Einleitung

Selbstverletzungen oder Suizide durch Anwendung bohrender Gewalt gegen den Hirnschädel sind seltene Ereignisse und wurden in der Literatur bisher kaum beschrieben [2, 4, 8]. Mehrfache selbst durchgeführte Bohrlochtrepanationen mit einer Heimwerker-Bohrmaschine stellen dabei eine Rarität dar. Da derartige Verletzungen sehr schmerzhaft sind, bestehen immer Zweifel an der Selbstbeibringung. Zur sicheren Beurteilung und Rekonstruktion der Todesumstände bedarf es der Zusammenarbeit zwischen Rechtsmedizin, Neuropathologie und Kriminalpolizei. Insbesondere ein mögliches Motiv ist dabei von außerordentlichem Interesse, um die Plausibilität der ungewöhnlichen Tat einschätzen zu können. Nachfolgend werden alle Besonderheiten der Tat dargestellt.

Kasuistik

Der 78 Jahre alt gewordene Mann wurde im Keller seines Wohnhauses, in einer Werkstatt, schwer verletzt in einer Blutlache liegend aufgefunden. In der linken Hand habe sich ein Akkuschrauber mit einem 6 mm Bohrer und in der rechten Hand eine Bohrmaschine mit einem 6,5 mm Bohrer befunden. Die Bohrer von jeweils ca. 6 cm Länge waren mit blutigen Haaren umwickelt (Abb. 1). Nach Einlieferung in ein Krankenhaus wurden im Schädel auf der rechten Seite 2 vollständige Bohrlöcher sowie 3 lochartige Weichteilverletzungen und auf der linken Kopfseite 2 vollständige Bohrlöcher festgestellt. Das Computertomogramm des Schädels (cCT) ergab außerdem Blutungen beidseitig in die Kopfschwarte, Knochenfragmente innerhalb des Schädels, Blutung unter die harte Hirnhaut von ca. 1,5 cm Breite, ausgedehnte rechtsbetonte Blutung unter die weiche Hirnhaut, mehrere kleinere Knochenfragmente im Bereich der seitlichen Augenhöhlenwand, Verlagerung des rechten Sehnerven sowie Luftansammlung in die Weichteile. Nach Mitteilung des Verletzungsbildes und der schlechten Erfolgsaussichten der medizinischen Behandlung durch die Ärzte entschied sich die Ehefrau gegen eine Operation ihres Mannes. Er verstarb 5 Tage später im Krankenhaus an „multiplen intrakraniellen Verletzungen bei Verdacht auf Selbst-Trepanation“.

Abb. 1
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Bohrer mit blutigen Haaren, neben dem Geschädigten aufgefunden

Ein Abschiedsbrief wurde nicht aufgefunden. Als Vorerkrankung wurden nur eine Makuladegeneration und zunehmende „Vergesslichkeit“ angegeben. Er habe nur ungern Ärzte aufgesucht und habe unter den coronabedingten Einschränkungen des Alltags gelitten. Drei Tage vor dem Ereignis habe er über sein linkes Auge geklagt, weil er dort „Blüten sehe“. Kopfschmerzen oder suizidale Äußerungen wurden nicht berichtet.

Zur Händigkeit des Geschädigten lagen keine Angaben vor.

Am nächsten Tag erfolgte die rechtsmedizinische Sektion. Wesentliche Befunde: insgesamt 8 Verletzungen der Schläfenregion (6 links, 2 rechts), welche durch den Einsatz von Bohrmaschinen mit einem Bohrerdurchmesser von etwa 6–7 mm erklärbar waren (Abb. 2, 3 und 4). Hierbei durchtrennten alle 8 Verletzungen die Haut, insgesamt 4 Verletzungen links und 2 rechts den Schädelknochen, und 4 Bohrlöcher links durchdrangen die harte Hirnhaut und traten in das Gehirn ein. Die beidseits am tiefsten gelegenen Verletzungen eröffneten die Schädelbasis über einen Bohrkanal in den linken und rechten großen Keilbeinflügel über etwa 4,5 cm bzw. 5 cm mit knöchernem Ausbruch zu den mittleren Schädelgruben hin. Diese beiden Verletzungen verliefen jeweils von schräg vorn außen nach hinten innen. Bei den übrigen Verletzungen handelt es sich um ein annähernd waagerechtes Eindringen von der Seite. Es resultierten Blutungen unter die harte und in die weiche Hirnhaut sowie eine Hirnschwellung (Abb. 5). Infolge der Hirnschädigung kam es zum Koma und zum zentralnervös bedingten Multiorganversagen u. a. mit Lungenentzündung und Herzinfarkt, an welchem der Geschädigte unter Therapiebegrenzung verstarb. Wegen des kausalen Zusammenhangs zwischen den Kopfverletzungen, den Folgekomplikationen und dem Versterben wurde eine nichtnatürliche Todesart bestätigt.

Abb. 2
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Hautdefekte an der linken Kopfseite

Abb. 3
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3 Bohrlöcher im linken Schläfenbein

Abb. 4
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Bohrkanal im linken großen Keilbeinflügel

Abb. 5
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Subarachnoidale Blutungen Konvexität Großhirnhemisphäre rechts

Bei der Sektion ergaben sich keine Hinweise auf sonstige Gewalteinwirkungen, die für eine vorangegangene körperliche Auseinandersetzung, Abwehrverletzungen oder Fesselung sprechen könnten. Die Gruppierung der Verletzungen an beiden Kopfseiten war mit einer Selbstbeibringung gut vereinbar.

Im Ergebnis der Sektion, der kriminaltechnischen Untersuchungen am Ereignisort sowie der molekulargenetischen Untersuchungen der Bohrwerkzeuge ergaben sich somit keine Hinweise auf eine Fremdbeibringung der Kopfverletzungen. Toxikologisch-chemische Untersuchungen einer Blutprobe vom Zeitpunkt der Krankenhausaufnahme lieferten keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der Handlungsfähigkeit durch Fremdsubstanzen. Der Geschädigte konnte sich somit alle 8 Bohrverletzungen selbst beigebracht haben.

Damit blieb die Frage nach einem möglichen Motiv der Selbsttrepanation.

Bei der neuropathologischen Untersuchung des Gehirns wurde an der A. communicans posterior sinistra ein fusiformes Aneurysma (< 10 mm) vom kombinierten Typ mit komplizierter intraluminaler Plaque (i.e. mehrzeitige Plaque-Mikrounterblutung, Neovaskularisation und Makrophageninfiltration) festgestellt (Abb. 6 und 7). Eine Ruptur konnte nicht gesichert werden. Die subarachnoidalen Unterblutungen in unmittelbarer Umgebung der Gefäßveränderung erklärten sich durch die benachbarten Hirngewebsverletzungen.

Abb. 6
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Fusiformes Aneurysma an der A. communicans posterior sinistra (nach Formalinfixierung)

Abb. 7
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Aneurysma mit komplizierter intraluminaler Plaque. HE-Färbung, Vergr. 200:1

Diskussion

Unter Berücksichtigung einer schlechten Prognose entschied sich die Ehefrau in Absprache mit den behandelnden Ärzten bei dem 78 Jahre alt gewordene Mann gegen ein operatives Vorgehen. Laut den Behandlungsunterlagen fand ein ausführliches Angehörigengespräch mit der Ehefrau und Tochter des Geschädigten statt. Es wurde auch darüber gesprochen, dass im Falle eines Überlebens schwere neurologische Beeinträchtigungen zu erwarten wären. In Zusammenschau der Gesamtsituation und des mutmaßlichen Patientenwillens wurde die intensivmedizinische Therapie beendet und eine palliative Behandlung bis zum Todeseintritt durchgeführt. Unmittelbare Todesursache war nach 5‑tägiger Überlebenszeit ein histologisch bestätigter frischer Myokardinfarkt der Hinterwand und Spitze des linken Ventrikels im Rahmen eines septisch-toxischen Multiorganversagens, ausgehend von einer Lungenentzündung.

Hinweise für eine ärztliche oder pflegerische Sorgfaltspflichtverletzung ergaben sich aus den Sektionsbefunden und den übersandten Behandlungsunterlagen nicht.

Durch die Obduktion und die sich anschließenden neuropathologischen, toxikologischen, molekulargenetischen sowie die kriminalistischen und -technischen Untersuchungen konnte per exclusionem eine Fremdbeibringung ausgeschlossen werden. Auch wenn ein Abschiedsbrief nicht gefunden wurde, war am ehesten von einer Verzweiflungstat des Geschädigten aufgrund sehr starker Kopfschmerzen auszugehen. Bei der Präparation des Circulus arteriosus cerebri (Circulus Willisii) und der histologischen Untersuchung in Serienschnitten konnte eine Ruptur des Aneurysmas der A. communicans posterior sinistra nicht gesichert werden, dennoch bestand die Möglichkeit einer durch das Aneurysma ausgelösten Irritation der schmerzempfindlichen Arachnoidea mit sog. Vernichtungskopfschmerz [6, 10].

In der Literatur finden sich Berichte über Subarachnoidalblutungen nach Ruptur zerebraler Aneurysmata, die insbesondere auch im Kindesalter mit Erbrechen einhergehen [3]. Von derartigen Symptomen, in der Regel auch mit Meningismus, haben die Obduzenten im hier vorgestellten Fall nichts erfahren. Die Inzidenz rupturierter zerebraler Aneurysmata im Erwachsenenalter beträgt 8–10 Personen/100.000 Einwohner und Jahr [5]. Sie sind am häufigsten im Bereich der A. communicans anterior lokalisiert [7]. Danach folgen Aneurysmata der A. cerebri media und der A. communicans posterior [1].

Nach Vorliegen aller Untersuchungs- und Ermittlungsergebnisse war somit am ehesten von einer heftigen Kopfschmerzattacke („Vernichtungskopfschmerz“), ausgelöst durch ein kleines, nichtrupturiertes Aneurysma der A. communicans posterior links, als Anlass der Selbsttrepanationen auszugehen.

Die Bohrungen an den Hinterseiten beider Keilbeinflügel zielten in Richtung der A. communicans posterior, was eine lokalisierte Schmerzwahrnehmung vermuten lässt. Die wichtigsten afferenten Nerven der Dura mater in diesem Bereich sind der N. spinosus, der als R. meningeus des N. mandibularis die mittlere Schädelgrube innerviert. Die nozizeptive Information wird dann entlang der medialen Schleife an den kontralateralen Thalamus weitergegeben und zu kortikalen Arealen projiziert, womit der Schmerz als solcher bewusst wird [9].

Fazit

Zusammenfassend traten im vorgestellten Fall mehrere ungewöhnliche Ereignisse auf: Ein zu Lebzeiten nichtbekanntes, kleines Aneurysma an der Hirnbasis führte ohne Ruptur wahrscheinlich zu einer plötzlichen Kopfschmerzattacke, die den Betroffenen dazu veranlasste, sich beiderseits mit elektrischen Bohrmaschinen selbst den Hirnschädel zu trepanieren, um nach mehrtägiger Überlebenszeit im Rahmen einer pneumogenen Sepsis an einem Herzinfarkt zu versterben. Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Rechtsmedizin, Neuropathologie und Kriminalpolizei konnte ein Fremdverschulden ausgeschlossen und der Fall geklärt werden.