In einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) aus dem Jahr 2019Footnote 1 spiegelt sich das Dilemma eines selbstbestimmten gemeinsamen Sterbens in Form des Doppelsuizids wider. Ein langjährig verheiratetes und nicht schwer erkranktes Ehepaar hatte die Erlaubnis zum Erwerb von jeweils 15 g Natriumpentobarbital begehrt, um in einem Zeitpunkt der Handlungsfähigkeit und einer gemeinsamen Entscheidung Doppelsuizid begehen zu können. In seiner Begründung betonte das BVerwG die Unvereinbarkeit der Erteilung einer Erwerbserlaubnis aus § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG unter Hinweis auf den Schutz des menschlichen Lebens und der Gesundheit und stellte einen etwaigen Ausnahmecharakter bei extremen Notlagen, wie bei schweren und unheilbaren Erkrankungen, fest.Footnote 2 Hingegen betont das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) unlängst in 2020 zu § 217 StGB, dass die freiverantwortliche Entscheidung zur Selbsttötung vom Staat zu akzeptieren ist, und dass auch eine schwere oder unheilbare Krankheit keine Voraussetzung sein muss, um vom Recht des selbstbestimmten Sterbens Gebrauch zu machen.Footnote 3 Mit Auswirkungen dieses Urteils auf die rechtliche Praxis ist zu rechnen.

Die höchstrichterlichen Entscheidungen bieten Anlass, sich aus rechtlicher und (rechts-)medizinischer Sicht mit dem Phänomen des Doppelsuizids, insbesondere in mehrjährigen Partnerschaften, zu befassen und die Umstände sowie Konstellationen des Doppelsuizids aus unterschiedlichen Blickwinkeln näher zu beleuchten.

Suizidale Handlungen, bei der mehr als eine Person ihr Leben verlieren, sind seltene Ereignisse, die jedoch eine hohe Resonanz in der Öffentlichkeit nach sich ziehen.Footnote 4 Die rechtliche Würdigung hängt vom jeweiligen Einzelfall ab und spielt in der Praxis bei gescheiterten Homizid-Suiziden (auch erweiterter Suizid, Mitnahmesuizid) und bei fehlgeschlagenen Doppelsuiziden eine Rolle. Eine strafrechtliche Aufarbeitung kommt in Betracht, wenn der Täter den eigenen Suizid beim Doppelsuizid oder beim Homizid-SuizidFootnote 5 überlebt hat.

Doppelsuizid vs. Homizid-Suizid – eine Abgrenzung

Die Bestimmung der Begrifflichkeiten von Suiziden, bei denen mehrere Personen betroffen sind, bereitet immer wieder Schwierigkeiten. Die fehlende Trennschärfe und Unklarheiten bei der Verwendung der Begrifflichkeiten werden daher zu Recht gerügt.Footnote 6 Bei einem Doppelsuizid (Synonyme: gemeinschaftliche Selbsttötung, „suicide pact“) versterben zwei Menschen infolge einer gemeinsamen Entscheidung, wobei sie ihren Tod möglichst gleichzeitig und häufig durch ein gemeinsames Handeln herbeiführen.Footnote 7 Je nach AutorFootnote 8 wird auch jene Konstellation als Doppelsuizid gewertet, bei der der Aktivere zuerst den anderen tötet und danach sich selbst – soweit eine Übereinstimmung über den gemeinsamen Tod vorliegt.Footnote 9 Der Doppelsuizid stellt eine seltene Form des Suizids dar und wird zumeist von Menschen in enger persönlicher Verbundenheit, wie z. B. von älteren verheirateten Paaren, begangen.Footnote 10 Während der Doppelsuizid in der medizinischen Literatur öfter Erwähnung findet, wird diese Konstellation im juristischen Schrifttum insbesondere im Kontext der Unterlassungsdelikte kaum angeführt. Mitunter wird die Abgrenzung des Doppelsuizids zum erweiterten Suizid uneinheitlich und missverständlich vorgenommen.Footnote 11 Im Gegensatz zum Doppelsuizid ist der Homizid-Suizid („homicide-suicide“) dadurch gekennzeichnet, dass in die Suizidplanung bzw. die Suizidhandlung (der handelnden Person) mindestens eine weitere Person, meist der Intimpartner und/oder das eigene Kind oder die eigenen Kinder, ohne deren Einwilligung oder sogar gegen deren Willen mit einbezogen werden.Footnote 12 Der Begriff des erweiterten Suizids wird in der Literatur nicht einheitlich verwendet. Teils wird er synonym zu Homizid-Suizid verwendetFootnote 13, teils findet eine Differenzierung zwischen beiden Begriffen im Hinblick auf die getötete Person statt (Intimpartner oder Kinder beim erweiterten Suizid vs. Opfer ohne Bezug zum Suizidenten beim Homizid-Suizid)Footnote 14. Andere Autoren unterscheiden im Hinblick auf das Motiv des Suizidenten (vorrangig der eigene Tod beim erweiterten Suizid vs. Reue, Schuldgefühle oder Furcht vor Strafe beim Homizid-Suizid).Footnote 15 Ferner besteht keine Einigung hinsichtlich der Zugehörigkeit von Amokläufen, suizidalen Flugzeugabstürzen und Selbstmordattentaten, sodass sie bei einigen Autoren als „Unterform“, bei anderen als „Differenzialdiagnose“ zum erweiterten Suizid angeführt werden.Footnote 16 Der Homizid-Suizid wird einerseits als die Tötung anderer aus feindlicher und fremdaggressiver Willensrichtung mit dem eigenen Suizid (z. B. Germanwings-Pilot) in Abgrenzung zum erweiterten Suizid aus altruistischen MotivenFootnote 17 und andererseits als Oberbegriff zur Verdeutlichung einer Fremdtötungshandlung in Kombination mit einem SuizidFootnote 18 verstanden.

Der zweiteilige Beitrag befasst sich mit dem Phänomen des Doppelsuizids im Rahmen der Frankfurter rechtsmedizinischen Suizidforschung. Der erste Teil widmet sich neben der Begriffsdefinition i. Allg. mit historischen Fallkonstellationen und der juristischen Bewertung anhand von fiktiven und realen Fällen dem Doppelsuizid in der Ehe. Bei der Fülle von rechtlichen Fragestellungen in diesem Kontext können diese jedoch nur überblicksartig angerissen und nicht umfassend dargestellt werden. Der zweite Teil beschreibt Doppelsuizide aus dem Sektionsgut des Instituts der Rechtsmedizin in Frankfurt am Main und zeigt u. a. relevante Kriterien bei der Beurteilung dieser Fälle auf.Footnote 19

Historische und zeitgeschichtliche Fälle

Der Dichter Heinrich von Kleist (*Frankfurt an der Oder, 18.10.1777) und seine Gefährtin, die etwa gleichaltrige, mit einem anderen Mann verheiratete Henriette Vogel, schieden am 21.11.1811 gemeinsam aus dem Leben. Zunächst habe von Kleist Henriette Vogel durch einen Brustdurchschuss und dann sich selbst durch einen Mundschuss getötet.Footnote 20 Als Suizidmotiv wird der gemeinsame, romantisch verklärte Todeswunsch der beiden angeführt („Sie gingen nicht in den Tod, weil sie sich liebten, sondern sie liebten sich, weil sie zusammen sterben wollten“)Footnote 21, wobei von Kleist seine suizidalen Neigungen mehrfach vorher angekündigt hatte.Footnote 22 Der Tod der beiden wird jeweils unter Hinweis auf die historischen Gegebenheiten als Form des erweiterten SuizidsFootnote 23, als DoppelsuizidFootnote 24 oder als Tötung auf Verlangen mit anschließendem SuizidFootnote 25 gewertet.

Der Tod des Rudolf von Habsburg (*Schloss Laxenburg, 21.08.1858), Erzherzog, Kronprinz und Sohn von Kaiser Franz Joseph I. und Kaiserin Elisabeth („Sissi“), und der 17-jährigen Baronesse Mary von Vetsera wird, obwohl zahlreiche Aspekte des Ablaufs ungeklärt sind, teilweise als Doppelsuizid mittels Gebrauch einer Schusswaffe am 30.01.1889 auf dem Schloss Mayerling gewertet.Footnote 26

Am 28.02.1929 beging der renommierte Pädiater und Tuberkuloseforscher Clemens Peter Freiherr von Pirquet (*Hirschstetten, 12.05.1874) im Alter von 54 Jahren gemeinsam mit seiner 50-jährigen Ehefrau mittels Zyanid Suizid. Als mögliche Gründe werden finanzielle Schwierigkeiten, partnerschaftliche Probleme mit seiner psychisch erkrankten Frau sowie Indizien für eine mögliche bipolare Störung bei Pirquet genannt.Footnote 27

Der Schriftsteller Stefan Zweig (*Wien, 28.11.1881) und seine halb so alte Ehefrau Lotte Zweig nahmen sich im Februar 1942 in Brasilien mit Gift das Leben, wobei Lotte Zweig das Gift erst Stunden nach dem Tod ihres Ehemanns eingenommen habe. Man fand beide Leichname eng umschlungen im gemeinsamen Ehebett. In einem kurzen Abschiedsbrief beschrieb Zweig seine Motive.Footnote 28

Ebenfalls gemeinsam habe sich das Ehepaar von Brauchitsch mit über 80 Jahren im Jahr 2010 aufgrund schwerer Erkrankungen bei beiden nach fast 60 Ehejahren das Leben genommen. Angaben in der Presse deuten auf die Mithilfe einer Suizidhilfeorganisation hin.Footnote 29 Eberhard von Brauchitsch war ehemaliger Manager beim Flick-Konzern und soll eine Schlüsselrolle bei der bekannten Parteispendenaffäre gespielt haben.Footnote 30

Im Jahr 2015 habe sich das Schauspielerehepaar Horst Keitel (88) und Herta Kravina (92) nach 50-jähriger Ehe gemeinsam das Leben genommen. Nach den Angaben in der Presse habe Horst Keitel bereits zuvor Suizidgedanken geäußert und seine Ehefrau an Parkinson gelitten. Der Doppelsuizid sei durch Medikamente begangen, ein Abschiedsbrief übersandt worden, und selbst der Text des Anrufbeantworters sei entsprechend dem Doppelsuizid angepasst worden.Footnote 31

Strafrechtliche Bewertung des Suizids

Grundsätzlich ist zunächst davon auszugehen, dass der eigenverantwortlich verwirklichte Suizid nicht den Tatbestand eines Tötungsdelikts, wie § 212 StGB oder § 216 StGB, erfüllt.Footnote 32 Die Selbsttötung ist in Deutschland straflos, die Tötungsdelikte der §§ 211 ff. StGB beziehen sich auf die Tötung eines anderen Menschen.Footnote 33 Der Versuch der Selbsttötung sowie die Teilnahme an einer Selbsttötung sind grundsätzlich nicht strafbar, wobei die Straffreiheit der Suizidteilnahme zwischen November 2015 und Februar 2020 nur eingeschränkt galt (§ 217 StGB).Footnote 34 Die Straflosigkeit der Teilnahme in Form der Beihilfe oder Anstiftung ergibt sich aus deren Akzessorietät, d. h. es ist eine straftatbestandliche bzw. strafgesetzliche Haupttat (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB) erforderlich, an der es beim Suizid gerade fehlt.Footnote 35 Wird demnach aus rechtlicher Sicht eine Selbsttötung festgestellt, scheidet eine Strafbarkeit eines Dritten nach §§ 211, 212 oder 216 StGB ausFootnote 36, wobei allerdings bei fehlender „Freiverantwortlichkeit“ und Steuerungsherrschaft eine mittelbare Täterschaft in Betracht kommt, welche eine Strafbarkeit nach § 211 oder § 212 StGB in Verbindung mit § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB begründen kannFootnote 37.

Eine Unterscheidung der Selbsttötung von der Fremdtötung ist somit aus rechtlicher Perspektive entscheidend für die Einordung in ein strafbewehrtes oder strafloses Handeln.

Die Abgrenzung zwischen Selbst- und Fremdtötung kann anhand unterschiedlicher Kriterien erfolgen. Die überwiegende Ansicht grenzt über die Tatherrschaft ab.Footnote 38 Ausschlaggebend ist nach der herrschenden Ansicht allein, wer den Geschehensablauf im kritischen Moment beherrscht. So liegt eine Selbsttötung vor, wenn das Opfer über den letzten Akt selbst und freiwillig entscheidet und bis zuletzt den freien Entschluss und die Kontrolle über den suizidalen Geschehensablauf behält.Footnote 39 Eine Fremdtötung besteht hingegen, wenn die Tatherrschaft über den unmittelbar lebensbeendenden Akt bei dem Täter und nicht beim Opfer selbst liegt.Footnote 40 Bei einem Doppelsuizid überlässt der Suizident die Art und Weise seines Todes sowie den zum Tode führenden Akt gänzlich der ausführenden Person.Footnote 41 Unter diesen Voraussetzungen kann sich diese bei einer freiverantwortlichen Entscheidung des Suizidenten nach § 216 StGB wegen einer Tötung auf Verlangen strafbar machen. Streitig ist die Konstellation der sog. „gemeinsamen Tatherrschaft“. Der BGH verlangt für die Straflosigkeit des Mitwirkenden die alleinige Tatherrschaft beim Suizidenten,Footnote 42 die Literatur erkennt zum Teil die Möglichkeit einer „Opferautonomie“ auch dann an, wenn sich die Tatherrschaft auf eine bloße Mitbeherrschung beschränkt (sog. „Quasimittäterschaft“)Footnote 43. Im Rahmen von Fall 4 (unten) wird diese Konstellation ausführlicher erläutert.

Garantenstellung beim Suizid

Nach § 13 StGB kann eine Straftat durch Unterlassen begangen werden, u. a. wenn der Täter, als sog. Garant, die Erfolgsabwendung unterlässt, obwohl ihn eine rechtliche Einstandspflicht zur Erfolgsabwendung trifft. Beim Suizid im Allgemeinen und beim Doppelsuizid im Speziellen stellt sich daher in unterschiedlichen Konstellationen die Frage, ob dieser durch Garanten hätte verhindert werden können bzw. müssen. In solchen Fällen gründet sich der Strafbarkeitsvorwurf folglich nicht auf ein aktives Handeln, sondern auf die Untätigkeit des Garanten gemäß § 13 Abs. 1 StGB, den Suizid und somit den Erfolgseintritt zu verhindern (sog. unechtes Unterlassungsdelikt).Footnote 44 Neben den objektiven Tatvoraussetzungen müssen bei unechten Unterlassungsdelikten vom Vorsatz des Täters die Tatumstände erfasst sein, die seine Garantenstellung begründen (§ 16 Abs. 1 S. 1 StGB).Footnote 45 In Rechtsprechung und Literatur werden verschiedene Formen der Garantenstellung unterschieden, deren Begründungsansatz und Einteilung sich über die Jahre gewandelt haben (Tab. 1).

Tab. 1 Garantenkonstellationen

Zwei Kategorien von Garanten (Ärzte und Angehörige) sind für Doppelsuizide besonders relevant. Ihre Garantenstellung sowie damit einhergehende rechtliche Erwägungen bei einem Suizid werden im Folgenden erläutert.

Die Garantenstellung des Arztes

Insbesondere (Doppel‑)Suizide in psychiatrischen Einrichtungen werfen die Frage auf, ob den verantwortlichen Ärzten aufgrund ihrer Garantenstellung aus dem Behandlungsvertrag bzw. als Überwacher für bestimmte Gefahrenquellen eine strafrechtliche Verantwortung zukommt.

Kein hinreichender Tatverdacht wurde z. B. vom LG Gießen angenommen, wenn bei einem suizidalen Patienten vom ärztlichen Garanten nichts unternommen wurde, um den freiverantwortlichen Suizid zu verhindern. Dabei konnten sich Zweifel an der Freiverantwortlichkeit in dubio pro reo nicht zulasten der angeschuldigten Ärztin auswirken. Zudem wäre es wertungswidersprüchlich, eine fahrlässige Suizidermöglichung strafrechtlich zu sanktionieren, wenn die vorsätzliche Beihilfe zum Suizid straflos ist.Footnote 46 Problematisch sind die Fallkonstellationen, in denen sich bei der retrospektiven Bewertung erhebliche Zweifel an der Freiverantwortlichkeit im Kontext psychischer Erkrankungen ergeben können. Ob allerdings, wie vom KG Berlin vor einiger Zeit geäußert, bei einer 44-Jährigen in der Kindheit geäußerte Suizidabsichten und „exzessive Stimmungsschwankungen“ in den Monaten vor dem Tod usw. ausreichen, um zum konkreten Zeitpunkt der Suizidbegehung die Ernstlichkeit und die Freiverantwortlichkeit des Suizidwunsches beim Suizid auszuschließenFootnote 47, bleibt fraglich.

Soweit es keine Zweifel an der Freiverantwortlichkeit gibt, stellt sich die Frage, ob den Arzt, der nach Behandlungsübernahme mit der Suizidabsicht konfrontiert wird, als Garanten eine Rettungspflicht trifft, wenn sein Patient nach dem Suizidversuch das Bewusstsein verliert.

In einer Revision zu einem Fall des LG BerlinFootnote 48 stellte der BGH jüngst fest, dass ein Arzt nicht dazu verpflichtet sei, seinem Patienten nach einem Suizidversuch das Leben zu retten, soweit dessen Entschluss zu Sterben bewusst und freiverantwortlich getroffen wurde.Footnote 49 Im entschiedenen Fall nahm sich eine Patientin mit einer chronischen Erkrankung das Leben. Ihr Hausarzt hatte ihr – auf ihr Bitten hin – ein starkes Schlafmittel verschrieben, von welchem sie eine tödliche Dosis einnahm. Der Arzt betreute die Patientin, nachdem sie das Bewusstsein verlor, auf ihren Wunsch hin bis zu ihrem Tod. Einen Rettungsversuch unternahm der Arzt nicht. Der BGH bestätigte mit seinem Urteil den zuvor ergangenen Freispruch des LG Berlin.Footnote 50 Er erklärte, dass die Garantenpflicht des Hausarztes spätestens zu dem Zeitpunkt beendet gewesen sei, als er die Bitte der Patientin akzeptiert habe, diese während des Sterbeprozesses zu begleiten und während des Prozesses mögliche Leiden oder Schmerzen zu lindern.Footnote 51

Ob die „Beendigung“ der Garantenpflicht dogmatisch zu einer Auflösung der vollständigen Garantenstellung oder lediglich zu einer Einschränkung der Garantenpflicht führt, kann diskutiert werden.Footnote 52 Vorzugswürdig erscheint die Ansicht, dass der Arzt bei einem Sinneswandel oder im Rahmen der Schmerzlinderung weiterhin für seinen Patienten verantwortlich bleibt und bei Unterlassen auch rechtlich verantwortlich ist.Footnote 53 Dies ist unproblematisch möglich, wenn die Garantenpflicht nur für einen bestimmten Teilaspekt eingeschränkt wird, ansonsten aber bestehen bleibt.

Das Urteil des BGH stieß in der Literatur weitestgehend auf Zustimmung.Footnote 54 Insbesondere die Problematik der Garantenpflicht des Hausarztes sei zufriedenstellend gelöst worden.Footnote 55 Bemängelt wurde hingegen, dass der BGH die Möglichkeit nicht genutzt habe, sich mit der viel kritisierten Wittig-RechtsprechungFootnote 56 auseinanderzusetzen.Footnote 57 1984 hatte der BGH im Fall des Hausarztes Dr. Wittig entschieden, dass der Übergang der Tatherrschaft vom Suizidenten auf den obhutspflichtigen Garanten nach Eintritt der Bewusstlosigkeit zu einer Strafbarkeit wegen eines Tötungsdelikts durch Unterlassen führen könne.Footnote 58 Von dieser Rechtsprechung ist der BGH bislang nicht ausdrücklich abgewichen, was zu Unsicherheiten und Irritationen geführt hat.Footnote 59 Auch im vorliegenden Urteil hat der BGH eine Abkehr von der Wittig-Rechtsprechung nicht eindeutig vorgenommen, obwohl dieses inhaltlich angezeigt gewesen wäre. Denn der BGH löst die Garantenproblematik im vorliegenden Fall nicht über den Tatherrschaftswechsel wie noch im Wittig-Urteil, sondern über eine Einschränkung des Pflichteninhalts aufgrund des freiverantwortlichen Willens des Suizidenten. Bei entgegenstehendem Selbstbestimmungsrecht des Suizidenten gibt es demnach keine Rettungspflicht des Garanten.

Warum sich der BGH nicht ausdrücklich mit der Wittig-Rechtsprechung auseinandergesetzt hat, ist nicht bekannt. Im Schrifttum wird spekuliert, dass er möglicherweise ein Anfrage-/oder Vorlageverfahren zum Großen Strafsenat (mit ungewissen Aussichten) vermeiden wollte und daher auf indirekte Begründungen (u. a. tatsächlicher Unterschied zu Wittig, weil vorliegend Sterbebegleitung verabredet) ausgewichen ist.Footnote 60

Vor dem Hintergrund des neuen BVerfG-Urteils bleibt zu hoffen, dass der BGH bei nächster Gelegenheit seine überholte Rechtsprechung ausdrücklich auch im Hinblick auf die Begründung revidieren wird. In einem aktuellen Urteil betonte das BVerfGFootnote 61, dass jeder Mensch die Freiheit habe, sich das eigene Leben zu nehmen und sich hierfür der Hilfe Dritter zu bedienen. Auf der Grundlage dieses Urteils sollte grundsätzlich von einer Rettungspflicht des Garanten abgesehen werden, sobald der Sterbewillige freiverantwortlich und eigenhändig seinen Suizid durchgeführt hat. Es wäre daher zu begrüßen, wenn der BGH nicht nur im Ergebnis eine Straffreiheit für den Garanten bei Teilnahme an einem freiverantwortlichen Suizid anerkennt, sondern auch die Begründung in Abkehr von Wittig anpasst, um zu guter Letzt Rechtssicherheit schaffen zu können.

Die Garantenstellung innerhalb der Familie (Eltern, Kinder, Ehe‑/Lebenspartner)

In der rechtlichen Bewertung der Garantenstellung von Familienangehörigen zeichnete sich in den letzten Jahrzehnten ein Wandel ab. Ungeachtet der – wie vorausgehend näher ausgeführt – auf eine grundsätzlich fortbestehende Rettungspflicht beharrende BGH-Judikatur, wird in der Literatur bei einem freiverantwortlichen Suizid zutreffenderweise die Garantenpflicht eingeschränkt und eine strafrechtliche Verantwortung aus §§ 212, 13 StGB oder § 323c StGB abgelehnt.Footnote 62 Der Respekt vor dem Willen des Suizidenten, der frei von Willensmängeln und freiverantwortlich seinem Leben ein Ende setzt, gebietet eine Einschränkung der Garantenpflicht und eine Abkehr von einer verabsolutierten Rettungspflicht.Footnote 63

Erwägungen zum Doppelsuizid in der Ehe

Aus § 1353 Abs. 1 BGB folgt, dass die Ehe auf Lebenszeit geschlossen wird, eine Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft besteht und diese vom gemeinsamen Verantwortungsprinzip geprägt ist. Fraglich ist, wie sich der gemeinsame Wunsch, aus dem Leben zu scheiden, beim zunächst einseitig fehlgeschlagenen Doppelsuizid auf die strafrechtliche Würdigung des „handlungsfähigen“ Überlebenden als Garanten für den Ehepartner auswirken kann. Aufgrund der gemeinsamen Entscheidung zum Suizid möchte das Ehepaar faktisch die Lebensgemeinschaft in eine „Sterbe- bzw. Todesgemeinschaft“ umwandeln. Wenngleich der Gesetzgeber zahlreiche Möglichkeiten der Beendigung der Ehe vorsieht, ist dieser Entschluss davon nicht umfasst, denn die formalen Voraussetzungen liegen nicht vor. Die ehelichen Verpflichtungen können durch Aufhebung (§§ 1313 ff. BGB), Trennung (§ 1567 BGB) oder Scheidung (§§ 1564 ff. BGB) beendet oder zumindest beschränkt werden (s. aber z. B. nachehelicher Unterhalt nach §§ 1569 ff. BGB). Ein Recht auf Beendigung der ehelichen Gemeinschaft durch einen Suizid gibt es hingegen nicht. Dies folgt aus dem grundrechtlichen Schutz der Ehe aus Art. 6 Abs. 1 GG, der zu Beistand in der Ehe verpflichtet.Footnote 64 Führt der Suizid jedoch zum Tod, endet die Ehe mit dem Tod des Ehepartners (§ 1482 BGB).

Da der Entschluss zum Doppelsuizid keine formelle Beendigung der Ehe darstellt, bleibt die Garantenpflicht für den Ehepartner bestehen.Footnote 65 Den Ehepartnern ist es jedoch nicht unbenommen, sich bereits im Vorfeld aus dem an sich bestehenden Solidaritätsverhältnis zu „entpflichten“.Footnote 66 Der maßgebliche Aspekt ist dabei, dass dem in der ehelichen Lebensgemeinschaft von Rechts wegen immanenten (also normativen) BeistandsversprechenFootnote 67 (§ 1353 Abs. 1 S. 2 BGB) das Selbstbestimmungsrecht beider Partner in jeweils eigenen Angelegenheiten eine unübersteigbare Grenze setzt: Denn auch Ehe‑/Lebenspartner müssen sich keine Bevormundung gefallen lassen. Sollte im Fall eines einseitig fehlgeschlagenen Doppelsuizides die strafrechtliche Verantwortung des „handlungsfähigen“ Garanten überprüft werden, liegt es heute nahe, auf die Freiverantwortlichkeit der Suizidenten abzustellen.Footnote 68 Diese Ansicht deckt sich auch – wie zuvor erläutert – mit der herrschenden Ansicht im SchrifttumFootnote 69 und wurde nun zuletzt durch das BVerfGFootnote 70 bestätigt. Wenn beide Partner nicht mehr zur nötigen Reflexion in der Lage sein sollten, dürfte für den potenziellen Täter (als Überlebenden) die individuelle Möglichkeit zur ErfolgsabwendungFootnote 71 regelmäßig zu verneinen sein (auch wenn seine Schuld jenseits der §§ 20, 21 StGB noch fortbestehen sollte). In diesem Fall wird wohl eine Unterlassungstäterschaft ausscheiden müssen, was bei einem Hinzukommen anderer Garanten anders zu beurteilen ist.

Eine fehlende Reflexionsmöglichkeit eines oder gar beider Partner wird bei einem Doppelsuizid aber eher die Ausnahme sein. Die (rechtsmedizinische) Praxis belegtFootnote 72, dass es sich üblicherweise nicht um Spontanreaktionen, sondern um wohlüberlegte Entscheidungen der Doppelsuizidenten in Form eines bilanzierten Suizids handelt. In den meisten Fällen zerbrechen die Eheleute an den Lebensumständen (z. B. Alter, Krankheit, Verzweiflung).Footnote 73 Sie leiden in einem „hohen Maß an sozialer Isolation“, agieren als Einheit und sind oft unfähig, andere Menschen zur Hilfe in diese „encapsulated unit“ einzubeziehen.Footnote 74 Das faktische Ende des gemeinsamen (Ehe‑)Lebens wird von den Doppelsuizidenten quasi im Sinne einer Aufhebung („bis dass der Tod uns scheidet“) aufgrund eines gemeinsamen freiverantwortlichen Planes beschlossen, wobei nicht das Beenden der ehelichen Gemeinschaft, sondern der gemeinsame Tod durch den Doppelsuizid im Vordergrund steht. Psychodynamisch wird davon ausgegangen, dass der Doppelsuizid gerade die partnerschaftliche „Einheit vor der Zerstörung bewahren“ soll.Footnote 75 Dabei gehen die Ehepartner davon aus, dass sich das gemeinsame Ziel, nämlich der gemeinsame Tod, erfüllt. Zwar geht der gemeinsame Suizidplan nicht von einem Scheitern des Vorhabens aus, gleichwohl entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Suizidversuche (selbst wenn sie nicht nur appellativen Charakter haben) scheitern können. Im Falle des vorläufigen Scheiterns, sollte der Logik des gemeinsamen Suizidentschlusses eigentlich auch der beiderseitige Wunsch zugeordnet werden, dass der jeweils Andere keine Rettungsmaßnahmen unternimmt.

Fallkonstellationen

Nachfolgend werden anhand der juristischen Literatur und der Rechtsprechung Formen des Doppelsuizids in der Ehe an Beispielskonstellationen erläutert und mit ihren jeweiligen rechtlichen Folgen dargestellt. Dabei sind verschiedene Konstellationen denkbar (z. B. Fall 1–5; Tab. 2), die sich hinsichtlich der rechtlichen Bewertung unterscheiden können. Anhand eines Ehepaares, das aufgrund eines gemeinsamen Suizidentschlusses (Ausnahme Fall 5) mittels eines Medikamentencocktails (z. B. Chloroquin, Diazepam und Metoclopramid)Footnote 76 aus dem Leben scheiden will, werden diese Konstellationen verdeutlicht.

Tab. 2 Fallkonstellationen

Zu Fall 1

Tatherrschaftliches Handeln jedes einzelnen Suizidenten und Tod beider Suizidenten

Dies kann als der Regelfall des erfolgreichen Doppelsuizids angesehen werden, wenn die Beteiligten aufgrund eines gemeinsamen Suizidplans beschließen, eigenverantwortlich und frei von Willensmängeln mit dem (Lebens‑)Partner aus dem Leben zu scheiden. Jeder der beiden Suizidenten trifft eine eigenverantwortliche Entscheidung zur Lebensbeendung und führt die todbringende Handlung, z. B. die Einnahme des tödlich wirkenden Medikaments, selbst aus. Ein eigenverantwortlicher Suizid verwirklicht nicht den Tatbestand eines Tötungsdelikts.Footnote 77 Beide beherrschen und kontrollieren das zum eigenen Tode führende Geschehen aufgrund einer freien Willensentscheidung.Footnote 78 Die implizite Bestärkung des jeweils anderen (Beihilfe) ist mangels rechtswidriger Haupttat straflos (kein Unrecht).

Zu Fall 2

Tatherrschaftliches Handeln jedes einzelnen Suizidenten und einseitig fehlgeschlagener Suizid, überlebender Suizident handlungsunfähig

Diese Fallkonstellation unterscheidet sich zunächst nicht vom „Regelfall“, bis auf das einseitige Überleben eines Ehepartners. Der eigene Suizidversuch des Überlebenden bleibt straflos, da die Tatbestände der §§ 211 ff. StGB die Tötung eines anderen Menschen und nicht den Tötungsversuch an sich selbst umfassen.Footnote 79 Es liegt hierbei zudem eine symmetrische Herrschaft vor, über den eigenen Tod zu entscheiden. In Ermangelung einer Haupttat ist eine Beihilfehandlung zum Suizid einer anderen Person trotz Garantenstellung als Beschützergarant, z. B. auch in Form der psychischen Beihilfe, straflos.Footnote 80 Eine mögliche Rettungspflicht des Ehemanns, die sich aus seiner Garantenstellung ergeben könnte, ist hier irrelevant, da der Ehemann bis zum Versterben seiner Frau sein Bewusstsein nicht zurückerlangt und mithin handlungsunfähig war.

Zu Fall 3

Tatherrschaftliches Handeln jedes einzelnen Suizidenten und einseitig fehlgeschlagener Suizid, überlebender Suizident handlungsfähig

Schwieriger ist die rechtliche Bewertung in dieser Konstellation, in welcher der überlebende Ehemann durch die Folgen seines Suizidversuchs nicht erkennbar eingeschränkt ist und erkennt, dass seine Partnerin noch lebt. Hier hätte er die Möglichkeit, Rettungsmaßnahmen für seine Ehefrau zu ergreifen oder ihren freiverantwortlichen Suizid zu respektieren. Die Respektierung des freiverantwortlichen Willens bedeutet im Umkehrschluss aber die Untätigkeit hinsichtlich von Rettungsbemühungen. In der praktischen Bewertung wird sich die Frage stellen, ob eine etwaige Rettung basierend auf den Obduktionsergebnissen und einem rechtsmedizinischen Gutachten den tödlichen Verlauf hätte verhindern können oder nicht.Footnote 81 So beruht die Intention der Partnerin zur Durchführung des Suizids zunächst auf dem Tatplan, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden, was durch das Überleben ihres Partners hinfällig geworden ist. Zudem könnten den Überlebenden nunmehr Garantenpflichten treffen, unverzüglich Rettungsmaßnahmen in die Wege zu leiten, um im weiteren Geschehensablauf den Suizid der Partnerin zu verhindern. Vonseiten des BGH wird weiterhin vertreten, dass der obhutspflichtige Garant (z. B. Ehepartner) selbst bei einem freiverantwortlichen Suizid aufgrund eines „Tatherrschaftswechsel“ dazu verpflichtet sei, dass Leben des Ehepartners zu retten, um sich nicht wegen eines Totschlags durch Unterlassen nach §§ 212, 13 StGB strafbar zu machen.Footnote 82 In der Literatur wird diese Ansicht im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht des Suizidenten, dessen Eigenverantwortlichkeit sowie das Autonomieprinzip abgelehnt.Footnote 83

Wie zuvor erläutert, hat sich der BGH im letzten Jahr der Literaturansicht angenähert und im Ergebnis eine Rettungspflicht des Garanten bei einem freiverantwortlichen Suizid verneint.Footnote 84 Unter Beachtung dieser Entscheidung sowie der aktuellen Rechtsprechung des BVerfG kann davon ausgegangen werden, dass die Strafbarkeit des Suizidenten wegen Unterlassens in Zukunft wahrscheinlich ein nicht mehr rechtspraktisch relevant werdendes Risiko bilden wird.

Zu Fall 4

Tatherrschaftliches Handeln des Ehemanns und einseitig fehlgeschlagener Suizid

Rechtlich problematisch und mit unterschiedlichen Lösungsansätzen sind die Fälle des einseitig fehlgeschlagenen Doppelsuizids zu werten, wenn sich herausstellt, dass der Überlebende einen aktiven Tatbeitrag zum Suizid des Verstorbenen geleistet hat. Wenn der überlebende Ehemann seiner Partnerin auf ihr Bitten aktiv den Medikamentencocktail einflößt, kann diskutiert werden, ob er Teilnehmer eines straflosen Suizides oder Täter einer Fremdtötung auf Verlangen nach § 216 StGB ist. Für die Abgrenzung ist – wie oben erläutert – nach herrschender Meinung darauf abzustellen, wer die Tat über den unmittelbar lebensbeendenden Akt beherrscht hat.Footnote 85

Nach dem BGH kommt es konkret darauf an, „in welcher Art und Weise der Tote über sein Schicksal verfügt hat“.Footnote 86 Wenn die Ehefrau sich in die Hand ihres Partners begibt, um duldend von ihm den Tod entgegenzunehmen, dann hat der Ehemann die Tat beherrscht.Footnote 87 Wenn die Ehefrau hingegen bis zuletzt die freie Entscheidung über ihr Schicksal treffen konnte, sich also den Auswirkungen versagen oder diese abbrechen kann, dann liegt für den Ehemann nur eine Teilnahme an einer Selbsttötung vor.Footnote 88

Eine Auffassung in der Literatur spricht sich hingegen für die Straflosigkeit des Überlebenden unabhängig von einer manuellen Handlungsherrschaft aus und begründet diese Ansicht mit der „Quasimittäterschaft“.Footnote 89 Danach wird auf die Eigenverantwortlichkeit jedes einzelnen Suizidenten abgestellt, wenn sich das Suizidgeschehen im Rahmen des gemeinsamen arbeitsteiligen Suizidplans bewegt.Footnote 90 Über das Kriterium der Quasimittäterschaft liegt beim Getöteten eine „voll verantwortliche quasi-täterschaftliche Selbsttötung“ vor, die die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Überlebenden, hier des Ehemanns, entfallen lässt.Footnote 91 Nur auf diese Weise könne man den Besonderheiten eines gemeinsam geplanten und ins Werk gesetzten Doppelsuizids gerecht werden, in denen zufällige Gegebenheiten den Geschehensablauf ändern können.Footnote 92

Eine andere Ansicht in der Literatur geht wie der BGH von einer Strafbarkeit nach § 216 StGB in den Fällen des einseitig fehlgeschlagenen Doppelsuizides aus.Footnote 93 Abgestellt wird auch hier auf den letzten zum Tode führenden Akt der Tat.Footnote 94 Sobald der Überlebende nicht nur ein vom Sterbenden gelenktes Geschehen begleitet, sondern den letzten todesbringenden Beitrag beherrscht, ist er kein Teilnehmer eines Suizides mehr, sondern schon Täter eines § 216 StGB.Footnote 95 Diese Lösung sei auch nicht unbillig. Denn es sei keineswegs klar, dass die Tatbeiträge bei einem Doppelsuizid immer zufällig erfolgen, wie von einigen Literaturstimmen kritisiert wird.Footnote 96 Es liege vielmehr die Vermutung nahe, dass die Tatbeiträge konkret von den Beteiligten gewählt werden, evtl. auch, weil eine Hemmung bestehe, den Akt selbst zu vollziehen.Footnote 97 Ferner bestehe immer noch die Möglichkeit des Ausgleichs unerträglicher Ergebnisse über die Strafzumessung.Footnote 98 Im Rahmen der Strafzumessung bestimmt der Richter die Rechtsfolgen der Tat, welche durch die Strafandrohung im Gesetz konkretisiert wird. Als Grundlage dienen u. a. „die Schwere der Tat, die persönliche Schuld des Täters sowie die Bedeutung für die verletzte Rechtsordnung“ (§ 46 Abs. 2 StGB).Footnote 99 Bei einem einseitig fehlgeschlagenen Doppelsuizid kann der Richter daher die Gesamtsituation bei der Bestimmung der Rechtsfolgen strafmildernd berücksichtigen.

Wie aufgezeigt, gibt es mehrere Wege der Annäherung an eine strafrechtliche Aufarbeitung. Eine abschließend rechtsverbindliche Lösung für Fälle eines einseitig gescheiterten Doppelsuizides, in dem eine Person eine aktivere Rolle einnimmt als der andere Beteiligte, kann nicht präsentiert werden. Mit guten Gründen lässt sich aber auch hier die besondere Wertigkeit des Autonomiegedankens anführen, mit der Folge einer entfallenden Strafbarkeit.

Zu Fall 5

Vorbereitungshandlungen durch die Ehefrau, Vorspiegelung eines gemeinsamen Doppelsuizides durch die Ehefrau, tatherrschaftliches Handeln durch den Ehemann, einseitiger Suizid

Diese FallkonstellationFootnote 100 unterscheidet sich erheblich von den zuvor erläuterten, da ein gemeinsamer Tatentschluss fehlt. Einer der Beteiligten, hier die Ehefrau, verfolgt eigene Motive. Sie will sich ihres Partners entledigen, indem sie einen gemeinsamen Doppelsuizid vortäuscht. Das Opfer der Täuschung verstirbt kurze Zeit nach eigenhändiger Einnahme des Medikamentencocktails und in der Annahme, seine Partnerin würde den Cocktail nach ihm trinken.

Sowohl nach Ansicht der RechtsprechungFootnote 101 als auch nach Ansicht der LiteraturFootnote 102 liegt hier eine vorsätzliche Tötung gemäß § 212 StGB vor. Im Ergebnis gibt es zwei Ansätze, die zur Begründung der Strafbarkeit herangezogen werden könnenFootnote 103: Auf der einen Seite kann argumentiert werden, dass die Ehefrau das Tatgeschehen beherrscht hat.Footnote 104 Indem sie ihrem Ehemann vorspielte, gemeinsam mit ihm sterben zu wollen, und ihn dazu veranlasste, eigenhändig den Medikamentencocktail zu trinken, übernahm sie als arglistig Täuschende (aufgrund überlegenden Wissens) die Tatherrschaft.Footnote 105

Auf der anderen Seite kann argumentiert werden, dass eine Strafbarkeit nach den Grundsätzen der mittelbaren Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) vorliegt.Footnote 106 In diesem Fall muss die Selbsttötungshandlung des Ehemanns seiner Partnerin zugerechnet werden. Eine solche Zurechnung ist möglich, wenn der Ehemann unfrei und als „Werkzeug gegen sich selbst“ gehandelt hat.Footnote 107 Als Voraussetzung dafür muss bei dem Opfer z. B. ein Wissensdefizit vorliegen, das die Freiverantwortlichkeit des Selbsttötungsentschlusses ausschließt.Footnote 108 Vorliegend kann argumentiert werden, dass es an der Freiverantwortlichkeit des Selbsttötungsentschlusses fehlte, da die Ehefrau den Ehemann darüber getäuscht hat, gemeinsam aus dem Leben scheiden zu wollen. Eine Zurechnung der Selbsttötungshandlung wäre hier also auch nach den Grundsätzen der mittelbaren Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) vertretbar.Footnote 109

Im Einzelfall müssten, neben möglichen Mordmerkmalen nach § 211 StGB (je nach Fallkonstellation z. B. Habgier, sonst niedrige Beweggründe), noch die jeweiligen Einzelheiten des Falls berücksichtigt werden. Die rechtliche Beurteilung kann somit unterschiedlich ausfallen.

Fazit für die juristische und (rechts-)medizinische Praxis

Trotz geringer Fallzahlen sind Doppelsuizide in den letzten Jahren häufig zum Thema in den Medien und der öffentlichen Diskussion geworden.Footnote 110 Die rechtliche Würdigung hängt vom Einzelfall ab und spielt in der Praxis gerade bei fehlgeschlagenen Doppelsuiziden eine Rolle. Die exemplarischen Fallkonstellationen (Fälle 2–5, Tab. 2) verdeutlichen, dass die strafrechtliche Beurteilung eines einseitig fehlgeschlagenen Doppelsuizides aufgrund der konträren Ansichten in Rechtsprechung und Literatur zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. Entscheidend für eine spätere juristische Aufarbeitung des Geschehens werden daher gerade die Klärung der Motivlage vor der Tatbegehung und das Nachtatverhalten sowie eine penible Tatrekonstruktion sein.

Die Feststellung der Motivationslage der Beteiligten beim einseitig fehlgeschlagenen Doppelsuizid stützt sich mitunter auf die Aussagen des Überlebenden, wenn keine weiteren Indizien, z. B. in Form eines gemeinsamen Abschiedsbriefes, vorliegen.Footnote 111 Dabei ist ein „Kontinuitätsmodell von Suizidalität“Footnote 112, d. h. eine zeitliche Entwicklung von passiver zu aktiver Suizidalität, auch bei der Einbeziehung anderer Personen sowohl im Rahmen der Suizidabsicht (mit bzw. ohne Plan und Ankündigung) als auch bei der Suizidhandlung (geplante oder impulsive Tat) zu berücksichtigen.

Im Rahmen der kriminalistischen Aufarbeitung der Tatrekonstruktion können die rechtsmedizinische Tatortbegehung und Sektionsbegutachtung entscheidende Hinweise liefern und somit maßgeblich zur rechtlichen Entscheidungsfindung beitragen. Teil 2 dieses Beitrags betrachtet rechtsmedizinische und kriminalistische Aspekte von Doppelsuiziden anhand der im Institut für Rechtsmedizin Frankfurt am Main in dem Zeitraum von 1995 bis 2019 ausgewerteten Sektionsdaten und gibt praktische Hinweise zur Aufarbeitung solcher Sachverhaltskonstellationen.

Unabhängig von der notwendigen peniblen Aufarbeitung des Tatgeschehens und der Motivlage werden künftige gerichtliche und staatsanwaltschaftliche Entscheidungen nicht in allen Fallkonstellationen (aufgrund der insoweit noch streitigen Rechtslage) vorhersehbar sein.Footnote 113 Es bleibt zu hoffen, dass in naher Zukunft die „gegensätzlichen Grundpositionen“Footnote 114 aufgegeben werden und sich dadurch Rechtssicherheit im Hinblick auf die juristische Bewertung einstellen wird.