Zusammenfassung
Einführung
Augapfeltätowierungen („eyeball tattoos“, syn. episklerale Tätowierungen) sind ein neuer Trend extremer „body modification“, bei dem mit einer Nadel Tätowierfarbe unter die Bindehaut injiziert wird und zu einer irreversiblen Färbung der Sklera führt. In der medizinischen Fachliteratur werden vermehrt Fallberichte vorgestellt, bei denen teils schwerwiegende Komplikationen aufgetreten sind.
Material und Methoden
Neben einer aktuellen Literaturreche zum Thema wurde eine Anfrage an 120 zufällig ausgewählte Tattoo-Studios in 6 europäischen Ländern gerichtet, ob sie Eyeball-Tätowierungen anbieten. Die Kommunikation wurde bei den Studios, die diese Frage positiv beantworteten, gezielt vertieft. Ziel war es, einen Eindruck zu Angebot und Nachfrage, der Aufklärung über Risiken, Häufigkeit und Art beobachteter Komplikationen, den Vorerfahrungen und ggf. zur medizinischen Ausbildung der Tätowierenden sowie zum organisatorischen und zum technischen Ablauf der eigentlichen Prozedur der episkleralen Tätowierung im jeweiligen Studio zu gewinnen. Auf Tattoo Conventions und über Foren in sozialen Medien wurden 6 Personen mit max. 7 Jahre alten Eyeball tattoos ausführlich zu ihren Erfahrungen vor, während und nach der Augapfeltätowierung befragt.
Resultate
Neun Studios teilten mit, Augapfeltätowierungen anzubieten bzw. durch Gasttätowierer organisieren zu können. Die restlichen 49 Studios lehnten diese Prozedur ab. Insgesamt 4 Studios schätzten die Häufigkeit der Prozedur auf 10- bis 20-mal/Jahr; die restlichen Studios gaben an, lediglich sporadische Anfragen zu erhalten. Durch ein Studio wurde der Fall einer schweren Komplikation in Form einer persistierenden anhaltenden Infektion mit initial reduziertem, später gebessertem Visus berichtet. Ein Tätowierer gab an, in ca. jedem 20. Fall Pigmentwanderungen in die periorbitalen Gewebe zu beobachten. Postprozedural wurden bis zu 2 Wochen andauernde Kopfschmerzen, anhaltendes Fremdkörpergefühl und Lichtempfindlichkeit beschrieben. Keine der interviewten Personen mit Eyeball tattoos habe eine bleibende Visusminderung bemerkt, eine beklagte Lichtscheu, eine weitere negative soziale Folgen. Ablehnungserfahrungen seien jedoch seltener als Zuspruch.
Schlussfolgerung
Episklerale Tätowierungen sind noch selten, nehmen aber stetig zu. Sie werden von Personen durchgeführt, die keine hinreichende medizinische Ausbildung besitzen und eintretende Komplikationen nicht ausreichend einschätzen können. Die im Interview berichtete Seltenheit schwerwiegender Komplikationen kontrastiert mit der Darstellung desaströser Folgen in den sozialen Medien, deren breite Präsenz jedoch auf redundanten Darstellungen einzelner Fälle beruhen kann. Andererseits sind die Angaben der Befürworter zu hinterfragen, weil sie womöglich aus geschäftlichen Überlegungen heraus oder aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen Problemfälle unterschlagen oder deren Verläufe beschönigen. Die Diskussion, ob solche risikoreichen irreversiblen Body modifications verboten werden sollten, muss von anderer Stelle geführt werden.
Abstract
Introduction
Eyeball tattoos (aka episcleral tattooing) are a new trend of extreme body modification, in which tattoo ink is injected under the conjunctiva with a needle and leads to an irreversible coloring of the sclera. Increasing numbers of case reports are presented in the medical literature, where in some cases severe complications have occurred.
Material and method
In addition to a current literature search on the topic, a query was sent out to 120 randomly selected tattoo studios in 6 European countries asking if they carry out eyeball tattooing. The communication was examined in more detail for those studios that answered this question positively. The aim was to obtain an impression of the supply and demand, the clarification of the risks, frequency and type of complications observed, the previous experience and possibly medical training of the tattooist. They were also questioned on the organizational and technical aspects of the actual procedure of episcleral tattooing in each studio. At tattoo conventions and via forums in social media 6 persons with a maximum of 7‑year-old eyeball tattoos were extensively questioned about their experiences before, during and after the eyeball tattooing.
Results
Of the studios nine replied that they could provide eyeball tattooing or that they could organize a guest tattooist. The remaining 49 studios did not carry out this procedure. A total of 4 studios estimated the frequency of the procedure to be 10–20 times per year and the remaining studios had only received sporadic enquiries. Of the studios one reported a case of a severe complication in the form of a persisting continuous infection with initially reduced but later improved visual acuity. Of the tattooists 1 stated that pigment migration into the periorbital tissue was observed in approximately 1 in 20 cases. Persisting headache, continuous foreign body sensation and sensitivity to light were described up to 2 weeks after the procedure. None of the persons with eyeball tattoos interviewed had noticed a residual reduction of vision, one complained of photophobia and another of negative social consequences; however, experiences of rejection were less common than appreciation.
Conclusion
Episcleral tattoos are still rare but are steadily increasing. They are carried out by persons without adequate medical training who cannot sufficiently assess complications when they occur. The rarity of severe complications reported in the interviews is in contradiction to the presentation of disastrous sequelae in the social media; however, their broad presence can be based on redundant presentations of individual cases. Alternatively, the statements of the proponents could be considered questionable, as they possibly withhold problem cases or whitewash the sequelae because of commercial considerations or for fear of legal consequences. The discussion on whether such high-risk irreversible body modifications should be banned, is outside the competence of this study.
Einleitung
Eyeball tattoos, d. h. episklerale Tätowierungen, erstmals 2007 beschrieben, gehören zu den neueren Trends der „Body-modification“-Szene. Dabei wird eine beliebige, überwiegend jedoch schwarze Tattoofarbe mittels einer feinen Kanüle (oft Tuberkulinspritze) unter die bulbäre Bindehaut appliziert, wodurch die Sklera flächenhaft permanent eingefärbt wird (Abb. 1 und 2). In den sozialen Medien treten vermehrt Gruppen auf, die sich für diese extreme Körperveränderung interessieren, Erfahrungen austauschen und die kosmetischen Auswirkungen kontrovers diskutieren. Wie auch bei anderen Formen der Body modification ist der Kreis der Interessenten jung; ein beträchtlicher Anteil arbeitet selbst als Tätowierer oder Tätowiererin oder als exponierte Künstler in anderen Bereichen.
Komplikationen
In den letzten Jahren ist in der wissenschaftlichen Literatur eine Zunahme von Fallberichten zu möglichen Komplikationen dieser Prozedur zu beobachten [2, 12, 15, 19,20,21]. Im Jahr 2015 veröffentlichten Brodie et al. den Fall eines 43 Jahre alten Mannes, der sich 7 Wochen vor seiner ophthalmologischen Erstvorstellung die Skleren rot einfärben ließ und über mindestens 6 Monate persistierende asymptomatische, knotige Bindehautschwellungen aufwies. Bis auf ein Abblassen des Farbstoffes wurden keine weiteren Auffälligkeiten verzeichnet [1]. Duarte et al. stellten 2017 zwei Fallberichte über lokale entzündliche Komplikationen (Orbitaphlegmone, kombiniert mit posteriorer Skleritis bzw. nodulärer Episkleritis) vor, die auf systemische Antibiotika- bzw. Steroidtherapie günstig reagierten [9].
Von Ye und LaHood wurde gezeigt, dass solche nodulären Schwellungen nach Eyeball-Tätowierung lymphohistiozytäre Reaktionen darstellen können und einer chirurgischen Therapie zugänglich sind, welche zur differenzialdiagnostischen Abklärung des Befundes empfohlen wird [27].
Weiterhin werden Überempfindlichkeitsreaktionen gegen das injizierte Pigment mit Irritation der Augenoberfläche, Epiphora und Chemosis sowie unkomplizierte subkonjunktivale Blutungen beschrieben [13, 14]. In der Szene gilt schwarzes Pigment als risikoarme Tattoofarbe, während bei der Verwendung von roten und gelben Pigmenten häufiger allergische Reaktionen beobachtet würden [8].
Neben einer unkomplizierten anterioren Uveitis ohne perforierendes Trauma [4, 5] oder gut zu versorgenden Skleralazerationen mit okulärer Hypotonie [3] können nach Perforation mit intraokulärer Farbstoffinjektion sowohl symptomärmere Entzündungsreaktionen mit Verschwommensehen, Schmerz und Augendruckanstieg [23] als auch komplizierte Verläufe auftreten.
Korneosklerale Perforationen sind hierbei mögliche Ursachen für Skleromalazie, traumatische Kataraktentwicklung, Uveitis und sogar Hornhauteinschmelzungen mit der Notwendigkeit zur perforierenden Hornhauttransplantation [18].
Ein 2018 publizierter Fallreport über eine 21-jährige Patientin berichtet über die Entstehung eines sekundären Glaukoms, kombiniert mit Uveitis und vorzeitiger Kataraktentwicklung, nach anfänglicher akuter Augeninnendruckentgleisung und deutlicher Schmerzsymptomatik bei der Erstkonsultation aufgrund einer intraokulären Pigmentanreicherung [25]. Ähnliches beschreibt das Autorenteam um da Cruz und Santos bei einer weiteren Patientin [5]. Darüber hinaus findet sich in der Literatur ein Fallbericht über eine perforierende Verletzung mit intraokulärer Pigmentinjektion sowie resultierender Panuveitis, initialer und Renetzhautablösung nach dem Versuch einer episkleralen Tätowierung bei einem 49-jährigen Mann [11]. Insbesondere in Tätowierfarbe enthaltenes Kupfer (blaue, grüne Farbe) [23] kann schwere Entzündungsreaktionen hervorrufen [11, 17], wohingegen Cobalt (meist als Verunreinigung) [16] sogar retinatoxisch wirkt [13]. Die bei episkleralen Tätowierungen verwendeten Pigmente sind solche, die für Hauttätowierungen zugelassen, jedoch nicht an der Bindehaut getestet wurden. Ein Sicherheitsnachweis liegt somit nicht vor [9].
Als gravierendste Komplikation ist sicherlich die Endophthalmitis nach Perforationsverletzung während der Tätowierung zu nennen.
Bei einem 41-jährigen Patienten kam es nach versehentlicher intraokulärer Farbstoffinjektion zur akuten Augeninnendruckentgleisung und trotz operativer Versorgung zur verzögerten fibrinösen Inflammation bei möglicher Endophthalmitis. Dies führte zur Hornhautdekompensation und späterer Linsenluxation mit Notwendigkeit zu Lensektomie und Sekundärlinsenimplantation [3]. In einem weiteren Fall wurde eine Endophthalmitis mit begleitender Netzhautablösung, Nekrose sowie sekundärer Uveitis anterior nach operativer Sanierung berichtet [10]. Derartige Endophthalmitiden können insbesondere bei verzögerter ophthalmochirurgischer Behandlung eine dramatische Schädigung des Auges mit Visusverlust sowie im Verlauf schmerzhafter Phtisis und Notwendigkeit zur Enukleation bedingen [3].
Der Fall des kanadischen Models Catt Gallinger, bei dem Berichten zufolge die injizierte Farbe nicht verdünnt wurde und deshalb ernste Komplikationen auftraten (https://time.com/4962331/eyeball-tattoo-scleral-blind/), zog große mediale Aufmerksamkeit auf sich. Hingegen spielen derlei negative Erfahrungen und gesundheitliche Probleme im Zusammenhang mit Augapfeltätowierungen in den sozialen Medien der Fangruppen keine große Rolle oder werden unrealistisch kleingeredet (https://www.facebook.com/search/top/?q=eyeball%20tattoo%20mondial), auch wenn warnende Einzeleinträge nicht gänzlich fehlen. Kritiken beziehen sich in diesen Kommunikationsräumen v. a. auf kontroverse Aspekte der Ästhetik.
Generell lassen sich mögliche Komplikationen nach Tubek et al. in prozedurassoziiert (Perforation, Blutung, Netzhautablösung, Endophthalmitis, traumatische Katarakt) und pigmentassoziiert (Immunreaktionen; bei intraokulärer Applikation auch Transparenzminderung optischer Medien, Toxizität, Augendruckentgleisung und Sekundärglaukom) einteilen [25]. Nicht zuletzt erschwert die episklerale Tätowierung jedoch auch die ophthalmologische Untersuchung des vorderen Augenabschnitts erheblich [26].
Exakte Zahlen über die Komplikationsrate fehlen, u. a. deshalb, weil es sich um eine noch seltene Body modification handelt. In einer aktuellen Literaturerhebung aus Januar 2021 listen Rohl et al. 14 bekannte Fälle mit medizinischem Behandlungsbedarf weltweit auf und fügen zwei eigene Fallberichte hinzu [24]. Eine seriöse Schätzung der tatsächlichen Komplikationsrate dieser Form der Body modification anhand von Fallberichtssammlungen ist nicht möglich. Zum einen werden in Fallberichten nur besonders ausgeprägte Fälle vorgestellt (weshalb die Gesamtzahl von Tätowierten mit Komplikationen unklar ist), zum anderen ist die Grundgesamtheit der Personen mit gefärbten Skleren unbekannt [26].
Angesichts der Beobachtungen aus augenärztlichen Ambulanzen gelistete Formen möglicher unerwünschter Zwischenfälle führt Tab. 1 auf.
In allen Publikationen wird übereinstimmend insbesondere der Umstand kritisiert, dass episklerale Tätowierungen von medizinisch ungeschultem Personal und ohne Operationsmikroskop ausgeführt würden. Die medizinischen Erfahrungen in Bezug auf therapeutische korneale Tätowierungen, u. a. zur Restauration der Augenfarbe belegen die Notwendigkeit optischer Hilfsmittel [6, 22].
In zahlreichen, teils medial beachteten Artikeln in Tages- und Wochenzeitschriften, v. a. aber in Onlinemagazinen wird vor den unterschiedlichen Risiken gewarnt (https://www.washingtonpost.com/news/to-your-health/wp/2017/12/02/a-model-tattooed-her-eyeball-purple-she-now-could-lose-her-eye/). In den vergangenen 24 Monaten werden zunehmend behördliche Beschränkungen im angloamerikanischen Raum beobachtet (https://eu.usatoday.com/story/news/nation-now/2017/09/29/dont-tattoo-your-eyeball-just-dont-do-it/715855001/). So warnt das Royal Australian and New Zealand College of Ophthalmologists ausdrücklich vor Augapfeltätowierungen und deklariert sie als „extrem gefährliche“ und „unnötige Prozedur“ (https://www.health.nsw.gov.au/environment/factsheets/Pages/eyeball-tattooing.aspx). Australische Gesundheitsbehörden haben im September 2017 das Gesundheitsgesetz geändert, um Tätowierungen von Augäpfeln zumindest dahingehend zu beschränken, dass sie nur noch von Ärzten oder anderen qualifizierten Personen durchgeführt werden dürfen.
In dieser Arbeit werden Ergebnisse einer Befragung von Personen vorgestellt, die sich in den letzten 7 Jahren einer Eyeball-tattoo Prozedur unterzogen haben. Ferner wurde vor dem Hintergrund der unstrittigen Risiken der Frage nachgegangen, ob die Mehrzahl zufällig ausgewählter Tattoo-Studios Eyeball tattoos anbietet, und welcher Anteil der Tattoo- und Piercingstudios seiner Aufklärungspflicht mit der gebotenen Gewissenhaftigkeit nachkommt.
Material und Methoden
Europaweit wurden E‑Mails an insgesamt 120 Tattoo- und Piercingstudios verschickt und die Durchführung eines Eyeball tattoo angefragt. Die Zusammenstellung der Liste der Tattoo-Studios erfolgte auf der einen Seite anhand einer Web-Recherche (2019, 2021) nach den 3 Suchbegriffen „eyeball tattoo“, „scleral tattoo“ und „Augapfeltattoo“, zum anderen per Zufall aus Ausstellerlisten von Tattoo-Messen in 20 verschiedenen europäischen Städten (sog. Tattoo Conventions 2019) entsprechend der Reihenfolge ihrer Listung. Die Anzahl der Studios wurde an die Bevölkerungszahlen der entsprechenden Länder angeglichen, nachdem zuvor die Zahl für Deutschland willkürlich auf 40 Studios festgelegt wurde.
Die Anfrage erfolgte standardisiert kurz mit folgendem Wortlaut:
Hi guys
We (two tattoo and BodMod fans) are looking for information on eyeball tattoos and wanted to ask if you offer this procedure or can give tips on whom we can contact?
Many thanks
F
P.S. You can also call us at (0049) xxxx
Soweit ein Studio auf die Anfrage reagierte, erfolgte eine weitere Kommunikation per E‑Mail oder über die Messenger-Dienste der sozialen Medien bzw. per Telefon.
Über soziale Medien und in 2 Facebook-Foren mit Augenmerk auf Body-Modifikationen (Mitgliederzahlen > 1000) wurde ein frei zugänglicher, strukturierter Onlinefragebogen in englischer Sprache vorgestellt (Box 1), verbunden mit der Bitte, 21 Fragen zu beantworten (Tab. 2). Der Anbieter (www.onlinefragebogen.de) garantierte eine anonyme Teilnahme; personenbezogene Daten (Alter, Geschlecht) konnten fakultativ angegeben werden. Der wissenschaftliche Zweck der Untersuchung wurde offengelegt; die Genehmigung zur Verwendung der Daten wurde aktiv abgefragt.
Ergebnisse
Die angeschriebenen Studios befanden sich ausschließlich in Europa (Tab. 3). Von den 120 angeschriebenen Studios antworteten 58 (48,3 %).
Von 58 Studios lehnten 49 (84,5 %) Eyeball tattoos kategorisch ab. Sieben von den 58 Studios, die geantwortet hatten und selbst keine Augapfeltätowierungen anboten, gaben jedoch Empfehlungen, welches Studio oder welcher Tattoo-Artist zur Realisierung kontaktiert werden könnte. Zwei der Angebote wurden ins private Umfeld adressiert. Dieser Tipp bezog sich in der überwiegenden Zahl der Fälle auf einen Anbieter aus dem nichteuropäischen Ausland. Konkret wurde 4‑mal die Auskunft gegeben, dass ein Gasttätowierer aus Australien periodisch auf „Tournee“ ginge und dabei u. a. Augapfeltätowierungen auch in verschiedenen Städten Europas anböte. Eine nachrangige Kontaktaufnahme mit diesen Studios oder mit Gasttätowierern erfolgte nicht.
Von den 9 Studios, die eine Augapfeltätowierung anboten, befanden sich je 2 in der Schweiz, Ungarn und in England, je ein Studio in Belgien, Deutschland und in Frankreich. Eine exakte Erfassung der Häufigkeit wurde in keinem der Studios durchgeführt. Zwei Studios schätzten die Zahl auf ca. 5 bis 10 Prozeduren/Jahr, 2 auf etwa 2 Sitzungen/Monat, der Rest gab Augapfeltätowierungen als seltenen bis sporadischen Kundenwunsch an. Die Studios mit geschätzten 10 bis 20 Prozeduren/Jahr böten episklerale Tätowierungen seit 5 resp. 7 Jahren an. Auch wenn somit die genaue Anzahl durchgeführter Augapfeltätowierungen unklar bleibt, nehmen sie bei allein in Deutschland über 2 Mio. Tätowierungen jährlich offenkundig nach wie vor nur einen extrem geringen Anteil ein.
Nachdem via E‑Mail ein eigenes Interesse der Adressaten an einer Augapfeltätowierung signalisiert wurde, meldeten sich 6 Studios (einmal Deutschland, einmal Frankreich, 2‑mal Ungarn, einmal Schweiz, einmal England) zusätzlich zur allgemeinen Auskunft auch direkt per E‑Mail und in einem Fall zusätzlich telefonisch, um weitere Details zu erörtern. In allen Fällen erfolgte spontan eine umfangreichere Aufklärung über die potenziellen gesundheitlichen Risiken. Die Tätowierer aus 5 dieser 6 Studios gaben an, niemals schwerere Komplikationen im Sinne eines Augen- oder Visusverlustes an ihren eigenen Kunden beobachtet zu haben. Von den 6 antwortenden Studios berichteten alle über sporadisch beobachtete unerwünschte Nebenwirkungen geringfügiger Art. Nur ein Studio räumte die Erfahrung einer ernsten Komplikation mit lang anhaltender Entzündung ein, die beinahe zu einem vollständigen Visusverlust geführt habe, betonte jedoch gleichermaßen, dass sich die Sehleistung über die Zeit wieder stabilisiert habe. Als häufigste Nebenwirkung wurde eine über Wochen persistierende Lichtempfindlichkeit angegeben. Ein Studio gab die grobe Schätzung ab, in ca. jedem 10. Fall eine Pigmentwanderung in die periorbitalen Gewebeschichten zu beobachten, und äußerte zudem die Vermutung, dass diese Komplikation in anderen Studios u. U. häufiger sei. Nur 3 Studios wollten Auskunft über die verwendeten Tattoo-Farben geben und berichteten, dass eine unzureichende Verdünnung mit NaCl die Wahrscheinlichkeit unerwünschter Pigmentwanderungen deutlich erhöhen würde. In einem Fall wurde die Prozedur wegen schmerzhaften Brennens abgebrochen, das laut Auskunft des Betroffenen trotz abschwellender Augentropfen ca. eine Woche anhielt (Abb. 3).
Ein Tätowierer teilte seine Beobachtung nach Nutzung von grünem Tee als farbige Lösung bei 2 weiblichen Kundinnen mit, nachdem er diese Methode in Australien erstmalig gesehen hatte und Recherchen angestellt hatte. Er nahm an, dass sich die pastellfarbenen Einfärbungen der Skleren nach Injektion mit Tee mit der Zeit zurückbilden würden. Bei einer der beiden Frauen sei 2 Jahre später eine diskrete Augendruckerhöhung festgestellt worden, weshalb er diese Praxis wieder aufgegeben habe und nur noch „sichere Farben“ verwende [8, 14].
Drei Studios (D, CH, H) verlangten eine persönliche Vorstellung vorab (d. h. nicht am Tag der Prozedur) zur weiteren Beratung. Ein Studio kündigte eine umfangreiche Aufklärung am Sitzungstermin an. Ein Studio aus der Schweiz verlangte eine vorherige augenärztliche Untersuchung, um kontraindizierende Augenerkrankungen vorab auszuschließen. Das gleiche Studio forderte ferner einen Allergietest auf die konkret gewünschte Tätowierfarbe, deren Bestandteile durch den Tätowierer vorab mitgeteilt wurden. Nur 2 der 9 Studios lehnten eine beiderseitige Augentätowierung in einer Sitzung aus Sicherheitsgründen ab. Anzahlungen wurden in 2 Fällen gefordert, die angekündigten Preise lagen bei 300–700 €/Auge.
Der Onlinefragebogen wurde bis zum 25.12.2021 insgesamt 88-mal aufgerufen und 26-mal beantwortet. Dies entspricht einer Quote von 29,5 %. Aus beiden Foren wurde der Weblink zum Fragebogen nach 2 bis 4 Tagen vom Administrator der Gruppen offensichtlich entfernt. Der Zugangscode wurde insgesamt 3‑mal in die Forumgruppe eingestellt.
Von den 26 antwortenden Personen (11-mal Frauen, 14-mal Männer, einmal diverses Geschlecht) mit Augapfeltätowierungen dominierte mit 61,5 % „schwarz“ als gewählte Sklerenfarbe, gefolgt von „blau“ (23,1 %) und „grün“ (11,5 %). Über 90 % ließen sich beide Augen einfärben, bei ca. jeder vierten Prozedur wurde das zweite Auge frühestens am Folgetag tätowiert (Abb. 4).
Das Alter der Personen dieser Gruppe lag zwischen 19 und 54 Jahren (Mittelwert 31,4 Jahre). Die Frauen waren mit 27,9 Jahren durchschnittlich jünger als die Männer (34,7 Jahre); der Unterschied war signifikant, p = 0,028 (Abb. 5).
Die Prozedur wurde von 50 % der Teilnehmer als weitgehend schmerzfrei, von ca. 37,5 % als deutlich weniger schmerzhaft (im Vergleich zu Hauttätowierungen) und von 12,5 % als moderat schmerzhaft bezeichnet bzw. als vergleichbar schmerzhaft zu klassischen Hauttätowierungen erlebt.
Bei 9 Probanden (34,6 %) wurde ein Lokalanästhetikum verwendet, in insgesamt 7 Fällen (27 %) wurden im Anschluss prophylaktisch antibiotikahaltige Augentropfen empfohlen und auch genommen. Die Tropfen wurden dabei in insgesamt 7 Fällen vom Studio beschafft.
Die subjektiv erlebte Dauer der Prozedur (Kerntätigkeit der Farbinjektionen) wurde von allen als kurz (weniger als 20 min) beschrieben, in der Mehrzahl der Fälle (54 %) dauerte die Farbinjektion weniger als 10 min, in 19 % der Fälle reichten weniger als 5 min aus, um die Färbung der Skleren erfolgreich zu beenden.
Von den 26 antwortenden Probanden mit tätowierten Skleren klagte eine Person über Sehstörungen, indes niemand über eine Verschlechterung der Visusleistung. Relativ häufig wurden milde, lokale Irritationen, z. B. ein Brennen der Lidbindehäute und ein vermehrter Tränenfluss, angegeben (42,6 %), drei Personen beschrieben ein latentes Fremdkörpergefühl sowie eine weitere Person eine über Wochen anhaltende Lichtempfindlichkeit. Ein Mann (blaue Farbe) und eine Frau (schwarze Farbe) gaben eine deutlich sichtbare Pigmentwanderung in die Unterlidregion an, entsprechende Beobachtungen auf Tattoo Conventions bestätigten die sichtliche kosmetische Beeinflussung der Orbitaregion bereits aus mehreren Metern Entfernung.
Der subjektive Heilungsprozess dauerte im Mittel 8,8 ± 5,5 Tage bis max. 3 Wochen. Jeder Fünfte berichtete über länger anhaltende, migräneartige Kopfschmerzen nach dem Tätowieren der Augäpfel. Allergische Komplikationen traten in einem einzigen Fall von passagerer Dauer (2 Tage) auf.
Alle interviewten Personen besaßen mindestens eine weitere Tätowierung; auffällig häufig waren die Raten von Piercings oder „flesh tunnels“ (75 %), aber auch von Gesichtstattoos (62,5 %). Drei Personen (12,5 %), davon 2 Frauen, hatten sich zudem die Zunge spalten lassen, 6 Personen besaßen sog. Implantate (Höcker, Ringe usw.).
Eine detaillierte Aufklärung bestätigten mit Ausnahme eines Teilnehmers alle Tätowierten. In jeder 4. Aufklärung wurde jedoch das Risiko eines vollständigen Visusverlustes nicht explizit aufgeführt bzw. verschwiegen. Eine schriftliche Einverständniserklärung mussten 22 Kunden (84,6 %) unterschreiben. Nur in 3 Fällen wurde im Anschluss an die Aufklärung eine Bedenkzeit von mindestens 24 h verlangt; zwei Teilnehmer (beides Männer über 40 Jahre) berichteten, aufgefordert worden zu sein, im Vorfeld einen augenärztlichen Gesundheitscheck durchführen zu lassen. Über die möglichen medizinischen Konsequenzen fühlten sich alle Personen hinreichend aufgeklärt; sie hätten sich umfangreich über das Internet informiert. Zwei Personen hatten sich seit der Tätowierung der Skleren bei einem Augenarzt vorgestellt. Ein Augenarzt habe die Behandlung abgelehnt.
Soziale Konsequenzen habe das Einfärben der Augen für 2 Personen gebracht. Ein Mann sei vom Partner verlassen worden und habe Schwierigkeiten beim Finden einer Arbeitsstelle gehabt, im 2. Fall hätten sich die Eltern einer Frau ein ganzes Jahr lang geweigert, mir ihr zu reden, und sie aufgefordert, die schwarze Farbe entfernen zu lassen. Als sie begriffen hätten, dass dies unmöglich sei, hätten sie eingelenkt. 19 Probanden (ca. 73 %) gingen – laut eigenen Angaben – zuletzt einer geregelten Arbeit nach, wobei 4 Personen selbst in einem Tattoo-Studio beschäftigt waren. Nur 3 weitere Personen arbeiteten in Bereichen mit Publikumsverkehr; eine Person war als Krankenpfleger beschäftigt. Erfahrungen mit sozialer Ablehnung berichteten alle Träger, dabei wurde jedoch angegeben, dass sie im Vergleich sehr viel öfter positive Reaktionen erführen. Keine der 26 Personen bedauerte ihre Entscheidung, wohlwissend, dass es keine Möglichkeit gibt, die Einfärbung der Skleren rückgängig zu machen.
Diskussion
Berichtenswert sind Augapfeltätowierungen als möglicher neuer Trend extremer Body modification nicht nur, weil mit der Einfärbung der Sklera ein artifiziell hergestelltes unabänderliches (identifizierendes) Körpermerkmal entsteht, das im Gegensatz zu Hauttätowierungen bis zum Lebensende Bestand haben wird, sondern auch deshalb, weil eine Risikobetrachtung unweigerlich in eine Diskussion über die Gefahr eines Visusverlustes münden muss, die im Ereignisfall als Folge einer (einvernehmlichen) schweren Körperverletzung im Sinne § 226 StGB bewertet werden könnte.
Weder die Literaturlage noch die hier vorgestellten, vom Umfang her noch begrenzten Daten aus Befragungen ermöglichen eine abschließende Bewertung zur tatsächlichen Häufigkeit der Menschen mit und zur Prävalenz von Risiken bei skleralen Augapfeltätowierungen. Die wachsende Zahl der Fallbeschreibungen in der zugänglichen medizinischen Fachliteratur der letzten Jahre kann als Indiz dafür gewertet werden, dass ernste akute Komplikationen insgesamt sporadisch, leichtere oder vorübergehende und das Augenlicht nichtbedrohende Nebenwirkungen jedoch häufiger auftreten. Da Eyeball tattoos zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch zu den selteneren Bodymodifikationen gehören, könnte die geringe Inzidenz bekannt gewordener Fälle zu dem Trugschluss einer fälschlich zu gering eingeschätzten Komplikationsrate führen. Andererseits zeigt gerade der Fall Gallinger die Kraft perpetuierter Nachrichtenströme, bei denen ein einzelnes Ereignis mehrere Tausend Internetsuchtreffer generiert und ein Risiko sichtbar macht und überhäufig erscheinen lässt. Vor dem Hintergrund potenzieller Langzeitfolgen ist aus medizinischer Sicht mehr Aufklärung zu fordern. Dies gilt insbesondere deshalb, weil ernsthafte Schäden – so selten sie auch sein mögen – u. U. sogar mit Verlust des Augenlichtes nicht nur eine persönliche Zäsur mit ggf. erheblichen Einschränkungen darstellen, sondern auch massive Gesundheits- und Sozialkosten nach sich ziehen können. Darüber hinaus sind die Konsequenzen der bislang noch unbekannten Folgen des ggw. noch jungen, aber wachsenden Trends nicht absehbar.
Die Auswertung des Fragebogens gibt erste Hinweise auf mögliche Problemzonen. Die Prozedur selbst dient zur Abschreckung nicht, denn sie ist schmerzarm und schnell, allerdings im Vergleich zur herkömmlichen Tätowierung sehr teuer. Der Preis suggeriert einen Risikoaufschlag, wobei unklar bleibt, worin die Gewährleistung im Falle einer schweren gesundheitlichen Komplikation bestehen könnte. In Onlinebekundungen balancieren die Tätowierer zwischen angepriesener persönlicher Erfahrung der eigenen Person und Hochstilisierung zum Experten in der Sache und Ablehnung der „unerfahrenen“ Konkurrenz. Eine valide Aussage zur faktischen Quote schwerer Komplikationen war bei der „Fallzahl“ von 26 nicht zu erwarten: Enttäuschte und von Sehbehinderungen betroffene Personen dürften sich weniger häufig in Internetfangruppierungen bewegen und bleiben damit in der Erhebung unerkannt. Würden sie aktiv im Forum tätig und warnten vor der Prozedur, dürfte ihre Mitgliedschaft schnell beendet sein. Einen ähnlichen Effekt konnten wir beobachten, da nach einigen Tagen die Anzahl der Anfragen nach dem online verfügbaren Fragebogen gegen null tendierte, weil der hinweisende Beitrag und der entsprechende Weblink bereits entfernt worden waren. Den Betreibern der Foren scheint somit der Grauzonencharakter durchaus bewusst zu sein. Interessant war das Teilergebnis des Fragebogens, dass im Geschlechtervergleich durchschnittlich jüngere Frauen sich zu dieser unabänderlichen Veränderung entscheiden; die Nachfrage selbst scheint vom Geschlecht unabhängig zu sein. Tendenziell greifen Frauen öfter zu anderen Farben als schwarz, die aber die bei Weitem dominierende Tätowierfarbe darstellt. Dies kann vor dem Hintergrund der zumeist geringen Allergiebelastung insbesondere bei reinen Kohlepigmentfarben als positiver Aspekt eigeordnet werden. Kritisch zu hinterfragen wäre, woher die Anbieter verschreibungspflichtige Augentropfen beziehen. Szenetypisch werden die Entscheidungen nicht hinterfragt oder nachträglich bedauert. Laut unseren Auswertungen scheint die Beratungs- und Aufklärungsquote sehr hoch zu sein; über die Qualität besteht offensichtlich noch kein standardisiertes Einvernehmen.
Ob ein grundsätzliches Verbot anzustreben ist und ärztlicherseits befürwortet werden sollte, darüber besteht auch im Autorenteam kein einheitliches Votum. Diese Prozedur dürfte damit das kontroverse Meinungsbild in Fragen selbstverschuldeter Gesundheitsrisiken, wie beispielsweise durch Rauchen, Extremsportarten und Schönheitschirurgie oder Piercing erweitern [7]. Analog ist eine Diskussion im Gange, die sog. Bodymodifikationen aller Art betrifft, die ebenfalls keinen erkennbaren Nutzen, allenfalls ästhetischen Gewinn, v. a. aber Risiken aufweisen. Bei der Bewertung sind im Fall der Augapfeltätowierungen nicht primär die, nach gegenwärtigem Stand, nicht nur unbekannt häufigen Komplikationsraten von Bedeutung, sondern v. a. die Schwere der potenziellen Nebenwirkungen. Aufgrund dieser möglicherweise zwar eher seltenen, dann aber sehr ernsten medizinischen Komplikationen sollte als Minimalforderung eine standardisierte umfangreiche Aufklärung seitens der Anbieter mit entsprechender schriftlicher Dokumentation und Erfassung der Personaldaten gesetzlich vorgeschrieben sein.
Die Autoren empfehlen die Aushändigung eines ggf. mehrsprachigen Informationsblattes mit Aufklärungsbogen, das mit einer Bedenkzeit von wenigstens 24 h durch persönliche Unterschrift zur Kenntnis genommen werden sollte. Die Interessenten sollten u. a. darauf hingewiesen werden, dass etwaige Kosten durch Behandlungen in Abhängigkeit von den landesspezifischen Sozialgesetzen u. U. durch den Patienten selbst getragen werden müssen. Nach dem „Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung“ (GKV) müssen sich gesetzlich Krankenversicherte in Deutschland an den Behandlungskosten von Komplikationen, die durch medizinisch nichtnotwendige Prozeduren wie Piercings und Tätowierungen entstanden sind, „in angemessener Höhe“ beteiligen [7]. Insbesondere bei schwerwiegenden Komplikationen und langwierigen Behandlungen kann die Tatsache, dass die Krankenkassen keine Erstattungspflicht haben, zu weiteren ernsten ökonomischen Folgen und zum Ausbleiben gebotener Therapiemaßnahmen führen. Unabhängig dieser Einschätzungen bleibt das Tätowieren der Augäpfel, auch formaljuristisch gesehen, eine Körperverletzung, in die der betreffende Kunde (schriftlich) eingewilligt haben muss.
Das Verwaltungsgericht Gießen urteilte 1998 (Az.: 8 G 2161/98), dass Piercer ein entsprechendes Fachwissen vorweisen müssen, und führte kommentierend aus, dass z. B. eine Ausbildung zum Heilpraktiker nötig sei, um Piercings setzen zu dürfen. In einem weiteren Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichts aus dem Jahr 2000 (Az.: 8 TG 713/99) wird die Thematik erneut aufgegriffen und insofern konkretisiert, als zumindest der Einsatz von Lokalanästhetika unter der Verwendung einer Injektion, wie sie teilweise vor dem Setzen eines Piercings üblich ist, eine Sachkompetenz voraussetzt. Das Gericht stellte klar, dass die Durchführung einer örtlichen Betäubung mittels Injektion eines Arzneimittels eine Ausübung der Heilkunde im Sinne des § 1 II des Heilpraktikergesetzes darstelle. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Augenoberfläche oft unmittelbar vor dem Injizieren von Tattoofarbe mit einem Lokalanästhetikum betäubt wird und im Anschluss für einige Tage antibiotikahaltige Tropfen empfohlen werden, stellt sich die Frage, ob nicht auch hier die oben erwähnte Auslegung der Gesetzeslage greifen müsste.
Eine Verlagerung und Beschränkung der Angebote auf ärztliches Personal erscheint als Forderung kaum durchsetzbar, weil eine solch risikobehaftete und medizinisch nichtindizierte Bodymodifikation auf ethische Hürden träfe. Gefordert werden sollten hingegen zumindest in standardisierter Weise eine vorherige gründliche augenärztliche Untersuchung und ein Allergietest. Von den Anbietern selbst sollte eine Grundausbildung in medizinischen Belangen, besonders in der Einhaltung entsprechender Hygienestandards, zur Pflicht gemacht werden. Formate von Fortbildungsveranstaltungen, bei denen Risiken und medizinische wie rechtliche Aspekte extremer Formen der Bodymodifikation durch ärztliches Personal in geeigneter Umgebung vorgestellt werden, sollten entwickelt werden und ihre Teilnahme für die Anbieter verpflichtend sein.
Sollte sich die Zahl der oft jungen Personen mit Eyeball tattoos in zukünftigen Beobachtungszeiträumen signifikant erhöhen und dabei ersichtlich werden, dass die Komplikationshäufigkeit bislang eher unterschätzt wurde, muss auch eine Debatte über ein grundsätzliches Verbot neu geführt werden. Über derartige Einschränkungen des Selbstbestimmungsrechts sollte aber nur als Ultima Ratio nachgedacht werden, um nicht ein Abgleiten dieser wachsenden Szene von an Körpermodifikationen Interessierten in ein illegales und dann gewiss auch unsichereres Umfeld zu befördern.
Fazit
Seit einigen Jahren lassen sich zunehmend episklerale Tätowierungen, sog. Augapfeltätowierungen, beobachten, die eine neue Variante extremer Body modification darstellen, bei der mit einer Injektionsnadel eingebrachte Tätowiertinte permanent das Augenweiß einfärbt.
Aufgrund der Zunahme von Augapfeltätowierungen mit Potenzial zum neuen Trend und der damit einhergehenden Diskussion über die Sicherheit dieser nicht rückgängig machbaren Prozedur rücken neben medizinischen Aspekten auch rechtliche Überlegungen in den Vordergrund. Dabei kann man – über ihre Verwendung als unveränderliches, sprichwörtlich unübersehbares Identitätsmerkmal weit hinausreichend – auch forensischen Gesichtspunkten Raum einräumen. Rechtsmedizinisch wären die prozedurtypischen Komplikationen im Sinne einer Körperverletzung deshalb besonders interessant, weil die einvernehmlich und planmäßig ausgeübten, medizinisch nichtindizierten und lediglich kosmetischen Zwecken dienenden Prozeduren in die Unversehrtheit des Körpers in besonders risikoreicher Weise eingreifen, indem sie das mehr als nur theoretische Risiko eines Visusverlustes in sich tragen. Dabei wären im Ereignisfall sowohl der objektive Tatbestand, eine Kausalität und ein tatbestandsspezifischer (weil typischer) Zusammenhang im Sinne einer schweren Körperverletzung nach § 226 StGB erfüllt. Im Kontext dieser Einsicht ist eine Aufklärung über die faktische Häufigkeit derartig schwerwiegender gesundheitlicher Folgen jenseits medialer Übertreibungen von entscheidender Bedeutung. Ziel dieser Arbeit war es, neben der Vorstellung der Diversität an möglichen gesundheitlichen Komplikationen, einen explorativen Versuch einer Befragung zu unternehmen, mit der Absicht, das Ausmaß des Problems besser zu erfassen, als es Einzelfallberichte ermöglichen.
Die Ergebnisse der Befragung haben gezeigt, dass das Verfahren überwiegend in Tattoostudios oder im privaten Umfeld von nichtmedizinischem Personal angeboten wird, das entgegen den eigenen Bekundungen nicht über die notwendige Fachkompetenz und Ausrüstung zur Durchführung solcher Eingriffe am Auge verfügt. Obwohl angenommen werden kann, dass eine Befragung von Anbietern und Kunden möglicherweise kein realistisches Bild über die Häufigkeit möglicher Schäden bis hin zum Verlust des Augenlichts abgibt, scheinen bei aller Vielfältigkeit möglicher ophthalmologischer Komplikationen schwerwiegende Zwischenfälle eher selten aufzutreten. Diese vorläufige Bestandsaufnahme sollte jedoch zu keiner grundsätzlichen Änderung der medizinischen Einschätzung führen.
Es ist notwendig, Anbieter und Interessenten noch konsequenter und sehr detailliert über die Risiken eines solchen Eingriffs aufzuklären, eine Bedenkzeit einzuräumen und diese Aufklärung gewissenhaft zu dokumentieren. In Begutachtungsfällen sollte explizit nach einer hinreichend dokumentierten Aufklärung gesucht und ggf. ein Augenarzt hinzugezogen werden.
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Alle beschriebenen Untersuchungen am Menschen oder an menschlichem Gewebe wurden mit Zustimmung der zuständigen Ethikkommission, im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt. Von allen Studienteilnehmenden liegt eine Einverständniserklärung vor.
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Ramsthaler, F., Trouvain, A., Birngruber, C.G. et al. Augapfeltätowierungen oder „eyeball tattoos“. Ein neuer extremer Trend der Körpermodifikation. Rechtsmedizin 32, 362–373 (2022). https://doi.org/10.1007/s00194-022-00562-4
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