Einleitung

Nach Schwander [1] liegt ein Fall häuslicher Gewalt dann vor: „wenn eine Person in einer bestehenden oder einer aufgelösten familiären oder partnerschaftlichen Beziehung in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität verletzt oder gefährdet wird und zwar entweder durch Ausübung oder Androhung von Gewalt oder durch mehrmaliges Belästigen, Auflauern oder Nachstellen“. Häusliche Gewalt macht einen erheblichen Teil der Gewaltkriminalität aus [2].

Ausweislich einer statistischen Erhebung des Bundeskriminalamtes von 2021 werden in Deutschland jährlich mehr als 100.000 Frauen Opfer von Gewalt in Partnerschaften [3]. Es handelt sich um ein alters- und gesellschaftsschichtübergreifendes Phänomen, aus welchem aufgrund der Vielschichtigkeit diverse persönliche, juristische und sozioökonomische Probleme hervorgehen. Im Jahr 2014 wurden im Post-2015 Consensus [4] die Kosten, welche jährlich und weltweit durch häusliche Gewalt verursacht werden, auf rund 8 Bio. US Dollar geschätzt. Eine weitere Studie schätzt die Kosten nichttödlicher Gewalt gegen Kinder und Frauen höher ein als jene, die durch Morde und Bürgerkriege entstehen [5]. Für Deutschland existieren differierende Kostenschätzungen in Höhe von 180 €/Kopf und Jahr [6] bzw. 3,8 Mrd. € insgesamt [7].

Für Geschädigte häuslicher Gewalt ist eine medizinische Einrichtung oft die erste Anlaufstelle [8]. Ärzte diverser Fachrichtungen kommen deshalb sowohl im ambulanten als auch im klinischen Kontext mit der Problematik in Kontakt. Dem behandelnden Mediziner kommt damit eine entscheidende Aufgabe zu, die neben dem medizinisch-psychologischen Therapiebedarf der Geschädigten eine nachvollziehbare Dokumentation der Beschwerden und Verletzungen sowie ggf. auch eine Spurensicherung einschließt. Eine solche Dokumentation im Hinblick auf eine spätere Strafverfolgung durch den aufgesuchten Arzt ist daher wichtig, auch wenn dem geschädigten Patienten unter dem Eindruck der kurz zurückliegenden Gewalterfahrung eine zeitnahe Anzeige nachrangig erscheinen mag. Auch kommt es nach einer Gewalterfahrung im Nahbereich nicht selten zu einer Dissimulation von Beschwerden oder einer unfallbedingten Erklärung von Verletzungen. Diesbezüglich erscheint es wichtig, dass die Fremdbeibringung der Verletzungen ärztlicherseits offen angesprochen und die Verletzungen im Interesse des Opfers standardisiert dokumentiert werden [9].

Die Erfassung reliabler Fallzahlen zur häuslichen Gewalt im In- und im Ausland ist v. a. aufgrund einer zu vermutenden hohen Dunkelziffer schwierig [10, 11]. Aber auch Hellfeldstudien sind kaum verfügbar. Existente Studien fokussieren sich auf einzelne Gruppen von Geschädigten, die sich beispielsweise über ihr Geschlecht oder Lebensalter definieren, oder untersuchen Stichproben von Geschädigten, die eine spezielle Anlaufstelle für Hilfe bei häuslicher Gewalt aufgesucht haben [11,12,13,14,15,16,17,18].

Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um eine Hellfeldstudie, die umfassend alle staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren eines Jahres zu Körperverletzungen durch häusliche Gewalt ausgewertet hat. Es handelt sich damit nach Kenntnis der Autoren um die bislang erste vollständige Auswertung für ein ganzes Bundesland. Dazu wurden beginnend im Jahr 2012 alle Akten der vier Staatsanwaltschaften in Thüringen von Ermittlungsverfahren häuslicher Gewalt aus dem Jahr 2009 im Original eingesehen. Im Jahr 2009 war seitens der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft eine für alle vier Staatsanwaltschaften in Thüringen verbindliche Definition häuslicher Gewalt eingeführt worden, sodass von einer vollständigen Erfassung und richtigen Zuordnung der polizeilich angezeigten Fälle häuslicher Gewalt auszugehen ist. Diese Definition lautet: „Häusliche Gewalt liegt vor, wenn in räumlicher Beziehung zusammenlebende Personen innerhalb einer bestehenden oder in Auflösung befindlichen familiären, ehelichen oder eheähnlichen Beziehung physische oder psychische Gewalt ausüben oder androhen, sofern das Delikt seine Wurzeln in der Lebensgemeinschaft hat.“ Fokus der Studie war der Stellenwert der Verletzungsdokumentation für den Fort- und Ausgang der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren.

Methode

In Zusammenarbeit mit der Landesstelle Gewaltprävention des Thüringer Ministeriums für Soziales, Familie und Gesundheit wurde unter Mitwirkung von Juristen, Polizeibeamten und Kriminologen umfassende Auswertebogen erarbeitet. Mittels dieser Bogen wurden alle 1403 Ermittlungsakten der vier thüringischen Staatsanwaltschaften aus dem Jahr 2009 ausgewertet, welche nach der Definition der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft unter der Rubrik „häusliche Gewalt“ archiviert worden waren. Um sicherzustellen, dass die Ermittlungsverfahren zum Zeitpunkt der Auswertung abgeschlossen waren, wurde bei der im Jahr 2012 begonnenen, umfangreichen Auswertung auf die Akten des Jahres 2009 zurückgegriffen.

Die erfassten Daten wurden in eine FileMaker© (Claris, Cupertino, CA, USA)-Datenbank übertragen, welche die systematische Filterung nach spezifischen Fragestellungen ermöglichte. Die statistische Auswertung erfolgte mittels des Softwarepaketes SPSS© (IBM, Stanford, CA, USA). Aufgrund des Umfanges der Auswertebögen und des daraus resultierenden Bearbeitungsaufwandes, der zu etablierenden Programmierung und Füllung der Datenbank sowie der zwischenzeitlich zu bewältigenden koordinativen und organisatorischen Herausforderungen konnte die Studie letztendlich 10 Jahre nach Studienbeginn abgeschlossen werden.

In einem ersten Schritt wurde der Einfluss der Verletzungsdokumentation auf das juristische Verfahren hinterfragt. Hierzu wurden Fälle mit vorhandener Verletzungsdokumentation mit solchen ohne jegliche Verletzungsdokumentation bezüglich des Abschlusses des Ermittlungsverfahrens (Einstellung, Anklageerhebung, Strafbefehlsantrag) verglichen.

Bei der Bearbeitung der medizinischen Aspekte wurde der Fokus auf Quantität, Qualität und Rahmenbedingungen der Verletzungsdokumentation in Schrift und Bild gerichtet. Die Beurteilung der Qualität der schriftlichen Dokumentation orientierte sich neben der Lesbarkeit und Verständlichkeit der Notizen an der Objektivierbarkeit der Verletzungen hinsichtlich Art, Ausprägung und Lokalisation. Die Verletzungen der Geschädigten wurden als schwer eingeordnet, wenn abgesehen von Schmerzen und/oder Hämatomen weitere Verletzungen (z. B. Quetsch-Riss-Wunden, Folgen scharfer Gewalt, Folgen einer Gewalteinwirkung gegen den Hals, Frakturen, innere Verletzungen) vorlagen. Die Qualität der Bilddokumentation wurde bezüglich des Vorhandenseins von Schwarz-Weiß- oder Farbaufnahmen, der Ablichtungsschärfe sowie des Vorhandenseins von Übersichts- und Detailaufnahmen mit Maßstab bewertet [20].

Ergebnis

In 1403 ausgewerteten Aktenfällen wurden 1472 Personen als Geschädigte aufgeführt. Die Anzahl der Geschädigten übersteigt die Zahl der Verfahren aufgrund eines Anteils von Fällen mit mehreren Geschädigten. Dabei waren von 1472 Geschädigten 1087 weiblich, also nahezu 75 %.

Eine schriftliche und/oder fotografische Verletzungsdokumentation lag nur in 25,1 % (352) der 1403 Fälle vor, während in mehr als 1000 Fällen keine Dokumentation vorhanden war. Nach Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wurde in insgesamt 178 Fällen (12,7 %) eine Anklage erhoben bzw. ein Strafbefehlsantrag gestellt, wobei in 90 dieser Fälle (ca. 50 %) eine Dokumentation der Verletzungen vorlag. Damit kam es bei den 352 Fällen mit Verletzungsdokumentation in mehr als 25 % zu einer Anklageerhebung bzw. zu einem Strafbefehlsantrag, während es in 1051 Fällen ohne Verletzungsdokumentation weniger als 9 % waren (Tab. 1).

Tab. 1 Kontingenztabelle Anklageerhebung bzw. Strafbefehlsantrag nach Abschluss der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in Abhängigkeit von der Verletzungsdokumentation stratifiziert nach Verletzungsschwere

Statistisch kann somit nachgewiesen werden, dass bei Vorhandensein einer schriftlichen oder fotografischen Verletzungsdokumentation die Chance auf eine Anklageerhebung bzw. auf einen Strafbefehlsantrag um das 3,75fache höher war als ohne Verletzungsdokumentation (p ≪ 104). Der Einfluss der Verletzungsschwere wurde ebenso statistisch untersucht. Die Gesamtkontingenztabelle (Tab. 1) wurde zu diesem Zweck in Fälle mit schweren Verletzungen und in Fälle ohne schwere Verletzungen aufgeteilt (Stratifikation). Es zeigt sich, dass die Verletzungsdokumentation bei Fällen mit geringer Verletzungsschwere die Chance auf eine Anklageerhebung bzw. auf einen Strafbefehlsantrag um das 3,41fache, bei Fällen mit schweren Verletzungen um das 3,93fache erhöht. Der p-Wert lag auch hier bei p ≪ 10−4 bzw. bei p = 10−4.

Bei 987 Geschädigten bzw. in 981 Fällen wurden Schmerzen und/oder Verletzungen in der Akte beschrieben, was einem Anteil von 69,9 % aller Fälle entspricht. Die Geschädigten wiesen teilweise mehrere Verletzungen auf und/oder gaben Schmerzen an. Es überwogen hierbei deutlich die Korrelate der stumpfen Gewalteinwirkung (Tab. 2), insbesondere Hämatome.

Tab. 2 Verletzungsart/explizite Schmerzangaben der Geschädigten

Bei den 987 Geschädigten, bei welchen Schmerzen und/oder Verletzungen in der Akte erwähnt wurden, erfolgte 354-mal, entsprechend einem Anteil von rund 36 %, eine schriftliche und/oder fotografische Bilddokumentation. Darin enthalten sind zwei Fälle mit einer negativen Befunddokumentation, die in Tab. 1 nicht mit in die statistische Auswertung einbezogen wurden.

Eine schriftliche Verletzungsdokumentation erfolgte bei 231 von 987 Geschädigten (23,4 %), bei welchen nach Aktenlage Schmerzen oder Verletzungen bestanden. 136 Geschädigte (58,9 %) veranlassten die schriftliche Verletzungsdokumentation selbst. Bei 38 Geschädigten (16,5 %) initiierten die Ermittlungsbehörden die Dokumentation bzw. den ärztlichen Kontakt. Bei 16 Geschädigten (6,9 %) wurde die Untersuchung durch einen Arzt veranlasst. In den übrigen Fällen ging aus der Akte nicht hervor, wer die schriftliche Verletzungsdokumentation veranlasste.

Eine fotografische Befunddokumentation erfolgte bei 177 Geschädigten (17,9 %) mit Schmerzen und/oder Verletzungen, wobei bei 54 (5,5 %) der Geschädigten die Verletzungen sowohl schriftlich als auch fotodokumentarisch erfasst wurden. Eine ausschließlich schriftliche Dokumentation erfolgte bei 177 Geschädigten (17,9 %), eine ausschließlich fotografische Befunddokumentation bei 123 Geschädigten (12,4 %) (Abb. 1).

Bei rund 64 % der Geschädigten mit Verletzungen (633) waren in der Akte weder schriftliche noch fotografische Dokumentationen vorhanden (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Häufigkeit der schriftlichen und fotografischen Verletzungsdokumentation

Bei 127 von 231 Geschädigten mit schriftlicher Verletzungsdokumentation (55,0 %) erfolgte diese im Rahmen einer Vorstellung im Krankenhaus. Für 82 Geschädigte (35,5 %) wurde die Verletzungsdokumentation bei einem niedergelassenen Arzt durchgeführt. Bei 24 Geschädigten (10,4 %) erfolgte die Dokumentation durch die Polizei, und ein Geschädigter (0,4 %) wurde im Rahmen einer Gewahrsamstauglichkeitsprüfung untersucht. Bei 8 Geschädigten (3,5 %) wurde die Verletzungsdokumentation in zwei Institutionen durchgeführt. Für lediglich eine Geschädigte (0,4 %) wurde ausschließlich ein Rechtsmediziner hinzugezogen, für weitere drei Geschädigte (1,3 %) erfolgte eine rechtsmedizinische Begutachtung in Kombination mit einer Verletzungsdokumentation durch andere Institutionen.

Im Krankenhaus wurde zur Dokumentationsgrundlage mehrheitlich der Arztbrief, im ambulanten Bereich das Attest genutzt (Abb. 2). In ungefähr der Hälfte der Fälle mit schriftlicher Verletzungsdokumentation erfolgte diese mittels diverser, nichtstandardisierter Formulare („Sonstige“), wie handschriftlicher Notizen, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen oder auf Rezeptvordrucken. Ein einheitlicher Standard war weder den klinischen noch den ambulanten Unterlagen zu entnehmen.

Abb. 2
figure 2

Häufigkeit und Art der schriftlichen Verletzungsdokumentation

Die fotografische Befunddokumentation erfolgte (bei 177 Geschädigten mit Verletzungsdokumentation) im Schnitt mit 4,19 Bildern/Person, wobei die Lichtbilder nur bei ca. 28,8 % (51) eine aus rechtsmedizinischer Sicht gute bis sehr gute Qualität aufwiesen. Überwiegend war die Bildqualität für eine objektive Einschätzung unzureichend. Für etwa die Hälfte der Geschädigten mit Fotodokumentation (91) fanden sich allein Übersichtsaufnahmen, ohne Detailablichtungen und ohne Verwendung eines Maßstabs. Aussagen zu Art, Ausprägung und Lokalisation der Verletzungen waren somit häufig anhand der fotografischen Befunddokumentation nicht ableitbar.

In den Ermittlungsakten finden sich zahlreiche pauschale Dokumentationen, welche sich auf wenige Zeilen beschränken. „Hämatome beider Arme und Beine, Hämatome über den Rücken verteilt, oberfl. Schürfwunde linken [sic] Unterarm.“ Einzelne Dokumente sind in einer unleserlichen Handschrift verfasst, sodass sich weder der Grund für die Patientenvorstellung noch Beschwerden daraus ableiten lassen. Häufig sind medizinisch gebräuchliche Abkürzungen wie „o. B.“ (ohne Befund) oder „DS“ (Druckschmerz) zu finden, welche für nicht medizinisch geschultes Personal unverständlich sind. Vereinzelt wurden lediglich Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu den Ermittlungsakten gegeben, welche unter Angaben von ICD-10-Kodierungen für eine weitere Beurteilung nicht bzw. nur sehr unzureichend auswertbar sind.

Stellungnahmen wie: „Es handelt sich bei d. Pat. um eine Nasenkontusion nach Armschlag bei einer tätlichen Auseinandersetzung“ überschreiten die Grenzen der reinen Verletzungsdokumentation.

Diskussion

Der überproportionale Anteil weiblicher Geschädigter deckt sich mit den Ergebnissen vorhandener Statistiken im In- und im Ausland [19, 20]. Studien zur Gewalt gegen Männer sind eher selten. Der Anteile der von körperlicher Gewalt in Lebenspartnerschaften betroffenen Männer wird kontrovers diskutiert: „Die Standpunkte (reichen) von nicht und demnach nicht existent in einer männlich dominierten Gesellschaft bis hin zu Aussagen, dass Männer ähnlich häufig häusliche Gewalt erfahren wie Frauen“ [13, 21].

Der überproportionale Anteil von Verletzungen durch stumpfe Gewalt deckt sich mit den Ergebnissen statistischer Erhebungen anderer rechtsmedizinischer Institute an den von ihnen untersuchten Geschädigten [22].

Ein wesentliches Ergebnis der vorliegenden Hellfeldstudie war der geringe Anteil staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsverfahren, die nach dem Vorverfahren noch fortgeführt wurden. Von 1403 Fällen wurden 87,3 % bereits nach Abschluss der Vorverfahren eingestellt. Eine Studie aus Kiel [23] ebenfalls an staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten häuslicher Gewalt – allerdings mit einer Stichprobengröße von nur 104 Fällen – kam zu dem Ergebnis, dass in 60,5 % eine Einstellung nach dem Vorverfahren erfolgte.

Ein weiteres wesentliches Ergebnis der vorliegenden Hellfeldstudie ist die statistische Korrelation zwischen dem Vorhandensein einer Verletzungsdokumentation und der strafrechtlichen Ahndung. Mit einer Erhöhung der Chance auf eine Anklageerhebung bzw. auf einen Strafbefehlsantrag bei Vorliegen einer Verletzungsdokumentation um das 3,75fache scheint das Vorhandensein einer Verletzungsdokumentation im Jahr 2009 zudem einen größeren Einfluss auf den Abschluss des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens als die Verletzungsschwere für sich allein zu haben (Tab. 1). Eine Korrelation zwischen Verletzungsschwere (dokumentierter Verletzungen) und strafrechtlicher Ahndung erscheint intuitiv nachvollziehbar. Jedoch erhöht die Verletzungsdokumentation v. a. bei nicht als schwer eingestuften Verletzungen die Chance auf eine strafrechtliche Ahndung auch um das 3,41fache.

Empfehlungen bzw. Standards für die gerichtsverwertbare Verletzungsdokumentation sind frei verfügbar, u. a. in Form von im Internet zugänglichen Dokumentationsempfehlungen [9, 24, 25] sowie Körperschemata und Vorlagen zum Herunterladen [26, 27]. Diese scheinen angesichts der Ergebnisse unserer Hellfeldstudie vielen nicht forensisch tätigen Ärzten wenig bekannt zu sein. Ein für alle Ärzte verbindlicher Standard der Verletzungsdokumentation existiert in Deutschland nicht. Dies spiegelt sich in den von uns ausgewerteten Fällen u. a. in der Verwendung unterschiedlichster Dokumente, schlecht lesbarer handschriftlicher Notizen, Abkürzungen und der unkritischen Nutzung von Fachbegriffen bei der schriftlichen Dokumentation wieder. Auch die Bilddokumentation, welche insgesamt viel zu selten erfolgt, weist erhebliche qualitative Mängel auf. Schließt sich ein Ermittlungsverfahren an, liegen häufig nur solche unzureichenden Dokumentationen als Grundlage für die weitere (rechts-)medizinische und/oder juristische Beurteilung des Sachverhaltes vor. Fragen zu Verletzungsart, Verletzungsschwere, Lokalisation, möglichen Entstehungsursachen und der Abschätzung zeitlicher Verhältnisse können nicht oder nur eingeschränkt beantwortet werden. Auch die juristisch relevante Abschätzung einer abstrakten oder konkreten Lebensgefahr ist ohne eine fundierte Verletzungsdokumentation oft nur unzureichend möglich.

Zu berücksichtigen ist zudem, dass zwischen einem Vorfall und einer evtl. folgenden Hauptverhandlung längere Zeitspannen liegen. Der untersuchende Arzt dürfte sich nur im Einzelfall detailreich an die Verletzungen seiner Patienten nach einem Vorfall vor Monaten oder Jahren erinnern. Sollte der primär behandelnde Mediziner selbst im Rahmen einer Hauptverhandlung zum Sachverhalt befragt werden, profitiert er von einer validen und ausführlichen Dokumentation. Einer Dokumentation auch wenig schwerer Verletzungen ohne polizeiliche Anzeige kann insofern eine erhebliche Bedeutung zukommen, als es sich nicht selten um Wiederholungsdelikte mit zunehmender Verletzungsschwere handelt. Somit ist vorstellbar, dass im Rahmen einer nach vielen Jahren wegen eines schweren häuslichen Gewaltdeliktes stattfindenden Hauptverhandlung auch Befunde der wiederholten vorangegangenen Gewaltdelikte mit geringerer Verletzungsschwere hinzugezogen werden.

Die Ergebnisse der thüringischen Aktenauswertung sind nicht unkritisch auf andere Bundesländer zu übertragen. Insbesondere Großstädte können dem erheblichen forensischen Dokumentationsbedarf beispielsweise durch die Einrichtung rechtsmedizinischer Ambulanzen eher gerecht werden. Flächendeckend verbleiben jedoch auf lange Sicht Polizeibeamte sowie ambulant und stationär tätige Kollegen die ersten Ansprechpartner für Geschädigte.

Die vorliegende Studie unterstreicht die herausragende Bedeutung selbst einer nach forensischen Maßstäben unzureichenden Verletzungsdokumentation für die strafrechtliche Ahndung. Mit der zunehmenden allgemeinen Verfügbarkeit guter Lichtbilddokumentation (z. B. Handykameras) sollte per se eine bessere Verletzungsdokumentation erreichbar sein.

Nichtsdestotrotz besteht ein erheblicher Schulungsbedarf ärztlicher Kollegen bezüglich einer forensischen Maßstäben genügenden Verletzungsdokumentation. Das Thema häusliche Gewalt ist zudem nur interdisziplinär zu bearbeiten [22]. Insofern sollten auch Schulungsmaßnahmen zum Thema Verletzungsdokumentation bei häuslicher Gewalt für die Ermittlungsbehörden erfolgen. Bei Kenntnis des in der vorliegenden Studie statistisch nachgewiesenen Einflusses (selbst einer unzureichenden) Verletzungsdokumentation auf den „Erfolg“ der strafrechtlichen Ahndung ist davon auszugehen, dass dann seitens der Ermittlungsbehörden häufiger eine (rechts-)medizinische Dokumentation der Verletzungen veranlasst und im Strafverfahren berücksichtigt wird. Die medizinische Dokumentation sollte nach dem Ergebnis der vorliegenden Studie auch bei leichteren Verletzungsfolgen erwogen werden. Bei Vorliegen schwerer Verletzungskorrelate ist davon auszugehen, das bereits aufgrund der diagnostischen/therapeutischen Notwendigkeit eine Vorstellung bei einem Arzt erfolgen wird. In diesen Fällen sollte – auch im Hinblick auf die höhere Strafandrohung – eine fachrechtsmedizinische Befunddokumentation erfolgen.

Hilfreich wäre eine – möglichst bundesweit einheitliche – verbindliche Empfehlung zu diesen Standards. Darüber hinaus besteht ein weiterer Ausbildungsbedarf v. a. auch bezüglich des Erkennens nichtakzidenteller Verletzungen, auch wenn der Patient dies unfallbedingt erklärt [8].