Hintergrund

Verletzungen durch thermische Einwirkungen in Form von Hitze spielen v. a. im Kindesalter eine große Rolle. In Europa entfällt etwa die Hälfte aller Hospitalisierungen durch hitzebedingte Verletzungen auf Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren [1, 2], davon sind zwischen 50 und 80 % im Alter unter 5 Jahren [2]. Brandverletzungen stehen nach Autounfällen und Ertrinken an 3. Stelle der zum Tode führenden Unfälle und Verletzungen bei kleinen Kindern [3]. Die häufigsten hitzebedingten Verletzungen im Kindesalter sind Folge von Verbrühungen, gefolgt von Kontaktverbrennungen [4]. Diese stellen 40 % der hitzebedingten Verletzungen bei Kindern unter einem Jahr und werden hauptsächlich durch Haushaltsgegenstände wie erhitzte Metalloberflächen, Haartrockner oder Herdplatten verursacht [5, 6]. In manchen Fällen ist es möglich, durch die Konfiguration der Verbrennung Rückschlüsse auf den Gegenstand zu ziehen, der die Verletzung verursacht hat [7]. Eine Unterscheidung zwischen einer akzidentellen und intentionellen Entstehung von Verbrühungen oder Verbrennungen kann u. U. mit Schwierigkeiten verbunden sein [8, 9]. Bestimmte Verteilungsmuster der Verletzungen sowie Unstimmigkeiten beim berichteten Unfallhergang können Hinweise auf eine mögliche Misshandlung bieten [10, 11]. Wie wichtig Details bei der Rekonstruktion eines möglichen Unfallhergangs und zur Abgrenzung einer Kindesmisshandlung oder Vernachlässigung der Aufsichtspflicht sind, verdeutlicht der dargestellte Fall.

Falldarstellung

Vorgeschichte

Ein ansonsten gesunder, 7 Monate alter, weiblicher Säugling wurde mit Verbrennungen an beiden Beinen von seinen Eltern in der Notaufnahme eines Krankenhauses vorgestellt. Die Eltern hätten sich im Schlafzimmer aufgehalten, als der Säugling, nur mit einem Body bekleidet, im Kinderzimmer gegen einen Nachtspeicherofen gekrabbelt sei und angefangen habe zu weinen.

Krankenunterlagen

Klinisch diagnostiziert wurden Kontaktverbrennungen der Grade 2a und 2b an rechtem Oberschenkel, Unterschenkel und Fuß (Abb. 1) sowie an linkem Unterschenkel und Fuß. Betroffen waren ca. 4–5 % der Körperoberfläche. Es folgte ein 11-tägiger stationärer Aufenthalt, bei dem ein Wunddébridement bzw. am linken Bein eine Wundversorgung mit einem synthetischen Hautersatz (Suprathel®, PolyMedics Innovations, Denkendorf, Deutschland) unter Vollnarkose erforderlich waren. Weiterführende konsiliarische Untersuchungen mit einer Ultraschalldiagnostik des Skelettsystems und des Bauches sowie einer Augenhintergrundspiegelung zur Frage einer Kindesmisshandlung ergaben keine Hinweise auf weitere frische oder ältere Verletzungen. Aufgrund des unklaren Unfallhergangs wurde von den behandelnden Ärzten trotz dessen das Jugendamt eingeschaltet, das eine klinisch-rechtsmedizinische Untersuchung veranlasste.

Abb. 1
figure 1

Streifenförmige Hautverletzungen an der rechten Oberschenkelaußenseite sowie der rechten Knieaußenseite, übergehend auf die rechte Unterschenkelstreckseite (Foto angefertigt in der Klinik, 2 Tage nach dem Ereignis)

Klinisch-rechtsmedizinischer Untersuchungsbefund

Bei der klinisch-rechtsmedizinischen Untersuchung, 10 Tage nach initialer Vorstellung in der Notaufnahme, zeigten sich folgende Hautverletzungen:

  • an der Außenseite des rechten Oberschenkels 7 streifenförmige, quer und parallel zueinander verlaufende Hautverletzungen. Die körperstammnächste sowie die körperstammfernste waren jeweils etwa doppelt so hoch wie die 5 dazwischenliegenden Hautbefunde. Die Abstände zwischen den Verletzungen betrugen jeweils etwa 1 cm (Abb. 1);

  • an der rechten Knievorderaußenseite, übergehend auf die Unterschenkelstreckseite 3, ebenfalls streifenförmige und parallel zueinander gestellte Hautverletzungen mit etwa 1 cm Abstand zueinander (Abb. 1);

  • eine einzelne weitere, zu den Verletzungen am Oberschenkel sowie der Knievorderaußenseite gleichartige, streifenförmige Hautverletzung an der rechten Unterschenkelrückseite und vereinzelte kurzstreckige Hautverletzungen am Fußrücken mit Einbezug der Zehen;

  • an der Außenseite des linken Unterschenkels eine kombinierte, vorwiegend flächige und teils streifenförmige, bereits medizinisch versorgte Hautverletzung (Abb. 2);

  • am äußeren Fußspann links eine flächige und bereits versorgte, kleinere Hautverletzung (Abb. 3).

Abb. 2
figure 2

Kombinierte, vorwiegend flächige, teils auch streifenförmige Hautverletzung an der linken Unterschenkelaußenseite (10 Tage nach dem Ereignis, medizinisch versorgt)

Abb. 3
figure 3

Kleinflächige Hautverletzung am linken Fußspann (10 Tage nach dem Ereignis, medizinisch versorgt)

Ortsbegehung

Im Auftrag des zuständigen Jugendamtes erfolgte eine Ortsbegehung der elterlichen Wohnung zur Sichtung der 3 dort befindlichen Nachtspeicheröfen, um die Plausibilität des berichteten Unfallhergangs im Sinne eines Krabbelns gegen den Nachtspeicherofen im Kinderzimmer zu überprüfen.

Hierbei zeigten sich im Wohnzimmer und im elterlichen Schlafzimmer identische Modelle eines Nachtspeicherofens mit einem Luftauslassgitter in Bodennähe mit jeweils 7, in einem Abstand von 1 cm zueinander parallel verlaufenden Querstreben (Abb. 4b). Dabei betrugen die Höhe der obersten und untersten Querstrebe 0,4 cm und die Höhe der dazwischenliegenden Querstreben jeweils 0,2 cm (Abb. 4). Im Schlafzimmer herrschten zudem beengte Raumverhältnisse, insbesondere der Abstand zwischen Nachtspeicherofen und Ehebett wurde lediglich mit 70 cm gemessen. Im Kinderzimmer fand sich ein anderes Modell eines Nachtspeicherofens, dessen Luftauslassgitter im Unterschied zu den beiden anderen Öfen 5 parallel verlaufende Querstreben mit ebenfalls jeweils 1 cm Abstand zueinander aufwies (Abb. 4a).

Abb. 4
figure 4

Superimpositionscollage zum Abgleich der Verletzungen an der rechten Oberschenkelaußenseite mit den Luftauslassgittern der Nachtspeicheröfen nach vereinheitlichter Skalierung der verwendeten Abbildungen. Eine Übereinstimmung ist mit den 7 Querstreben des Nachtspeicherofens aus dem Wohnzimmer (baugleich mit dem aus dem Elternschlafzimmer) zu erkennen (b). Der Nachtspeicherofen aus dem Kinderzimmer weist dagegen nur 5 Querstreben auf (a)

Diskussion

Die Hautverletzungen an beiden Beinen des Säuglings ließen sich zunächst allein durch die Erklärung der Eltern, das Kind sei gegen den Nachtspeicherofen im Kinderzimmer gekrabbelt, nicht in Gänze nachvollziehen. Bei unklaren thermischen Verletzungen ist der Anteil an Kindesmisshandlungen bekanntermaßen hoch [12]. Gemäß der Leitlinie Kinderschutz sollte zudem „die Frage nach Vernachlässigung bei jeder thermischen Verletzung als Ursache der Verbrühung/Verbrennung multiprofessionell eingeschätzt und geklärt werden“ [12]. Es wurden bis auf die genannten Hautverletzungen keine auffälligen Untersuchungsbefunde wie Knochenbrüche oder andere Verletzungen festgestellt, die gerade in Kombination mit Verbrennungen und Verbrühungen an eine Kindesmisshandlung denken lassen sollten [13]. Bei einer Ortsbegehung ließen sich die Luftauslassgitter der Nachtspeicheröfen in Wohn- und Schlafzimmer mit den Hautverletzungen des Kindes in Deckung bringen, jedoch nicht die Luftauslassgitter des Nachtspeicherofens im Kinderzimmer (Abb. 4). Ergänzend eingeholter technischer Sachverstand ergab, dass im Regelbetrieb bei kalten Außentemperaturen regelmäßig Werte zwischen 80 und 100 °C am Luftauslassgitter der Nachtspeicheröfen erreicht werden, wobei auch Spitzentemperaturen bis zu 150 °C möglich sind. Laut Literatur [14] reicht bei Erwachsenen bereits ein Kontakt von 1/10 s mit auf 82 °C erhitzten Flüssigkeiten aus, um Verbrühungen 3. Grades zu verursachen. Die Haut von Säuglingen ist jedoch nur etwa ein Fünftel so dick wie die Haut Erwachsener. Bei ihnen reichen bereits 0,5 s Kontakt mit einer auf 65 °C erhitzten Flüssigkeit aus, um Verbrennungen 3. Grades hervorzurufen [15]. Tabellen zu Einwirkzeiten bei Kontaktverbrennungen durch verschiedene Feststoffe in Abhängigkeit der Oberflächentemperatur finden sich in der gängigen Literatur nicht. Zu berücksichtigen ist, dass die meisten Metalle bei gleicher Temperatur und gleichen Druckverhältnissen eine deutlich höhere Wärmeleitfähigkeit als Wasser oder Wasserdampf aufweisen, weshalb bei Kontaktverbrennungen durch Hautkontakt mit einem Metall vereinfacht von einer größeren Wärmeübertragung pro Zeiteinheit und Kontaktfläche im Vergleich zu dem Kontakt mit Wasser oder Wasserdampf anzunehmen ist [16]. Darum kann davon ausgegangen werden, dass bei Säuglingen ein Kontakt der unbekleideten Haut mit dem Luftauslassgitter eines Nachtspeicherofens von deutlich kürzerer Dauer ausreichend ist, um Kontaktverbrennungen wie im dargestellten Fall zu erzeugen. Somit lässt sich ein mögliches Unfallgeschehen wie folgt rekonstruieren: Der Säugling krabbelte mit unbekleideten Beinen (beispielsweise wie angegeben mit einem Body bekleidet) an das Luftauslassgitter des Nachtspeicherofens. Bereits nach einer minimalen Kontaktzeit drehte sich das Kind als Reaktion auf den Schmerzreiz auf den Rücken. Möglicherweise aufgrund der sehr beengten Raumverhältnisse, wie im elterlichen Schlafzimmer vorgefunden, führte dies jedoch dazu, dass das Bein der Gegenseite ebenfalls in Kontakt mit dem heißen Gitter kam, mit hieraus resultierenden weiteren Kontaktverbrennungen.

Die rechtsmedizinischerseits erhobenen Befunde und die resultierenden Schlussfolgerungen hatten zur Folge, dass die Nachtspeicheröfen gegen Kontakt gesichert wurden, um künftig derartigen Unfällen vorzubeugen. Die Erkenntnis, dass das Luftauslassgitter des Nachtspeicherofens im Kinderzimmer nicht zu den im Rahmen der Untersuchung festgestellten Verletzungen passte, offenbarte eine Diskrepanz zwischen den Angaben der Eltern und dem rekonstruierbaren Unfallhergang. Obwohl der Verdacht auf eine Misshandlung entkräftet werden konnte, lag aber zumindest eine Verletzung der Aufsichtspflicht vor. Als Konsequenz wurde eine Unterstützung für die Familie durch das Jugendamt eingerichtet.

Fazit für die Praxis

Um in dem vorgestellten Fall mit fraglicher Kindesmisshandlung durch thermische Gewalt einen möglichen Geschehensablauf rekonstruieren zu können, waren eine interdisziplinäre Arbeit, einschließlich einer Ortsbegehung, und Literaturrecherche vonnöten. Nur so konnten die Verletzungen mit einem akzidentellen Geschehen in Einklang gebracht werden. Wenngleich sich Diskrepanzen zu den Angaben der Eltern ergaben, konnte der Verdacht auf die Kindesmisshandlung ausgeräumt werden. Weiterhin verdeutlicht der vorliegende Fall die Bedeutung einer Fotodokumentation der Verletzungen zeitnah zum Vorfall durch die behandelnden Ärzte, insbesondere wenn eine klinisch-rechtsmedizinische Untersuchung erst zeitverzögert erfolgt.