 Tage nach der Tat; der Tatverdächtige sei an einer gemeinschaftlichen Tötung eines Mannes mit Messern und anderen Gegenständen beteiligt gewesen

Abb. 7
figure 7

Häufigkeitsverteilung der verletzten Körperregionen von Tatverdächtigen nach stumpfer Gewalteinwirkung

In weiteren 9 Fällen (13 %) konnten Verletzungen festgestellt werden, die als eine körperliche Gegenwehr durch das Opfer interpretiert wurden (Abb. 8a,b). Insbesondere die untersuchten Männer, die tatverdächtig waren, eine andere Person mittels komprimierender Gewalt gegen den Hals getötet zu haben, wiesen überwiegend kratzerartige Hautdefekte und Hauteinblutungen, betont am Hals und am Oberkörper sowie an den Armen auf, die durch sich intensiv wehrende Opfer entstanden sein konnten.

Abb. 8
figure 8

a Parallelstreifige Hauteinblutungen an der rechten Halsseite; der Tatverdächtige habe seine Expartnerin zunächst gewürgt und anschließend mit Stichen in den Hals, Bauch und Rücken getötet. b Geformte Hauteinblutungen mit zentraler Abblassung an der rechten ulnaren Handkante; der Tatverdächtige sei von seiner Ehefrau in die Hand gebissen worden, bevor er sie erdrosselt habe

In dem untersuchten Kollektiv fanden sich 4 Personen, die der Tötung von Minderjährigen beschuldigt wurden. So wurden 2 Frauen verdächtigt, ihre neugeborenen Kinder unmittelbar nach der Geburt durch Ertränken bzw. durch das Werfen aus dem Fenster getötet zu haben. Beide Beschuldigte wurden innerhalb weniger Stunden nach der jeweils häuslichen Entbindung und Auffindung der Neugeborenen fachärztlich gynäkologisch untersucht. Bis auf geburtstypische Verletzungen waren die Frauen unverletzt. Weiterhin wurden 2 Männer verdächtigt, ein 7‑jähriges sowie ein 16-jähriges Mädchen im Rahmen eines Sexualdeliktes getötet zu haben. Während auf die 7‑Jährige mittels stumpfer und scharfer Gewalt eingewirkt wurde, wurde die 16-Jährige mittels massiver stumpfer Gewalteinwirkung getötet. Beide Tatverdächtige wiesen lediglich uncharakteristische, kratzerartige Hautdefekte bzw. Kontusionsblutungen an den Armen auf. Bei Nichtberücksichtigung der beiden Untersuchungen von tatverdächtigen Frauen, die ihre Neugeborenen unmittelbar nach der Geburt getötet hatten, erhöht sich der Anteil der untersuchten Beschuldigten mit Befunden, die als Folgen der Tatbegehung interpretiert worden sind, auf 82 %.

Insgesamt 10 Personen (15 %) wiesen charakteristische Verletzungen auf, wie sie nach polizeilichen Maßnahmen z. B. im Rahmen der Festnahme entstanden sein konnten (Abb. 9a,b).

Abb. 9
figure 9

Zirkulär verlaufende Hautrötungen an den Handgelenken wie nach Tragen von Handfesseln (a, b)

Diskussion

Ebenso wie nach forensischen Untersuchungen von mutmaßlichen Opfern sollten Befunde an Tatverdächtigen von Kapitaldelikten nach Art, Lokalisation und Intensität interpretiert werden. Die systematische Inaugenscheinnahme der Person sollte idealerweise gemeinsam mit Beamten der Spurensicherung/Kriminaltechnik erfolgen, um biologische Spuren zeitnah zu sichern. Dabei sollte ärztlicherseits besonderes Augenmerk auf den möglichen Entstehungszeitpunkt bzw. -zeitraum von Verletzungen gelegt und diese sollten mit den Befunden am Leichnam abgeglichen werden. Dadurch kann ein wichtiger Beitrag zur Rekonstruktion des Tatgeschehens sowie der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Tatverdächtigen geleistet werden [3]. Die festgestellten Befunde sollten grundsätzlich nach den Standards der forensischen Fotografie dokumentiert werden [11, 12].

Tatverdächtige von vorsätzlichen Tötungsdelikten können dabei – maßgeblich abhängig von der angewendeten Gewaltform – unterschiedliche körperliche Befunde aufweisen (Tab. 2).

Tab. 2 Charakteristische Befunde und Lokalisationen an Tatverdächtigen von Tötungsdelikten

In den vergangenen 20 Jahren hat in Deutschland die Anzahl an behördlich erfassten vollendeten Morden bis auf einen erneuten Anstieg zwischen 2013 und 2017 deutlich abgenommen, so wurden 2002 noch 421 Morde registriert, 2022 dagegen nur noch 211. Dabei lag die Aufklärungsquote zwischen 91,4 % (2019) und 96,3 % (2013) bundesweit konstant hoch. Mecklenburg-Vorpommern (M-V) rangiert in Bezug auf die Häufigkeit von Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen im unteren Mittelfeld [13]. Während sich bundesweit Inzidenzen zwischen 2,57/100.000 Einwohner im Jahr 2015 und 3,23 Tötungsdelikte/100.000 Einwohner im Jahr 2002 finden, liegt die Inzidenz in M‑V deutlich niedriger: Im Jahr 2007 traten mit einer Inzidenz von 1,43 vorsätzlichen Fremdtötungen/100.000 Einwohnern die meisten Fälle auf. In den Jahren 2013 sowie 2015–2017 waren es lediglich 0,23 Tötungsdelikte/100.000 Einwohner [14]. Im Jahr 2022 wurden in M‑V 12 Morde sowie 27 Fälle von Totschlag begangen [15]. Die mit Abstand größte Opfergruppe in diesem Jahr waren Erwachsene zwischen 21 und 60 Jahren. In einem Drittel der Fälle bestand vor der Tat weder soziale noch räumliche Nähe zwischen Täter und Opfer (34 %) [16].

Im Einzugsgebiet des IREM der UMR – den Landgerichtsbezirken Rostock und Schwerin – ereigneten sich im Erhebungszeitraum zwischen 2002 und 2022 insgesamt 94 Tötungsdelikte, es wurden jedoch nur im Zusammenhang mit 62 Delikten die entsprechenden rechtsmedizinischen Untersuchungen der Tatverdächtigen nach § 81 a StPO angeordnet. Über die Gründe, warum nicht zu jedem Fall eine Untersuchung veranlasst wurde, kann nur gemutmaßt werden: Dazu gehören jedoch möglicherweise lange Zeiträume zwischen dem Auffinden des Leichnams bzw. der Feststellung der/des Tatverdächtigen, Fälle von (spurenarmen) Neugeborenentötungen, Tötungen durch Unterlassen und mit Sicherheit der Umstand, dass keine tatverdächtige Person ermittelt werden konnte. Sofern ein Tatverdächtiger bekannt ist und bislang keine rechtsmedizinische Inaugenscheinnahme angeordnet wurde, empfiehlt sich die aktive Nachfrage bei den Ermittlungsbehörden, um die Untersuchung möglichst zeitnah durchzuführen. Dabei sollte die Inaugenscheinnahme idealerweise durch denselben Arzt erfolgen, der auch die Leichenschau am Tatort bzw. Leichenfundort durchgeführt hat. So können die festgestellten Befunde am Leichnam sowie an dem Tatverdächtigen bestmöglich interpretiert und Informationsverluste vermieden werden [1, 2].

Lediglich 14 der untersuchten Personen (21 %) wiesen keine oder ausschließlich Befunde auf, die nicht im Zusammenhang mit dem Tatgeschehen standen. Um die Angaben des Tatverdächtigen, der insbesondere bei Tötungsdelikten häufig die einzige Person ist, die die Abläufe der Tat schildern könnte, zu verifizieren bzw. in einen Gesamtkontext zu betrachten, ist eine Untersuchung des Beschuldigten aus rechtsmedizinischer Sicht unerlässlich. Insbesondere die Angabe einer Notwehrsituation durch die tatverdächtige Person kann durch die Untersuchungsergebnisse bestätigt oder widerlegt werden. Im untersuchten Kollektiv fand sich ein Fall, der am IREM der UMR bearbeitet worden ist, bei dem es zu einer Verfahrenseinstellung durch die zuständige Staatsanwaltschaft gemäß § 170 Abs. 2 StPO gekommen ist: Die Befunde an einem Tatverdächtigen haben dessen Angabe, zuvor von dem später Getöteten mit einer Holzstrebe mehrfach massiv geschlagen worden zu sein, bestätigt. Er habe seinen Angreifer mit einem Küchenmesser in die Brust gestochen, um ihn handlungsunfähig zu machen [2]. Aber auch Hinweise auf eine mögliche Gegenwehr und die damit verbundene, zumindest zeitweise erhaltene Handlungsfähigkeit der Opfer können sich durch Verletzungen an Tatverdächtigen ableiten lassen (Abb. 8a,b).

Insbesondere wenn es zu einer Gewaltanwendung mit einem scharfen Gegenstand gekommen ist, ist es nicht selten, dass charakteristische Verletzungen an der tatverdächtigen Person festgestellt werden können [2, 4,5,6]. Von den untersuchten Tatverdächtigen wiesen zwei Fünftel glattrandige, meist oberflächliche Verletzungen, überwiegend an Fingern, Handflächen und Armen, aber vereinzelt auch an der Gesichtshaut, auf. Die Befunde an den Händen sprechen für ein Abrutschen auf die Klinge bei einem hohen Kraftaufwand, wie z. B. einem kräftigen Zustechen, insbesondere, wenn ein ausreichender Handschutz zwischen Klinge und Handgriff fehlt. Weiterhin kann es auch durch ein tatzeitnahes unkontrolliertes Hantieren mit einem scharfen Gegenstand zu entsprechenden Verletzungen kommen. Tsokos und Braun beschreiben Verletzungen an der ulnaren Daumenseite und der dem Daumen zugewandten Zeigefingerseite [6]. Schmidt und Pollak konnten Tendenzen zu Verletzungen an der radialen Daumenseite sowie dem Interphalangealgelenk des Zeigefingers feststellen, wobei sie keine eindeutige Bevorzugung einer Seite beobachteten [4, 5]. Diese Feststellungen können durch die untersuchten Fälle bestätigt werden. Die Verletzungsmuster der Untersuchten zeigten sich sehr variabel: Neben den in der Fachliteratur beschriebenen Lokalisationen waren in dem untersuchten Kollektiv auch die ulnare Handkante sowie der Kleinfinger betroffen. Nur in wenigen Fällen kam es zu Sehnen- und/oder Gefäßverletzungen, die chirurgisch versorgt werden mussten. Dies kann möglicherweise dahingehend interpretiert werden, dass es nicht ausschließlich zu einem Abrutschen auf eine Messerklinge, sondern auch zu ungerichteten, unkontrollierten Bewegungen und (oberflächlichen) Kontakten mit der Klinge gekommen sein kann. Offensichtlich absichtlich selbstbeigebrachte Verletzungen an den typischen Lokalisationen (beispielsweise Unterarmbeugeseiten, Handgelenkbeugeseiten, Bauchhaut) fanden sich nur in Einzelfällen und waren problemlos als solche zuzuordnen.

Stumpfe Gewalteinwirkungsfolgen wurden bei dem Großteil derjenigen festgestellt, die verdächtig waren, eine andere Person u. a. mittels stumpfer Gewalt getötet zu haben. Diese Befunde waren teilweise durch die Gegenwehr der Opfer zu erklären, wie Kratzverletzungen durch Fingernägel oder Bissverletzungen (Abb. 8a,b), die überwiegend an der oberen Körperhälfte der Untersuchten festgestellt wurden. Größtenteils waren die Befunde jedoch uncharakteristisch und können sowohl im Rahmen von Kampfhandlungen als auch von Stürzen entstanden sein. Charakteristische Verletzungen von Handrücken und/oder Fingerknöcheln, wie sie typisch für Faustschläge sein können, fanden sich in der untersuchten Kohorte nicht.

Andere Gewaltformen, wie Verbrennungen oder Schussbeibringungen, waren in der vorliegenden Erhebung deutlich unterrepräsentiert.

Wenn Minderjährige getötet wurden, wurden keine charakteristischen Befunde bei den Beschuldigten festgestellt. Bei Neugeborenentötungen wurden durch die Gynäkologen lediglich geburtstypische Verletzungen diagnostiziert.

Während zirkulär um die Handgelenke verlaufende Rötungen in der Regel unkompliziert als Fesselungsspuren identifiziert werden können, kann es bei einer massiven Gegenwehr bei der polizeilichen Festnahme zu weiteren Verletzungen wie Schürfungen und Hauteinblutungen kommen. Um diese Verletzungen, die im Rahmen polizeilicher Maßnahmen entstanden sind, von Befunden, die sich der/die Tatverdächtige möglicherweise durch das Tatgeschehen zugezogen hat, zu differenzieren, ist eine sorgfältige Dokumentation seitens der Polizeibeamten hilfreich – insbesondere, wenn Tat und Festnahme zeitlich eng beieinanderliegen.

Sofern die tatverdächtige Person auskunftsbereit ist, sollten auch akute Beschwerden, bestehende Vorerkrankungen mit ggf. regelmäßiger Medikamenteneinnahme oder chronischem Substanzmissbrauch, aber auch akute Beeinflussungen durch Alkohol, Betäubungsmittel oder Arzneimittel abgefragt und eine entsprechende Asservierung von Blut und/oder Urin veranlasst werden. Aus dem direkten Kontakt zum Tatverdächtigen können sich u. U. bereits erste Hinweise auf hirnorganische Störungen ableiten lassen.

Da eine flächendeckende Verfügbarkeit von rechtsmedizinischer Expertise derzeit nicht gegeben ist, wird in verschiedenen medizinischen Publikationen zunehmend rechtsmedizinisches Wissen zu einer standardisierten, qualitativen Befunddokumentation von Verletzungen vermittelt [17, 18]. Auch der IMPP-Gegenstandskatalog für den zweiten Abschnitt der ärztlichen Prüfung nennt „Gewalterfahrung und Missbrauch“ als Konsultationsanlass bzw. „tätlichen Angriff“ als Krankheitsbild, mit denen Studenten vertraut sein sollen, sowie die „Gewaltprävention“ als übergeordnete Kompetenz [19]. Daher ist es durchaus denkbar, dass sich die Ermittlungsbehörden mit der Bitte um Spurensicherung sowie die Beurteilung von Befunden an Tatverdächtigen auch an klinisch tätige Ärzte wenden, insbesondere, wenn zeitnah kein Rechtsmediziner verfügbar ist. Eine unmittelbare Befundsicherung ist für das weitere Ermittlungsverfahren von enormer Bedeutung: Das Vorhandensein von Befunden an Tatverdächtigen kann wertvolle Erkenntnisse für den Beweis der Täterschaft dieser Personengruppe erbringen bzw. zur Entlastung der Beschuldigten führen. Die Bewertung von Befunden sollte daher bevorzugt Rechtsmedizinern vorbehalten sein und in allen infrage kommenden Fällen von den Staatsanwaltschaften beauftragt werden.

Fazit für die Praxis

Forensisch-medizinische Untersuchungen von Beschuldigten, denen ein vorsätzliches Tötungsdelikt vorgeworfen wird, können erheblich zur Rekonstruktion des Tatgeschehens und zur Aufklärung der Tat beitragen. Derartige Untersuchungen sollten bei ausbleibenden Aufträgen den Ermittlungsbehörden insbesondere nach vorsätzlichen Tötungsdelikten mit Nachdruck angeboten werden.