Einleitung

Im Jahr 1898 schrieb der französische Chirurg und Pathologe Paul Georges Dieulafoy über 10 anfänglich gesunde Individuen, welche allesamt massive arterielle Magenblutungen erlitten. Ihnen gemeinsam war die Blutungsquelle im Bereich der Magenschleimhaut: eine sehr kleine und oberflächliche Ulzeration, in deren Mitte ein arrodiertes, arterielles Gefäß zu finden war [3]. Obwohl er nicht der Erstbeschreiber war – das waren vor ihm u. a. Gallard 1884 und Sachs 1892 [4, 14] –, waren seine sehr detaillierten makroskopischen und histologischen Beschreibungen doch Anlass genug, ihn fortan als Namensgeber dieses Befundkomplexes anzuerkennen [9]. Gerade im englischsprachigen Raum existieren allerdings alternative, eher deskriptive Bezeichnungen wie „caliber-persistent artery“, „gastric aneurysm“, „gastric arteriosclerosis“, „submucosal arteriole malformation“ und „cirsoid aneurysm“. Es ist erkenntlich, dass eine uneinheitliche Meinung des zugrunde liegenden Pathomechanismus zu bestehen scheint [15]. Aufgrund des histologisch einheitlichen Bildes ist eine sichere Zuordnung jedoch möglich. Anhand einer Falldarstellung aus dem Münsteraner Sektionsgut sollen die Relevanz dieses bislang seltenen Befundes diskutiert und die Diagnostik demonstriert werden.

Kasuistik

Vorgeschichte

Ein 51 Jahre alter Mann soll im Dezember 2017 einen Schlaganfall mit einer resultierenden linksseitigen Hemiparese erlitten haben. Nach einem unkomplizierten, einwöchigen, stationären Aufenthalt sei eine Rehabilitation initiiert worden. Gemäß den klinischen Angaben soll sich dort jedoch eine Sepsis entwickelt haben. Nach antibiotischer Therapie sei es zu einem deutlichen Abfall der labordiagnostisch bestimmten Entzündungsparameter mit Verbesserung des Allgemeinzustandes gekommen. Insbesondere die Prokalzitoninkonzentration lag sodann stets im physiologischen Bereich. Insgesamt 3 Wochen nach dem Schlaganfall habe er jedoch plötzlich das Bewusstsein verloren; er verstarb trotz umgehend eingeleiteter Wiederbelebungsmaßnahmen. Die Kliniker ließen die Todesursache zunächst offen, die Angehörigen sahen jedoch die Sepsis als todesursächlich und erhoben Vorwürfe gegen die Mitarbeiter der Rehaklinik.

Sektionsergebnis

Generell wurden bei dem männlichen Leichnam neben beginnenden Fäulnisveränderungen eine deutliche Fettleibigkeit, eine deutliche Muskelmassenvermehrung der linken Herzkammer, eine gering- bis mäßiggradig einengende Arteriosklerose der Herzkranzschlagadern sowie eine gering- bis mäßiggradig ausgeprägte allgemeine Arteriosklerose festgestellt. Neuropathologische Untersuchungen des Gehirns ergaben eine nicht mehr frische, nichtraumfordernde und nichttödliche Blutung im rechten Thalamusbereich, vereinbar mit den klinischen Angaben einer linksseitigen Hemiparese. Hinweise für eine Sepsis konnten makromorphologisch nicht festgestellt werden. So zeigten sich kein Haut- oder Sklerenikterus, keine Aspekte einer übermäßigen Erweichung des Milzgewebes, Herdpneumonien der Lungen oder Speckhautgerinnsel im Leichenblut.

Hauptbefundlich zeigten sich sehr spärlich ausgeprägte Totenfleckbildungen, blasse Schleimhäute sowie eine generelle Blutarmut der inneren Organe. Zusätzlich stellten sich subendokardiale Einblutungen in der linken Herzkammer dar. Im hochgradig erweiterten Magen wurden 1,3 l vorwiegend flüssiges Blut sowie weitere Blutmengen in Duodenum und Jejunum festgestellt. Als einzige Blutungsquelle fiel ein eröffnetes Gefäß inmitten eines maximal 9 mm großen Schleimhautdefektes nahe der großen Kurvatur im Bereich des Magenfundus auf (Abb. 1). Die restliche Schleimhaut des Magens wies, soweit bei beginnender Fäulnis beurteilbar, keine weiteren Veränderungen auf. Das betroffene Teilstück des Magens wurde für histologische Untersuchungen zunächst in toto fixiert. Als Todesursache wurde ein inneres Verbluten formuliert, die Blutungsquelle allerdings noch offen gelassen. Zu dessen Klärung wurden durch den Staatsanwalt weiterführende histologische Untersuchungen in Auftrag gegeben.

Abb. 1
figure 1

Maximal 9 mm großer Schleimhautdefekt nahe der großen Kurvatur im Magenfundus mit zentralem, in das Lumen eröffnetem Gefäß (Pinzettenspitze)

Histologische Untersuchungen

Die HE-Färbung zeigte ein großkalibriges, in das Magenlumen eröffnetes Gefäß in der Submukosa (Abb. 2). Die Muscularis mucosae stellte sich größtenteils regelrecht dar; es war lediglich ein minimaler Substanzverlust in unmittelbarer Umgebung des eröffneten Gefäßes feststellbar (Abb. 3). In der Submukosa fanden sich keine nachweisbaren Blutungsreste oder entzündliche Infiltrationen (Abb. 4). Die Darstellung der Elastica interna und externa verdeutlichte, dass die arterielle Gefäßwand keiner pathologischen Veränderung unterlag (Abb. 5).

Abb. 2
figure 2

Darstellung der gesamten Magenwand mit dem luminal eröffneten, großkalibrigen Gefäß in der Submukosa (HE-Färbung; Vergr. 25:1)

Abb. 3
figure 3

Der Substanzdefekt ist in diesem Anschnitt nahezu auf die Größe des Gefäßes beschränkt. Intaktes Epithel (eckige Klammer) und regelrechte Darstellung der Muscularis mucosae in unmittelbarer Umgebung des Defektes (Pfeil). (Azan-Färbung; Vergr. 25:1)

Abb. 4
figure 4

Detailaufnahme eines Teilstücks des Gefäßlumens mit Darstellung der umgebenden Submukosa ohne Nachweis von Blutabbauprodukten (Berliner-Blau-Färbung; Vergr. 100 :1)

Abb. 5
figure 5

Detailaufnahme des Gefäßes mit regelrechter Darstellung der Elastica interna und externa ohne Hinweis auf krankhafte Veränderungen (EvG‐Färbung; Vergr. 400:1)

Beurteilung

Autoptisch konnte ein inneres Verbluten als Todesursache identifiziert werden. Als Blutungsquelle wurde ein Dieulafoy-Ulkus (UD) im Magenfundus nahe der großen Kurvatur nachgewiesen. Hinweise für ein septisches Geschehen fanden sich weder makromorphologisch noch labordiagnostisch; aus den Krankenunterlagen war ersichtlich, dass die Prokalzitoninkonzentration im Blut bis zum Tod im physiologischen Bereich lag. Gutachterlich konnte festgestellt werden, dass selbst eine optimale ärztliche Therapie den Todeseintritt nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte verhindern können; die Vorwürfe der Angehörigen konnten nicht bestätigt werden.

Diskussion

Das UD stellt mit einer Letalitätsrate von 8,6 % [13] und einer Inzidenz von 0,5–14 % [1] eine eher selten diagnostizierte gastrointestinale Blutung dar. Aufgrund der schwierigen Diagnose wird jedoch vermutet, dass weitaus mehr gastrointestinale Blutungen auf einem UD basieren [10, 21]. Die meisten Patienten sind männlich und älter als 50 Jahre [17], der Befund wird jedoch in jeder Altersstufe, selbst bei Neugeborenen, gefunden [8]. Aktuelle Auswertungen zeigen kardiorespiratorische und renale Komorbiditäten bei einem Großteil der Patienten [7, 15, 19], es sollte aber bedacht werden, dass ein UD auch bei augenscheinlich vollkommener Gesundheit auftreten kann. Die Blutungen können einen hohen Volumenstrom aufweisen und wie in diesem Fall zu einem Verbluten führen. Ein UD kann jedoch auch einen geringen, wiederkehrenden Volumenstrom bedingen, welcher über längere Zeiträume hinweg als Hämatemesis, Hämatochezie oder Meläna auffallen kann [13].

Das UD findet sich am häufigsten im kranialen Abschnitt des Magens unter Aussparung der Kurvaturen [9, 12]. Eine mögliche Erklärung liegt in der Architektur der Gefäßversorgung. Am gesamten Magen speisen die Arterien des perigastrischen Kreises die Rr. primarii, welche in die Submukosa ziehen [9]. Anders als in den restlichen Magenabschnitten bilden die Rr. primarii im kranialen Abschnitt des Magens jedoch keinen Plexus, bevor sie durch die Muscularis propria in die Submukosa ziehen [11, 15, 20]. Zahlreiche Arbeiten haben darüber hinaus gezeigt, dass das UD nicht magenspezifisch ist, sondern im gesamten gastrointestinalen Trakt zu finden ist [8]. Läsionen, die dem klassischen Bild eines UD gleichen, konnten sogar extraintestinal (Bronchus) nachgewiesen [5, 16] werden.

Die Diagnose eines UD setzt im Falle einer Obduktion die histologische Aufarbeitung der möglichen Blutungsquelle voraus und orientiert sich an den vor über 100 Jahren festgehaltenen Kriterien. Dieulafoy definierte einen oberflächlichen Substanzdefekt der Magenschleimhaut, dessen Ränder weder prominent noch induriert erschienen und in dessen Mitte sich eine großkalibrige, eröffnete Arterie befand. Weder die restliche Magenschleimhaut noch die restliche Arterienwand wiesen pathologische Veränderungen auf [3].

Heute ist man sich einig, dass der oberflächliche Substanzdefekt die Muscularis propria nicht überschreitet [17] und fehlende entzündliche Begleitreaktionen darauf schließen lassen, dass die Ursache der Läsion nicht auf peptischer Ulzeration basiert [6]. Anders als bei einer peptischen Ulzeration kommt es nämlich nicht zu einer übermäßigen lymphozytären und granulozytären Entzündungszellinfiltration des umliegenden Gewebes. Ebenso lassen sich keine Hinweise auf chronifizierte Prozesse wie Bildung von Granulationsgewebe mit Einsprossung wandstarker Kapillaren, granulozytenreichem Schorf oder Narbengewebe darstellen. Letztlich ist der Pathomechanismus des Substanzdefektes noch nicht geklärt, es wird jedoch diskutiert, dass die Pulsation der ungewöhnlich großen Arterie eine Ischämie des über ihr liegenden Gewebes bedingt [2]. Die Defektgröße war in unserem Fall auf wenige Millimeter begrenzt. Ursprünglich beschrieb Dieulafoy Defekte von einem Durchmesser bis 31 mm, der Größe eines 5‑Franc-Stückes [3].

Die betroffene Arterie darf keine grundlegenden pathologischen Veränderungen aufweisen. Es wird davon ausgegangen, dass die in der Submukosa befindliche Arterie eine Normvariante darstellt, die mit einem Durchmesser von 1–3 mm [17] eine Obergrenze darstellt. Voth prägte diesbezüglich den Begriff der „Kaliberpersistenz“ [18], welcher die fehlende Aufzweigung und Reduktion des Durchmessers vor und in der Muscularis propria bezeichnet.

Im Rahmen einer Obduktion sollte bei einem relevanten Blutverlust also bedacht werden, dass sich die mögliche Blutungsquelle durch einen wenige Millimeter großen, oberflächlichen Substanzdefekt mit winzigem Gefäßstumpf demarkieren kann. Dieser kann sich potenziell im gesamten gastrointestinalen Trakt befinden, in Einzelfällen sogar im Bronchialsystem zu finden sein. Zur Einordnung der Blutung und zur Abgrenzung gegenüber chronischen Prozessen ist die histologische Beurteilung des betroffenen Gefäßes und des umliegenden Gewebes unerlässlich. Nur dann kann das Dieulafoy-Ulkus und damit eine natürliche Todesart sicher diagnostiziert werden.