Einleitung

Die Wirkung der Barbiturate ist bereits seit mehr als 100 Jahren bekannt. Sie wirken dosisabhängig von sedativ über hypnotisch bis hin zu narkotisch, woraus sich die über Jahrzehnte lange medizinische Anwendung als Schlafmittel ableiten lässt [1]. Strukturell abgeleitet von dem 1903 erstmals eingeführten Barbiturat Diäthylbarbitursäure bzw. Barbital (Abb. 1a) wurde Pentobarbital (Abb. 1b) unter den Markennamen „Medinox“ oder „Nembutal“ [2] als mittellang wirkendes Hypnotikum in der Humanmedizin angewendet. Wenngleich der schlafanstoßende Effekt bei der Therapie mit Pentobarbital im Vordergrund steht, so kann es im Falle einer Überdosierung zu einer Atemdepression und komatösen Zuständen bis hin zum Tod kommen, weshalb die Substanz auch häufig in suizidaler Absicht verwendet wurde. Aufgrund des Nebenwirkungsprofils sowie des Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzials wurde Pentobarbital Ende des 20. Jh. in Deutschland in die Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes aufgenommen, und die Anwendung als Schlaf- und Beruhigungsmittel gilt heute in der Humanmedizin in Deutschland als obsolet. Lediglich in der Veterinärmedizin wird Pentobarbital noch z. B. zur Euthanasie von Tieren verwendet [3]. In anderen Ländern hingegen findet Pentobarbital noch immer Anwendung, so z. B. in einigen Staaten der USA als alleiniges Mittel zur Vollstreckung von Todesstrafen [4] oder z. B. in der Schweiz von einigen Sterbehilfeorganisationen [5], in Kombination mit einem Antiemetikum, z. B. Metoclopramid (MCP; Abb. 1c). Während in der Schweiz eine solche Freitodbegleitung durch fachlich kompetente Vereine (z. B. EXIT) legal durchgeführt und hierzu Pentobarbital in letalen Dosen ärztlich verordnet werden darf, dürfen Ärzte in Deutschland keine letale Dosis Pentobarbital verordnen [6]. Auch wenn Pentobarbital als Fertigarzneimittel in Deutschland heutzutage nicht mehr zu beziehen ist, so sollte dieses dennoch bei der postmortalen toxikologischen Analytik nicht in Vergessenheit geraten, wie der folgende Fallbericht zeigen soll.

Abb. 1
figure 1

Molekülstrukturen: a Barbital, b Pentobarbital, c Metoclopramid

Vorgeschichte

Eine 53-jährige Frau sei von ihrem Ehemann leblos auf einem Bett im Wohnzimmer aufgefunden worden. Bereits seit mehreren Jahren habe die Verstorbene unter einer Schizophrenie sowie Wahnvorstellungen gelitten und geglaubt, sie werde von Würmern zerfressen. Sie habe keinen Lebenswillen mehr besessen, Todessehnsucht geäußert und daher versucht, Kontakt zu einer schweizerischen Sterbehilfeorganisation aufzunehmen. Bei der kriminalistischen Leichenschau seien keine konkreten Hinweise auf einen Suizid festgestellt worden. Auch ein Abschiedsbrief habe nicht vorgelegen. Es sei eine Vielzahl an Medikamentenverpackungen in der Wohnung der Verstorbenen festgestellt worden, jedoch keine Auffälligkeiten, die für einen Suizid sprechen würden.

Obduktion

Im Rahmen der durchgeführten Obduktion fand sich ein insgesamt eher reduzierter Ernährungszustand. Im Magen der Verstorbenen wurde reichlich rötlich-bräunliche Flüssigkeit mit weißlich-griesartigen Konkrementen vorgefunden. Ferner wurden flächenhafte sandpapierartige, kristalline Ablagerungen an der Magenschleimhaut festgestellt. Vorbestehende innere Erkrankungen oder Verletzungen von todesursächlicher Wertigkeit waren nicht nachzuweisen. Sogenannte Holzer-Blasen fanden sich nicht. Ein während der Obduktion durchgeführter Drogenvortest erbrachte ein positives Ergebnis für Barbiturate im Urin, sodass weitere chemisch-toxikologische Untersuchungen der Körperflüssigkeiten der Verstorbenen veranlasst wurden.

Chemisch-toxikologische Untersuchungen

Allgemeines Screening und qualitative Suchanalysen

Im Rahmen der chemisch-toxikologischen Untersuchungen wurden zunächst Suchanalysen nach Flüssig-Flüssig-Extraktion vor und nach Acetylierung in Urin, Herzblut (HB) und Mageninhalt (MI) mittels Gaschromatographie-Massenspektrometrie (GC-MS) bzw. Flüssigchromatographie-Massenspektrometrie (LC-MS/MS) durchgeführt.

Die qualitativen Suchanalysen erbrachten den Nachweis von Pentobarbital und MCP (Abb. 1b,c) in allen untersuchten Körperflüssigkeiten der Verstorbenen.

Quantifizierung

Zur weitergehenden Interpretation der Befunde wurde nachfolgend eine Quantifizierung von Pentobarbital und MCP in den asservierten Körperflüssigkeiten und Organproben der Verstorbenen durchgeführt.

Hierzu wurde ein Aliquot der Gewebe (Gehirn, Leber, Lunge und Niere) bzw. Gallenflüssigkeit zunächst nach Zugabe von Wasser (1 Teil Gewebe + 4 Teile Wasser bzw. 1 Teil Galle + 9 Teile Wasser) homogenisiert. Die Quantifizierung von Pentobarbital und MCP erfolgte mittels Standardadditionsverfahren. Hierzu wurden die hergestellten Homogenisate bzw. MI, Venenblut (VB) und HB zunächst aliquotiert und nach Zugabe von Phosphatpuffer (pH 6), internem Standard (Pentobarbital‑D5 (1 µg absolut); MCP‑D3 (10 ng absolut)) sowie unterschiedlichen Konzentrationen an Pentobarbital- und MCP mittels Festphase extrahiert. Ein Aliquot der Extrakte wurde mittels GC-MS auf Pentobarbital untersucht. Der Rückstand wurde erneut eingedampft, in Fließmittel A (0,1 %ige Ameisensäure in Wasser) aufgenommen und mittels LC-MS/MS auf MCP untersucht.

Beide Substanzen konnten in allen untersuchten Asservaten quantifiziert werden. Bezogen auf das Gesamtvolumen an MI erbrachte die Quantifizierung eine Menge von ca. 14 g Pentobarbital bzw. 18 mg MCP im MI. In den untersuchten Organproben fanden sich die höchsten Konzentrationen an Pentobarbital bzw. MCP jeweils in der Galle mit ca. 740 mg/l bzw. ca. 5,4 mg/l, gefolgt von der Leber (ca. 289 mg/l bzw. ca. 3,2 mg/l) und der Niere (ca. 158 mg/l bzw. ca. 2,1 mg/l, Abb. 2a,b).

Abb. 2
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Konzentrationen von Pentobarbital (a) und Metoclopramid (b) in den Körperflüssigkeiten und Organen im Vergleich zu Literaturdaten von Pentobarbital mit deren Standardabweichungen. Pink: vorgestellter Fall; rosa: Robinson und McDowall [11]; lila: Giroud et al. [5]

Im VB der Verstorbenen konnte eine Konzentration von ca. 32 mg/l, im HB ca. 116 mg/l Pentobarbital nachgewiesen werden (Abb. 2a). Metoclopramid hingegen fand sich in Konzentrationen von ca. 0,58 mg/l im VB bzw. ca. 1,6 mg/l im HB (Abb. 2b).

Diskussion

Im dargestellten Fall konnten durch einen Vortest im Urin der Verstorbenen bereits erste Anhaltspunkte für eine Aufnahme von Barbituraten erlangt werden. Bei den nachfolgenden quantitativen chemisch-toxikologischen Untersuchungen fanden sich im VB Pentobarbital- bzw. MCP-Konzentrationen von ca. 32 mg/l bzw. ca. 0,58 mg/l (Abb. 2a,b). Legt man die in der Literatur definierten Plasmakonzentrationsbereiche von Pentobarbital zugrunde, wonach der therapeutische Bereich für Lebende zwischen 1 und 5(10) mg/l, der toxische Bereich zwischen 10 und 19 mg/l und der komatös-letale Bereich zwischen 15 und 25 mg/l angegeben werden [7], so liegt die im konkreten Fall gemessene Venenblutkonzentration an Pentobarbital oberhalb des Bereichs, für den komatös-letale Zustände beschrieben sind. Hierzu ist allerdings zu erwähnen, dass sich die zuvor definierten Konzentrationsbereiche von Pentobarbital auf Blutplasma von Lebenden beziehen und sich daher nur bedingt auf postmortale Gegebenheiten übertragen lassen. Vergleicht man die im konkreten Fall gemessenen Pentobarbitalkonzentrationen mit publizierten Daten nach Intoxikationen mit Pentobarbital, so lässt sich festhalten, dass sich die gemessenen VB- und Organkonzentrationen in Bereichen befinden, die auch bei pentobarbitalbedingten Todesfällen nach oraler, i.v.- bzw. intraperitonealer Aufnahme berichtet wurden [5, 8,9,10,11]. So berichten z. B. Robinson und McDowall über Pentobarbitalkonzentrationen im Venenblut zwischen 10 und 51 mg/l [11]. Ferner wurden nach oraler Aufnahme von etwa 3–5 g Pentobarbital Blutkonzentrationen zwischen 23 und 50 mg/l gemessen [8], wobei in diesen Fällen unbekannt ist, um welche untersuchte Matrix (Herz- oder Venenblut) es sich gehandelt hat, sodass diese Daten nur begrenzt mit den im vorliegenden Fall gemessenen Konzentrationen vergleichbar sind. Musshoff et al. berichten nach oraler Aufnahme von Pentobarbital ferner über eine Herzblutkonzentration von 113 mg/l [10]. Berücksichtigt man zudem die im vorliegenden Fall sehr hohe Menge von etwa 14 g Pentobarbital im MI der Verstorbenen sowie die im Rahmen der Obduktion festgestellten sandpapierartigen, kristallinen Ablagerungen an der Magenschleimhaut, so ist plausibel von einer oralen Aufnahme auszugehen. Diese Annahme lässt sich auch durch die gemessenen VB- und HB-Konzentrationen untermauern. So liegt die Konzentration an Pentobarbital im VB in einem Bereich, der in der Literatur nach oraler Aufnahme von etwa 10 g Pentobarbital beschrieben ist. Demnach berichten Giroud et al. über postmortale Pentobarbitalkonzentrationen zwischen 16,1 und 59,6 mg/l [5]. Die im MI der Verstorbenen noch nicht resorbierte Restmenge der Substanz in Verbindung mit der bereits resorbierten hohen Menge spricht dabei am ehesten für die Aufnahme einer weitaus höheren Dosis. Diese Annahme wäre auch mit den gemessenen Organkonzentrationen in Einklang zu bringen, die sich im Vergleich mit Literaturdaten [9,10,11] in einem teilweise wesentlich höheren Bereich befunden haben. So werden nach letalen Intoxikationen mit Pentobarbital u. a. Leberkonzentrationen zwischen 20 und 165 mg/kg [9, 11] bzw. 320 und 458 mg/kg [10] sowie Nierenkonzentrationen zwischen 18 und 46 mg/kg [9], 13 und 72 mg/l [11] bzw. 63 und 190 mg/kg [10] beschrieben. Berücksichtigt man zusammengenommen die Vorgeschichte, wonach die Verstorbene aufgrund ihrer schweren psychiatrischen Vorerkrankungen Todessehnsucht geäußert und versucht habe, Kontakt zu schweizerischen Sterbehilfeorganisationen aufzunehmen, sind die analytischen Ergebnisse des Nachweises einer sehr hohen Pentobarbitalkonzentration in Verbindung mit dem Antiemetikum MCP plausibel mit einem Suizid in Analogie zu den Protokollen von Freitodbegleitungen (z. B. „EXIT“ in der Schweiz) vereinbar. Während in der Schweiz solche Freitodbegleitungen bei schwer erkrankten Menschen nach vorangegangener strenger Prüfung legal durchgeführt werden dürfen, ist in Deutschland eine ärztliche Verordnung von Pentobarbital in letalen Dosen nicht erlaubt [6]. Zudem unterliegt Pentobarbital in Deutschland der Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes, und es existieren keine zugelassenen Fertigarzneimittel zur humanen Anwendung. Der Zugriff auf die Substanz gestaltet sich daher eher schwierig. Allerdings wird die Substanz in Deutschland, wie bereits ausgeführt, noch immer in der Veterinärmedizin z. B. zur Euthanasie von Tieren als Injektionslösung (u. a. Narkodorm®, Euthadorm®) eingesetzt. Stellt man sich an dieser Stelle die Frage, wie die Verstorbene an Pentobarbital gelangt ist, so wird diesbezüglich in der Literatur davon berichtet, dass Suizide durch Pentobarbital oftmals berufsbezogen von Mitarbeitern der Veterinärmedizin, mit einem daraus resultierenden Zugriff auf Pentobarbital, begangen werden [12]. Im konkreten Fall liegen keine näheren Informationen zu einer beruflichen Zugehörigkeit der Verstorbenen vor. In Anbetracht der Gesamtumstände, insbesondere der bekanntgemachten Vorerkrankungen, sowie des insgesamt reduzierten Gesamtzustands wäre eine derartige Tätigkeit als eher unplausibel anzusehen.

Seit einiger Zeit existieren allerdings einschlägige Internet-Shops, die Pentobarbital rezeptfrei und problemlos, auch nach Deutschland, als „Nembutal“ in Kombination mit einem Antiemetikum in unterschiedlichen Mengen und Darreichungsformen als „schmerzfreie Lösung“ oder „Möglichkeit des letzten Weges“ anbieten (Abb. 3), sodass auch heutzutage „historische“ Wirkstoffe in speziellen Konstellationen eine „Renaissance“ im Todesgeschehen erleben können und bei der postmortalen toxikologischen Analytik, insbesondere auch im Hinblick auf die sich immer weiter entwickelnde Internet-Lobby, nicht in Vergessenheit geraten sollten.

Abb. 3
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Beispiel eines Online-Shops zur rezeptfreien Bestellung unterschiedlichster Mengen und Darreichungsformen von Pentobarbital in Kombination mit einem Antiemetikum zu Preisen zwischen 300–1300 €

Fazit für die Praxis

Auch heutzutage können „historische“ Substanzklassen, insbesondere unter Berücksichtigung der sich immer weiter entwickelnden Internetlobby, in speziellen Konstellationen eine wesentliche Rolle im Todesgeschehen spielen und sollten bei der postmortalen toxikologischen Analytik nicht in Vergessenheit geraten.