Einleitung

„Weil wir so lange in Eintracht miteinander gelebt haben, o so lasset uns beide in einer Stunde dahinsterben; dann schau ich niemals das Grab des lieben Weibes, noch muß mich jene bestatten“ [48]. Laut einer griechischen Sage war dies die gemeinsame Antwort des greisen Paares Philemon und Baucis auf die Frage des Göttervaters Zeus, welchen Wunsch er ihnen erfüllen dürfe. Und als ihre Zeit gekommen war, „ward [er] zur Eiche, sie zur Linde, und noch im Tode stehen sie traulich zusammen, wie sie im Leben unzertrennlich waren“ [48].

Das Versterben zweier Eheleute aus jeweils krankhafter innerer Ursache in einem kurzen zeitlichen Abstand wird in Anlehnung an oben genannte Sage als Philemon-und-Baucis-Tod bzw. -Phänomen beschrieben [9, 32, 53]. Wenn von 2 Personen eine natürliche Todesart willentlich auf einen früheren Zeitpunkt durch einen gemeinsamen und im Einverständnis begangenen Suizid vorverlegt wird, spricht man von einem Doppelsuizid oder gemeinschaftlichen Suizid [56]. Er ist von den teils uneinheitlich definierten und angewandten Begriffen des „erweiterten Suizids“ bzw. Homizid-Suizids (engl. homicide-suicide) abzugrenzen, bei dem die Tötung zumindest einer anderen Person ohne dessen Einwilligung erfolgt [6, 49, 56].

Insbesondere wenn ein Beteiligter den Doppelsuizid überlebt, ist eine umfassende einzelfallbezogene juristische Würdigung erforderlich (ausführlich: Teil 1 [12]), wobei die kriminalistische Aufarbeitung und die rechtsmedizinische Sektionsbegutachtung zur rechtlichen Entscheidungsfindung maßgeblich beitragen können. Dieser Teil beleuchtet anhand der im Institut für Rechtsmedizin Frankfurt am Main in dem Zeitraum von 25 Jahren (1995–2019) ausgewerteten Sektionsdaten rechtsmedizinische und kriminalistische Aspekte von Doppelsuiziden.

Material und Methoden

Das Institut für Rechtsmedizin Frankfurt am Main versorgt den kompletten südhessischen Raum sowie den südlichen Anteil von Mittelhessen. In dieser retrospektiven Studie wurden die Datenbank Forensik und die digitale Sammlung aller Obduktionsprotokolle des Instituts für die Jahre 1995–2019 nach den Schlagwörtern „Suizid“ („Doppelsuizid“, „erweiterter Suizid“, „Homizid-Suizid“) und „Tötung“ durchsucht und, soweit erhältlich, die entsprechenden Obduktionsakten und polizeilichen Ermittlungsunterlagen analysiert. Einschlusskriterium war der deutliche Hinweis auf einen einvernehmlich vollendeten Doppelsuizid in dokumentierter Form (z. B. Testament, Abschiedsbrief) oder einer vorangegangenen Ankündigung, unabhängig von den konkreten Umständen der Tatausführung. Eingeschlossen wurden zudem alle Fälle, bei denen eine der beteiligten Personen überlebte. Ausgeschlossen wurden Fallkonstellationen des erweiterten Suizids, in denen definitionsgemäß gegen den Willen des oder der Opfer gehandelt wurde.

Wenn nachfolgend von Fällen gesprochen wird, beziehen sich die Angaben jeweils auf die beiden beteiligten Doppelsuizidenten.

Ergebnisse

In dem ausgewerteten 25-jährigen Zeitintervall wurden ca. 16.400 Obduktionen durchgeführt. In die Studie konnten 23 Doppelsuizidfälle eingeschlossen werden, wobei zwischen 16 „vollendeten Doppelsuizidfällen“ mit je 2 Verstorbenen und 7 „versuchten Doppelsuizidfällen“ mit je einem Verstorbenen und einem Überlebenden zu differenzieren war. Dies entspricht einem Anteil von 0,24 % an allen Sektionsfällen. Ausgeschlossen wurden 49 Fälle eines vollendeten und 15 Fälle eines versuchten Homizid-Suizids [49]. In 3 Fällen war eine Differenzierung zwischen einem Doppelsuizid und einem Homizid-Suizid aufgrund der Vorgeschichte und der Auffindeumstände nicht sicher möglich, sodass diese ebenfalls nicht berücksichtigt wurden.

Geschlecht, Alter, Beziehung

In die 16 vollendeten und 7 versuchten Doppelsuizidfälle waren jeweils 2 Personen, somit insgesamt 46 Personen involviert. Geschlecht und Alter der Verstorbenen sind in Tab. 1 angeführt. Das Alter der jeweiligen Suizidentenpaare unterschied sich in 19 Fällen um weniger als 5, in den verbliebenen 4 Fällen um weniger als 10 Jahre.

Tab. 1 Geschlecht und Alter der verstorbenen Doppelsuizidenten (n = 39)

Bei 19 Doppelsuiziden (82,6 %) lag eine Mann-Frau- (18 Ehepaare, 1 Liebespaar), bei 3 (13,1 %) eine Mann-Mann- und bei einem (4,3 %) eine Frau-Frau-Konstellation (eingetragene Lebenspartnerschaft) vor. Zur Dauer der Partnerschaften entließ sich den Akten nur entnehmen, dass 2 Ehen über mehr als 60 Jahre, 2 weitere über mehr als 50 Jahre bestanden.

Bei 3 Doppelsuiziden hatten sich die Beteiligten in einer psychiatrischen Einrichtung kennengelernt, die Beteiligten eines weiteren Doppelsuizids in einem Suizidinternetforum.

Suizidankündigung

In 17 Fällen (73,9 %) wurde ein von beiden Suizidenten unterschriebener, gemeinsamer Abschiedsbrief hinterlassen, wobei in 3 Fällen zusätzlich ein Testament hinterlegt war. In 5 Fällen (21,7 %) wurde der Suizidentschluss durch beide Suizidenten telefonisch bzw. über Textnachrichten gegenüber der Familie mitgeteilt. Ein Doppelsuizid von 2 Männern wurde zuvor gegenüber Mitpatienten in einer psychiatrischen Einrichtung angekündigt.

Suizidmotiv

Durch den Inhalt der aufgefundenen Abschiedsbriefe und die polizeilichen Ermittlungen konnten die in Abb. 1 aufgeführten Motive für die gemeinsame Suizidabsicht eruiert werden. Bezüglich der Krankheiten ist anzumerken, dass zumeist ein Malignom in fortgeschrittenem Stadium vorlag.

Abb. 1
figure 1

Übersicht der Motive für den Doppelsuizid

Suizidmethode

In 20 Fällen wählten die Suizidenten jeweils die gleiche (87,0 %), in 3 Fällen jeweils unterschiedliche (13,0 %) Suizidmethoden.

In 10 Fällen (43,5 %) wurde eine substanzbedingte Intoxikation als weiche Suizidmethode gewählt, wobei diese lediglich in 4 Fällen für beide Beteiligte tödlich verlief; in 6 Fällen überlebte jeweils eine der Personen. In 4 Fällen fand ein Schlafmittel (2-mal Zolpidem, 2‑mal Barbiturat), in 2 Fällen ein Benzodiazepin und in einem Fall eine Kombination aus beiden Anwendung. In einem weiteren Fall spritzten sich die Suizidenten Insulin; in einem anderen Fall nahmen sie Kaliumcyanid ein. Ein Suizidentenpaar, das sich bei einem stationären Entzug kennengelernt hatte, starb an einer Betäubungsmittelmischintoxikation.

In 7 Fällen (30,4 %) erfolgte ein Einsatz von Schusswaffen. Drei Frauen starben durch 2 Kopfschüsse, 3 Frauen und 6 Männer durch einen Kopfschuss. Der Mann schoss jeweils zuerst auf bzw. erschoss seine Ehefrau und anschließend sich selbst. Eine Ausnahme bildete ein Fall, bei dem der Mann nach der Schussabgabe auf seine Ehefrau, ohne eine Eigenschussabgabe zu vollführen, das gemeinsame Schlafzimmer in Brand setzte und an einer Kohlenmonoxidintoxikation verstarb. In einem Doppelsuizidfall wurde ebenfalls die Hauskatze erschossen.

Ein Ehepaar tötete sich durch Verbluten nach außen infolge scharfer Gewalteinwirkungen gegen die Unterarmbeugeseiten. Dies war ebenfalls die Todesursache bei einem Mann, der zuvor seine Ehefrau mit einem Bademantelgürtel erdrosselt hatte. Eine weitere Frau wurde durch ihren Ehemann erdrosselt, bevor dieser sich erhängte. In einem Fall wurde von den beiden männlichen Suizidenten ein Überrollen durch einen Zug gewählt.

In 2 Fällen wurden verschiedene Suizidmethoden kombiniert: In einem Fall leitete das Ehepaar über einen Schlauch Abgase in ein Auto; zusätzlich wurde ein Brand gelegt. In dem anderen Fall wählten die beiden Suizidenten eine „ungewöhnlich exzessive Ausgestaltung des Freitodes“ [33]. Sie fuhren mit hoher Geschwindigkeit in einem Auto gegen einen Baum, hatten am Rücksitz befestigte Seile um die Hälse geschlungen und die Teppichbeläge mit Benzin durchtränkt. Zudem wiesen beide Suizidenten hochtoxische Werte für Doxepin sowie toxische Konzentrationen von Codein, Dihydrocodein und Paracetamol auf [33].

Die gewählten Suizidmethoden sind in Abb. 2 aufgeführt.

Abb. 2
figure 2

Anzahl der gewählten Suizidmethoden – vollendeter Suizid blau, fehlgeschlagener Suizid grau

Toxikologische Untersuchungen

Zusätzlich zu den 10 Fällen, bei denen eine Intoxikation als Suizidmethode gewählt wurde, ordneten die Ermittlungsbehörden in 5 Fällen die Untersuchungen auf Alkohol, Medikamente und Drogen sowie bei 3 Suizidenten auf Kohlenmonoxid an. Die Blutalkoholkonzentration der Suizidenten lag im Median bei 0,17 ‰ (Mittelwert = 0,34 ‰, Min. = 0,00 ‰; Max. = 1,66 ‰). Abgesehen von den todesursächlichen Intoxikationen konnte in 2 Fällen die Aufnahme körperfremder Substanzen nachgewiesen werden (einmal Benzodiazepine, einmal Mischintoxikation Morphin, Codein, THC, Doxepin).

Ort des Doppelsuizids

In 18 Doppelsuizidfällen (78,3 %) wählten die Suizidenten ihr eigenes zu Hause als Sterbeort: Zehn Doppelsuizide (43,5 %) wurden im gemeinsamen Bett vollzogen, 5 (21,7 %) gemeinsam im Wohnzimmer bzw. in der Küche bzw. in der Garage. In 3 Fällen (13,0 %) wurden die Leichen an verschiedenen Orten innerhalb des Hauses bzw. der Wohnung aufgefunden.

Die restlichen 5 Fälle (21,7 %) ereigneten sich in einem Hotelzimmer bzw. in der Öffentlichkeit – auf einer Bundesstraße, in einem Gleisbett, auf einer Waldlichtung und vor einer Kapelle.

Einseitig überlebter Doppelsuizid

In 7 Fällen überlebte jeweils ein Beteiligter den Doppelsuizid, es handelte sich um 3 Männer und 4 Frauen. Wie in Abb. 2 aufgeführt, wurde in 6 dieser Fälle eine Intoxikation als Suizidmethode gewählt. Überlebt wurden 2 Suizidversuche mit Zolpidem sowie jeweils einer mit einem Benzodiazepin, einem Barbiturat und einer Kombination aus Benzodiazepin und Zolpidem sowie eine Insulinüberdosierung. Eine Frau überlebte einen Kopfschuss, der schussausführende Mann hingegen nicht.

Diskussion

In der Bundesrepublik Deutschland werden aktuell jährlich ca. 10.000 Suizidtodesfälle erfasst [50]. Somit versterben deutlich mehr Menschen infolge eines Suizides als beispielsweise infolge von Verkehrsunfällen und Betäubungsmittelintoxikationen zusammen [50,51,52]. Bemerkenswert hierbei ist, dass der Anteil von Suiziden an allen Todesursachen mit zunehmendem Lebensalter sinkt, während die Suizidrate deutlich ansteigt (2017 jeweils pro 100.000 Einwohner, z. B.: 20 bis 24 Jahre n = 6,6; 40 bis 44 Jahre n = 9,3; 60 bis 64 Jahre n = 14,0; 80 bis 84 Jahre n = 28,5 und für 90 Jahre und älter n = 30,5 [51]) und über 70-Jährige weltweit die höchste Suizidrate aufweisen [44]. In der Literatur wird der Anstieg der Suizidrate mit zunehmendem Lebensalter als „Ungarisches Muster“ bezeichnet [46, 47, 55].

Geschlecht, Alter, Beziehung

In der vorliegenden Studie stellten die Doppelsuizidenten einen Anteil von 0,24 % an allen rechtsmedizinischen Sektionsfällen dar. Bezogen auf alle obduzierten Suizidfälle entspricht dies ca. 1,8 %, was vergleichbar ist mit den in der Literatur angegebenen Häufigkeiten von 0,0007–4,0 % an allen Suiziden [3, 5, 10, 11, 17, 18, 23, 26, 27, 34, 36, 42, 43], wobei Japan die höchsten Doppelsuizidraten aufweist [14, 17, 34]. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass häufig vermeintliche „eindeutige“ Einzelsuizide keiner gerichtlichen Leichenöffnung durch die Ermittlungsbehörden zugeführt werden, während Doppelsuizide eher obduziert werden, sodass ein entsprechendes Dunkelfeld im Vergleich zu Einzelsuiziden geringer sein dürfte. Für Deutschland wird eine jährliche Fallzahl an Doppelsuiziden von 50–100 vermutet [11].

Im Gegensatz zum Einzelsuizid, mit einem seit mehreren Jahren annähernd konstanten Geschlechterverhältnis von 3 (♂):1 (♀) [7, 51, 55], zeigten zahlreiche englisch- und deutschsprachige Studien mit einer Fallzahl von mehr als 5 vollendeten Doppelsuiziden eine deutliche Verschiebung zum weiblichen Geschlecht – die erhobenen Relationen rangierten zwischen 1 (♂):1 (♀) (6 Fälle [43]) über 1,3 (♂):1 (♀) (278 Fälle [28]) bis 1,6 (♂):1 (♀) (7 Fälle [30]). Die in der vorliegenden Studie erhobene Geschlechterverteilung von 1,2 (♂):1 (♀) stützt diese Beobachtungen. Hintergrund dieser Verschiebung sind zumeist aus einer männlichen und einer weiblichen Person bestehende Doppelsuizidpaare [27, 30, 34, 43]. Nur gelegentlich finden sich in der westlichen Literatur beschriebene Fälle von gleichgeschlechtlichen (befreundeten) Doppelsuizidpaaren [2, 33] oder, wie auch in einem Fall dieser Studie, homosexuellen Paaren [21, 28, 30]. Entgegen anderer Publikationen waren im vorliegenden Untersuchungsgut keine Doppelsuizide von Geschwistern [26, 30, 40] bzw. Zwillingen [16] vertreten.

Während auf Suizid spezialisierte Foren im Internet bereits seit Längerem genutzt werden, um einen „Suizidpartner“ zu finden, rücken in jüngerer Zeit vermehrt Social-Media-Plattformen (z. B. Facebook, Instagram, Twitter) in den Vordergrund. Lee und Kwon publizierten, dass innerhalb von 43 Tagen 551 verschiedene Twitter-Nutzer 1702 Kurznachrichten im Hinblick auf einen gemeinsamen Suizid posteten [35]. In der vorliegenden Studie lernte sich ein Doppelsuizidpaar auf einem Suizidforum kennen. Das teilweise beschriebene, dem Doppelsuizid ähnliche Phänomen des Mehrfachsuizids durch mehr als 2 Personen konnte im Untersuchungskollektiv nicht aufgezeigt werden [31].

Mit einem Mittelwert von 57,8 Jahren (Männer) bzw. 63,4 Jahren (Frauen) war das Sterbealter der Doppelsuizidenten älter als der von Le Bihan in seinem Übersichtsartikel angegebene Mittelwert von 51 bis 56 Jahren [34] sowie jünger als der bei Prat et al. ermittelte von 78,3 Jahren [43]. Das erhobene minimale Sterbealter von 18 Jahren stimmt mit anderen Studien überein, insofern als diese in ihren Untersuchungskollektiven ebenfalls keine minderjährigen Doppelsuizidenten vorfanden [30, 43]. Prat et al. führten 18 Publikationen mit insgesamt 32 Fällen von Doppelsuiziden auf – unter den Beteiligten fanden sich 5 Minderjährige, wobei das minimale Alter 15 Jahre betrug [43]. Granboulan et al. publizierten 13 Fälle von Doppelsuizidversuchen unter Jugendlichen; das Alter der Beteiligten rangierte zwischen 11 und 15 Jahren (Median 13,7 Jahre); das Geschlechterverhältnis war 1 (♂):2,25 (♀) [17].

Suizidankündigung

Aufgrund der Einschlusskriterien dieser Studie lag bei allen untersuchten Fällen eine Dokumentation bzw. vorangegangene Ankündigung über den einvernehmlichen Doppelsuizid vor. Bei den von Brown und Barraclough untersuchten 62 Fällen von Doppelsuiziden in England und Wales lagen in etwas mehr als der Hälfte (53 %) eine von beiden Beteiligten sowie in knapp einem Drittel (30 %) eine von einem der beiden Suizidenten unterschriebene Ankündigung vor [5]. Bei den von Prat et al. untersuchten 6 Doppelsuizidfällen wurde in 5 Fällen (83 %) eine Ankündigung aufgefunden, wobei nicht beschrieben ist, ob diese jeweils von einem oder beiden Beteiligten unterzeichnet war [43].

Motiv des Doppelsuizids

Die für Suizidhandlungen i. Allg. anerkannten Risikogruppen – Menschen mit depressiven und schizophrenen Erkrankungen, Alkohol‑, Medikamenten- und Drogenabhängigkeit, alte und vereinsamte Personen sowie Personen, die bereits durch Suizidankündigungen oder vorangegangene Suizidversuche aufgefallen sind, [21, 24, 47, 55] – besitzen für Doppelsuizide ebenfalls Gültigkeit, wobei spezifische Charakteristika vorliegen können (Tab. 2).

Tab. 2 Relevante Kriterien beim Doppelsuizid

Grellner und Krull beschrieben 2 verschiedene Aspekte des Doppelsuizids, nämlich den Doppelsuizid des älteren Ehepaares und den Liebespaarsuizid, der wohl in Anlehnung an „Romeo und Julia“ zu verstehen ist [19]. Während Ersterer in über 80 % der vorliegenden Studie vorlag, konnte kein Fall ausfindig gemacht werden, der eindeutig eines der von Grellner und Krull angeführten Kriterien eines „konventionellen Liebespaarsuizids“ (Missbilligung der Umgebung, Unmöglichkeit des Zusammenkommens, Wunsch der Vereinigung im Tod) aufwies [19]. Liebespaarsuizide („love suicide“: „shinjū“; eine Jahrhunderte alte Tradition, Heine [25]) wurden v. a. aus Japan berichtet (bis zu 74,5 % [14]). Kulturelle und soziale Unterschiede werden daher in der Literatur aufgezeigt und für westliche Kulturen v. a. auf das Phänomen des Doppelsuizids bei älteren, erkrankten Paaren, teils mit Depressionen hingewiesen [7, 22].

Als weiterer Aspekt des Doppelsuizids konnten in unserer Studie 3 Fälle aufgezeigt werden, bei denen sich die jeweiligen Suizidenten zuvor in einer psychiatrischen Einrichtung kennengelernt hatten. Bei einem weiteren Doppelsuizidfall lernten sich die Beteiligten im Internet kennen; einer der Beteiligten war wenige Tage vor dem Suizid aus einer psychiatrischen Klinik entlassen worden. Diese Konstellationen verdienen im Hinblick auf eine mögliche Prävention gesonderte Erwähnung, da sich die ersten Monate nach der Entlassung als durchaus vulnerable Phase für eine Suizidbegehung herausstellen können [47]. Nach Hunt et al. [28] begingen etwa 30 % der Patienten innerhalb der ersten 3 Monate nach der Entlassung aus der Psychiatrie einen Suizid. Sie bevorzugten härtere Suizidmethoden, was sich mit den vorliegenden Ergebnissen deckt. Im Gegensatz zu den restlichen Fällen von Doppelsuiziden waren bei diesen 4 Fällen ausschließlich Suizidenten in einem Alter zwischen 18 und 24 Jahren betroffen (Mittelwert 20,7 Jahre; Median 21 Jahre). Dieser Umstand und die Tatsache, dass in unserer Studie alle beteiligten Personen zuvor in der psychiatrischen Einrichtung Suizidäußerungen getätigt hatten bzw. laut Hunt et al. 36 % der Beteiligten ihre letzte psychiatrische Konsultation vor dem Doppelsuizid nicht mehr wahrgenommen hatten, ergibt ein weiteres Kollektiv von möglichen Doppelsuizidenten. Hierzu finden sich in der Literatur neben Hunt et al. [28] bereits 2 Fallberichte [33, 38].

Vorherrschendes Motiv in unserem Untersuchungskollektiv war, in Übereinstimmung mit der westlichen Literatur, eine schwere körperliche Erkrankung (meist Malignom) eines oder beider Suizidenten ([13, 41, 43]; prominente Beispiele bei Csef [11]). Ferner gilt Einsamkeit als zentraler Faktor für Doppelsuizide [55, 57]. In der Literatur finden sich Beschreibungen wie „Isolation zu zweit“ [11], „encapsulated unit“ [26], „too lonely to die alone“ [39] oder „Zwei-Einigkeit“, die durch „Starrheit und Inflexibilität“ mit der Unfähigkeit zu weitergehenden Sozialkontakten [22] gekennzeichnet ist.

Hinsichtlich des Vorliegens einer depressiven Erkrankung als Prädisposition für das Begehen eines Doppelsuizids widerspricht sich die Literatur: Während beispielsweise Autoren wie Fishbrain [15] und Hemphill [26] angeben, dass Depressionen bei Doppelsuizidenten „nicht häufig“ bzw. im Gegensatz zu Einzelsuiziden weniger häufig vorliegen, vertreten andere Autoren die Meinung, dass meist zumindest einer der beiden Beteiligten an einer Depression erkrankt war bzw. ist und z. T. bereits vor dem Doppelsuizid Suizidversuche unternommen hat [6, 34, 45]. Demgegenüber werden vornehmlich aus ostasiatischen Ländern vermehrt bzw. teils auch vorrangig die Unmöglichkeit des Auslebens einer Liebe als Motiv für einen Doppelsuizid genannt [1, 14, 19, 37].

Ort des Doppelsuizids

Die Auffindesituation von etwa 80 % der Fälle im eigenen Haus sowie die unmittelbare Nähe der Verstorbenen zueinander decken sich weitgehend mit den Angaben in der Literatur von beispielsweise 83 % bei Prat et al. [43] bzw. bei Pollak als „Tatbegehung an derselben Örtlichkeit (meist Wohnbereich)“ [41] oder generell bei älteren Suizidenten [8]. Die Ausführung des Doppelsuizids im gemeinsamen Ehebett unterstreicht zudem die enge Verbundenheit der Partner.

Suizidmethode

Im Allgemeinen werden Einzelsuizidversuche im Alter mit einer höheren Letalintensität durchgeführt, wobei der Literatur zufolge in den Altersgruppen ab 60 Jahren die Anwendung sog. harter Suizidmethoden überwiegt [47, 57]. Bei beiden Geschlechtern wurde sowohl von Schmidtke et al. als auch von Wulff et al. bei Einzelsuiziden das Erhängen als häufigste Methode beobachtet [47, 57]; bei Männern findet sich als zweithäufigste Methode der Schusswaffengebrauch, bei Frauen die Intoxikationen [47].

Die in dieser Studie untersuchten Suizide verliefen in 84,9 % tödlich, was sowohl die in der Literatur beschriebene hohe Letalintensität [47, 57] als auch die von Hunt et al. beschriebene Rate an fehlgeschlagenen Doppelsuizidversuchen von 16 % stützt [28]. Differenziert nach Doppelsuizidpaaren verstarben ausschließlich in 73,9 % jeweils beide Beteiligten. Diese Zahl verdeutlicht die juristische Relevanz verschiedener Konstellationen nach fehlgeschlagenem Suizid eines Beteiligten [12].

Hinsichtlich der angewandten Suizidmethoden waren gegenüber Einzelsuiziden in der vorliegenden Studie deutliche Unterschiede erkennbar. Wie bereits von Le Bihan und Bénézech beschrieben [34], fand sich auch im Frankfurter Kollektiv geschlechtsunabhängig als häufigste die „weiche“ Methode der Intoxikation, die von ca. einem Drittel der Suizidenten überlebt wurde. Als zweithäufigste Methode wurde der Schuss gewählt. Hierbei war sowohl auffällig, dass ausschließlich Kopfschüsse erfolgten, und dass in allen Fällen der Mann zuerst auf seine Ehefrau schoss bzw. sie erschoss und anschließend sich suizidierte. Diese Konstellation wurde bereits von Faller-Marquardt und Pollak beschrieben [13]. Binder et al. publizierten einen Doppelsuizidfall, bei dem sich die Beteiligten eng umschlungen mit einer Schussabgabe suizidierten [4]. Die von Fishbrain et al. bei den von ihnen untersuchten 20 Doppelsuizidfällen getätigte Beobachtung, dass vornehmlich „nonviolente“ Suizidmethoden gewählt wurden ([14], siehe auch [7]), konnte anhand dieser Studie somit nicht bestätigt werden. Die Verwendung harter Suizidmethoden zur Durchführung des Doppelsuizids wird ebenfalls in einer Studie aus Serbien vermerkt, wo Handgranaten bei 6 Doppelsuizidfällen zum Einsatz kamen und in 5 Fällen diese von der Frau gezündet wurden [40].

Der von uns festgestellte Prozentsatz (87 %) lag unter dem von Prat et al. publizierten Prozentsatz (100 %), wobei Prat et al. ausschließlich 6 Doppelsuzidfälle ausgewertet hatten [43]. In 2 Fällen dieser Studie (8,7 %) wurde eine kombinierte Suizidmethode gewählt. Ein solcher Doppelsuizid, den wir als suizidalen Overkill bezeichnen, wird äußerst selten in der Literatur beschrieben [29, 33].

Zusammenfassend konnten in Anlehnung an Pollak [41], Prat et al. [43] und Große Perdekamp et al. [20] unter Einbeziehung der Sektionsfälle des Instituts für Rechtsmedizin Frankfurt am Main von 1995–2019, wenngleich auf geringer Fallzahl, die in Tab. 2 aufgeführten Merkmale als typisch für den Doppelsuizid verifiziert und teils erweitert werden. In Ermangelung näherer Informationen, z. B. aus den Ermittlungsakten, konnte der durch Prat et al. sowie Brown und Barraclough beschriebene hohe sozioökonomische Status der beteiligten Personen ebenso wenig wie der von Brown und Barraclough beschriebene Umstand der Kinderlosigkeit der Doppelsuizidenten (77 %) untersucht werden [5, 43].

Fazit für die Praxis

Das Phänomen des Doppelsuizids ist lange bekannt, und die Todesumstände von Persönlichkeiten wie Heinrich von Kleist und Henriette Vogel (mit unterschiedlicher Bewertung in der Literatur) werden in diesem Zusammenhang genannt. Wenngleich es sich um ein seltenes Ereignis handelt, ist die Notwendigkeit der Abgrenzung zu einem erweiterten Suizid unabdingbar. Hierfür können Merkmale wie beispielsweise ein hohes Lebensalter, schwere Erkrankung einer oder beider Beteiligten und das Fehlen von Abwehrspuren, aber insbesondere Dokumente zur Feststellung der Motivlage Hinweise geben. In dieser Studie wurde als weiteres Kollektiv von Doppelsuizidenten jüngere Erwachsene mit kurzer, auf einem gemeinsamen Aufenthalt in einer psychiatrischen Einrichtung gründender Beziehung festgestellt. Dieser Aspekt ist aus ärztlicher Sicht nicht zu vernachlässigen, da sich hieraus präventive Ansätze für psychiatrisch tätige Mediziner ergeben können. Neben einer umfassenden rechtsmedizinischen Begutachtung, einschließlich toxikologischen Untersuchungen, sollte sich die Unterscheidung zwischen Doppelsuizid und Homizid-Suizid auf eine ganzheitliche Berücksichtigung der Vorgeschichte und der kriminologischen Umstände gründen. Insbesondere bei einem einseitig fehlgeschlagenen Doppelsuizid können eine penible Tatrekonstruktion sowie die Klärung der Motivlage vor der Tatbegehung als auch das Nachtatverhalten von enormer Relevanz für eine spätere juristische Aufarbeitung des Geschehens sein. Nach Doppelsuiziden ist zudem ein Augenmerk auf die trauernden Angehörigen zu richten, und diesen sind entsprechende Hilfsangebote nahezulegen.

„Ein altes, kluges Paar hat sich umgebracht und nicht demütig gewartet,

bis der Tod einen nach dem anderen holt und sie also scheidet.“

(Aus dem Nachruf für den Philosophen André Gorz und seine Ehefrau Dorine [54])