Einleitung

Vollständige oder unvollständige Skelette, Einzelknochen, Knochenfragmente oder vermeintliche Knochen finden ihren Weg zu einer rechtsmedizinischen bzw. forensisch-osteologischen Untersuchung typischerweise über die Ermittlungsbehörden. Diese beauftragen meist ein schriftliches Gutachten. Die Begutachtung folgt in der Regel einem bestimmten Schema ([23, 24]; Abb. 1): Handelt es sich um einen Knochen, ist zunächst die Frage nach der Humanspezifität zu klären. Kann diese verneint werden, sollten eine Bestimmung der Tierart und eine Beschreibung etwaiger Verletzungsspuren oder Beschädigungen erfolgen. Bei nichtmenschlichen Knochen ergibt sich für die Ermittlungsbehörden meist kein weiterer Handlungsbedarf.

Abb. 1
figure 1

Begutachtungsschema

Handelt es sich um menschliche Knochen, folgen weitere Untersuchungsschritte. Es gilt, Aufschluss über das postmortale Intervall [25], prä- oder perimortale Verletzungsspuren oder postmortale Defekte [9] sowie auf die Identität hinweisende oder sie sichernde Befunde [2, 13, 15] zu erlangen. Die erhobenen Befunde und Ergebnisse sind in einem Gutachten darzulegen und zu interpretieren, um die Ermittlungsbehörden in ihren weiteren Entscheidungen bzw. Ermittlungen zu unterstützen [23, 24].

Zielsetzung der vorliegenden Arbeit war eine systemische Analyse der an das Institut für Rechtsmedizin Gießen zur Untersuchung übersandten Knochenfunde, um Daten zu Häufigkeit, Art und Umfang derartiger Begutachtungen eines rechtsmedizinischen Instituts mit gemischtem, ländlichem und städtischem Einzugsgebiet zu erhalten.

Material und Methoden

Alle im Zeitraum von 2005 bis 2019 im Institut für Rechtsmedizin Gießen begutachteten Knochenfunde wurden retrospektiv ausgewertet. Hierzu wurde im Institutsarchiv eine Sichtung aller dokumentierten Untersuchungen vorgenommen.

Ausgeschlossen wurden Fälle, bei denen Knochen nach geplanter Exhumierung oder Räumung eines Beinhauses [10] forensisch-osteologisch begutachtet wurden, sowie Funde, bei denen es sich bei den menschlichen Überresten definitionsgemäß (noch) um Leichen bzw. Leichenteile handelte [5].

Erhoben wurden Angaben zu Fundort und Finder, die Ergebnisse der makroskopischen Begutachtung und ggf. weiterführender Untersuchungen, d. h., ob die Knochen menschlichen oder tierischen Ursprungs waren, welche Knochen aufgefunden wurden, ob eine Eingrenzung des postmortalen Intervalls erfolgen konnte, ob Verletzungsbefunde und/oder postmortale Defekte vorhanden waren und ob die Knochen einer bestimmten Person zugeordnet werden konnten.

Ergebnisse

In dem 15 Jahre umfassenden Untersuchungszeitraum erfolgten im Auftrag der Ermittlungsbehörden 172 forensisch-osteologische Begutachtungen, wobei für 161 Fälle ein schriftliches Gutachten vorlag. Bei den restlichen 11 Knochenfunden war ausschließlich eine mündliche Übermittlung des Begutachtungsergebnisses an die Ermittlungsbehörden erfolgt, die Auswertung wurde in diesen Fällen anhand zugehöriger handschriftlicher Aufzeichnungen durchgeführt.

Finder und Fundorte

Etwa jeder vierte Knochenfund (26 %) wurde von Spaziergängern oder Wanderern, häufig in Begleitung eines Hundes, gemeldet. In 20 % der Fälle erfolgte der Fund durch (Bau‑)Arbeiter oder Gärtner. Für 18 % der Fälle war dem durch die Ermittlungsbehörden mitgeteilten Sachverhalt lediglich zu entnehmen, dass „ein Zeuge“ einen oder mehrere Knochen aufgefunden habe. Durch Anwohner wurden 16 % der Funde gemeldet. In 8 % der Fälle fanden Kinder beim Spielen im Freien Knochen auf. Weitere Knochen wurden von Polizisten, teils während, teils außerhalb ihrer Diensttätigkeit (8 %), Jägern und Anglern (2 %) sowie Ärzten (2 %) gefunden und an die Ermittlungsbehörden gemeldet (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Finder der Knochen (Anzahl; prozentualer Anteil), n = 172

Mit 40 % wurden die meisten Knochen in Wald- und Wiesengebieten entdeckt, gefolgt von Privatgrundstücken mit 25 % und Verkehrswegen mit 10 % (Abb. 3). Bei den auf Friedhöfen bzw. in Kirchen aufgefundenen Knochen handelte es sich um Einzelfunde in nichtortstypischer Lokalisation, z. B. auf den Stufen der Friedhofskapelle oder oberirdisch zwischen regulären Erdgräbern.

Abb. 3
figure 3

Verteilung der Fundorte (Anzahl; prozentualer Anteil), n = 172

Anzahl und Art der Funde

Im Untersuchungszeitraum erfolgte im Durchschnitt etwa eine Begutachtung pro Monat. Die Monate mit den meisten Knochenfunden waren April und September (Abb. 4a), die knochenfundreichste Jahreszeit der Frühling.

Abb. 4
figure 4

a Verteilung der Knochenfunde auf die einzelnen Monate des Untersuchungszeitraums, n = 172. b Anzahl der Knochenfunde in den einzelnen Jahren des Untersuchungszeitraums, n = 172

Mit 89 Fällen handelte es sich in etwas mehr als der Hälfte (52 %) um Funde mit ausschließlich menschlichen Knochen, in 71 Fällen (41 %) um Funde mit ausschließlich tierischen Knochen. In 11 Fällen (6 %) lagen sog. Mischfunde vor, d. h., sowohl menschliche als auch tierische Knochen wurden zusammen entdeckt und zur Untersuchung überstellt. Als weder menschlich noch tierisch stellte sich lediglich ein Fund heraus, bei dem es sich um ein zusammengerolltes Stück Linoleumboden handelte. Die Anzahl der Untersuchungen pro Jahr variierte zwischen 4 (im Jahr 2011) und 20 (in den Jahren 2016 und 2018) (Abb. 4b). Ein klarer Trend ließ sich daraus nicht ableiten.

Art und Anzahl der aufgefundenen Knochen

In dem ausgewerteten 15-Jahres-Zeitraum wurden 7 nahezu vollständige menschliche Skelette und weitere 1345 Knochen, davon 619 (nahezu) vollständige und 726 fragmentierte Knochen, zur Begutachtung überstellt.

Von den 619 nahezu vollständigen Knochen wurden 388 (63 %) als menschlich und 231 (37 %) als tierisch klassifiziert. Bei den 726 Knochenfragmenten gelang bei 359 (49 %) eine Zuordnung zu menschlich, und bei 367 (51 %) zu nichtmenschlich. In 7 Fällen, bei denen diesbezüglich makroskopisch keine Aussage möglich war, ergaben forensische DNA-Analysen eine tierische Herkunft.

Bei den als tierisch klassifizierten Knochen handelte es sich hauptsächlich um Langknochen und Wirbelkörper bzw. deren Fragmente. Nur selten wurden vollständige oder fragmentierte Tierschädel zur Untersuchung übergeben. Die tierischen Knochen stammten in drei Viertel der Fälle von Schwein, Rind oder Hirsch bzw. Reh (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Funde mit tierischen Knochen: bestimmte Tierarten (Anzahl; prozentualer Anteil)

Bei den Knochen humanen Ursprungs handelte es sich, zusätzlich zu den 7 überwiegend vollständigen Skeletten, um 388 (nahezu) vollständig erhaltene und 359 fragmentierte Knochen, wobei als vollständige Knochen hauptsächlich Lang- und Wirbelknochen vorlagen. Menschliche Schädel bzw. Schädelfragmente waren Bestandteil von 74 % der zur Untersuchung übersandten Fälle, die menschliche Knochen enthielten. Die Art der untersuchten menschlichen und tierischen Knochen ergibt sich aus Abb. 6a, b.

Abb. 6
figure 6

a Art und Anzahl der untersuchten menschlichen Knochen. b Art und Anzahl der untersuchten tierischen Knochen

Postmortales Intervall (Liegezeitbestimmung)

In knapp einem Drittel (32 %) der humanen Knochenfunde (n = 100) wurde ein forensisch relevantes postmortales Intervall von 50 Jahren oder weniger nicht ausgeschlossen. Knapp der Hälfte (45 %) der humanen Knochenfunde wurde eine Liegezeit von mehr als 50 Jahren zugeordnet. Bei den verbleibenden humanen Knochenfunden (23 %) wurde keine Aussage zum postmortalen Intervall anhand makroskopischer Befunde getroffen, vornehmlich aufgrund von Zeichen einer längeren Liegezeit im Freien (Abb. 7).

Abb. 7
figure 7

Liegezeit humaner Knochenfunde (Anzahl; prozentualer Anteil), n = 100

Ergänzende Untersuchungen zur Liegezeit

Zur Eingrenzung des postmortalen Intervalls wurde bei humanen Langknochen nach der zerstörungsfreien makroskopischen Begutachtung in 27 Fällen ein Querschnitt des Schaftes angefertigt und die UV-Fluoreszenz der Sägefläche untersucht. In 16 Fällen erfolgte eine Beurteilung der Luminolreaktion des beim Sägen entstandenen Knochenmehls. In 6 Fällen wurden Radiokarbonuntersuchungen in Auftrag gegeben. Für die 6 Fälle humaner Knochenfunde, in denen Radiokarbonuntersuchungen durchgeführt wurden, war das postmortale Intervall makroskopisch als nicht forensisch relevant beurteilt worden. Die Beauftragung der Radiokarbondatierungen durch die Ermittlungsbehörden ergab sich teils aus den Fundumständen (z. B. Psychiatriegelände, Universitätscampus), teils aus festgestellten Verletzungsspuren (u. a. Schussverletzungen) und erfolgte zur Überprüfung der makroskopisch mit (teils deutlich) über 50 Jahren angenommenen Liegezeiten. Die Untersuchungen ergaben, dass die Knochenfunde von Verstorbenen aus dem späten 17. Jh. bis zum frühen 19. Jh. stammten.

Verletzungen und Beschädigungen

In 47 % aller untersuchten Knochenfunde fanden sich Spuren einer erfolgten Gewalteinwirkung.

Antemortale (prämortale) Verletzungen wurden für 2 % aller Funde (n = 4) und ausschließlich an menschlichen Knochenfunden beschrieben.

Perimortale Verletzungen fanden sich in 10 % aller Funde (n = 18). Dabei handelte es sich hauptsächlich um typische Schlachtspuren an Tierknochen (n = 12). Bei den aufgefundenen humanen Knochen lagen in 6 Fällen (3 % aller Funde) perimortale Verletzungen vor. Sie waren in 3 Fällen infolge stumpfer Gewalteinwirkung und in 3 Fällen infolge einer Schussbeibringung entstanden. Postmortale Beschädigungen waren an Tierknochen praktisch ebenso häufig vorhanden wie an menschlichen Knochen und fanden sich in 35 % aller Funde (n = 61). In den Gutachten wurde gut ein Viertel dieser Fälle als Tierverbiss (n = 17), gut ein weiteres Viertel (n = 16) als der Bergung zuzuschreibende Beschädigungen konkretisiert. Bei den menschlichen Knochen fanden sich häufiger Bergeartefakte (n = 15), bei den tierischen Knochen häufiger Tierverbiss (n = 11).

Untersuchungen zur Identifizierung

Für die 100 Funde, die menschliche Knochen enthielten, wurden, soweit möglich, im Rahmen der makroskopischen Begutachtung ein biologisches Profil und in 21 Fällen ein postmortaler Zahnstatus erhoben, um Hinweise auf die Identität zu erlangen. In 2 Fällen ergab sich aufgrund vorhandener antemortaler Trepanationsverletzungen ein konkreter Identitätsverdacht. In einem Fall erfolgte der CT-Scan eines Schädels als Datengrundlage für eine digitale Gesichtsweichteilrekonstruktion.

In 21 Fällen gelang eine sichere Zuordnung aufgefundener menschlicher Knochen zu einer als vermisst gemeldeten Person: in 17 Fällen über molekulargenetische Vergleichsuntersuchungen, in 3 Fällen mittels Abgleich des ante- und postmortalen Zahnstatus und in einem Fall über einen Schädel-Bild-Vergleich.

DNA-Analysen

In 20 % aller Funde (n = 34) wurden an den Knochen molekulargenetische Untersuchungen durchgeführt. Davon verlief in 62 % (n = 21) die Typisierung humaner STR erfolgreich, und in 41 % (n = 14) wurden die erhobenen STR-Profile einem antemortalen Profil zugeordnet, was als Identitätssicherung gewertet wurde. In 7 Fällen stellten sich die durch Fragmentierung morphologisch nicht mehr eindeutig als menschlich oder tierisch klassifizierbaren Knochen mittels mtDNA-Analyse als tierische Knochen heraus. In 6 Fällen, bei denen es sich morphologisch eindeutig um menschliche Knochen handelte, war es weder möglich, ein STR-Profil zu erstellen noch verlief die mtDNA-Analyse erfolgreich.

Diskussion

Erachten Ermittlungsbehörden die Untersuchung und Begutachtung eines Knochenfundes für notwendig, wird in der Regel ein rechtsmedizinisches Institut damit beauftragt werden [16, 22]. Bis vor etwa 20 Jahren wurde ein Teil dieser Gutachten durch anthropologische Institute erstellt, die einen forensischen Schwerpunkt hatten. Heutzutage ist die (biologische) Anthropologie in der deutschen Hochschullandschaft nahezu ausgestorben. Vielerorts wurde die osteologische Lehre für Studierende der Biologie durch die Rechtsmedizin übernommen. Die forensisch-osteologische Fallarbeit hat genauso wie die Lehre und die Forschung auf diesem Gebiet einen festen Platz im rechtsmedizinischen Arbeitsalltag. Das Ergebnis des forensisch-osteologischen Gutachtens sollte den Ermittlungsbehörden eine Beurteilung der möglichen strafrechtlichen Relevanz eines Fundes erlauben und die Beantwortung der Frage nach der Notwendigkeit weiterführender Ermittlungen ermöglichen.

Finder und Fundorte

Voraussetzung dafür, dass die Ermittlungsbehörden Kenntnis von einem Knochenfund erlangen ist, dass dieser durch den Auffinder angezeigt wird. Es ist davon auszugehen, dass nicht jeder Knochenfund gemeldet wird. Die Gründe dafür können vielschichtig sein. Zunächst muss der Knochen als solcher erkannt und weiterhin für den Finder eine Ähnlichkeit mit menschlichen Knochen bestehen. So ist es erklärbar, dass kaum Säugetierschädel vorgelegt werden, da diese bereits von Laien kaum für menschlich gehalten werden. Andererseits dürften die Fundumstände, insbesondere der Fundort, eine Rolle spielen. So kann die Motivationslage des Finders sehr unterschiedlich sein, seinen Fund der Polizei nicht zu melden: Auf Baustellen könnte beispielsweise ein Baustopp befürchtet werden, oder es gibt Menschen, die grundsätzlich Kontakte mit der Polizei vermeiden.

Die im ländlichen und im städtischen Einzugsgebiet des Instituts für Rechtsmedizin Gießen in dem analysierten 15-Jahres-Zeitraum zur Untersuchung gelangten Knochenfunde stammten zu 40 % von Wäldern und Wiesen. Dort kann prinzipiell mit der Auffindung von Knochen gerechnet werden, die von (Wild‑)Tieren stammen, sodass ein Fund als nicht mitteilenswert erachtet werden könnte. Die gemeldeten und folglich untersuchten „Wald- und Wiesenfunde“ bestanden etwa zur Hälfte (52 %) ausschließlich aus tierischen Knochen. Es handelte sich dabei meist um Funde von Langknochen, Beckenanteilen und Wirbelknochen, teilweise fragmentiert, bei denen eine Abgrenzung zu menschlichen Knochen von einem Laien nicht erwartet werden kann. Ein Drittel der Funde enthielt (meist zusätzlich zu anderen Knochen) eine Hirschtibia, für die zweifelsohne eine Verwechslungsmöglichkeit mit ihrem menschlichen Pendant besteht [22]. In einem Fall wurde in einem Waldstück ein in einem Armeestiefel steckender mutmaßlicher Unterschenkelknochen aufgefunden. Die Annahme eines humanen Knochenfunds lag nahe, die Begutachtung ergab allerdings, dass es sich bei dem Fund um Rinderknochen handelte (Abb. 8). Es blieb letztlich unklar, wer dieses „Arrangement“ zu verantworten hatte.

Abb. 8
figure 8

Knochenfund in US-Marschstiefel. Es handelte sich um Rinderknochen

Knapp die Hälfte der „Wald- und Wiesenfunde“ (48 %) enthielt menschliche Knochen, mehr als zwei Dritteln dieser Fälle Schädel bzw. größere Anteile davon. Dass von menschlichen Schädelknochen auch für Laien ein höherer „Wiedererkennungswert“ ausgeht, ist anzunehmen.

Hinsichtlich der Unterscheidung eines Tierknochens von einem menschlichen Knochen könnte Jägern und Anglern sowie medizinischem Personal ein gewisser Sachverstand unterstellt werden. Von den ausgewerteten 8 Funden, die von diesen Personengruppen an die Polizei gemeldet wurden, enthielten lediglich 2 menschliche Knochen. Dabei handelte es sich in einem Fall um ein nahezu vollständiges Skelett, im anderen Fall um ein Femur. Der im ausgewerteten Zeitraum einzige Fall, bei dem sich zur Untersuchung überstelltes Material als weder menschlicher noch tierischer Knochen herausstellte, wurde von einem Orthopäden „vorbefundet“. Es handelte sich dabei um ein Stück zusammengerollten Linoleumboden.

Humanspezifität

Bei intakten oder überwiegend intakten Knochen sind makroskopisch eine Unterscheidung von menschlichen und tierischen Knochen sowie eine Artspezifizierung in der Regel problemlos möglich. Bei hochgradiger Fragmentierung kann makroskopisch eine sichere Abgrenzung allerdings schwierig bis unmöglich sein. Ergänzend können in diesen Fällen histologische Untersuchungen durchgeführt werden und die Größe und Anordnung der Osteone zur Klärung der Frage nach der Humanspezifität beitragen [21, 23]. Neben der Morphologie des Osteons stellen „das Vorhandensein von Haversschen Systemen und ihr relativer Anteil gegenüber anderen histologischen Strukturen“ [6] sowie der durchschnittliche Durchmesser der Havers-Kanäle weitere Kriterien zur Klärung der Artspezifität dar [7, 16, 17]. In den ausgewerteten Fällen fanden histologische Untersuchungen keine Anwendung. Sieben makroskopisch nicht bestimmbare Knochenfragmente konnten über mt-DNA-Untersuchungen als tierisch klassifiziert werden. In 6 Fällen untersuchter humaner Knochenfunde ergaben sich, am ehesten bedingt durch eine hochgradige DNA-Degradation, keine verwertbaren Ergebnisse.

Postmortales Intervall

Die Eingrenzung des postmortalen Intervalls hat nach der Bestimmung der Humanspezifität große Bedeutung für die rechtsmedizinische bzw. forensisch-osteologische Einordnung des Fundes als (potenziell) rezent und folglich die ermittlungsseitige Einordnung als rechtsrelevant. Zwar sind weder makroskopische noch apparative Untersuchungen in der Lage, die Liegezeit eines Knochens monats- oder jahrgenau anzugeben, allerdings kann bereits die makroskopische Untersuchung dazu beitragen, die Liegezeit im Hinblick auf das mögliche Interesse der Ermittlungsbehörden einzugrenzen. So können bei bodengelagerten menschlichen Langknochen z. B. ein Fehlen von Fettwachsspuren und das Vorhandensein von Abhebungen, flächenhaften Defekten und Einrissen der äußeren Knochenschicht sowie intensiven schwarzbraunen Verfärbungen durch Mikroorganismen dazu dienen, eine forensisch relevante Liegezeit von 50 Jahren oder weniger auszuschließen [8, 11, 12, 25]. Die vorangegangene durchgehende Erdlagerung ist allerdings unabdingbare Voraussetzung zur Anwendung dieser Ausschlusskriterien einer forensisch relevanten Liegezeit. Demzufolge sind freiliegend aufgefundene Knochen bzw. Knochen, die Hinweise auf eine längere Liegezeit im Freien aufweisen (Bemoosung, Grünalgenbesiedlung), sehr zurückhaltend zu interpretieren. Von den 100 begutachteten Funden, die menschliche Knochen enthielten, wurde – teils nach ergänzenden Untersuchungen der UV-Fluoreszenz der frischen Sägefläche und der Chemilumineszenz des mit Luminol versetzten Sägemehls [3, 18] – in 32 Fällen ein forensisch relevantes postmortales Intervall nicht ausgeschlossen.

Verletzungsspuren

Verletzungsspuren, in Abgrenzung zu postmortalen Beschädigungen [9], sollten, wenn vorhanden, Anlass für weiterführende Ermittlungen geben. Dies gilt insbesondere für perimortale Verletzungen, d. h. Folgen um den Todeszeitpunkt stattgefunden habender und möglicherweise todesursächlicher Gewalteinwirkungen. Eine retrospektive Auswertung von Verletzungsmustern bei Tötungsdelikten ergab knöcherne Verletzungen bei 70 % der Getöteten [4]. Demzufolge ist die Wahrscheinlichkeit als hoch einzustufen, dass derartige Verletzungsspuren – abhängig von Liegezeit und Umgebungsbedingungen – an Knochenfunden noch nachweisbar sind. In den ausgewerteten Fällen des Gießener Instituts fanden sich 6 humane Knochenfunde mit perimortalen Verletzungen. In 3 dieser Fälle handelte es sich um rezente Funde von Schädeln bzw. Schädelfragmenten, die jeweils Spuren stumpfer Gewalteinwirkung aufwiesen – ein Fall hiervon konnte einem sog. Bahnsuizid zugeordnet werden, zu den beiden anderen Fälle lagen keine weiteren Ermittlungsergebnisse vor.

Antemortale Verletzungen müssen so lange vor dem Tod entstanden sein, dass sich am Knochen Heilungsspuren ausbilden konnten. Sie können von großer Bedeutung für die Identifizierung sein. Dies gilt insbesondere für Verletzungen, die zu Lebzeiten medizinisch versorgt oder sogar entstanden sind. Dann ist eine medizinische Dokumentation zu erwarten. Letztere kann bei der Suche des Opfers mittels der postmortal erhobenen Hinweise auf die Identität genauso hilfreich sein wie bei der Identitätssicherung (z. B. Röntgenvergleichsanalyse). Als Beispiele wären antemortale Trepanationen nach neurochirurgischen Eingriffen zu nennen, die in 2 Fällen der Studie einen konkreten Identitätsverdacht begründet hatten, dann allerdings nicht zur Identitätssicherung genutzt wurden.

Identifizierung

Eine Klärung der Identität im Sinne einer sicheren Zuordnung aufgefundener menschlicher Knochen zu einer als vermisst gemeldeten Person war in 21 Fällen möglich, wobei die Identifizierung in 4 Fällen über morphologische und in 17 Fällen über molekulargenetische Vergleichsuntersuchungen erfolgte. Drei der morphologischen Identifizierungen gelangen über einen Vergleich des post- und antemortalen Zahnstatus, eine über einen Schädel-Bild-Vergleich.

Mit 81 % gelang der ganz überwiegende Anteil  der erfolgreichen Identifizierungen (n = 17) über molekulargenetische Vergleichsuntersuchungen. Damit lassen sich, authentisches antemortales Vergleichsmaterial vorausgesetzt, Knochenfunde zwar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einer (vermissten) Person zuordnen, für die Gewinnung von DNA-Material aus Knochengewebe sind allerdings spezielle Präparationstechniken nötig [19]. Ob amplifizierbare DNA isoliert werden kann, hängt maßgeblich vom Erhaltungszustand des Knochens und der damit einhergehenden Degradation der DNA ab. Eine besondere Herausforderung können brandgezehrte Knochen oder ein feucht-warmes Liegemilieu darstellen [20]. Einen besseren Erhaltungszustand der DNA und eine geringere Kontaminationsanfälligkeit weisen in der Regel Zähne auf [1]. Für Schädelfunde ohne Zähne wird eine Extraktion aus Anteilen des Felsenbeins empfohlen [14].

Welche Untersuchungsmethoden letztlich zur Identitätssicherung genutzt werden, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Entscheidend ist letztlich die Schnittmenge aus den zur Verfügung stehenden antemortalen Vergleichsinformationen und den an den knöchernen Überresten zu gewinnenden postmortalen Informationen.

Zum Beispiel wurden in einem der ausgewerteten Fälle am Schädel eines am Rande einer Autobahn aufgefundenen inkompletten Skeletts eine verheilte Trepanation (antemortale Verletzung) (Abb. 9) und ausgedehnte Zahnarbeiten festgestellt. In Kombination mit dem biologischen Profil (weiblich, kaukasoid, mittleres Lebensalter) und Beifunden (Handtasche, Portemonnaie mit Ausweisdokumenten) ergab sich ein Identitätsverdacht. Bei der wenige Jahre zuvor als vermisst gemeldeten Person war im Rahmen der Vermisstensachbearbeitung in Erfahrung gebracht worden, dass zu Lebzeiten nach erlittenem Schädel-Hirn-Trauma eine Trepanation stattgefunden hatte. Entsprechende Behandlungsunterlagen, inklusive radiologischer Befunde, waren nach der Vermisstenmeldung allerdings nicht angefordert worden und nach dem Skelettfund in der damals operiert habenden Klinik nicht auffindbar. Ein behandelnder Zahnarzt war nicht ermittelt worden. Zur Identitätssicherung wurde die Erstellung eines STR-Profils beauftragt, das mit dem bereits in der polizeilichen Datenbank einstehenden antemortalen Profil eine vollständige Übereinstimmung ergab.

Abb. 9
figure 9

Antemortale Verletzung: eine mehr als 6 Jahre zurückliegende Trepanation im Rahmen eines neurochirurgischen Eingriffs

Fazit für die Praxis

Die Untersuchung von Knochenfunden nimmt einen nicht zu vernachlässigenden Anteil der rechtsmedizinischen Fallarbeit ein. In der forensischen Osteologie hat die makroskopische Befunderhebung entscheidende Bedeutung für das weitere Vorgehen. Vor dem Hintergrund der Frage nach einer forensischen Relevanz von Knochenfunden können allein mit den makroskopischen Untersuchungsergebnissen im überwiegenden Anteil der Fälle hinreichende Aussagen getroffen werden. So werden wichtige Weichenstellungen vorgenommen und bezogen auf die weiterführenden Untersuchungen die Ressourcen sinnvoll eingesetzt.

Trotz sich ständig weiterentwickelnder technischer Möglichkeiten, wie z. B. der forensischen DNA-Analyse, ist die forensisch-osteologische Expertise unverzichtbar. Diese Expertise vorzuhalten und zu pflegen, ist heutzutage in Deutschland im Wesentlichen die Aufgabe der Rechtsmedizin.