Einleitung

Rechtsmedizinische Institute bieten Dienstleistungen für Ermittlungsbehörden an, die Funktionen rechtsmedizinischer Institute gehen aber weit über darüber hinaus. Während die Dienstleistungen in der Finanzierung der Institute eine wichtige Rolle spielen, nimmt die universitäre Rechtsmedizin zusätzlich auch umfangreiche Aufgaben in der Lehre und Forschung wahr. Doch schon die rechtsmedizinische Dienstleistung an sich hat Aspekte, die sie im Kern von der Art Service, wie er in kommerziellen Betrieben erbracht wird, abheben. So kommen RechtsmedizinerInnen als Sachverständige einer staatsbürgerlichen Pflicht nach und sind zudem an ihre Rolle als ÄrztInnen gebunden.

Im Teilbereich der forensischen Pathologie stellen gerichtliche Obduktionen einen wesentlichen Aufgabenbereich dar. Die rechtsmedizinische Praxis zeigt, dass je nach beauftragender Behörde, aber auch innerhalb ein und derselben Behörde, bei ähnlichen Fallkonstellationen unterschiedliche Entscheidungen über die Durchführung oder Nichtdurchführung einer Obduktion getroffen werden. Verbindliche Leitfäden oder „Indikationskataloge“ für JuristInnen gibt es nicht. Gelegentlich kommt es vor, dass im Nachhinein gestellte Kausalitätsfragen nicht beantwortet werden können, weil auf Obduktionen verzichtet wurde. Auf der anderen Seite kommt es vor, dass Obduktionen gerichtlich beauftragt werden, bei denen keine rechtsmedizinische Fragestellung formuliert oder anhand der übermittelten Fallakten erkennbar ist. Zumindest in Rheinland-Pfalz wird seitens der Ermittlungsbehörden nur sehr selten und beliebig Rücksprache mit der Rechtsmedizin gehalten, bevor über die Obduktionsanmeldung entschieden wird.

Grundsätzlich ist die Obduktionsrate in Deutschland aus rechtsmedizinischer Sicht bei Weitem zu niedrig [1], mit entsprechenden Nachteilen für die Todesursachenstatistik und Rechtssicherheit, aber auch für die forensisch-epidemiologische Forschung und damit für die Entwicklung von Präventionsstrategien z. B. bezogen auf Unfälle und Suizide. Die Probleme werden weiter verschärft, wenn das Instrument der Obduktion nicht sachgerecht genutzt wird und die Auswahl der (wenigen) Fälle unsystematisch erfolgt.

Die vergleichbaren strukturellen Voraussetzungen in anderen Bundesländern legen nahe, dass es sich bei dem von uns beobachteten Problem einer uneinheitlichen Vorgehensweise bei der Obduktionsbeauftragung um ein deutschlandweites Problem handeln dürfte.

Gründe für die niedrige Obduktionsrate und die unsystematische Auswahl der Fälle sind v. a. in eklatanten Regelungsdefiziten im Leichenschau- und Obduktionsrecht zu suchen, auf die hier nicht im Detail eingegangen werden kann [2, 3]. Zwar hat man vereinzelt die Ansicht geäußert, dass die Staatsanwaltschaft immer dann eine Obduktion zu beantragen habe, wenn ein nichtnatürlicher Tod nicht auszuschließen ist, mehrheitlich werden die §§ 159, 87 ff. StPO aber so interpretiert, dass nur bei einem konkreten Anhaltspunkt für einen nichtnatürlichen Tod oder gar für Fremdverschulden die Obduktion veranlasst werden soll [2]. Obduktionen zur Todesursachenabklärung werden nach einer älteren Studie nur bei jedem 10. bis 20. unklaren Todesfall durchgeführt [4]. Doch selbst wenn der Umgang mit unklaren Todesfällen im Obduktionsrecht befriedigend geregelt wäre, bliebe immer noch das Problem von Fehlklassifikationen der Todesart in der ärztlichen Leichenschau [5], in der unklare Todesfälle zuerst als unklar erkannt werden müssen. RechtsmedizinerInnen stehen vor der Herausforderung, unter den Bedingungen eines defizitären Leichenschau- und Obduktionsrechts zu einer konstruktiven Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden zu finden und dabei den Mangel an verbindlichen Vorgaben zum Schutze der Rechtssicherheit auszugleichen, soweit möglich.

Fragestellung

Vor diesem Hintergrund wurden StaatsanwältInnen und PolizistInnen im Einzugsbereich des Mainzer Instituts zu den Abwägungen befragt, die einer Entscheidung über eine gerichtliche Obduktion vorausgehen. So sollte ein Eindruck davon gewonnen werden, worauf es den jeweiligen Berufsgruppen in der Fallbearbeitung ankommt, und ob die beteiligten Personen sich ausreichend informiert fühlen, um eine wohlbegründete Entscheidung zu treffen oder Empfehlung abzugeben. Ziel der Befragung war es, Ansatzpunkte für eine verbesserte Zusammenarbeit herauszuarbeiten und Möglichkeiten zur Verbesserung der rechtsmedizinischen Dienstleistungen abzuleiten.

Methoden

An die Leitungen der Staatsanwaltschaften in unserem Bundesland wurde zunächst per E‑Mail, dann per Post ein Schreiben mit der Bitte um Weiterleitung an alle MitarbeiterInnen versendet, welches über Zweck und Nutzen der Studie informierte und einen Link zu einem per „SoSci Survey“ (deutscher Anbieter von Web-Umfragen; für den akademischen Bereich unentgeltlich) zu bearbeitenden Fragebogen enthielt. Analog wurde bei den in unserem Einzugsbereich ansässigen Polizeipräsidien verfahren (hier fand die Kontaktaufnahme ausschließlich per E‑Mail statt, und eine Weiterleitung wurde nur an MitarbeiterInnen von Fachkommissariaten erbeten, in denen Todesermittlungsverfahren bearbeitet werden). Der selbstentwickelte Fragebogen enthielt insgesamt 12 Fragen, die an die jeweilige Berufsgruppe angepasst, im Übrigen aber identisch waren. Teile des Fragebogens zeigt Abb. 1. Nach Abschluss der Befragung erfolgte die deskriptive Auswertung der Antworten in Microsoft Excel.

Abb. 1
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Fragebogen für PolizistInnen (Auszug)

Ergebnisse

TeilnehmerInnen

An den beiden im Frühjahr bzw. im Sommer 2021 durchgeführten Online-Umfragen nahmen 24 StaatsanwältInnen und 34 PolizistInnen aus dem Einzugsgebiet unseres Instituts teil. Eine Rückläuferquote lässt sich nicht angeben, da nicht bekannt ist, wie vielen StaatsanwältInnen und PolizistInnen der Link zum Fragebogen tatsächlich von den jeweiligen Vorgesetzten weitergeleitet wurde. Insgesamt konnten 58 ausgefüllte Fragebogen einer deskriptiven Auswertung zugeführt werden.

Um einen Eindruck davon zu bekommen, wie Obduktionsanmeldungen zustande kommen, hielten wir es für sinnvoll, zunächst die allgemeine Berufserfahrung der StudienteilnehmerInnen zu erfragen, um uns im zweiten Schritt nach der speziellen Erfahrung mit Obduktionsfällen und auch nach der subjektiv empfundenen Sicherheit bei damit verbundenen Entscheidungen zu erkundigen.

Im Vergleich zu den befragten PolizistInnen waren in der Gruppe der StaatsanwältInnen auffällig viele Berufsanfänger vertreten (Abb. 2). So gaben 11 von 24 StaatsanwältInnen an, erst weniger als 6 Jahre in ihrem Beruf zu arbeiten. Bei den PolizistInnen waren nur 5 Personen weniger als 11 Jahre in ihrem Beruf tätig, die übrigen 29 Personen bereits länger als 10 Jahre.

Abb. 2
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Allgemeine Berufserfahrung der UmfrageteilnehmerInnen. a StaatsanwältInnen, b PolizistInnen

Bei den StaatsanwältInnen gaben 8 von 24 TeilnehmerInnen, bei den PolizstInnen 9 von 34 TeilnehmerInnen an, seltener als einmal im Monat mit der Frage konfrontiert zu sein, ob eine Obduktion beantragt wird bzw. aus polizeilicher Sicht empfohlen werden soll. Es ist also davon auszugehen, dass bei Weitem nicht allen Umfrageteilnehmenden Routine im Umgang mit potenziellen Obduktionsfällen unterstellt werden kann. Trotzdem gab die Mehrheit der Befragten in beiden Berufsgruppen an, dass es ihnen leichtfalle oder leichtfallen würde (sofern bislang eine solche Entscheidung noch nicht getroffen wurde), über einen Obduktionsantrag bzw. eine -empfehlung zu entscheiden (Abb. 3). Nur 5 von 24 StaatsanwältInnen und 4 von 34 Polizistinnen waren sich dessen nicht sicher oder stimmten nicht zu, dass es ihnen leichtfällt oder leichtfallen würde. Hieraus lässt sich folgern, dass sich die meisten befragten Personen mit ihren Entscheidungen sicher fühlen, auch wenn sie wenig Erfahrung mit Obduktionsfällen haben.

Abb. 3
figure 3

Antworten auf die Frage, ob Entscheidungen im Hinblick auf eine Obduktionsanmeldung leichtfallen. a StaatsanwältInnen, b PolizistInnen

Entscheidungsgrundlagen

Von besonderem Interesse sind die Faktoren, die in die Abwägung einer Obduktionsanmeldung einfließen, und deren Gewichtung. Die entsprechende Frage im Mehrfachauswahl-Modus wurde von StaatsanwältInnen und PolizistInnen sehr ähnlich beantwortet (Abb. 4). In beiden Berufsgruppen spielten die Obduktionskosten bei derartigen Überlegungen eine untergeordnete Rolle. Eine große Rolle spielte demgegenüber in beiden Gruppen das Vorliegen einer konkreten Frage, aber auch der Wunsch, einen Fall „rund zu machen“ bzw. „auf Nummer sicher zu gehen“.

Abb. 4
figure 4

Entscheidungsfaktoren, die im Hinblick auf eine Obduktionsanmeldung stark oder sehr stark ins Gewicht fallen

Das Ergebnis der ärztlichen Leichenschau bei Vorliegen einer endgültigen Todesbescheinigung wurde von den StaatsanwältInnen höher bewertet als die Empfehlung der ermittelnden Polizeibeamten, was die Bedeutung der ärztlichen Leichenschau im Hinblick auf die Rechtssicherheit unterstreicht. PolizistInnen neigten in unserer Umfrage dazu, die antizipierte Haltung der jeweils zuständigen StaatsanwältInnen bei ihren Empfehlungen tendenziell wenig zu berücksichtigen. Auch spielte das Ergebnis der ärztlichen Leichenschau für die PolizistInnen eine weniger große Rolle als für die StaatsanwältInnen.

Unter allen Befragten beider Berufsgruppen gaben immerhin 13 Personen an, sich über die Möglichkeiten und Grenzen der Obduktion nicht ausreichend informiert zu fühlen, um eine fundierte Entscheidung treffen zu können. Entsprechend gaben 9 TeilnehmerInnen an, dass ihnen die Entscheidungen bezüglich Obduktionsanträgen oder -empfehlungen leichtfalle oder leichtfallen würden, obwohl sie sich für eine fundierte Entscheidung nicht ausreichend informiert fühlten. Eine Ursache könnte sein, dass bei Unsicherheiten die Entscheidung zugunsten der Obduktion fällt, um einen vorwerfbaren Fehler zu vermeiden, und sich die Akteure damit wohlfühlen.

Leichenwürde

Auch die Haltung der beteiligten Akteure gegenüber Obduktionen an sich ist für die hier angestellten Betrachtungen relevant, sodass gefragt wurde, ob Obduktionen als problematisch im Hinblick auf die Leichenwürde empfunden werden. Die Frage wurde von der Mehrheit der StaatsanwältInnen und von allen PolizistInnen verneint. Sämtliche PolizistInnen und 9 von 24 StaatsanwältInnen gaben an, bereits mindestens einer Obduktion persönlich beigewohnt zu haben. Auffällig war, dass keine der Personen, die einer Obduktion persönlich beigewohnt hatten, angab, in Obduktionen per se ein Problem für die Leichenwürde zu sehen. Allerdings wird in den Freitextangaben zu den Wahrnehmungen bei der Obduktionsteilnahme („belastend“, „emotional berührend“) ersichtlich, dass viele Befragte als medizinische Laien durch die Erlebnisse im Obduktionssaal stark beeindruckt wurden, vereinzelt auch im negativen Sinne.

Organexplantation

Vor dem Hintergrund entsprechender Erfahrungen mit unseren Auftraggebern stellten wir die Frage, ob Organexplantationen vor einer beabsichtigten Obduktion grundsätzlich abzulehnen seien. Diese Frage wurde von 3 StaatsanwältInnen und 6 PolizistInnen bejaht, wobei sich die Mehrheit der Befragten (18 von 24 Staatsanwälten und Staatsanwältinnen bzw. 31 von 34 PolizistInnen) nicht ausreichend informiert fühlte, um diesbezüglich eine fundierte Entscheidung zu treffen.

Diskussion

Relevante Punkte in den Abwägungen der Auftraggeber

Interessanterweise wurde die Relevanz der ärztlichen Leichenschau als weichenstellendes Instrument im Todesermittlungsverfahren von den befragten StaatsanwältInnen höher bewertet als von den PolizistInnen. Ein möglicher Grund kann darin liegen, dass PolizistInnen durch zumindest gelegentliche Anwesenheit an Leichenfundorten die Probleme im Leichenschauwesen und die Grenzen der äußeren Untersuchung von Leichen stärker bewusst sind als StaatsanwältInnen, die deutlich seltener vor Ort sind.

Die Umfrageergebnisse betonen insgesamt die Bedeutung der ärztlichen Leichenschau nicht nur vor, sondern auch in einem Todesermittlungsverfahren. Dass die äußere Leichenbesichtigung eine Untersuchungsmethode mit begrenztem Erkenntnisgewinn ist, erscheint angesichts ihrer Funktion im bereits veranlassten Todesermittlungsverfahren weniger problematisch als Schwächen in der Durchführung und falsche Schlüsse aus den erhobenen Befunden [5, 6]. Gerade im Hinblick auf (ausbleibende) Obduktionsempfehlungen leichenschauender ÄrztInnen ergibt sich in der rechtsmedizinischen Praxis der Eindruck, dass unter ärztlichen KollegInnen Unsicherheiten bezüglich der Aufgaben der Rechtsmedizin, Obduktionsindikationen und Möglichkeiten und Grenzen gerichtlicher Leichenöffnungen bestehen. Bei der Aus- und Fortbildung von MedizinerInnen sollte auf diese Punkte daher ein besonderes Augenmerk gelegt werden. Die Qualität der Lehre hat, wie auch die Präsentation unseres Fachs von Fachvertretern in der Öffentlichkeit, einen Einfluss auf das „Image“ unseres Fachs (z. B. hinsichtlich Aufgabenspektrum und Relevanz) und auf das Verhalten von KollegInnen bei der ärztlichen Leichenschau. Insofern ist gute, praxisorientierte Lehre für die zukünftige Gestaltung unseres Fachs sicherlich von hoher Wichtigkeit.

Im Gegensatz zu den PolizistInnen gaben keine einzige Staatsanwältin und kein einziger Staatsanwalt an, dass die Erfahrung, offene Fragen auch durch eine Obduktion nicht klären zu können, die Entscheidung über eine Leichenöffnung sehr stark oder stark beeinflusst. Letzteres könnte daran liegen, dass die StaatsanwältInnen im Unterschied zu einigen PolizistInnen diese Erfahrung nicht gemacht haben, z. B. weil sie andere Erwartungen an die Obduktionsergebnisse hatten als die PolizistInnen. Es könnte auch sein, dass StaatsanwältInnen Obduktionen primär aus dem Bedürfnis heraus beantragen, sich nicht dem Vorwurf etwaiger Versäumnisse auszusetzen, die Erwartungen an das Obduktionsergebnis aber wenig konkret sind und daher auch weniger leicht enttäuscht werden können. Hierfür spricht möglicherweise, dass bei den StaatsanwältInnen auch die positive Erfahrung, dass sich durch Obduktionen offene Fragen klären lassen, eine weniger wichtige Rolle spielt als bei den befragten PolizistInnen. Für PolizistInnen nämlich ist nach den vorliegenden Umfrageergebnissen die Erfahrung, ob Erwartungen in der Vergangenheit erfüllt wurden oder nicht, bei der Bearbeitung neuer potenzieller Obduktionsfälle durchaus relevant. Daraus lässt sich – wenig überraschend – schließen, dass falsche Erwartungen von PolizistInnen nachteilig für die Rechtsmedizin als „Dienstleister“ sind, aber auch für die Öffentlichkeit mit dem Anspruch auf Rechtssicherheit. Für RechtsmedizinerInnen und für die Öffentlichkeit können allerdings auch sehr unkonkrete Erwartungen seitens der StaatsanwältInnen ungünstig sein, ist doch zu befürchten, dass wenig differenzierte Aufträge die Folge sind und Missverständnisse auftreten.

Da verbindliche Leitfäden fehlen, ist seitens der Rechtsmedizin zu erwägen, Indikationslisten zur Orientierung von leichenschauenden ÄrztInnen und Akteuren im Todesermittlungsverfahren zur Verfügung zu stellen.

Obduktionsteilnahme von VertreterInnen der Ermittlungsbehörden

Obwohl keine der Personen, die selbst einer oder mehreren Obduktionen beigewohnt hatten, in Obduktionen eine Würdeverletzung sah, erlebten diese Personen ihre Obduktionsteilnahme als sehr beeindruckend, vereinzelt auch im negativen Sinne. Die Vermutung liegt nahe, dass eine verbesserte Kommunikation und Vorbereitung die negativen Wahrnehmungen von Personen, die erstmals einer Obduktion beiwohnen, abmildern könnten. Dies dürfte auch im Interesse der ObduzentInnen liegen, die ihre Arbeit als professionell durchgeführte ärztliche Tätigkeit (und nicht etwa als „Event“) verstanden wissen wollen. Allerdings fehlt nicht selten Zeit, sich mit anwesenden VertreterInnen der Ermittlungsbehörden im Obduktionssaal oder im Vorfeld einer Obduktionsteilnahme adäquat auseinanderzusetzen, zumal nach unserer Erfahrung bevorzugt oft wechselnde AnwärterInnen zu den Obduktionen geschickt werden.

Kommunikation und Beratung

Die vorliegenden Umfrageergebnisse bekräftigen insgesamt die Annahme, dass es Diskrepanzen zwischen den Erwartungen von Auftraggebern und den reellen Möglichkeiten und Grenzen der Obduktion gibt, wobei diese Diskrepanzen unmittelbar oder mittelbar einen Einfluss auf die Inanspruchnahme von Leistungen haben können. Konkret spielt zumindest bei manchen Akteuren eine Rolle, ob Erwartungen in der Vergangenheit erfüllt wurden oder nicht. Hier ergibt sich die Möglichkeit einer Einflussnahme durch RechtsmedizinerInnen. So mag es mit Blick auf zukünftige Todesermittlungsverfahren lohnend sein, Obduktionsergebnisse ausführlicher und verständlicher zu erläutern, insbesondere wenn sich z. B. makromorphologisch keine Todesursache ergibt oder Fragen nicht beantwortet werden können. Dass auch ein Negativbefund ein relevantes Ergebnis ist, gehört sicher zu den eher leicht zu vermittelnden Gegebenheiten.

Eine weitere Möglichkeit besteht im Ermutigen zur Inanspruchnahme telefonischer Beratungen vor etwaigen Obduktionsanmeldungen. So ergäbe sich die Gelegenheit, nachfolgende Schwierigkeiten zu antizipieren, die mit einem Verzicht auf die Obduktion im individuellen Fall auftreten könnten. Auch könnten Erwartungen von vornherein korrigiert werden und eine rechtsmedizinisch sinnvolle Fragestellung könnte besser herausgearbeitet werden. Darüber hinaus wären auch spezielle Fortbildungsangebote geeignet, zu Verbesserungen an der Schnittstelle von Polizei/Justiz und Rechtsmedizin beizutragen. Fortbildungen zu den Abläufen in der Rechtsmedizin könnten zudem dem Phänomen entgegenwirken, dass berechtigte Zuschauer während der Obduktion überfordert wirken oder der zweckgebunden medizinischen Untersuchung primär einen Unterhaltungswert beimessen, was von RechtsmedizinerInnen als problematisch für die Leichenwürde wahrgenommen wird [7].

Sonderfall Organexplantation

Handlungsbedarf besteht nach den Ergebnissen der hier vorgestellten Befragung auch im Hinblick auf die Obduktionsplanung nach Feststellung des Hirntods, wenn das Einverständnis zur Organentnahme vorliegt. Die Umfrageergebnisse lassen befürchten, dass Organexplantationen ohne vorherige Rücksprache mit der Rechtsmedizin von StaatsanwältInnen abgelehnt werden könnten, wenn eine Obduktion vorgesehen ist. Angesichts der Folgen für PatientInnen auf Wartelisten muss konstatiert werden, dass jeder einzelne Fall einer aus den falschen Gründen verhinderten Explantation vermieden werden muss. Im Jahr 2019 starben jeden Tag 3 PatientInnen, denen mit einem Spenderorgan ein längeres Überleben mit einer besseren Lebensqualität hätte ermöglicht werden können [8]. Die Sorge, relevante Befundtatsachen seien nach einer Organexplantation nicht mehr zu erheben, ist in den meisten Fällen unbegründet [9]. Einer Organexplantation geht eine ausgedehnte medizinische Diagnostik voraus, die in die rechtsmedizinische Begutachtung eingehen und später in der Obduktion erhobene Befunde ergänzen kann. Verletzte und kranke Organe werden in der Regel im Leichnam belassen. Auch äußere Befunde bleiben in aller Regel erhalten; fallabhängig kann es notwendig sein, vorab eine körperliche Untersuchung der sterbenden oder hirntoten Person durchzuführen oder das Klinikpersonal zur Fotodokumentation anzuleiten. Aus ärztlicher, also auch aus rechtsmedizinischer Sicht dürfte weitgehend Einigkeit bestehen, dass einer Organtransplantation Vorrang vor einer pro forma vollständig durchgeführten Obduktion gesunder Organe einzuräumen ist, wenn dadurch kein Beweismittelverlust eintritt. Die Mittel der Rechtsmedizin zur Vermeidung falscher Entscheidungen sind auch hier die Aufarbeitung vergangener Fälle, das Anbieten telefonischer Beratungen sowie praxisorientierte Fort- und Ausbildungsangebote. Die Deutsche Stiftung Organtransplantation weist in ihrem „Leitfaden für die Organspende“ zutreffend auf die Möglichkeit der Beiziehung eines Rechtsmediziners durch die Staatsanwaltschaft hin: „Gegebenenfalls kann ein Rechtsmediziner bereits auf der Intensivstation hinzugezogen werden […]. Für den Fall, dass eine persönliche Anwesenheit des Rechtsmediziners vor Ort entbehrlich und lediglich eine Sektion nach dem Eingriff vorgesehen ist, wird in der Regel ein detaillierter OP-Bericht angefordert“ [10].

Kritische Würdigung der gegenständlichen Untersuchung

Die hier vorgestellte Befragung wurde nicht mit dem Ziel durchgeführt, von einer Stichprobe auf das Gesamtkollektiv unserer Auftraggeber rückzuschließen und bestimmte Messgrößen statistisch zu erfassen. Vielmehr ging es darum, Eindrücke über die von Einzelpersonen durchgeführten Abwägungen zu erlangen und anhand dieser Eindrücke Verbesserungsvorschläge zu einem systematischeren Vorgehen bei der Obduktionsbeauftragung herauszuarbeiten. Aktuelle Studien mit vergleichbarer Fragestellung hat die Literaturrecherche nicht ergeben, sodass die Erhebung als Pilotstudie geplant wurde. Limitationen ergeben sich aus der geringen Stichprobengröße und dem Umstand, dass eine Stichprobenverzerrung wahrscheinlich ist. Die Bereitschaft, sich an der Studie zu beteiligen, könnte etwa mit dem persönlichen Interesse an rechtsmedizinischen Fragestellungen und möglicherweise einer überdurchschnittlichen Zufriedenheit oder auch Unzufriedenheit mit der rechtsmedizinischen Dienstleistung zusammenhängen.

Schlussfolgerungen

Damit die Rechtsmedizin ihren Aufgaben gerecht werden kann, ist anzustreben, dass Aufträge zu gerichtlichen Obduktionen zweckmäßig und mit konkreter Fragestellung erteilt werden. Der Einfluss der Rechtsmedizin auf die Auftraggeber ist zwar begrenzt, aber er kann genutzt werden. Im Bereich der forensischen Pathologie ist besonders darauf zu achten, Obduktionsergebnisse ausführlich zu erklären. Telefonische Beratungen zu jedem Zeitpunkt im Todesermittlungsverfahren sollten angeboten und beworben werden. Der Lehre im Allgemeinen (Fortbildungen, Studierendenunterricht) ist ein hoher Stellenwert beizumessen. Da verbindliche Leitfäden für JuristInnen und PolizistInnen nicht existieren, kann die Erstellung und Verbreitung von Indikationslisten Orientierung schaffen.